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UN-Biodiversitätskonferenz: »Wir müssen die Natur schützen, wenn wir überleben wollen«

Am 21. Oktober trifft sich die Weltgemeinschaft zur Bestandsaufnahme: Was wurde beim Biodiversitätsschutz erreicht? Die Chefin des UN-Übereinkommens über die biologische Vielfalt, Astrid Schomaker, im Gespräch über die bevorstehende Weltnaturkonferenz COP16.
Brände im Pantanal
Das brasilianische Pantanal ist eines der artenreichsten Feuchtgebiete der Erde. 2024 standen große Teile davon in Flammen, wegen des Klimawandels, vor allem aber wegen illegaler Brandstiftung, um Platz für landwirtschaftliche Flächen zu schaffen.

Vor zwei Jahren, im Dezember 2022, schloss die internationale Gemeinschaft das UN-Naturabkommen von Montreal. Darin verpflichteten sich die Unterzeichnerstaaten, bis 2030 die Zerstörung der Ökosysteme zu beenden und den Verlust der Artenvielfalt zu stoppen. Die Vereinbarung zum Schutz und Erhalt des Planeten steht nach Meinung vieler Fachleute in ihrer Bedeutung auf einer Ebene mit dem Pariser Klimaabkommen.

Ab Montag, dem 21. Oktober, kommen Delegierte aus fast 200 Ländern zur Weltnaturkonferenz (COP16) zusammen, um im kolumbianischen Cali über den Stand der Umsetzung beim Montrealer Abkommen zu beraten. Auch viele Staats- und Regierungschefs werden erwartet. Von deutscher Seite aus werden unter anderem Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) und Entwicklungsstaatssekretär Jochen Flasbarth anreisen. Im Vorfeld der Konferenz sprachen wir mit Astrid Schomaker über ihre Erwartungen an das Treffen und welche Schritte die Weltgemeinschaft in den kommenden Jahren unternehmen müsste. Schomaker ist Generalsekretärin der UN-Übereinkunft über die biologische Vielfalt (UNCBD), in deren Rahmen das Montrealer Abkommen geschlossen wurde.

Astrid Schomaker | Astrid Schomaker ist seit April 2024 Generalsekretärin des UN-Übereinkommens über die biologische Vielfalt (CBD). Vor ihrer Ernennung durch UN-Generalsekretär Antonio Guterres arbeitete sie für drei Jahrzehnte in der EU-Kommission zuletzt als Direktorin für Grüne Diplomatie und Multilateralismus.

Frau Schomaker, zwei Jahre nach Verabschiedung des Montreal-Abkommens sind um. Wie weit ist die Welt vorangekommen auf dem Weg, die Naturkrise zu bewältigen?

Das Weltnaturabkommen hat einen sehr ambitionierten Rahmen gesetzt, und die Staatengemeinschaft ist weit reichende Verpflichtungen eingegangen. In Cali kommt nun die erste echte Prüfung. Hat sich seitdem etwas geändert im Umgang mit der Natur? Und meine Antwort lautet ja.

Woran machen Sie das fest?

Die Länder verstehen immer besser, wie wichtig die Natur für sie ist. Regierungen erkennen die Verflechtung der Biodiversitätskrise mit der Klimakrise – dass sie zwei Seiten derselben Medaille sind und gemeinsam bekämpft werden müssen. Das Verständnis wächst, dass es nicht reicht, uns auf den Übergang zu erneuerbaren Energien zu konzentrieren, um klimaneutral zu werden – wir brauchen die Natur als Kohlenstoffsenke. Aber auch für unsere Wirtschaft. Die Hälfte der Wirtschaftsleistung weltweit hängt von einer gesunden Natur ab – 44 Billionen Dollar im Jahr! Das wird inzwischen von vielen Regierungen begriffen.

»Das Gute ist: Wir wissen, was zu tun ist – die Pläne dazu wurden gemacht«

Vereinbart war, dass die Vertragsstaaten in Cali konkrete Fahrpläne dazu vorlegen, wie sie in den noch verbleibenden gut fünf Jahren die Ziele des Montreal-Abkommens erreichen wollen – zum Beispiel 30 Prozent ihrer Fläche so unter Schutz zu stellen, dass sich die Natur darin erholt. Wie viele Staaten haben geliefert?

Bisher haben 26 Länder vollständige nationale Biodiversitätsstrategien und Aktionspläne dazu eingereicht, wie sie ihre Ziele erreichen wollen. 87 Staaten haben zunächst nur ihre Ziele für die Bekämpfung der Naturkrise übermittelt und arbeiten derzeit an der Vervollständigung ihrer Pläne. Ein erster Blick darauf zeigt uns, dass sich darin die Vorgaben von Montreal gut wiederfinden. Das ist ein viel versprechender Start.

Nur zwei Dutzend Regierungen von fast 200 haben vollständig ihre Hausaufgaben gemacht – damit zeigen Sie sich zufrieden?

Natürlich bin ich damit nicht zufrieden, und auch ich hätte mir deutlich mehr gewünscht. Aber ich ziehe aus dem Rücklauf nicht den Schluss, dass kein Interesse besteht, das Abkommen zu erfüllen. Wir wissen, dass die Mehrheit der Länder mitten im Planungsprozess steckt. Diese Prozesse sind sehr komplex und erfordern oft Entscheidungen auf verschiedenen Ebenen von Politik und Regierungen. Das dauert. Wir haben nie erwartet, dass wir in Cali 194 fertige Pläne auf dem Tisch haben würden. Wichtig ist, dass der Prozess begonnen hat.

Deutschland hat Entwicklungsländern mit Millionenbeträgen dabei geholfen, ihre Pläne fertig zu bekommen. Eine eigene Biodiversitätsstrategie hat die Bundesrepublik aber nicht vorgelegt. Wie sehr enttäuscht sie das?

Wir werden mit ihnen darüber sprechen, um zu verstehen, was den Prozess aufhält. Deutschland ist ein Land mit 16 Bundesländern. Das ist nie ein einfacher Prozess – da spreche ich jetzt aus meiner persönlichen Erfahrung als Deutsche. Es geht nicht nur darum, dass Umweltministerin Steffi Lemke sagt, was sie will – die ganze Regierung muss sich verpflichten. Und es geht um viel: Die Länder müssen ihre Energiesysteme und ihre Landwirtschaft überdenken, Abwägungen zwischen Schutzgebieten und erneuerbaren Energien treffen. Unternehmen müssen sagen, welche Verpflichtungen sie eingehen. Das braucht Zeit, das verstehen wir. Aber wir hoffen, in den nächsten Tagen von Deutschland zu hören.

»Die Botschaft ist klar. Wir sehen die Zeichen eines Planeten in der Krise«

Die Welt taumelt von einem Wetterextrem ins nächste. Rekorddürren werden von Überschwemmungen riesigen Ausmaßes abgelöst. Die überhitzten Ozeane bringen Stürme hervor, die Rekorde nur so purzeln lassen. Welche Botschaften sendet die Natur gerade an uns und an Ihre Konferenz?

Die Botschaft ist klar. Wir sehen die Zeichen eines Planeten in der Krise. Es geht hier um das Überleben der Menschheit und die Frage, ob unsere Gesellschaften in der Lage sein werden, einen gewissen Lebensstandard aufrechtzuerhalten. Wir müssen die Natur schützen, wenn wir überleben wollen. Die Naturkatastrophen sind eine deutliche Warnung, auch an unsere Konferenz, dass wir dringend handeln müssen. Das Gute ist: Wir wissen, was zu tun ist – die Pläne dazu wurden gemacht, im Pariser Klimaabkommen und in unserem Kunming-Montreal-Abkommen von 2022. Jetzt geht es darum, diese Pläne in konkrete Taten umzusetzen. Genau darum wird es in Cali gehen – um die Umsetzung, um die Überwachung der Fortschritte und um die Finanzierung.

Apropos Finanzierung: Die reichen Staaten haben sich verpflichtet, ab dem kommenden Jahr den ärmeren Ländern mit 20 Milliarden Dollar jährlich dabei zu helfen, ihre Natur zu schützen. Wird dieses Ziel erreicht?

Das werden wir wegen der komplizierten Berechnungen erst am Ende nächsten Jahres wissen. Aber wir sehen jetzt schon positive Trends. Schon in Montreal war die Entwicklung ermutigend, und auch die jüngsten Zahlen der OECD bleiben positiv. Aber ich will nicht drum herumreden, es gibt noch viel zu tun. Die von Ihnen erwähnten direkten Zahlungen über die Entwicklungshilfe sind nicht der einzige Weg zur Finanzierung. In Montreal wurde ein neuer Fonds für den Biodiversitätsschutz in ärmeren Ländern beschlossen – und der ist unterfinanziert. Wir brauchen mehr Geldzusagen, wenn wir das Abkommen umsetzen wollen. Aber auf der anderen Seite sehen wir, dass bilaterale Finanzflüsse wie die Entwicklungshilfezahlungen, die auch gut überwacht werden können, weiter bestehen. Die EU hat beispielsweise gestern ihre finanzielle Zusage bekräftigt.

Halten wir fest: Erst wenige Länder haben Pläne eingereicht, und am Geld mangelt es weiterhin. Reicht das Tempo, das die Staaten vorlegen, um den Planeten zu retten?

Nein, es reicht nicht. Es kommt, wie immer, zu wenig und nicht schnell genug. Deswegen haben wir diese Konferenz, damit die Welt zusammenkommt und wir uns daran erinnern können, was wir uns versprochen haben. Das Hochskalieren und Beschleunigen ist immer ein Thema auf diesen Konferenzen, gleich ob zu Klima, Natur oder einem anderen Thema.

Trotzdem sind Sie guter Dinge?

Wir können es auch positiv sehen: Die Vereinten Nationen haben es geschafft dieses Zukunftsabkommen auszuhandeln – in einer Zeit, in der die Welt von Krisen geplagt ist, nicht nur von Umweltkrisen, sondern auch von vielen anderen Besorgnis erregenden geopolitischen Brennpunkten. Die Anerkennung, wie wichtig die Natur ist, und die Verpflichtung, sie zu erhalten, sind da. Nun müssen wir diese Dynamik einfach weiter vorantreiben. Wie wir in der UN gerne sagen: Wir müssen es hochheben.

Was muss beim Gipfel in Cali herauskommen, um sicherzustellen, dass die Ziele für den Schutz der Natur bis 2030 erreicht werden können?

Wir müssen die Umsetzung der Ziele in den einzelnen Ländern beschleunigen. Wir brauchen mehr Tempo. Und wir müssen hier das Rahmenabkommen zur Überwachung der Fortschritte beschließen. Denn 2027 steht die große Bestandsaufnahme des Erreichten an. Bis dahin müssen wir wirklich wissen, wie wir messen können, ob wir auf dem richtigen Weg sind. Und dann gibt es natürlich das große Thema der Finanzierung. Die Länder müssen mit weiteren Zusagen kommen. Wir müssen aber auch über innovative Instrumente nachdenken. Ein Thema ist, ob analog zum Klimaschutz Biodiversitätskredite helfen könnten. Die Frage wird sein, ob wir aus dem Kohlenstoffhandel im Klimaschutz lernen, und Wege finden, mit dem Schutz der Biodiversität zusätzliche Mittel zu generieren.

Sie erwarten eine Rekordzahl von Ministerinnen und Ministern sowie von Staats- und Regierungschefs. Was ist Ihre Botschaft an sie?

Ich würde ihnen sagen: Wir brauchen Ihre Unterstützung. Um die Naturkrise zu bewältigen, müssen wir sicherstellen, dass Ihre Regierungen die eingegangenen Verpflichtungen einhalten. Aber wir brauchen auch die Bürger. Sie haben eine Rolle zu spielen bei der großen Transformation: als Konsumenten, als Bauern, als Energieverbraucher. Deshalb müssen die Regierungen auch ihre Gesellschaften dazu mobilisieren, sich für die Natur einzusetzen. Denn die Naturkrise ist eine existenzielle Frage. Sie geht alle an.

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