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Corona in Indien: So viele Covid-Kranke wie nie, so wenig Impfstoff wie nie

Indien hat große Sorgen: Die Infektionszahlen steigen rasant, zugleich kann das Land nicht genügend Impfstoff herstellen. Das gefährdet Menschen dort und Impfkampagnen weltweit.
Familienmitglieder eines Covid-19-Patienten an einem staatlichen Krankenhaus in Kolkata, Indien, 22. April 2021.

Indien ist einer der weltweit größten Produzenten von Covid-19-Vakzinen. Doch das Land hat Lieferprobleme. Auch weil sich immer schneller immer mehr Menschen mit dem Coronavirus anstecken – oft mit neuen Varianten von Sars-CoV-2. Länder, die auf Impfstoffe angewiesen sind, die in Indien hergestellt und von der COVAX-Initiative verteilt werden, bringt das ebenfalls in Schwierigkeiten.

Am 22. April meldete Indien 314 835 neue Corona-Fälle binnen 24 Stunden – Tagesrekord. Mit insgesamt mehr als 14 Millionen bestätigten Fällen hat das Land Brasilien überholt und ist nun nach den USA das am zweitstärksten betroffene Land der Welt (siehe »Anstieg der Covid-19-Fälle in Indien«).

Während neue Virusvarianten in Indien Einzug halten, nehme das Schutzverhalten der Menschen wie Maske zu tragen und Kontakte zu vermeiden ab, sagt Randeep Guleria, Direktor des All India Institute of Medical Sciences in Neu-Delhi. »Dadurch können sich die Viren noch schneller verbreiten.«

Bis zum 14. April wurden in Indien mehr als 111 Millionen Menschen geimpft (siehe »Indiens Impfstoffknappheit«). Die Angst vor Impfstoffmangel führte dazu, dass die Regierung den Export von Covishield im März 2021 vorübergehend stoppte. Bei der Vakzine, die vom Serum Institute of India (SII) in Pune produziert wird, handelt es sich um eine Version jenes Impfstoffs, den die University of Oxford gemeinsam mit AstraZeneca entwickelt hat.

Viele der Dosen, die das SII – übrigens der weltgrößte Hersteller von Impfstoffkomponenten – herstellt, waren für COVAX bestimmt. COVAX hat das Ziel, einen weltweit gleichmäßigen und gerechten Zugang zu Impfstoffen sicherzustellen. Der Brand in einer Anlage im Januar 2021 war nur ein Grund dafür, dass das Unternehmen sein Produktionsziel von 100 Millionen Dosen pro Monat bislang nie erreichen konnte. Derzeit produziert es zwischen 60 und 65 Millionen Dosen pro Monat.

Im Juni 2020 gab AstraZeneca bekannt, das SII dazu befugt zu haben, insgesamt eine Milliarde Dosen Covishield an Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen zu liefern. Vor dem Stopp im März 2021 waren jedoch nur 64 Millionen exportiert worden, 28 Millionen davon gingen an COVAX.

Indien braucht weitere Impfstoffe

Anfang 2021 twitterte Geschäftsführer Adar Poonawala, das SII sei von der indischen Regierung angewiesen worden, »dem enormen Bedarf Indiens Priorität einzuräumen und gleichzeitig den Bedarf der restlichen Welt zu decken«.

Indiens Kampf gegen die steigenden Infektionszahlen könnte die geplanten Covishield-Lieferungen an 64 Länder mit niedrigem Einkommen durch die COVAX verzögern, heißt es in einer Erklärung der Gavi vom 25. März 2021. Die Impfallianz ist Gründungsmitglied und Partner der COVAX und hat ihren Sitz in Genf.

Bis Ende Juli 2021 wollte Indien 300 Millionen Bürger mit hohem Risiko impfen, darunter 30 Millionen Mitarbeiter des Gesundheitswesens sowie Menschen mit ernsten Vorerkrankungen. Staatliche Stellen haben allerdings von erheblichen Engpässen berichtet.

Randeep Guleria hingegen behauptet, es gebe genügend Impfstoffe; diese müssten lediglich umverteilt werden, um die Regionen mit den meisten Infektionen zu erreichen.

Neben dem SII erhielt auch Bharat Biotech, eine in Hyderabad ansässige Firma, eine Notfallzulassung für seinen eigenen Impfstoff Covaxin. Von dem Mittel, das es in Zusammenarbeit mit dem Indian Council of Medical Research entwickelt hat, kann das Unternehmen 12,5 Millionen Dosen pro Monat herstellen. Bislang macht Covaxin aber nur einen kleinen Teil der bisher im Land verabreichten Impfdosen aus.

Einen Teil der aktuellen Probleme könnte die Zulassung weiterer, international entwickelter Impfstoffe lösen, die in Indien produziert werden können, sagt Shahid Jameel, Virologe an der Ashoka University in Sonipat. So zum Beispiel die Vakzine des US-amerikanischen Unternehmens Johnson & Johnson, die nur einmal verabreicht werden muss. Am 13. April hat Indien zudem den russischen Impfstoff Sputnik V zugelassen. Laut der Regierung soll die Vakzine importiert werden, bis die inländische Produktion beginnt.

Neue Mutanten breiten sich aus

Im März 2021 teilte das indische Gesundheitsministerium mit, Gensequenzierungen eines Konsortiums von zehn nationalen Forschungslaboren hätten ergeben, dass mehrere Varianten des Coronavirus im Land zirkulieren. Darunter auch die zuerst in Großbritannien entdeckte Variante B.1.1.7, die sich schneller verbreitet als das Wildtyp-Virus.

Im Bundesstaat Punjab wurde B.1.1.7 bereits in großem Umfang nachgewiesen. Es sei »wahrscheinlich, dass sich diese Mutante auch in Nachbarstaaten ausbreitet und das Infektionsgeschehen insgesamt dominiert«, sagt Guleria.

Besonders interessiert sind indische Wissenschaftler aber an Berichten über eine neu entdeckte Variante. Sie enthält zwei Mutationen, die nicht mit den bisher katalogisierten Mutanten übereinstimmen. Diese »Doppelmutante« sei in 15 bis 20 Prozent der Proben aus Maharashtra nachgewiesen worden, sagt Jameel. Dabei handelt es sich um den am stärksten betroffenen Bundesstaat Indiens.

Über diese Variante ist noch wenig bekannt. Jameel zufolge ist sie aber Grund zur Sorge: »Die beiden Mutationen verbessern wahrscheinlich die Fähigkeit des Virus, an die zellulären Rezeptoren zu binden und Antikörpern auszuweichen.« Indien müsse Überwachungsstudien durchführen, um herauszufinden, ob sich geimpfte Menschen auf Grund mutierter Viren oder nachlassender Immunität erneut infizieren können.

Wie entwickelt sich die Pandemie? Welche Varianten sind warum Besorgnis erregend? Und wie wirksam sind die verfügbaren Impfstoffe? Mehr zum Thema »Wie das Coronavirus die Welt verändert« finden Sie auf unserer Schwerpunktseite. Die weltweite Berichterstattung von »Scientific American«, »Spektrum der Wissenschaft« und anderen internationalen Ausgaben haben wir zudem auf einer Seite zusammengefasst.

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