COP28: Was von der Weltklimakonferenz zu erwarten ist
In den 28 Jahren, in denen die Staaten der Erde schon zu Weltklimagipfeln zusammenkommen, hat es eigentlich noch nie so gute Vorzeichen für den Umstieg auf klimafreundliche Energiequellen gegeben wie jetzt. Ausgerechnet in dem Jahr, in dem die Konferenz in einer der Hauptstädte der globalen Ölindustrie stattfindet, werden weltweit Wind- und Solarkraftwerke in riesiger Zahl in Betrieb genommen. Ob in China, den USA oder Europa – überall schießen vor allem Fotovoltaikanlagen wie Pilze aus dem Boden.
Noch 2009 hielt es die Internationale Energieagentur (IEA) für unmöglich, dass sich Solarenergie am Markt etwa gegen Kohlestrom durchsetzen kann. Heute sieht IEA-Chef Fatih Birol die Welt »an einem historischen Wendepunkt« und am »Anfang vom Ende fossiler Brennstoffe«. Die Kosten für Solarparks sind pro Gigawatt Leistung um 90 Prozent gesunken, bei Windkraft um zwei Drittel. Um ein Vielfaches liegen die heutigen weltweiten Wachstumsraten über früheren Prognosen.
Im vergangenen Jahr haben Unternehmen erstmals mehr Geld in Solarenergie als in Ölproduktion gesteckt. 2023 werden die weltweiten Investitionen in erneuerbare Energien um mehr als 40 Prozent über denen für fossile Energieträger liegen. »Wind- und Solarenergie sowie Elektroautos sind auf einem exponentiellen Wachstumspfad angekommen«, sagt David Ryfisch von der Umweltorganisation Germanwatch.
Dazu passt die positive Nachricht, dass die reichen Länder der Erde nun endlich ihr Versprechen vom Klimagipfel 2009 in Kopenhagen einlösen, ärmeren Ländern jährlich 100 Milliarden US-Dollar für den Umstieg auf umweltfreundliche Energien und Technologien zur Verfügung zu stellen.
Vom Erdölchef zum Klimaschützer?
Sogar Sultan al-Dschaber hält inzwischen einen Abschied von fossilen Brennstoffen für »unausweichlich und essenziell«. Ein bemerkenswertes Statement für einen der globalen Top-Ölmanager: Al-Dschaber ist der Chef der nationalen Ölgesellschaft der Vereinigten Arabischen Emirate. Wie schnell dieser Abschied erfolgen soll, darüber wird unter seiner Führung in den kommenden 14 Tagen ausgiebig gestritten. Denn al-Dschaber ist zugleich Gastgeber und Präsident der heute in Dubai beginnenden Weltklimakonferenz. In dieser Rolle ist er für Erfolg oder Misserfolg der Konferenz entscheidend mitverantwortlich. Schon mehrfach war es bei Klimakonferenzen ausschlaggebend für einen Durchbruch, wie engagiert der oder die Vorsitzende in teils nächtelangen Schlussrunden eine Einigung herbeigeführt hat. Das Misstrauen gegen al-Dschaber ist bei Umweltschützern groß, aber am Tag vor Konferenzbeginn versprach er, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um die Welt auf das Ziel zu verpflichten, die Erderwärmung unter 1,5 Grad Celsius zu halten und die Ölstaaten beim Klimaschutz an Bord zu holen.
Wie viel Optimismus ist also angebracht für die vielen zehntausend Politikerinnen und Politiker, Beamte, Wissenschaftlerinnen und Vertreter von Umwelt- und Wirtschaftsorganisationen, die bis 12. Dezember in der arabischen Metropole zusammenkommen? Schafft die Menschheit die Energiewende? Ist das große Ziel, eine für Mensch und Natur gefährliche Erderwärmung zu vermeiden, endlich in Reichweite?
Wer zuletzt noch glaubte, die Menschheit habe genügend Zeit für einen bedächtigen Umstieg, wurde spätestens durch den 17. November eines Besseren belehrt – denn die Erderwärmung legt ein gewaltiges Tempo vor: Für diesen Tag meldete das EU-Klimaforschungsprogramm »Copernicus«, dass die gesamte Erdoberfläche im Durchschnitt erstmals seit Beginn der Aufzeichnungen mehr als 2 Grad Celsius wärmer war als am Anfang der industriellen Revolution. Damit wurde für 24 Stunden jene Schwelle erreicht, vor der Wissenschaftler seit vielen Jahren warnen und die gemäß dem Klimavertrag von Paris aus dem Jahr 2015 nie erreicht werden soll. Ist die Erde einmal im Ganzjahresdurchschnitt um mehr als 2 Grad wärmer, treten unweigerlich die schlimmsten prognostizierten Folgen des Klimawandels ein – brutale Hitzewellen und Dürren, katastrophale Überschwemmungen, Ernteausfälle. Ganze Ökosysteme wie Korallenriffe und Feuchtgebiete drohen dann zu kollabieren.
Auf dem Weg in die Heißzeit
Der Rekord vom 17. November setzte eine lange Reihe von Spitzenwerten fort, die das Weltklima 2023 prägen: Der Nordatlantik erwärmte sich im Frühsommer auf eine Weise, wie es sich Klimaforscher bis heute nicht vollständig erklären können. Im Sommer brannten in Kanada und in Griechenland riesige Waldflächen. Monat für Monat fielen bisherige Temperaturrekorde. Im Amazonas, eigentlich einer der mächtigsten Ströme der Welt, war im Herbst so wenig Wasser wie nie zuvor seit Beginn der Aufzeichnungen – Boote strandeten, Flussdelfine verendeten.
Die weltweiten Oberflächentemperaturen lagen bis Ende September um 1,4 Grad über dem Zeitraum 1850 bis 1900 und damit knapp unter der für sicher erachteten Schwelle von 1,5 Grad Erwärmung. Ende November stellte das UN-Umweltprogramm die Zeichen endgültig auf Alarm: Bleibt es bei den derzeitigen Klimaschutzmaßnahmen, befindet sich die Erde den neuesten UN-Analysen zufolge auf dem Weg in eine für die Menschheit nie da gewesene »Heißzeit« mit 2,9 Grad höheren Durchschnittstemperaturen am Ende des Jahrhunderts. »Das wäre ein katastrophaler Klimawandel, an den sich die Menschheit nicht anpassen kann«, sagt Niklas Höhne, Professor für Klimapolitik an der Universität von Wageningen in den Niederlanden und Leiter des New Climate Institute in Köln.
Doch so beeindruckend der Aufstieg der erneuerbaren Energien ist – der Ausstoß von CO2 geht auf hohem Niveau weiter. Öl- und Gasunternehmen haben 2022 wegen gestiegener Rohstoffpreise Rekordgewinne eingefahren. China, Russland, Katar und USA bereiten dutzende neue Projekte zur Förderung von Kohle und Erdgas vor, die jeweils mehr als eine Milliarde Tonnen Kohlendioxid freisetzen würden. Das nach Wasserdampf wichtigste Treibhausgas CO2 reichert sich immer stärker in der Atmosphäre an, wo es auf Jahrhunderte bleiben wird. Sein Gehalt liegt jetzt beim Rekordwert von 420 Teilen pro Million (parts per million, ppm), 50 Prozent höher als zu Beginn der Industrialisierung. UN-Generalsekretär António Guterres warnt deshalb unermüdlich vor einer »Klimahölle«.
Was kann die 28. Weltklimakonferenz unter diesen dramatischen Umständen leisten? Kritiker sehen in den UN-Veranstaltungen eine Öko-Show und einen Polit-Rummel, der seine Ziele noch immer verfehlt und wichtige Aufgaben in die Zukunft verschoben hat. Doch eine tragfähige Alternative, wie sich sonst 200 Staaten auf ein gemeinsames Vorgehen einigen könnten, ist nicht in Sicht.
Debatte um eine zentrale Bestandsaufnahme
Bei den Beratungen in Dubai geht es um die große Frage, wie die Staaten auf die Erkenntnisse des im September von den Vereinten Nationen veröffentlichten »Global Stocktake« reagieren, einer umfassenden Bestandsaufnahme, der zufolge alle bisher ergriffenen Maßnahmen nicht ausreichen werden, eine gefährliche Erderwärmung abzuwenden. Die Zwischenbilanz war 2015 im Klimavertrag von Paris vorgeschrieben worden – und nun ist sie ein Warnsignal an die Weltgemeinschaft, dass sie trotz aller Fortschritte erneuerbarer Energien bei dem Ziel zu scheitern droht, die schlimmsten Gefahren einer unbefristeten Erderwärmung abzuwenden.
Zu den wichtigsten Aufgaben der COP, der Conference of the Parties, wie das Mammuttreffen in der Fachwelt genannt wird, zählt es deshalb, neue, schärfere Klimaziele vorzubereiten, die bis spätestens 2035 erreicht werden sollen. Allerdings sind schon die Ziele für das Jahr 2030 zu wenig ambitioniert. Auf dem heutigen Niveau von Emissionen ist bereits 2030 so viel Kohlendioxid in der Luft, dass die 1,5-Grad-Schwelle überschritten werden wird. »Die Konferenz muss ehrlich anerkennen, dass die derzeitigen Anstrengungen bei Weitem nicht ausreichen, und klare Maßnahmen ergreifen, um diese Lücken zu schließen«, fordert Manfred Fischedick, Präsident des Wuppertal Instituts.
Doch wie drastisch müssen – und dürfen – die nächsten Schritte sein? Im Konferenzzentrum von Dubai gibt es bei den Debatten über die notwendigen Reaktionen zwei große Lager: Die Länder, die stark von fossilen Energien abhängen oder, wie das Gastgeberland Vereinigte Arabische Emirate, kräftig daran verdienen, wollen nur eine im Konferenzjargon »phase-down« genannte schrittweise »Abkehr« von Öl, Kohle und Erdgas organisieren. Sie glauben, dass weit über die Mitte des Jahrhunderts hinaus fossile Energie eingesetzt wird, wobei Abgase möglichst eingefangen und zum Beispiel in Kavernen unter dem Meer verpresst werden. Dass einem Bericht der BBC zufolge COP-Präsident al-Dschaber geplant haben soll, im Rahmen seiner Gespräche zur Weltklimakonferenz eigene neue Erdölgeschäfte einzufädeln, bescherte dem Treffen bereits vor Beginn einen Skandal. Eigentlich ist mit dem Austragungsort Dubai die Hoffnung verbunden, dass die arabischen Öl-Autokratien bei der CO2-Reduktion nicht länger bremsen.
Kommt die Abkehr vom Ausstieg?
Den Gegenpol bilden progressive Staaten vor allem aus Europa und dem pazifischen Raum, die einen »phase-out«, also einen unumkehrbaren »Ausstieg« aus fossiler Energie bis zur Mitte des Jahrhunderts verlangen und einen sofortigen Stopp aller neuen Förderprojekte für fossile Energieträger. Die großen Investitionen, die für die »carbon capture and storage« (CCS) genannte CO2-Speicherung im Untergrund nötig wären, gelten diesem Lager zumindest bei Kraftwerken als teurer Versuch, das Ende fossiler Business-Modelle künstlich hinauszuzögern. »Ob im Abschlussdokument der COP28 ›phase-down‹ oder ›phase-out‹ steht, gibt für die weitere globale Klimapolitik die Richtung vor«, sagt Fentje Jacobsen vom WWF Deutschland. Ebenso wegweisend wird sein, wie sich China als weltgrößter Verursacher von CO2-Emissionen in Dubai positioniert.
Zweites großes Konferenzthema sind die Finanzen. Denn die 100 Milliarden US-Dollar jährlich, die reiche Länder nun an Entwicklungsländer zu zahlen versprochen haben, decken lediglich Investitionen in Klimaschutz und -anpassung, nicht aber Verluste und Schäden, die durch Wetterextreme oder etwa den Anstieg des Meeresspiegels entstehen. Davon sind ärmere Länder, die am wenigsten zu den CO2-Emissionen beigetragen haben, am stärksten betroffen, und sie können sich am wenigsten schützen. Wie dramatisch die Lage schon jetzt ist, zeigt das jüngst von Australien ausgesprochene Angebot an die im Meer versinkende Inselnation Tuvalu, deren Bevölkerung von 11 000 Menschen über die kommenden 40 Jahre hinweg aufzunehmen. Ein neuer Fonds für Verluste und Schäden soll arme Länder künftig entschädigen. Eine UN-Agentur schätzt die jährlichen Schäden schon ab 2030 auf 580 Milliarden Euro. Die Frage wird aber sein, ob die reichen Länder zu ausreichend großen Zahlungen bereit sind.
Zudem sollen Themen wie Gesundheitsgefahren durch die Erderwärmung und die Rolle der Natur beim Klimaschutz aufgerufen werden. Bundesumweltministerin Steffi Lemke will dabei das deutsche »Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz« als Vorbild präsentieren, mit dem zum Beispiel Moore wiedervernässt werden sollen, um das anhaltende Ausgasen von Kohlendioxid aus den trockengelegten Böden zu unterbinden.
Doch die Bundesregierung geht geschwächt in die Verhandlungen in Dubai. Zwar zeigt sie mit Bundeskanzler Olaf Scholz bei der Eröffnung und fünf Bundesministern über die zwei Wochen hinweg deutliche Präsenz. Aber der finanzielle Spielraum in der Klimapolitik ist durch das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts deutlich geschrumpft, auch das »Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz« steht auf dem Prüfstand. Unter Kanzler Scholz fielen zudem wichtige Entscheidungen gegen CO2-Reduktionen, etwa gegen ein bundesweites Tempolimit auf Autobahnen oder klare Auflagen für Heizungen.
Deutschland im neuen Klub der Ambitionsarmen
Zuletzt scherte die Bundesregierung sogar aus der »High Ambition Coalition« aus, einer Gruppe von Ländern, die auf rasche Fortschritte in der Klimapolitik drängen. »Deutschland war in der Vergangenheit ein wichtiger Akteur bei der High Ambition Coalition, ist aber leider bei den neuesten zwei Stellungnahmen nicht mehr dabei«, kritisiert David Ryfisch von Germanwatch, der den Kanzler für den Kurswechsel verantwortlich macht, weil dieser um Erdgasprojekte in Westafrika fürchte, von denen Deutschland profitieren soll. Die Klimabeauftragte der im Pazifik gelegenen Marshallinseln, Tina Stege, sagt, sie hoffe sehr, dass Deutschland auf der COP28 den Forderungen der Gruppe beitreten könne. Scholz setzt jedoch auf seinen eigenen »Klimaclub« mit weniger weit reichenden Forderungen und Spielräumen auch für neue Investitionen in fossile Energiequellen.
Die Physikerin Brigitte Knopf, stellvertretende Vorsitzende des Expertenrats für Klimafragen der Bundesregierung, kritisiert, dass es für ein Fünftel der zugesagten deutschen CO2-Reduktion bis 2030 noch an Maßnahmen fehlt, vor allem in den Bereichen Verkehr und Heizen. »Wir brauchen dringend ein Signal«, dass Deutschland weitere Schritte unternehmen werde, sagt sie. Im Moment nehme die Ampelkoalition »die Klimalücke einfach hin«. In anderen EU-Ländern gibt es ähnlich beunruhigende Trends – vor allem dort, wo in jüngerer Zeit Rechtspopulisten Wahlen gewonnen haben, wie in der Slowakei, in Italien, Schweden, Finnland und zuletzt in den Niederlanden. Bisher trat die EU auf Weltklimakonferenzen immer als treibende Kraft auf. Das ist nun fraglich geworden.
Technologisch waren die Vorzeichen für einen gelingenden Klimaschutz noch nie so gut, politisch noch nie so schlecht. Auch die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten lenken die Aufmerksamkeit weg von der Langfristaufgabe Klimaschutz. So wird voraussichtlich US-Präsident Joe Biden mit seiner Abwesenheit demonstrieren, dass der Klimaschutz allen Bekenntnissen zum Trotz nicht ganz oben auf der politischen Tagesordnung steht. Wissenschaftlern bereitet die wachsende Kluft zwischen immer neuen Klimaextremen und den mauen politischen Reaktionen große Sorge. Für die Konferenz in Dubai »wäre angemessen, dass die Welt in den Notfallmodus umschaltet und Dinge tut, die bisher unmöglich scheinen«, sagt Niklas Höhne vom New Climate Institute.
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