Corona-Immunität: Warum der Booster auch gegen Omikron wirkt
Das Spike-Protein der Omikron-Variante ist kaum mehr wiederzuerkennen, verglichen mit dem des ursprünglichen Virus – und trotzdem schützt eine dritte Dosis des Impfstoffs, der eben auf diesem ursprünglichen Molekül beruht, noch sehr gut vor schweren Krankheitsverläufen und passabel gegen Ansteckungen. So ist das Risiko für eine Krankenhauseinweisung um etwa 90 Prozent reduziert, das gilt sogar noch, wenn die Impfung mehr als drei Monate her ist.
»Diesen Schutz vermitteln wahrscheinlich zum Teil die zytotoxischen T-Zellen«, sagt Christian Münz. Sie erkennen spezifische Körperzellen, die mit Sars-Cov-2 infiziert sind, und töten sie, um die Neuproduktion von Viren zu unterbinden. Anders als Antikörper identifizieren zytotoxische T-Zellen nicht direkt die Bereiche, die das Virus außen exponiert.
Stattdessen erkennen sie Fragmente von acht bis zehn Aminosäuren aus den Proteinen von Sars-CoV-2, im Fall der Impfung aus der Kette der 1273 Aminosäuren des Spike-Proteins. Solche Fragmente – auch T-Zell-Epitope genannt – werden auf der Oberfläche jeder Zelle innerhalb spezieller Rezeptoren, der so genannten MHC-I-Moleküle, präsentiert. Zellen signalisieren damit nach außen, was in ihrem Inneren vor sich geht.
T-Zellen sind kaum zu überlisten
»Wie gut ein Fragment präsentiert wird, hängt davon ab, wie gut es in den Bindespalt der MHC-Moleküle passt«, erklärt Juliane Walz, Professorin für Translationale Immunologie an der Universität Tübingen. »Das macht die T-Zellen-Antwort unempfindlicher gegenüber Mutationen des Virus.« Denn: Kaum ein Mensch hat die gleichen MHC-Moleküle, und je nach Typ passen unterschiedliche Teile eines Proteins hinein. So präsentieren fast alle Menschen unterschiedliche Peptidfragmente des Spike-Proteins. Das Virus müsste daher quasi in jedem Infizierten andere T-Zell-Epitope verändern, um den zytotoxischen T-Zellen zu entwischen. Deswegen entkommen auch neue Varianten den T-Zellen nicht.
Aber auch Antikörper tragen weiterhin zum Schutz vor der Omikron-Variante bei – trotz der großen Veränderungen im Spike-Protein. Das nach der Impfung in den Zellen gebildete Spike-Protein wird von B-Zellen gebunden, die jeweils etwas unterschiedliche Rezeptoren tragen. Dadurch bekommen jene B-Zellen stets das Signal, sich zu vermehren. Es entstehen Antikörper produzierende Plasmazellen sowie mit der gleichen Spezifität B-Gedächtniszellen. Die Folge ist ein großer Pool von sehr vielen Plasmazellen, Antikörpern und Gedächtniszellen, die alle mit unterschiedlichen Rezeptoren das Spike-Protein binden.
Anfangs tun die meisten von ihnen das noch nicht sonderlich gut. Aber sie werden immer besser, dafür sorgt ein Prozess namens Affinitätsreifung, der die Rezeptoren und damit auch die von den Zellen hergestellten Antikörper optimiert. Dabei lässt der Körper in den Lymphknoten die Gene für die Antikörper in den Zellen mutieren. Es entstehen zufällig B-Zellen mit besseren und schlechteren Rezeptoren. Die B-Zellen, die besser binden – und damit in der Lage sind, bessere Antikörper zu bilden –, bekommen das Signal zu überleben, diejenigen, die schlechter sind, sterben.
Es gibt mehr Antikörper, als man denkt
»Weil die Antikörper-Affinitätsreifung in B-Zellen über viele Monate anhalten kann, bewirkt eine Booster-Dosis nach sechs Monaten die Produktion von stärker bindenden Antikörpern von diesen B-Gedächtniszellen«, erklärt Duane Wesemann, Professor an der Harvard Medical School in Boston, in dessen Arbeitsgruppe viele wichtige Studien zu B-Zellen gegen Sars-CoV-2 gemacht wurden, in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins »Cell«.
Entscheidend für den Schutz vor Omikron ist dabei, dass all diese unterschiedlichen Antikörper an verschiedene Stellen des Spikes binden und so einen Eintritt des Virus in die Zelle verhindern können. Der ursprüngliche Pool an B-Zellen ist sehr groß, viele verschiedene Stellen des Spikes werden erkannt. Der Booster stößt die Affinitätsreifung nochmals an. Auch wenn durch Mutation viele Antikörper nicht mehr binden, gibt es in der Folge noch einige, die so sich so stark an das Spike heften, dass sie eine Infektion verhindern können. »Das führt zu einer stärkeren Neutralisierungswirkung gegen sehr häufige und stark konservierte Regionen des Spike-Proteins«, schreibt Wesemann.
»Eine Booster-Dosis nach sechs Monaten bewirkt die Produktion von stärker bindenden Antikörpern«Duane Wesemann, Harvard Medical School
Mit anderen Worten: Es läuft darauf hinaus, dass diese Antikörper an der Stelle binden, die für das Spike-Protein nicht allzu stark verändert werden kann: die Rezeptorbindedomäne, die für den Zelleintritt durch Bindung an ACE-2 verantwortlich ist. »Die Antikörper, die Omikron immer noch neutralisieren, müssen in dieser Rezeptorbindedomäne liegen, aber eben außerhalb der Region, die sich verändert hat«, sagt Christian Münz, Professor für virale Immunbiologie an der Universiät Zürich. »Wenn nur ein Zehntel der B-Zellen nach Booster diese noch passenden Antikörper bildet, dann reicht das noch aus, um das Virus noch einigermaßen zu neutralisieren.«
Eine Infektion schärft die Antwort nach
Allerdings ist dieser relativ kleine Anteil auch der Grund, weshalb es selbst nach Booster-Impfungen zu Omikron-Durchbruchsinfektionen kommen kann. »Aus dem polyklonalen Serum bleibt durch die Omikron-Mutationen eben nur ein kleiner Anteil von Antikörpern übrig, der die Invasion der Viren verhindern kann«, erklärt Christian Münz. »Und deren Konzentration nimmt mit der Zeit ab, so dass symptomatische Infektionen mit größerem Abstand zur Booster-Impfung wieder zunehmen.«
Eine Omikron-Infektion nach drei Impfdosen schärft dann aber per Affinitätsreifung genau wieder die Antikörper gegen diese Variante nach, so dass die Antikörperantwort noch besser wird. Die entsprechenden B-Gedächtniszellen stoßen dann an, dass dieser Schutz bei erneuter Infektion wieder hochgefahren wird. Langlebige Plasmazellen, die sich im Knochenmark einnisten, sorgen zudem mit jeder weiteren Konfrontation mit dem Spike-Protein für immer höhere Antikörperkonzentrationen im Blut.
Spricht das für die vierte Impfung für alle? Daten aus Israel sprechen dagegen, dort hatte bei Mitarbeitern des Gesundheitspersonals eine vierte Dosis nur eine mäßige Steigerung der neutralisierenden Antikörper gebracht. Außerdem bekam der gleiche Prozentsatz der Menschen eine Sars-CoV-2-Infektion, gleichgültig, ob dreifach oder vierfach geimpft.»Mit drei Impfungen ist man super geschützt«, sagt Leif Eric Sander, der an der Charité Berlin die Forschungsgruppe Infektionsimmunologie und Impfstoffforschung leitet. »Von einer vierten Impfung halte ich nicht viel, außer für Immunsupprimierte.«
Was die vierte Impfung bringt – und was nicht
Für sie dürfte eine vierte Dosis allerdings oft sinnvoll sein. Auch hierauf deuten Informationen aus Israel hin, hier habe sich laut Gesundheitsministerium bei den über 60-Jährigen durch eine vierte Impfung das Risiko für eine Infektion halbiert und sei für eine schwere Erkrankung noch mal um zwei Drittel gesunken im Vergleich mit den nur dreifach Geimpften.
»Von einer vierten Impfung halte ich nicht viel«Leif Eric Sander, Charité
Mittlerweile empfiehlt Israel allerdings den Booster für alle – aber wohl eher, um die Omikron-Welle zu brechen; kein Land der Welt hat pro Kopf im Moment so viele Fälle. »Israel setzt die vierte Dosis wohl ein, weil man dort mit der dritten Impfung sehr früh dran war und die Impfquote auch nicht extrem hoch ist«, sagt Christian Münz. »Wahrscheinlich geht es also eher darum, die Winterwelle noch mal abzubremsen als um den individuellen Schutz.«
Gefährlich wird eine Reinfektion durch Omikron nach drei Impfungen aber ohnehin selten – und viel spricht dafür, dass vor allem die T-Zellen Omikron in Schach halten, wenn es erst einmal im Körper ist. Denn der besondere Mechanismus der für diesen Schutz entscheidenden T-Zell-Epitope bewirkt, dass auch neue Varianten des Virus den T-Zellen nicht entkommen. Es gibt mittlerweile mehrere Studien, die zeigen, dass schon die bisherigen Impfstoffe robuste T-Zell-Antworten gegen Omikron hervorrufen.
Individuell gibt es zwar Escape-Mutationen gegen T-Zellen. Doch dazu muss der Erreger lange im Körper bleiben, zum Beispiel bei immungeschwächten Menschen. Aber auf Bevölkerungsebene ist das nicht möglich, weil sich die T-Zell-Epitope eben von Mensch zu Mensch unterscheiden. Das Virus kann nicht vor allen denkbaren Angriffszellen flüchten.
Eine Impfung allein für T-Zellen
Das versucht sich ein Team um Juliane Walz zu Nutze zu machen. Die Arbeitsgruppe hat einen Impfstoff entwickelt, der komplett auf die Aktivierung von T-Zellen setzt. »Enthalten sind sechs T-Zell-Epitope aus verschiedenen Proteinen von Sars-CoV-2 – keines davon ist bei der Omikron-Variante durch Mutation verändert«, sagt Walz. Der Tübinger Impfstoff ist als Ergänzung gedacht, vor allem für Immunsupprimierte, die keine Antikörper bilden können.
Braucht es dann überhaupt eine an die Omikron-Varianten angepasste Impfung? »Wir sollten es uns sehr gut überlegen, bevor wir Varianten mit variantespezifischen Impfstoffen jagen«, twitterte etwa Jeremy Farrar, Infektionsforscher und Direktor des Wellcome Trusts. »Die breitere Immunantwort könnte es gegen den ursprünglichen Stamm geben.«
Auch die deutschen Experten sind eher zurückhaltend. »Grundimmunität schützt gut vor schweren Krankheitsverläufen«, sagt Leif Eric Sander. »Risikogruppen könnten aber von einem angepassten Impfstoff profitieren. Multivalente Spike-Impfstoffe sind für mich am attraktivsten.« Das würde bedeuten: Dem bisherigen Impfstoff wird die Omikron-Charakteristik hinzugefügt, leicht möglich bei den genbasierten Impfstoffen. Bei den Präparaten von Biontech/Pfizer und Moderna also mRNA, die für das Omikron-Spike codiert. Die beiden Hersteller arbeiten bereits an diesem Impfstoff. »Geimpfte Menschen, die sich infizieren, bekommen eine schön verbreitete Immunantwort«, sagt Sander. »Es deutet sich also an, dass diese angepassten Impfstoffe funktionieren.« Die Präparate sind für das zweite Quartal angekündigt – bis dahin dürfte sich abzeichnen, wer damit rasch geimpft werden sollte. Höchstwahrscheinlich die Risikogruppen.
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