Nobelpreis für Chemie: Coole Methode für Molekülbilder
Seit jeher interessieren sich Gelehrte dafür, was im Mikrokosmos vor sich geht. Und mit dem Kryo-Elektronenmikroskop gelingt ein wahrhaft genauer Blick auf ganz besondere Objekte, nämlich biologische Moleküle wie Proteine. Die Jury in Stockholm hat deshalb entschieden, dass den Nobelpreis für Chemie im Jahr 2017 drei Forscher erhalten, die maßgeblich an der Entwicklung dieser Technik beteiligt waren: der Schweizer Jacque Dubochet sowie der gebürtige Deutsche und Wahl-Amerikaner Joachim Frank, beides Biophysiker, und der britische Struktur- und Molekularbiologe Richard Henderson.
Kryo-Elektronenmikroskope können Biomoleküle in atomarer Auflösung darstellen und hatten daher großen Anteil an entscheidenden Durchbrüchen auf dem Gebiet der molekularen Biologie. Aus diesem Grund kürte das Journal "Nature Methods" sie bereits im Jahr 2015 zur "Methode des Jahres". Die Technik unterscheidet sich in einem wesentlichen Punkt von der herkömmlichen Elektronenmikroskopie. Die Proben werden schockgefroren und bei Temperaturen weit unter dem Nullpunkt betrachtet, in der Regel bei rund minus 200 Grad Celsius. Der große Vorteil dabei: Biologische Proben, die Wasser enthalten oder zumindest nur in wässriger Umgebung ihre tatsächliche Form und Struktur behalten, lassen sich damit darstellen. Von besonderem Interesse sind dabei Proteine – umgangssprachlich auch Eiweiße genannt –, die in Zellen für deren korrekte Funktion sorgen.
Die Ursprünge
Um die Methode besser zu verstehen, lohnt ein Blick auf die herkömmliche Elektronenmikroskopie (deren Erfinder Ernst Ruska übrigens im Jahr 1986 mit dem Physik-Nobelpreis ausgezeichnet wurde). Vor nunmehr über 80 Jahren konstruierte Ruska zusammen mit dem Elektroingenieur Max Knoll die erste Version eines Mikroskops, das nicht mittels Licht die Probe untersuchte, sondern mit einem Elektronenstrahl. Die Elektronenmikroskopie war geboren. Sie schlug das Auflösungslimit der Lichtmikroskopie um Längen und wurde deshalb seinerzeit auch als "Über-Mikroskopie" bezeichnet. Verantwortlich dafür ist folgende physikalische Tatsache: Eine darstellende Optik kann lediglich Strukturen von etwa der Größenordnung einer halben Wellenlänge des genutzten Beobachtungsstrahls auflösen. Das heißt, bei Lichtmikroskopen beschränkt die Wellenlänge von Licht die Auflösung – und zwar auf einen dreistelligen Nanometerbereich. Das reicht aus, um Zellen und größere Komponenten wie etwa den Zellkern zu betrachten. Deren molekularer Inhalt bleibt aber verborgen, insbesondere die Proteine; schon gar nicht lassen sich damit einzelne Atome darstellen.
Der entscheidende Vorteil von Elektronen ist ihre deutlich geringere Wellenlänge, die – je nach Energie – im einstelligen Nanometerbereich oder sogar noch deutlich darunter liegt. Somit lassen sich viel kleinere Strukturen auflösen, und eigentlich auch Moleküle, die innerhalb von Zellen ihre Arbeit verrichten. Doch zunächst sollte das der Wissenschaft noch verwehrt bleiben. Denn ein anderer Faktor schränkt die Methode ein: Anders als beim Lichtmikroskop, bei dem man die Probe ohne große Vorkehrungen unter den Lichtstrahl stellen kann, ist das beim Elektronenmikroskop nicht möglich. Vielmehr braucht es eine Vakuumkammer, damit die Luftmoleküle die sensiblen Elektronen nicht vom Weg abbringen. Und genau diese unwirtliche, luftleere Umgebung ist das Problem bei biologischen Proben: Sie enthalten nämlich Wasser – etwa Zellen – beziehungsweise behalten ihr tatsächliches Aussehen nur in einer wässrigen Umgebung, wie beispielsweise Proteine. In einer Vakuumkammer verdampft alles Wasser jedoch sofort, und zurück bleibt gewissermaßen ein verschrumpeltes Objekt, das nur noch wenig mit dem Original zu tun hat. Oftmals wird die zu untersuchende Probe durch das schnelle Verdampfen sogar regelrecht zerfetzt und ist vollkommen unbrauchbar. Forscher ersannen zwar Methoden, die der Probe das Wasser entziehen und durch bestimmte Kunststoffe ersetzen. So bleibt das Objekt einigermaßen in Form, doch auch in diesem Fall heißt es Abstriche machen bezüglich des wahren Aussehens der Probe.
Viel Vorarbeit
Man hatte also eine Methode, mit der sich prinzipiell sehr winzige Objekte inspizieren ließen, aber viele interessante Dinge wie einzelne Moleküle, die in Zellen für deren Funktion verantwortlich sind, blieben den Wissenschaftlern mehr oder weniger verborgen. Das sollte die so genannte Kryo-Elektronenmikroskopie ändern. Sie schafft es tatsächlich, die wahre, dreidimensionale Struktur von Biomolekülen darzustellen. Aber wie?
Erneut war dazu einiges an Vorarbeit nötig. Den Grundstein legte einer der jetzigen Preisträger, Joachim Frank, mit einer Bildverarbeitungsmethode, die er in den Jahren 1975 bis 1986 erdachte. Mit ihr lassen sich die eigentlich zweidimensionalen, verschwommenen Abbildungen des normalen Elektronenmikroskops so aufarbeiten, dass letztlich scharfe dreidimensionale Strukturen erkennbar werden. Frank nutzte viele Einzelaufnahmen, um aus den jeweiligen zweidimensionalen Projektionen – gewissermaßen den Schatten der Objekte – die dreidimensionale Erscheinung zu rekonstruieren.
Nun ließ sich wirklich ein Einblick in die Funktionsweise des Lebens erhaschen, allerdings war der immer noch ziemlich verzerrt. Denn wie oben geschildert, behalten Proteine nur in wässriger Umgebung ihre ursprüngliche Form. Trocknen sie aus, denaturieren sie, wie Experten es nennen. In einem solchen Zustand ändern sie maßgeblich ihre Struktur und verlieren vollständig ihre Funktion. Es ist dann also letztlich nur eingeschränkt möglich, etwas über die winzigen Werkzeuge der Zelle zu erfahren, wie sie interagieren und ihre Arbeit verrichten.
Schockgefrieren schützt Strukturen
Hier kommt der nächste der drei geehrten Wissenschaftler ins Spiel: Jacques Dubochet. Anfang der 1980er Jahre sorgte er mit einer ausgeklügelten Erfindung für Aufsehen. Er hatte sich eine Methode ausgedacht, biologische Objekte so zu präparieren, dass sie auch im Vakuum gut erhalten bleiben. Dubochet kühlte die Proben so rasch und stark herunter, dass die Wassermoleküle um die Proteine schockgefroren. Bei diesem Prozess kristallisiert das Wasser nicht auf die übliche Art und Weise, sondern wird zu so genanntem amorphem Eis. In diesem entsteht keine regelmäßige Kristallstruktur, die sich ausdehnt und die Biomoleküle gewissermaßen sprengt. So bleiben die biologischen Objekte auch gefroren in Form und lassen sich bei tiefen Temperaturen mit einem hochauflösenden Elektronenmikroskop – dem Kryo-Elektronenmikroskop – betrachten, ohne dass das enthaltene Wasser verdampft.
Diese Erfindungen führten schließlich dazu, dass es Richard Henderson im Jahr 1990 erstmals gelang, ein dreidimensionales Abbild eines Proteins auf atomarer Ebene zu erzeugen. Selbst die dreidimensionale Struktur von Proteinen konnte von nun an rekonstruiert werden. Das Nobelpreiskomitte würdigte insbesondere diese Leistung, die es der Wissenschaft ermöglicht, einen Blick in die "Moleküle des Lebens" zu werfen, wie es diese molekularen Bausteine der Zelle nennt.
Funktionsweise des Lebens an sich
Seit 2013 reicht die Auflösung sogar bis hinein in die Atomstrukturen. Daraufhin ging die Zahl der Anwendungen sprunghaft in die Höhe: Abgebildet wurden etwa das Protein, das den Schlaf-wach-Rhythmus steuert (siehe Nobelpreis 2017 für Medizin), Proteine, die Antibiotikaresistenzen verursachen, oder die Oberflächenstruktur des Zika-Virus. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse werden wohl auch die Medizin revolutionieren. Denn letztlich lassen sich nicht nur die räumliche Struktur und sogar der atomare Aufbau von Biomolekülen abbilden, sondern auch ihre Funktionsweise. Wie interagieren Proteine, was sind ihre genauen Aufgaben, und wie führen sie diese im Detail aus?
In diesem Zusammenhang nannte Joachim Frank in einem ersten Telefongespräch nach der Preisverkündung etwa die Herstellung von Proteinen durch das Ribosom, einen makromolekularen Komplex, der in der Zelle mehrere tausend Proteine pro Minute herstellt. So erlaubt die Kryo-Elektronenmikroskopie einen nie da gewesenen Einblick in die Funktionsweise von Zellen und somit auch in die Funktionsweise des Lebens an sich. Wohl zu Recht erhielt sie jetzt bereits das Etikett "eine Entdeckung, zum größten Nutzen der Menschen", wie es in dem Testament von Alfred Nobel zur Vergabe des jährlichen Preises heißt.
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