Hirnforschung: Chronische Schmerzen verändern Belohnungszentrum
Chronische Schmerzen sind nicht nur körperlich unangenehm, sie zermürben viele Betroffene mit der Zeit auch seelisch. Ärzte beobachten daher häufig, dass ihre Patienten neben ihrer ursprünglichen Erkrankung auch noch erschöpft, antriebslos oder depressiv werden und eine ausgeprägte Scheu vor anstrengenden oder mühevollen Aktivitäten entwickeln. Warum anhaltende Leiden zusätzlich so sehr auf die Psyche drücken, stellte Experten bisher noch vor einige Rätsel. Forscher von der Stanford University bringen nun ein bisschen mehr Licht ins Dunkel. Sie untersuchten das Phänomen im Versuch mit Mäusen genauer und kamen dabei zu dem Schluss: Offenbar verändert der Schmerz auf Dauer die Aktivität von Neuronen im Belohnungssystem des Gehirns, die ansonsten dafür sorgen, dass die Tiere für eine entsprechende Gegenleistung auch bereit sind, gewisse Mühen in Kauf zu nehmen.
Das Team um den Neurologen Neil Schwartz setzte in seinem Experiment Labormäuse in eine kleine Kammer. Stupsten die Nager darin mit ihrer Nase gegen einen Schalter, wurden sie mit Futter belohnt. Von Mal zu Mal wurden allerdings immer mehr Stupser nötig, damit die Mäuse ihre Belohnung erhielten. Unter normalen Umständen machten die Tiere dieses Spiel über lange Zeit hinweg recht ausdauernd mit. Injizierten die Forscher ihnen aber entzündliche Stoffe in die Hinterpfote oder schädigten den Ischiasnerv, was bei den Mäusen zu anhaltenden Schmerzen führte, sank die Motivation nach einigen Tagen in den Keller. Die Nager verzichteten lieber auf die Leckereien, wenn diese mit Umständen verbunden waren. Dieses Verhalten behielten sie sogar bei, wenn die Wissenschaftler ihnen Schmerzmittel verabreichten, welche die Beschwerden linderten. Um auf Nummer sicher zu gehen, dass die Tiere sich nicht einfach nur am Futter satt gegessen hatten, bekamen sie in einem alternativen Versuchsszenario für jeden Stupser durchgängig eine Belohnung. Hier holten sich alle Mäuse – unabhängig von ihrem Leiden – die maximale Anzahl an Belohnungen ab. Unter Schmerzen fehlte den Nager also schlichtweg der Antrieb, um größere Mühen in Kauf zu nehmen.
Nervenzellen im Nucleus accumbens feuern seltener
Um zu verstehen, was die Mäuse auf neuronaler Ebene bei anhaltenden Schmerzen dazu bewegte, ihr Verhalten zu ändern, betrachteten Schwartz und seine Kollegen die Aktivität von verschiedenen Nervenzellen in dünnen Hirnschnitten. Dabei fokussierten sich die Wissenschaftler auf spezifische Neurone im Nucleus accumbens, einer Struktur im Vorderhirn, die eine wichtige Rolle im Belohnungssystem des Gehirns spielt. Diese Zellen im Nucleus accumbens können dabei in zwei Arten unterschieden werden: diejenigen, die über einen Dopamin-D1-Rezezeptor verfügen und diejenigen, die einen Dopamin-D2-Rezeptor besitzen.
Schwartz und sein Team beobachteten, wie es um die Aktivität dieser beiden Nervenzelltypen in der Anwesenheit von Glutamat bestellt war. Dieses aktiviert als Neurotransmitter wiederum spezielle Glutamatrezeptoren an der Zellmembran und sorgt somit dafür, dass das Neuron einen Reiz weiterleitet. Bei Nagern mit chronischen Schmerzen war die Funktion dieser Rezeptoren beeinträchtigt – allerdings nur in den Nervenzellen mit den Dopamin-D2-Rezeptoren: Sie feuerten weniger. Als Schuldigen dafür machten die Forscher das Neuropeptid Galanin aus, das im Nervensystem die Ausschüttung verschiedener Botenstoffe steuert. Blockierten die Wissenschaftler die Aktivität von Galanin bei den Nagern, zeigten sie weder Antriebslosigkeit, noch veränderte sich die Aktivität der Neurone unter Schmerzen.
Wie genau die Dopamin-D2-Neurone die Motivation beeinflussen und ob Gleiches auch beim Menschen gilt, werden erst weitere Studien klären können. Schwartz und seine Kollegen hoffen aber, mit den Zellen einen neuen Ansatzpunkt für zukünftige Medikamente gefunden zu haben, die Antriebslosigkeit und Erschöpfung bei Patienten mit anhaltenden Schmerzen vielleicht vertreiben können.
Dass die Aktivität von Neuronen und die Verdrahtung bestimmter Hirnregionen eine große Rolle bei den Beschwerden spielen, die mit anhaltendem Leid verbunden sind, konnten bereits Studien am Menschen zeigen. So fanden Wissenschaftler 2012 heraus, dass im Gegensatz zu Menschen, die irgendwann wieder schmerzfrei leben können, Patienten mit chronischen Schmerzen ausgeprägtere Verbindungen zwischen dem Nucleus accumbens und dem präfrontalen Kortex besitzen.
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