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Content Delivery Networks : Die unsichtbaren Supermächte im Internet

Das Internet, wie wir es kennen, wäre ohne »Content Delivery Networks« undenkbar. Doch nun nimmt die deutsche Justiz diese Netzwerke wegen eines Urheberrechtsstreits in die Verantwortung – mit weit reichenden Folgen.
Netzwerke auf einer Erdkugel
Content Delivery Networks ermöglichen es, Onlineinhalte überall auf der Welt schnell abzugreifen. Damit besitzen diese Netzwerke viel Macht.

Nur wenigen Hörerinnen und Hörern des Albums »Herz Kraft Werke« von Sarah Connor ist bewusst, dass es Teil eines brisanten Rechtsstreits war. Es fing wie eine ganz gewöhnliche Urheberrechtsverletzung an – doch der Fall nahm eine Wendung, die erhebliche Auswirkungen auf das Internet in Deutschland haben kann.

Das Album der Sängerin erschien im Mai 2019 und war sowohl als CD im Laden als auch auf allen gängigen Streamingplattformen wie Spotify, Youtube oder Apple Music erhältlich. Kurze Zeit später luden unbekannte Personen die Musikstücke auf der Website »ddl-music.to« hoch. Während legale Streamingdienste Künstler und Label entlohnen, konnte man die Musik auf ddl-music.to kostenlos herunterladen, ohne dass Sarah Connor oder Universal Music nur einen Cent dafür erhielten. In der Regel gehen die Plattenfirmen juristisch gegen solche Aktivitäten vor. In diesem Fall gab es aber ein Problem: Die Kriminellen nutzten die Dienste des US-Unternehmens Cloudflare.

Cloudflare ist ein Anbieter von »Content Delivery Networks« (CDNs): zentralen Instanzen des Internets, von denen die meisten Menschen nie gehört haben. Das Unternehmen betreibt Rechenzentren auf der ganzen Welt und bietet seinen Kunden die Möglichkeit, ihre Daten weltweit zu verbreiten. Dann müssen sie keine eigene teure Infrastruktur dafür betreiben. Daraus ergibt sich ein zweiter Vorteil, der insbesondere für den Rechtsstreit relevant war: CDNs schirmen ihre Kunden vom Rest des Internets ab. Wenn die deutsche Justiz herausfinden möchte, wer das Album »Herz Kraft Werke« illegal verteilt, landet sie automatisch bei Cloudflare – und nicht bei den eigentlichen Kriminellen, die das Album hochgeladen haben.

Das stellt den Knackpunkt des juristischen Prozesses dar: Wer haftet für die Urheberrechtsverletzung? Universal Music sah Cloudflare in der Pflicht, die Verbreitung der Musik auf ddl-music.to zu stoppen. Cloudflare sieht sich hingegen als neutraler Anbieter eines Dienstes, der die nötige Infrastruktur für den freien Zugang zu Information bereitstellt. Die Firma kenne und kontrolliere die Daten ihrer Kunden nicht und stehe somit nicht in der Verantwortung.

Ein schnell wachsendes Netzwerk

Die ersten CDNs entstanden in den 1990er Jahren. Damals wuchs das Internet rasant an, was viele Flaschenhälse hervorbrachte; insbesondere an den Transatlantik- und Transpazifikkabeln. Um dieses Problem zu lösen, wollte man Daten und Websites nicht nur in einem Rechenzentrum speichern, sondern weltweit auf eine Vielzahl an Servern kopieren. Hier kommen CDNs ins Spiel.

Ein einfaches Beispiel hilft dabei, die Funktionsweise von CDNs zu verstehen. Angenommen, Instagram würde noch in den Kinderschuhen stecken und hätte nicht viel Budget für eigene Rechenzentren übrig; der einzige Server stünde in Kalifornien. Wenn nun ein Nutzer aus Hamburg auf die App zugreifen möchte, wird das Signal durch eines der Transatlantikkabel über New York nach Kalifornien geleitet. Dort bearbeitet der Instagram-Server die Anfrage und schickt die Antwort über einen ähnlichen Weg zurück nach Hamburg. Die zurückgelegte Strecke beträgt rund 18 000 Kilometer, wofür Licht ungefähr 80 Millisekunden braucht. Allerdings liegen auf dem Weg von Hamburg nach Kalifornien zahlreiche Zwischenstationen, in denen die Anfrage, ähnlich wie in einer Poststelle, verarbeitet und an weitere Zwischenstationen weitergeleitet wird. All das sorgt für Verzögerungen. Deshalb werden für die Strecke tatsächlich etwa 200 Millisekunden benötigt. Diese Latenz ist für Nutzerinnen und Nutzer deutlich spürbar und würde den Spaß beim Benutzen der App mindern.

Neben der Latenz ist die Skalierbarkeit ein Problem. Ein einzelner Server ist nur für eine bestimmte Anzahl von Nutzern und Nutzerinnen ausgelegt – er kann bloß einer gewissen Menge an Anfragen pro Sekunde standhalten. Falls eine Seite über Nacht viral geht und sich die Zugriffszahlen beispielsweise verzehnfachen, kann es sein, dass der Server nicht mehr hinterherkommt und unter der Last zusammenbricht.

Youtube, Instagram, Amazon, Netflix – all diese Unternehmen nutzen CDNs, um die Verwendung ihrer Produkte so angenehm wie möglich zu gestalten

Ein CDN löst sowohl das Problem der Latenz als auch der Skalierbarkeit. Instagram speichert die Daten beispielsweise nicht auf einem einzelnen Server in Kalifornien, sondern verteilt sie dank des CDN-Anbieters Akamai auf mehreren Servern auf der ganzen Welt. Wenn ein Nutzer aus Hamburg auf die App zugreift, wird seine Anfrage zum nächstgelegenen Rechenzentrum in Frankfurt geleitet, bearbeitet und zurückgeschickt. Das entspricht einer Strecke von nur 800 Kilometern, für die etwa 10 bis 20 Millisekunden benötigt werden.

Nicht alle Daten von Instagram werden auf allen weltweit verteilten Servern eines CDNs gespeichert. Ein entscheidender Teil des Geschäftsmodells der Anbieter besteht darin, die richtigen Daten zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort vorzuhalten. Eine neue Serie erscheint auf Netflix? Dann stellt der Streamingdienst mittels seines selbst betriebenen CDN sicher, dass die ersten Folgen in den Regionen zur Verfügung stehen, in denen bald Feierabend sein wird.

Durch die Infrastruktur der CDNs finden die riesigen Datenmengen des Internets ihren Weg zu den Nutzerinnen und Nutzern. Damit sind diese Netzwerke aus der täglichen Internetnutzung nicht mehr wegzudenken. Youtube, Instagram, Amazon, Netflix – all diese Unternehmen nutzen CDNs, um die Verwendung ihrer Produkte so angenehm wie möglich zu gestalten. Sobald eine Website oder ein Dienst hinreichend groß ist, wird im Hintergrund ein CDN wie Akamai, Cloudflare, Amazon und Google genutzt.

Eine enorme Macht

Als private Unternehmen sind CDN-Anbieter profitorientiert: Dort, wo es zahlende Kunden gibt, stehen Rechenzentren. Die Verteilung von CDN-Rechenzentren hat daher einen starken Fokus auf den globalen Norden, während sich Investitionen im globalen Süden wie Afrika für diese Unternehmen kaum lohnen. Das führt wiederum zu hohen Latenzen und Durchsatzproblemen, wenn Personen aus diesen Regionen auf Inhalte aus dem Rest der Welt zugreifen – und umgekehrt.

Zudem besitzen CDNs zumindest theoretisch die Möglichkeit, den Zugriff auf Webseiten und Daten zu beschränken. Sie könnten beispielsweise bestimmte Daten nicht mehr durch das interne Verteilungsnetzwerk leiten, wodurch diese für Nutzer und Nutzerinnen nicht mehr zur Verfügung stünden.

Cloudflare hat sich der Mission verschrieben, »ein besseres Internet zu bauen«

Doch die meisten CDN-Anbieter setzen nur sehr selten Sperren ein. Insbesondere Cloudflare hat sich der Mission verschrieben, »ein besseres Internet zu bauen«: Es bekundet seine Vision, das Internet als freien Raum zu gestalten, in dem sich Menschen durch neutrale Technologie frei austauschen können. Zwar blockiert Cloudflare schon seit Jahren kinderpornografische Inhalte, sonst aber versucht der CDN möglichst viel Freiheit und Neutralität gegenüber Regierungen und anderen Akteuren zu wahren. Diese Haltung führte zum Rechtsstreit mit Universal Music.

Wann gibt man Kundendaten heraus?

Die Plattenfirma verlangte von Cloudflare eine Blockade, um die illegale Verbreitung der urheberrechtsgeschützten Inhalte zu stoppen. Der CDN-Anbieter weigerte sich, die betreffenden Zugänge zu sperren. Die Plattenfirma und die deutsche Justiz sollten direkt gegen den Betreiber der Website »ddl-music.to« vorgehen, so Cloudflare. Zu diesem Zweck lieferte das US-Unternehmen einen Teil der benötigten Kundendaten an Universal – aber bei Weitem nicht alle relevanten.

Das Oberlandesgericht Köln sah hierin ein Problem: Wenn Cloudflare bei der Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen nicht ausreichend kooperiere und nicht alle wichtigen Informationen über die eigentlichen Täter bereitstelle, müsse man das Unternehmen selbst in die Pflicht nehmen. Das Gericht verurteilte Cloudflare im November 2023 als Mittäter von Urheberrechtsverletzungen. Damit verpflichtete es Cloudflare zudem, den illegalen Zugang zum Sarah-Connor-Album zu sperren.

Zwar war »ddl-music.to« bereits lange vor Ende des Rechtsstreits nicht mehr erreichbar. Dennoch ist dieser Fall wegweisend, da im Urteil die Funktionsweise von CDNs an sich – und nicht nur Cloudflare im Speziellen – angeführt wird. Damit sind künftig auch andere CDN-Anbieter von den daraus folgenden Konsequenzen betroffen. Ob das zu mehr Sperrungen von illegal betriebenen Websites führen wird, ist momentan noch unklar. Cloudflare behält sich vor, Berufung einzulegen, und verweist auf den 2022 in der EU verabschiedeten Digital Services Act, der Haftungsprivilegien für CDNs vorsieht.

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