Corona-Impfung: Wie oft verbreiten Geimpfte die Delta-Variante?
Als frühe Felddaten zeigten, dass die Impfung von Menschen die Übertragung von Sars-CoV-2 verringert, waren Forscherinnen und Forscher vorsichtig optimistisch. Sie wiesen jedoch darauf hin, dass viele dieser Studien zwar viel versprechend waren, aber durchgeführt wurden, bevor sich die Delta-Variante weltweit ausbreitete. Nun scheinen Berichte aus verschiedenen Ländern die Befürchtungen von Wissenschaftlerinnen und Forschern zu bestätigen, nachdem die Variante im April und Mai des Jahres 2021 mit beängstigender Geschwindigkeit in Indien grassierte: Delta verbreitet sich mit größerer Wahrscheinlichkeit als andere Varianten durch geimpfte Menschen.
Daten aus Covid-19-Tests in den USA, dem Vereinigten Königreich und Singapur zeigen, dass geimpfte Personen, die sich mit Delta-Sars-CoV-2 infizieren, genauso viel Virus in ihrer Nase tragen können wie ungeimpfte Personen. Das bedeutet, dass trotz des Impfschutzes ein Teil der Geimpften das Delta-Virus weitergeben kann, was möglicherweise zu dessen Ausbreitung beiträgt.
»Menschen, die ein Delta-Virus und zufällig eine Durchbruchinfektion haben, können wirklich hohe Virusmengen in sich tragen und das Virus unwissentlich an andere weitergeben«, sagt David O'Connor, Virologe an der University of Wisconsin-Madison.
Die Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung von Schutzmaßnahmen wie dem Tragen von Masken in Innenräumen, um die Übertragung zu verringern. Die Forscher betonen, dass Covid-19-Impfstoffe vor schweren Erkrankungen und Todesfällen schützen, aber die Daten zur Delta-Übertragung zeigen, dass »Menschen, die geimpft sind, trotzdem Vorsichtsmaßnahmen ergreifen müssen«, sagt der Virologe.
Wie viele Geimpfte Delta übertragen, ist unklar
O'Connor und seine Kollegen vom Gesundheitsamt in Madison und Dane County untersuchten die Infektionen in Wisconsin im Juni und Juli 2021.
Das Team verwendete PCR-Tests, die häufig zur Bestätigung von Covid-19-Infektionen eingesetzt werden, um die Viruskonzentration in Nasenflüssigkeitsproben zu bestimmen. Bei diesen Tests wird das genetische Material des Virus durch Vervielfältigung der DNA nachgewiesen, bis es als Fluoreszenzsignal nachweisbar ist. Die Anzahl der Amplifikationszyklen, die erforderlich sind, um ein Signal zu erhalten – ein Maß, das als Zyklusschwellenwert oder Ct bezeichnet wird –, dient als Indikator für die Viruskonzentration in der Probe. Je niedriger der Ct-Wert einer Probe ist, desto mehr virales genetisches Material ist vorhanden.
In einer Preprint-Studie, die am 11. August 2021 auf medRxiv veröffentlicht wurde, verglich das Team die Ct-Werte von 719 Personen zwischen dem 29. Juni und dem 31. Juli desselben Jahres, wobei 90 Prozent der 122 sequenzierten Coronavirus-Proben die Delta-Variante aufwiesen. Von den 311 geimpften Personen, die in dieser Gruppe positiv auf Sars-CoV-2 getestet wurden, hatten die meisten Ct-Werte von weniger als 25, ein Wert, bei dem die Forscher das Vorhandensein von infektiösem Sars-CoV-2 erwarten. Um dies zu bestätigen, kultivierte das Team 55 Proben von geimpften und ungeimpften Personen, die Ct-Werte von weniger als 25 aufwiesen, und wies in fast allen Proben infektiöse Viren nach. Bei den meisten ungeimpften Personen lagen die Ct-Werte ebenfalls unter diesem Wert.
»Die Quintessenz ist, dass dies passieren kann – es kann wahr sein, dass geimpfte Menschen das Virus verbreiten können. Aber wir wissen noch nicht, wie groß ihr Anteil an der Gesamtverbreitung in der Gemeinschaft ist«, sagt Mitautor Thomas Friedrich, Virologe an der University of Wisconsin-Madison.
Daten aus Provincetown, Massachusetts, deuten auf ähnliche Ergebnisse hin. Nach großen Zusammenkünften in der Strandstadt entfielen fast drei Viertel der 469 neuen Covid-19-Fälle, die in dem Bundesstaat auftraten, auf geimpfte Personen. Das geht aus einem Bericht der US-amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention (CDC) hervor. Sowohl geimpfte als auch ungeimpfte Personen wiesen vergleichbar niedrige Ct-Werte auf, was auf eine hohe Viruslast hindeutet, und von den 133 sequenzierten Proben wurden 90 Prozent als Delta identifiziert. Die Ergebnisse veranlassten die CDC, ihre Leitlinien am 27. Juli 2021 zu aktualisieren und erneut zu empfehlen, dass Menschen in Gebieten mit hoher Übertragung in Innenräumen Masken tragen. Auch in Deutschland ist es weiterhin Pflicht, in bestimmten Situationen Masken zu tragen. In anderen ist es unabhängig von den Regelungen im Infektionsschutzgesetz weiterhin empfehlenswert.
Die Ergebnisse von Provincetown wurden mit großen Zusammenkünften in Verbindung gebracht, doch in Wisconsin gab es keine ähnlichen Aktivitäten. Demnach könnten auch kleine Zusammenkünfte in Haushalten zur Ausbreitung von Delta beitragen, sagt Friedrich.
Unterschiedliche Biologie
In Houston, Texas, sind seit März 2021 etwa 17 Prozent der Delta-Fälle bei geimpften Personen aufgetreten. Dort hat ein Team des Houston Methodist Hospital die Sars-CoV-2-Varianten für fast jeden Covid-19-Fall im Krankenhaussystem sequenziert und protokolliert. Es sind nahezu dreimal so viele wie die Rate der Durchbruchsinfektionen im Vergleich zu allen anderen Varianten zusammen. Patienten mit Delta-Sars-CoV-2 blieben auch etwas länger im Krankenhaus als Menschen, die mit anderen Varianten infiziert waren. »Möglicherweise liegt der Infektion eine etwas andere Biologie zu Grunde«, sagt James Musser, Molekularpathologe und Direktor des Zentrums für molekulare und translationale Forschung zu menschlichen Infektionskrankheiten des Krankenhauses. Sein Team hat herausgefunden, dass sich die Ct-Werte bei geimpften und ungeimpften Personen ähnelten.
»Maßnahmen wie Masken und Händehygiene sind für alle wichtig, unabhängig vom Impfstatus«
Barnaby Young, Infektionsforscher
Geimpfte Menschen mit Delta könnten jedoch über einen kürzeren Zeitraum infektiös bleiben, sagen Forschende in Singapur, die die Viruslast für jeden Tag der Covid-19-Infektion bei geimpften und ungeimpften Menschen verfolgten. Die Delta-Viruslast war in der ersten Woche der Infektion in beiden Gruppen ähnlich hoch, sank aber bei den Geimpften nach dem siebten Tag rasch. »In Anbetracht der hohen Virusmengen, die in der ersten Krankheitswoche bei Delta zu beobachten sind, sind Maßnahmen wie Masken und Händehygiene, die die Übertragung reduzieren können, für alle wichtig, unabhängig vom Impfstatus«, sagt Mitautor Barnaby Young, ein klinischer Forscher für Infektionskrankheiten am National Centre for Infectious Diseases in Singapur.
Eine umfangreiche Analyse der Delta-Übertragung stammt aus dem britischen REACT-1-Programm, das von einem Team am Imperial College London geleitet wird und bei dem alle paar Wochen mehr als 100 000 britische Freiwillige getestet werden. Das Team führte Ct-Analysen für Proben durch, die in den Monaten Mai, Juni und Juli eingegangen waren, als Delta andere Varianten rasch verdrängte und zum dominierenden Treiber von Covid-19 im Land wurde. Laut den Ergebnissen wiesen unter den positiv getesteten Personen diejenigen, die geimpft worden waren, im Durchschnitt eine niedrigere Viruslast auf als ungeimpfte Personen. Paul Elliott, Epidemiologe am Imperial College, erklärt, dass sich diese Ergebnisse von anderen Ct-Studien unterscheiden, da in dieser Studie die Bevölkerung nach dem Zufallsprinzip befragt wurde und auch Personen einbezogen wurden, die positiv getestet wurden, ohne Symptome zu zeigen.
Diese Ergebnisse – sowie ein Anstieg der Fälle bei jüngeren Menschen, die noch nicht beide Impfungen erhalten haben – würden die Wirksamkeit der Doppelimpfung gegen Delta zeigen, sagt Elliott. »Wir halten es für sehr, sehr wichtig, dass so viele Menschen wie möglich doppelt geimpft werden, insbesondere die jüngeren Gruppen.«
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