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Coronavirus-Impfung: Warum Viren gegen Impfstoffe nicht resistent werden

Fluchtmutationen können Viren vor Antikörpern schützen - vor Impfungen meist kaum. Das zeigen Erfahrungen mit anderen Impfstoffen. Dafür gibt es mehrere Gründe.
Aufnahme einer Kühlbox mit dem Impfstoff von oben.

Kaum gibt es die ersten Coronavirus-Impfstoffe, schon wird ihre Wirksamkeit in Frage gestellt. Denn neue Virusvarianten entziehen sich wirksamen Antikörpern zumindest zum Teil. Doch können Mutationen das Virus tatsächlich resistent gegen die Wirkung der Impfstoffe machen? Das Beispiel der verbreiteten Antibiotikaresistenzen scheint das nahezulegen.

Tatsächlich aber sind, anders als bei Medikamenten gegen Bakterien und Viren, Resistenzen gegen Impfungen nahezu unbekannt. Dafür gibt es zwei Gründe: Erstens werden antimikrobielle Wirkstoffe dann gegeben, wenn ein Mensch krank ist. Das bedeutet, dass zu dem Zeitpunkt sehr viele Erreger im Körper vorhanden sind, denn deren massenhafte Vermehrung verursacht die ersten Krankheitssymptome. In einer solchen großen Population von Erregern sind mit höherer Wahrscheinlichkeit solche, die gegen den Wirkstoff unempfindlicher sind. Trifft die Arznei dann auf die Population, werden alle empfindlichen Erreger getötet oder an der Vermehrung gehindert, während unempfindliche Varianten sich ungehindert ausbreiten können.

Impfstoffe dagegen werden Gesunden gespritzt – das bedeutet, dass das immunologische Gedächtnis bei einer folgenden Infektion schon reagiert, wenn der Erreger sich noch nicht massenhaft vermehrt hat. »Impfstoffe verhindern eher, dass Krankheitserreger große Populationen bilden können«, schreiben David A. Kennedy und Andrew F. Read in einem Übersichtsartikel im Fachmagazin »PNAS«. »Resistenz-Mutationen sind in kleinen Populationen weniger wahrscheinlich.«

Den zweiten Grund für die geringere Resistenz-Anfälligkeit von Impfstoffen sehen die Autoren, beide Professoren am Center for Infectious Disease Dynamics der Pennsylvania State University, in der Vielfältigkeit der induzierten Immunantwort: »Antimikrobielle Wirkstoffe greifen den Erreger meist nur an einer Stelle an, wohingegen Impfstoffe vielfältige Antikörper und/oder T-Zell-Antworten hervorrufen.« Deshalb seien mehr Mutationen nötig, um einen Erreger resistent gegen einen Impfstoff zu machen, verglichen mit der notwendigen Zahl der Veränderungen bei einem antimikrobiellen Wirkstoff.

Wie entwickelt sich die Pandemie? Welche Varianten sind warum Besorgnis erregend? Und wie wirksam sind die verfügbaren Impfstoffe? Mehr zum Thema »Wie das Coronavirus die Welt verändert« finden Sie auf unserer Schwerpunktseite. Die weltweite Berichterstattung von »Scientific American«, »Spektrum der Wissenschaft« und anderen internationalen Ausgaben haben wir zudem auf einer Seite zusammengefasst.

Nun wird bezüglich Sars-CoV-2 von vielen Mutationen berichtet – könnten sie die Wirksamkeit der Impfung verringern? Biontech und Pfizer haben mittlerweile Daten vorgelegt, die zeigen, dass ihr Impfstoff neutralisierende Antikörper gegen die in Großbritannien entdeckte Variante B.1.1.7 von Sars-Cov-2 bildet.

Wann die Evolution ins Spiel kommt

»Man würde auch nicht erwarten, dass die Impfung gegen diese Variante nicht mehr wirkt«, sagt Christian Münz, Professor für virale Immunbiologie an der Uni Zürich. »Einen Selektionsvorteil konnte es ja noch kaum geben, weil die meisten Menschen bei deren Aufkommen weder geimpft noch bereits infiziert waren.« Selbst wenn also in einer solchen Bevölkerung eine Mutation aufkommen würde, die bewirken würde, dass der Erreger dem Immunsystem entkommt – sie würde sich nicht schneller ausbreiten als andere, weil sie keinen Vorteil von der Veränderung hätte.

In Südafrika und in der Amazonas-Region sieht das anders aus. Hier gibt es Studien, die bereits auf Herdenimmunität schließen lassen. In so einer Situation bietet eine Mutation, die dafür sorgt, dass etwa Antikörper schlechter an das Virus binden, einen Vorteil. In beiden Regionen hat sich unter anderem die Mutation E484K innerhalb des Spike-Proteins des Virus etabliert.

»Diese Mutanten haben sich durchgesetzt, wo es ein sehr starkes Infektionsgeschehen hat«Friedemann Weber

Im Laborexperiment zeigten Fachleute, dass diese sich durchsetzt, wenn dauerhaft gegen die entsprechende Stelle des Proteins gerichtete monoklonale Antikörper vorhanden sind und einen Selektionsdruck erzeugen. Die gleiche Publikation berichtet, dass jene Antikörper die Mutante später auch schlechter neutralisieren. »Dies zeigt, dass es sich um eine Escape-Mutation handelt«, sagt Friedemann Weber, Direktor des Instituts für Virologie an der Uni Gießen.

»Auch die Tatsache, dass sich E484K unabhängig in verschiedenen Regionen der Erde durchgesetzt hat, spricht dafür.« Zudem passt auch hier die evolutionsbiologische Erklärung: »Diese Mutanten haben sich durchgesetzt, wo es ein sehr starkes Infektionsgeschehen hat«, sagt Friedemann Weber. »Je mehr Virus es gibt, desto wahrscheinlicher sind solche Mutationen.«

Der Körper hat mehrere Waffen

Das ist für die Impfstoffe von Belang, denn diese zielen allesamt auf das Spike-Protein in seiner ursprünglichen Form. »Die Bindung der neutralisierenden Antikörper an das mutierte Spike-Protein ist um etwa 90 Prozent schlechter«, sagt Christian Münz. »Und diesen Effekt würde man auch von den Antikörpern erwarten, die nach einer Impfung gebildet werden.«

Aber die Immunantwort bekämpft das Virus nicht nur mit einem Mechanismus. Erstens bildet der Körper viele verschiedene Antikörper. »Einige werden auf das neue Virus vielleicht nicht mehr so gut passen«, sagt Friedemann Weber. »Eine leichte Schwächung der Immunantwort kann ich mir deshalb vorstellen – doch es wird noch genügend andere Antikörper geben, die das Virus neutralisieren können.«

Zweitens reagiert der Körper auch mit zytotoxischen T-Zellen, die spezifisch mit Sars-CoV-2 infizierte Körperzellen töten, um die Virusproduktion zu stoppen. Wie können gegen diesen Mechanismus Resistenzen entstehen? Jede Zelle präsentiert an ihrer Oberfläche in Rezeptoren – den so genannten MHC-I-Komplexen – Proteinfragmente, Abfallprodukte aus dem Zellinneren. »Wie Detektive, die im Müll schnüffeln, scannen zytotoxische T-Zellen die Zelloberflächen«, erklärt Christian Münz. »Sobald sie auf eine Körperzelle treffen, die ihr spezifisches Proteinfragment präsentiert, töten sie diese Zelle.«

»Die Wahrscheinlichkeit, dass die Pandemie wegen Immun-Escape-Mutationen wieder aufflammt, ist sehr gering«Christian Münz

Welche Proteinfragmente eines Erregers präsentiert werden, hängt davon ab, wie gut sie in den Bindespalt des MHC-I-Komplexes passen. Resistent gegen zytotoxische T-Zellen können Erreger dann werden, wenn sie Aminosäuren ihres Proteins so austauschen, dass diese T-Zellen infizierte Zellen nicht mehr erkennen. »Das passiert bei HIV«, sagt Christian Münz.

»Dass das Gleiche bei Sars-CoV-2 geschieht, ist allerdings unwahrscheinlich, denn HIV hat eine viel höhere Mutationsrate.« Außerdem ist fraglich, ob Sars-CoV-2 mit Fluchtmutationen gegen Antikörperbindung einerseits und Angriff der zytotoxischen T-Zellen andererseits noch ein gut vermehrungsfähiges Virus bleiben kann. Zu viele Veränderungen könnten von der Stabilität bis zur Rezeptorbindung viele Prozesse in der Virusreplikation so verschlechtern, dass ein Fitnessnachteil wahrscheinlich wäre.

Resistenzen gegen Impfstoffe sind bisher nahezu unbekannt

Was bedeutet das für den Impfstoff? »Bei den mRNA-Impfstoffen ist die Stimulation der zytotoxischen T-Zellen zwar nicht so gut wie bei Vektorimpfstoffen, aber sie tragen trotzdem zur Immunantwort bei«, sagt Immunologe Münz. Bei den Vorstudien erwies sich in Bezug auf T-Zellen der Vektorimpfstoff von AstraZeneca als potenter. »Günstig wäre in jedem Fall, künftig mehr Antigene in einem Impfstoff zu verwenden«, sagt Friedemann Weber. So bekäme man eine breitere Immunantwort. »Zwei Drittel der T-Zell-Antworten werden nicht durch das Spike ausgelöst, sondern durch die Proteine M und N«, sagt Christian Münz.

Weil noch vergleichsweise wenig Impfstoff eingesetzt wurde, ist es im Moment nur möglich, aus dem Infektionsgeschehen darauf zu schließen, wie sich Mutationen auf den Impferfolg auswirken könnten. In der Amazonas-Region um Manaus wurden bei Menschen, die vor Monaten bereits mit Sars-CoV-2 infiziert waren, Neuinfektionen nachgewiesen – mit der neuen Mutante. »Eine Infektion mit dieser Variante ist auch bei geimpften Menschen vorstellbar«, sagt Christian Münz. »Allerdings kennen wir Reinfektionen bei den heimischen Coronaviren – in Form einer leichten Erkältung.«

Ein solch milder Verlauf tritt dann auf, wenn zwar nur noch wenige Antikörper im Blut vorhanden sind, wohl aber Gedächtniszellen, die, nachdem sie durch die neuerliche Infektion angeregt wurde, frische Antikörper nachbilden. »Die Wahrscheinlichkeit, dass die Pandemie wegen Immun-Escape-Mutationen wieder aufflammt, ist sehr gering«, sagt Münz. »Die bekannten Coronavirus-Epidemien und -Pandemien wurden alle durch das Überspringen eines Erregers aus dem Tierreich verursacht.«

Dass ein Impfstoff seine Wirkung komplett verliert und ein großes Infektionsgeschehen zulässt, ist bislang ebenfalls nie vorgekommen. Zwar wurden im Zuge der Impfungen gegen Keuchhusten und Hepatitis B resistente Erreger entdeckt, aber diese konnten sich nie durchsetzen und eine Pandemie auslösen. Im Gegenteil, die Keuchhusten-Impfung verhindert schwere Krankheitsverläufe, sogar bei Infektion mit der resistenten Variante, und die Zahl der Infektionen mit dem resistenten Hepatitis-B-Erreger nahm in geimpften Populationen ab. Die Fitnesskosten der Resistenz könnten so hoch sein, dass widerstandsfähige Linien sich nie komplett durchsetzen, mutmaßen sogar die Evolutionsinfektiologen David A. Kennedy und Andrew F. Read. »Es ist möglich, dass Impfresistenz spezifisch für die Immunantwort eines bestimmten Wirts ist und dieser Erreger bei einer anderen Person nicht resistent ist.«

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