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Coronavirus in Kitas und Schulen: Was hilft, außer Schulen zu schließen?

Neue Studien zeigen, dass es Corona-Ausbrüche in Schulen gibt und Kinder infektiös sind. Kann man gegensteuern, ohne alle Kinder im Lockdown zu Hause lassen zu müssen?
Schüler lernen mit Abstand und Masken im Klassenzimmer

Es gab im Pandemiejahr 2020 wichtige Fragen, die zu lange ungeklärt geblieben sind. Eine beschäftigt Millionen Eltern bis heute: Verbreiten Kinder Sars-CoV-2 in der Schule? Wie sehr feuern sie das Infektionsgeschehen insgesamt an? Sollten die Schulen geschlossen bleiben? Es wäre schön, wenn wir eine Antwort bis Mitte Februar hätten. Bis dahin läuft offiziell der aktuelle Lockdown. Zumindest aus Deutschland fehlen aber aufschlussreiche Daten, die eine solide Basis für Empfehlungen liefern könnten. Zwar gab es durchaus Studien zu dem Infektionsgeschehen in Schulen, sie sammelten ihre Daten aber, als die Ansteckungszahlen deutlich niedriger waren oder gar während des Lockdowns. Damit erlauben sie kaum Schlussfolgerungen, die uns in der aktuellen Lage weiterhelfen. Politiker in Sachsen und Baden-Württemberg erklärten dennoch im Sommer, das Risiko in Schulen sei gering, während viele Experten, etwa auch Christian Drosten, skeptisch blieben. Die Ergebnisse der größten deutschen Auswertung zum Thema, der Covid-Kids-Bavaria-Studie, werden erst im März erwartet.

Mindestens bis dahin müssen wir für ein aufschlussreiches Bild auf repräsentative Erhebungen aus Nachbarländern zurückgreifen. Eine neue Analyse von 1,5 Milliarden Handy-Bewegungsdaten aus der Schweiz legt jetzt nahe, dass Schulschließungen dort eine große Rolle dabei spielten, das Infektionsgeschehen in der ersten Welle einzudämmen. In dieser noch nicht von unabhängigen Fachgutachtern geprüften Vorveröffentlichung berichtet eine Gruppe um Stefan Feuerriegel, Professor für Wirtschaftsinformatik an der ETH Zürich und Mitglied der Arbeitsgruppe Covid-19 der WHO, dass Schulschließungen die Mobilität in der Schweiz zwischen dem 10. Februar und 26. April 2020 um 21,6 Prozent reduzierten. Nur zwei Maßnahmen hatten noch einen stärkeren Effekt: das Versammlungsverbot für mehr als fünf Personen (minus 24,9 Prozent) sowie die Schließung von Restaurants, Bars und Geschäften (minus 22,3 Prozent). »Pro Prozentpunkt geringerer Mobilität sank auch die Zahl der Covid-19-Fälle um etwa ein Prozent – mit einer Verzögerung von 9 bis 13 Tagen, die der Inkubationszeit entspricht.«

Wie entwickelt sich die Pandemie? Welche Varianten sind warum Besorgnis erregend? Und wie wirksam sind die verfügbaren Impfstoffe? Mehr zum Thema »Wie das Coronavirus die Welt verändert« finden Sie auf unserer Schwerpunktseite. Die weltweite Berichterstattung von »Scientific American«, »Spektrum der Wissenschaft« und anderen internationalen Ausgaben haben wir zudem auf einer Seite zusammengefasst.

In der Schweiz haben ortsspezifische Besonderheiten die Analyse möglich gemacht: »Wir konnten den Effekt von Schulschließungen auf die Mobilität im Vergleich zu anderen Maßnahmen bestimmen, weil diese in der Schweiz je nach Kanton zu verschiedenen Zeitpunkten starteten«, sagt Stefan Feuerriegel.

Sind Kinder in der Schule »Treiber der Pandemie«?

Die Auswertung der Züricher Forscher zeigt zunächst zwar nur eine interessante Korrelation. Immerhin aber könnten allein die Schulschließungen die Fallzahlen demnach um ein Fünftel gesenkt haben: Für den Verlauf der Pandemie ist nicht egal, ob Kinder in die Schulen gehen oder nicht. Und natürlich gibt es Ausbrüche an Schulen. So hatten sich in der ersten Welle in einem französischen Gymnasium 40 Prozent der Schüler und Lehrer angesteckt. Im September war in Hamburg ein einzelner infizierter Schüler Ausgang für eine Kette von insgesamt 29 Infektionen innerhalb der Schule. Dies konnte deshalb nachgewiesen werden, weil Forscher das Genom der Erreger untersuchten und sich dabei eine seltene Mutante des Virus offenbarte, die in Hamburg sonst nicht vorkam.

»Pro Prozentpunkt geringerer Mobilität sank die auch die Zahl der Covid-19-Fälle um etwa ein Prozent«Stefan Feuerriegel

Oft fallen Corona-Infektionen allerdings gar nicht auf, weil sie bei Kindern und jüngeren Erwachsenen häufig asymptomatisch bleiben. »Bei Kindern ist auch die angeborene Immunantwort stärker als bei Erwachsenen«, sagt Christian Münz, Professor für virale Immunbiologie an der Universität Zürich. »Ihr Immunsystem wird durch ständige Auseinandersetzung mit anderen Viren in Alarmbereitschaft gehalten – es ist möglich, dass dies dazu beiträgt, dass Kinder kaum schwer an Covid-19 erkranken.« Diese Hypothese wird durch die Studie eines Teams um Kevan Herold vom Albert Einstein College of Medicine in New York gestützt, die Blut von Erwachsenen und Kindern verglich. Dabei zeigten die Kinder höhere Level solcher Botenstoffe, die für eine angeborene Immunantwort charakteristisch sind.

Um verlässliche Zahlen zu bekommen, wurden in Österreich fast 11 000 Schüler zwischen 6 und 14 Jahren auf den Erreger selbst untersucht – und zwar mittels Gurgeln und nachfolgendem PCR-Test. Die gerade vorveröffentlichte repräsentative Studie wies das Virus im Herbst bei 1,4 Prozent der Schülerinnen und Schüler nach. »Kinder werden nicht magisch vom Virus verschont«, konstatiert Michael Wagner, stellvertretender Leiter des Zentrums für Mikrobiologie an der Universität Wien, der wissenschaftliche Koordinator der Untersuchung. »Anders als es oft behauptet wird, stecken sie sich an und sind auch selbst infektiös, wobei noch nicht ausreichend erforscht ist, wie ansteckend sie im Vergleich zu Erwachsenen sind.« Eine zeitgleich durchgeführte österreichweite repräsentative Studie bei den Menschen über 16 Jahren habe ähnlich hohe Werte ergeben wie die Schulstudie. »Die Anzahl positiver Schulkinder spiegeln das Infektionsgeschehen in der Gesamtbevölkerung wider«, sagt Michael Wagner.

Schüler infizieren sich wie andere auch

In Deutschland gibt es vergleichbare repräsentative Studien nicht. Immerhin kommt der zweite Teil der sächsischen Schulstudie, der weitaus weniger öffentlichkeitswirksam präsentiert wurde als Teil eins aus der Niedriginzidenzphase, zu ähnlichen Schlussfolgerungen wie die Kollegen in Österreich. »Die Ergebnisse spiegelten in etwa die Infektionslage im Bundesland Sachsen im Allgemeinen wider«, heißt es im Abschlussbericht. »Während im Frühjahr und Sommer die Lage recht ruhig war, zogen die Infektionszahlen sowohl in Sachsen als auch im Rahmen unserer Untersuchungen deutlich an.« In einigen Klassenstufen seien sogar höhere Inzidenzen bestimmt worden als in der Bevölkerung. In der neuen Studie aus Österreich fehlt im Übrigen auch jeder Hinweise darauf, dass sich unterschiedlich alte Kinder auch unterschiedlich häufig anstecken: Die Infektionszahlen von 6- und 14-Jährigen waren in den Daten aus Österreich vergleichbar. »Im Gegensatz zu dem, was oft behauptet wird, sind jüngere Schüler nicht weniger oft infiziert als ältere – und Lehrer sind genauso häufig betroffen«, sagt Michael Wagner.

Infektionsstopp ohne Kollateralschaden

Das Virus zirkuliert in Schulen also wie anderswo, mit dem Unterschied, dass infizierte Kinder häufiger keine oder nur schwache Symptome zeigen. Schulschließungen sollten die Pandemie bremsen können – eine Schlussfolgerung, zu der auch internationaleVergleichsstudien kommen, wobei dabei zum Teil die Effekte von Schulen und Universitäten zusammen betrachtet wurden. Nun hat es aber nicht nur für das Infektionsgeschehen Folgen, die Schulen dichtzumachen: Besonders Schüler und Schülerinnen aus bildungsfernen Familien geraten dann in Gefahr, den Lernstoff nicht zu schaffen und den Anschluss zu verlieren, wie Daten aus Schweden und sechs weiteren europäischen Staaten oder aus Großbritannien nahelegen. Und fatalerweise unterstreicht die Studie aus den österreichischen Schulen, dass gerade diese Gruppen unserer Gesellschaft auch vom Virus besonders bedroht sind: »In Schulen, die in sozioökonomisch schlechter gestellten Quartieren gelegen sind, gab es mehr als doppelt so viele Corona-Infektionen«, sagt der Studienleiter Wagner. Über die Gründe könne man nur spekulieren – denkbar sei etwa, dass beengte Wohnverhältnisse dazu beitragen oder dass Schutzmaßnahmen auf Grund von Sprachbarrieren nicht verstanden und umgesetzt würden.

»Kinder werden nicht magisch vom Virus verschont«Michael Wagner, Mikrobiologe

Wie könnte man das Infektionsgeschehen eindämmen, ohne Kindern durch Nebenwirkungen der Schulschließung zu schaden? Michael Wagner schlägt vor, regelmäßig so genannte Klassenpool-Tests zu machen. »Schon Kinder in der 1. Klasse können gurgeln«, sagt er. »Schüler könnten das zu Hause machen, die Lösung in die Schule mitbringen – und mit den zusammengeschütteten Flüssigkeiten könnte man dann einen PCR-Test machen.« Erst wenn eine solcher Test positiv wäre, würden man Einzeltests in der jeweiligen Klasse machen. Auf diese Weise könnte man mit relativ wenigen Tests ein gutes Monitoring in Schulen machen – und sie nur dann gezielt und vielleicht teilweise zu schließen, wo und wann das überwachte Infektionszahlen es nahelegen. Österreich wird seine Schulen auf der Grundlage der vorliegenden Studien wieder öffnen, mit einer Testpflicht für alle Schüler, allerdings mit Antigen-Schnelltests.

Masken, Lüften und Co: Corona-Bremse ohne Schulschließung

Wichtig bleiben neben dem Ausbau eines einfach umzusetzenden Testangebots ohnehin altbekannte Maßnahmen: Die Technische Hochschule Mittelhessen in Gießen unterstreicht etwa, dass Stoßlüften sehr effektiv sein kann. Das ist auch die Position des Umweltbundesamts. Allerdings hängt es sehr stark von Wind und Außentemperatur ab, wie schnell die Luft ausgetauscht werden kann – wenn überhaupt genügend große Fenster vorhanden sind. »Im Winter kann Stoßlüften gut funktionieren, es wird aber sehr kalt im Raum, und entsprechende Empfehlungen werden deshalb zu selten umgesetzt«, sagt Joachim Curtius, Professor für Experimentelle Atmosphärenforschung an der Universität Frankfurt. Der Physiker hat deshalb mobile Luftfiltersysteme getestet, insgesamt mit einer Filterrate von 1000 Kubikmetern pro Stunde in einem voll besetzten Klassenzimmer. »Innerhalb von einer halben Stunde konnten wir im Vergleich zu einem Klassenraum ohne Filtersystem 90 Prozent der Aerosole entfernen«, sagt er. Wissenschaftler vom Institut für Strömungsmechanik und Aerodynamik der Universität der Bundeswehr kommen zu einem ähnlichen Ergebnis. Luftreinigungssysteme könnten demnach also einen wichtigen Beitrag leisten, um Infektionen in Schulen zu verhindern, sie reichen dafür jedoch nicht aus. »Lüften muss man trotzdem, um Feuchtigkeit und Kohlendioxid aus dem Raum zu bekommen«, sagt Curtius. »Und es geht auch nicht ohne Masken, denn eine Tröpfcheninfektion kann kein Luftfilter verhindern, der in der Ecke des Klassenraums steht.«

Dass Masken die Verbreitung von Sars-CoV-2 effektiv eindämmen, wird mittlerweile kaum noch angezweifelt. Zwar ist noch umstritten, ab welchem Alter Kinder sie so tragen können, dass sie wirksam sind, eine chinesische Studie legte aber schon im Mai 2020 nahe, dass Masken, die von kleinen Kindern zwischen zwei und sechs Jahren getragen werden, die Ansteckung von Familienmitgliedern im Haushalt reduzieren helfen. So konstatiert die italienische Kinderärztin Susanna Esposito, Professorin für Pädiatrie an der Universität Parma, in einer Übersichtsarbeit: »Das universelle Tragen von Gesichtsmasken – zusätzlich zur Handhygiene und zu sicherem Distanzhalten in Schulen – erscheint extrem sinnvoll ab einem Alter von sechs Jahren.«

»Innerhalb von einer halben Stunde konnten wir mit einem Filtersystem 90 Prozent der Aerosole entfernen«Joachim Curtius, Atmosphärenforscher

Welche Maßnahmen dabei helfen, Schulen sicher wieder zu eröffnen, untersucht auch die Arbeitsgruppe Evidence-based Public Health an der LMU München. Dort hat Lisa Pfadenhauer mit ihren Kolleginnen die Datenlage gerade für eine Übersichtsarbeit der Cochrane Collaboration analysiert. »Wir waren überrascht, wie wenige gute Studien es gibt«, sagt Pfadenhauer. »Es existieren fast nur Modellierungen, aber das ist immerhin besser als nichts – wir sehen es als ethische Verpflichtung an, auf dieser Grundlage Empfehlungen für das Öffnen von Schulen zu geben.« Die wesentliche Botschaft: Mit einem Bündel von Maßnahmen (einzelne wurden nicht modelliert) kann man es schaffen, das Infektionsrisiko in Schulen auf ein vertretbares Maß zu senken. Wirksam sind demnach: Abstand halten, Maske tragen (im Unterricht und außerhalb), das Verringern der Schülerzahl im Präsenzunterricht (durch Halbieren der Klassen und Wechselunterricht) sowie das Verhindern von Kontakten zwischen Klassen und Jahrgängen, zum Beispiel durch gestaffelten Unterrichtsbeginn. »Ob das Maßnahmenpaket Erfolg hat, steht und fällt mit der praktischen Umsetzung«, sagt Pfadenhauer, die auch an der Leitlinie »Maßnahmen zur Prävention und Kontrolle der Sars-CoV-2-Übertragung in Schulen« mitarbeitet und regelmäßiges Feedback aus der Praxis von Schulen, Eltern und Behörden bekommt.

»Das universelle Tragen von Gesichtsmasken erscheint extrem sinnvoll ab einem Alter von sechs Jahren«Susanna Esposito, Kinderärztin

Mit einem guten Sicherheitskonzept wäre es also durchaus denkbar, die Schulen bald wieder zu öffnen, ohne neue Infektionsherde zu schaffen. Bedacht werden sollte zudem, dass Schulschließungen auch indirekt wirken, um die Pandemie zu bremsen. »Lehrerinnen und Lehrer, aber auch die Eltern blieben öfter zu Hause«, sagt Stefan Feuerriegel mit Blick auf die aus den Handydaten in der Schweiz während des ersten Lockdowns ermittelten Bewegungsprofile. »Das verringerte letztlich die Mobilität der Menschen und damit die Zahl der Corona-Ansteckungen.« Dazu passt, dass laut seiner Analyse von Mobilitätsdaten die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel durch Schulschließungen um 35 Prozent abnahm. Vielleicht ist ja möglich, gesellschaftlich eine Situation zu schaffen, in der Kontakte ähnlich stark reduziert werden wie durch Schulschließungen – etwa durch eine Homeoffice-Pflicht. Wenn sie dazu führt, dass Menschen sich in der Arbeit und auf dem Weg dorthin seltener anstecken, dann könnten die Corona-Neuinfektionen stark genug sinken, um Kinder wieder in die Schule gehen lassen zu können. Am besten natürlich mit einem ausgefeilten Antiinfektionskonzept innerhalb und außerhalb der Klassen.

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