Corona-Pandemie: Impfung allein stoppt das Virus nicht
Die Covid-Pandemie wird sich durch eine erfolgreich abgeschlossene Impfkampagne allein nicht beenden lassen. Das haben Forscherinnen und Forscher berechnet. Zwar seien Lockerungen der Maßnahmen zum Infektionsschutz vertretbar, sobald ein großer Teil der Bevölkerung mit einigem Erfolg geimpft ist. Komplett verzichten kann man auf Masketragen, Abstandhalten und begrenzte Lockdowns aber zunächst nicht, wenn das Infektionsgeschehen nicht wiederaufflammen soll, rechnen Matt Keeling von der University of Warwick am Beispiel Großbritanniens im Fachmagazin »Lancet Infectious Diseases« vor.
Die Wissenschaftler haben versucht zu modellieren, wie die Pandemie in Großbritannien bis in das Jahr 2024 hinein verläuft, wenn die erwachsene Bevölkerung allmählich geimpft und schließlich im Durchschnitt zu 85 Prozent gegen eine Infektion mit dem Coronavirus geschützt sein sollte. Auch in diesem Fall verschwindet das Infektionsrisiko keineswegs, wenn nicht weitere Maßnahmen zum Schutz aufrechterhalten werden, rechnen die Wissenschaftler aus: Bei einer umfassenden Lockerung pendelt sich das Infektionsgeschehen so ein, dass immer wieder Wellen steigender Neuinfektionen zu beobachten sein werden.
Dies liege daran, dass keine Impfung bei allen Geimpften einen vollständigen Schutz erreicht, erklären die Autoren. Sie hatten verschiedene Szenarien durchgerechnet, bei denen ein mehr oder weniger großer Prozentsatz unterschiedlicher Altersteilmengen der Bevölkerung nach und nach geimpft wird. Für den optimistischsten Fall rechnen sie etwa damit, dass 95 Prozent der über 80-Jährigen, 85 Prozent der 50- bis 79-Jährigen und 75 Prozent der 18- bis 49 Jährigen geimpft werden. Das Modell geht dabei von einem Impfschutz von 88 Prozent aus, ein Wert, der nach Annahmen aus klinischen Studien gewählt wurde. Selbst in diesem optimistischen Szenario werde aber der R-Wert (der die Zahl der neu angesteckten Personen durch einen Infizierten ausdrückt) bei 1,58 liegen, falls keine weiteren Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus getroffen werden. Die Zahl könnte auch höher liegen, weil das Modell weder die höhere Infektionsgefahr neuer Virusvarianten wie B.1.1.7 gegenüber dem alten Erreger berücksichtigt noch eine womöglich nachlassende Immunität von Geimpften einige Zeit nach der Impfung. Der theoretische R-Wert ohne jeden Impfschutz dürfte nach Ansicht der Experten bei 3,15 liegen und damit – wegen der ansteckenderen Varianten – höher sein als noch am Anfang der ersten Welle.
Wie stark zusätzliche Maßnahmen neben der Impfung wirken könnten, legen die Prognosen zu verschiedenen Lockerungsszenarien nahe. Das Modell kommt etwa zu dem Schluss, dass in diesem Jahr trotz Impfschutz im Vereinigten Königreich bis 2024 deutlich mehr Menschen in der Pandemie sterben würden, wenn die Infektionsschutzmaßnahmen schon im April 2021 auf das Niveau des Sommers 2020 heruntergeschraubt werden. Eine hypothetische sofortige völlige Öffnung wäre nach der Modellierung fatal und könnte auch in der teilgeimpften Bevölkerung zu neuen Infektionswellen führen, bei denen über 1600 Menschen pro Tag in Großbritannien sterben. Eine Lockerung erst in fünf oder zehn Monaten bei gleich bleibendem Impftempo senkt diese rechnerische Zahl auf unter 450 beziehungsweise unter 50 Verstorbene.
Wichtig sei nicht nur, die Impfkampagne weiterzuführen und gleichzeitig andere Maßnahmen nicht zu früh zu lockern, sagen die Autoren der Studie. Das gelte auch dann noch, wenn weite Teile der Bevölkerung schon geimpft sind. Mit der Impfung und Maßnahmen wie Masketragen, Abstandhalten, regelmäßigen Tests und notfalls begrenzten lokalen Einschränkungen können weitere Infektionswellen aber verhindert oder niedrig gehalten werden.
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