Covid-19 Impfung: Sollten sich Stillende impfen lassen?
Als Geburtshelferin hat es Molly Siegel kaum erwarten können, dass die Corona-Impfstoffe endlich verfügbar würden. Bei ihrer Arbeit am Massachusetts General Hospital in Boston hatte sie regelmäßig mit Schwangeren zu tun, die an Covid-19 erkrankt waren. Eine Impfung wäre der beste Schutz für sie, ihre Familie und ihre Kollegen. Davon war sie überzeugt. Aber als Mutter eines sieben Monate alten Babys? Würde die Impfung dem Kind, das sie noch stillte, nicht vielleicht sogar schaden?
Ein verständlicher Einwand. Denn in den entscheidenden Impfstoffstudien wurden gemäß gängiger Praxis Schwangere und Stillende von vornherein ausgeschlossen. Junge Mütter, die dann einen Impftermin bekamen, waren auf sich allein gestellt. »Ich war wirklich frustriert«, sagt Siegel. Der Mangel an Studien habe es schwer gemacht für Patienten, aber auch für die Anbieter.
Siegel war sich recht sicher, dass das Risiko klein ist – schließlich enthalten Covid-19-Impfstoffe beispielsweise keine Lebendviren –, und entschied sich deshalb trotz fehlender Daten für eine Impfung. Anschließend spendete sie Proben ihrer Muttermilch an Forscher, die sie in einer der ersten derartigen Studien analysierten. Dank Siegel und anderer Studienteilnehmerinnen gibt es nun erste Informationen darüber, wie sich Covid-19-Impfstoffe auf die Muttermilch auswirken – wertvolles Wissen für die mehr als 100 Millionen stillenden Mütter auf der Welt.
Die Wissenschaftler haben bisher nur die Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna untersucht. Erstes Ergebnis: In der Muttermilch sind die Impfstoffe nicht nachweisbar – wohl aber Antikörper gegen Sars-CoV-2, die von den Müttern als Reaktion auf die Impfung produziert werden. »Die Studien sind klein, weil die Forschung an Muttermilch und Covid-Impfstoffen noch recht jung ist, aber die Ergebnisse sind sehr positiv«, sagt Stephanie Gaw, eine Perinatologin an der University of California in San Francisco. Nun stellt sich die Frage, ob diese Antikörper den Babys zumindest einen Teilschutz gegen Covid-19 bieten können.
Schwangere und Stillende haben ein höheres Risiko
Während der gesamten Pandemie waren Schwangere und frischgebackene Mütter mit einer Reihe von Fragen das Coronavirus betreffend konfrontiert. Ein Trend war schon früh zu sehen: Schwangere, bei denen Covid-19 diagnostiziert wurde, werden häufiger ins Krankenhaus eingeliefert als Gleichaltrige, die nicht schwanger sind. Das könnte daran liegen, dass der Körper bereits schwer arbeitet – die wachsende Gebärmutter drückt nach oben, was die Lungenkapazität reduziert – und dass das Immunsystem gebremst wird, um dem Baby nicht zu schaden. Diese Faktoren verschwinden nicht an dem Tag, an dem das Baby geboren wird. Daher vermuten einige Geburtshelfer, dass auch stillende Mütter anfällig für einen schweren Covid-19-Verauf sind.
Ein Team um Kathryn Gray, Spezialistin für Mutter-Fötus-Medizin am Brigham and Women's Hospital in Boston, begann darum zu testen, wie gut die Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna bei den werdenden oder jungen Müttern wirken. Sie rekrutierten 131 Teilnehmerinnen, die einen der beiden Impfstoffe erhalten sollten und die entweder stillten, schwanger waren oder keines von beidem. Es stellte sich heraus, dass die Stillenden (zu denen Siegel und 30 andere gehörten) die gleiche starke Antikörperreaktion zeigten wie die anderen (Preprint). Mit anderen Worten: Sie waren durch die Impfstoff genauso gut geschützt.
Eine zweite Studie (Preprint) von Gaw und ihrem Team bestätigte zudem den Nutzen einer Zweitimpfung. Was aber war mit dem gestillten Säugling? Wie Siegel haben sich viele Eltern diese Frage gestellt. Manche Medikamente darf man als Stillende beispielsweise nicht nehmen, weil sie auf das Kind übergehen. Schließlich werden einige Medikamente während der Stillzeit nicht empfohlen, weil sie über die Muttermilch beim Säugling ankommen. Auch die Gelbfieberimpfung ist beispielsweise für Stillende tabu, da sie eine abgeschwächte Lebendform des Virus enthält. So besteht ein Risiko, dass sich das Kind infiziert.
»Es gibt ein erschreckendes Ausmaß an Fehlinformationen, auf allen Ebenen«
Kirsi Jarvinen-Seppo, Immunologin
Wegen solcher Fälle haben einige Ärzte stillenden Müttern geraten, ihre Muttermilch nach der Impfung wegzuschütten. »Da steckt eindeutig Unwissenheit dahinter«, sagt Kirsi Jarvinen-Seppo, eine Immunologin am University of Rochester Medical Center. »Es herrscht ein erschreckendes Ausmaß an Fehlinformationen, auf allen Ebenen.«
Anders als der Gelbfieberimpfstoff birgt der Covid-19-Impfstoff nicht das Risiko, eine aktive Infektion auszulösen. Darüber hinaus ist es extrem unwahrscheinlich, dass Covid-19-Impfstoffe in die Muttermilch übergehen. Die fragile Boten-RNA, die von Biontech/Pfizer und Moderna verwendet wird, baut sich so schnell ab, dass sie die Zellen, in die sie injiziert wurde, niemals verlassen sollte – geschweige denn in den Blutkreislauf und dann in die Brust kommen kann. Tatsächlich gehen die Forscher davon aus, dass keiner der aktuellen Impfstoffe in die Muttermilch gelangen kann.
Deshalb empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation, dass Mütter nach der Impfung weiter stillen. Auch US-amerikanische und britische Gesundheitsbehörden erklärten kurz nach der Zulassung der ersten Impfstoffe, dass sich stillende Mütter bedenkenlos für die Impfung entscheiden könnten. »Das ist eine Empfehlung, die von der falschen Seite aufgezäumt ist«, kritisiert allerdings Christina Chambers, Kinderärztin an der University of California und dem Rady Children's Hospital in San Diego. »Denn ihre Grundlage ist, dass es keinen Grund gibt, die Impfung nicht zu machen. Das ist ein Dilemma.« Schließlich sollte es auch Gründe für die Impfung geben und nicht nur keine dagegen.
Keine Spur von mRNA in Muttermilch
Also führten Gaw und ihre Kollegen zunächst einen Sicherheitscheck durch. In einer kleinen Studie untersuchte ihr Team Muttermilchproben von sechs Teilnehmerinnen bis zu zwei Tage, nachdem sie den Impfstoff von Biontech/Pfizer oder Moderna erhalten hatten, und fand keine Spur der mRNA. Die Gruppe untersucht jetzt eine größere Anzahl von Milchproben auf verschiedene Komponenten des Impfstoffs und erweitert ihre Studie auf alle in den USA erhältlichen Covid-19-Impfstoffe.
Eine Sache gibt es aber, die Forscher sehr gerne in der Muttermilch sähen: Covid-19-Antikörper. Schließlich ist schon lange bekannt, dass Neugeborene keine wirksamen Antikörper gegen schädliche Bakterien und Viren bilden. Es dauert drei bis sechs Monate, bis dieser Schutz einsetzt. Dafür enthält die Muttermilch viele Antikörper, die potenzielle Bedrohungen für den Säugling abwehren können. »Muttermilch wurde von Mutter Natur speziell dafür entwickelt, das Kind mit dem ersten Impfstoff zu versorgen«, sagt Hedvig Nordeng von der Universität Oslo, die sich auf Medikamente in der Schwangerschaft und Stillzeit spezialisiert hat. »Muttermilch an sich ist mehr als nur Nahrung, Muttermilch ist Medizin.«
Schließlich produzieren Immunzellen der Mutter, die B-Lymphozyten (oder B-Zellen) genannt werden, ständig Antikörper. Sobald die Mutter zu stillen beginnt, senden die Brustdrüsen ein chemisches Signal aus, das diese B-Zellen in die Brust lockt. Aber im Gegensatz zu Molekülen aus Medikamenten, Kaffee und alkoholischen Getränken, die so klein sind, dass sie von selbst in die Muttermilch übergehen können (wenn auch in verdünnter Form), sind Antikörper dafür zu groß. Stattdessen greifen Rezeptoren auf der Oberfläche der Milchgänge die Antikörper und verpacken sie in schützende, flüssigkeitsgefüllte Blasen, die es ihnen ermöglichen, sicher durch die Milchgangszellen zu gelangen.
Rätselhafter Weg der Antikörper durchs Baby
»Dieser Prozess hat etwas Magisches«, sagt Galit Alter, Immunologin und Virologin an der Harvard Medical School in Boston, die an Grays Studie mitgearbeitet hat. Was passiert, wenn die Antikörper das Baby erreicht haben, ist jedoch eher rätselhaft. Die Antikörper in der Muttermilch gelangen nicht in den Blutkreislauf des Babys, sondern überziehen Mund, Rachen und Darm, bevor sie schließlich verdaut werden. Dennoch scheinen diese Antikörper Schutz zu bieten. Es könnte sein, dass sie an den Eingängen des Körpers wirken, um eine Infektion frühzeitig abzuwehren.
Studien haben gezeigt, dass Babys, die in den ersten sechs Monaten ausschließlich gestillt werden, weitaus weniger Mittelohrentzündungen haben als solche, die kürzer oder gar nicht gestillt werden. Sie haben auch ein geringeres Risiko für Atemwegsinfektionen. Und stillende Mütter, die den Grippeimpfstoff erhalten (und somit die schützenden Antikörper über die Muttermilch auf ihr Kind übertragen), bieten damit einen gewissen Schutz für Babys, die noch zu jung für die Impfung sind.
Dasselbe könnte auch für Covid-19-Antikörper gelten. Anfang dieses Jahres fanden Forscher heraus, dass die Muttermilch von Menschen, die sich von dem Virus erholt haben, in ähnlicher Weise mit Antikörpern durchsetzt ist. Und eine Reihe kleinerer Studien, von denen viele noch nicht begutachtet wurden, haben Antikörper in der Muttermilch von Frauen gefunden, die den Impfstoff erhalten haben.
»Es ist sehr schön, nach diesem vergangenen Jahr ein klein wenig gute Nachrichten zu haben«
Bridget Young, Immunologin
Als Gray und ihre Kollegen zum Beispiel das Blut und die Muttermilch von stillenden Müttern untersuchten, die gegen Covid-19 geimpft worden waren, fanden sie in jeder Probe hohe Konzentrationen von Covid-19-Antikörpern. »Es ist sehr schön, nach diesem vergangenen Jahr ein klein wenig gute Nachrichten zu haben«, sagt die pädiatrische Immunologin Bridget Young vom University of Rochester Medical Center. Und es ist ein besonders schöner Befund, wenn man bedenkt, dass Babys derzeit mit keinem der verfügbaren Impfstoffe geimpft werden können (obwohl sowohl Biontech/Pfizer als auch Moderna Studien mit ihren Covid-19-Impfstoffen bei Kindern im Alter von sechs Monaten begonnen haben).
Während Covid-19 in jüngeren Bevölkerungsgruppen oft mild verläuft, werden erkrankte Säuglinge unter zwei Jahren häufiger ins Krankenhaus eingeliefert als ältere Kinder. Man nimmt an, es liege daran, dass die Bronchiolen – die Atemwege, die die Luft in die Lunge leiten – bei Babys viel kleiner sind. Darüber hinaus können Säuglinge und Kinder eine schwere Erkrankung entwickeln, die als MIS-C (Multisystem-Inflammationssyndrom bei Kindern) bekannt ist und bei der sich verschiedene Teile des Körpers entzünden, nachdem sich das Kind mit Covid-19 infiziert hat.
Wie sehr schützt Muttermilch?
Bis jetzt ist unklar, ob diese Antikörper in der Muttermilch das Kind tatsächlich vor der Erkrankung schützen. Die ersten Forschungsergebnisse sind viel versprechend. 2020 sammelte ein Team in den Niederlanden Antikörper aus der Muttermilch von Menschen mit einer früheren Sars-CoV-2-Infektion und stellte fest, dass die Proben das Virus im Labor neutralisieren konnten. Einen Monat später meldeten Young, Jarvinen-Seppo und ihre Kollegen ähnliche Ergebnisse, die anschließend veröffentlicht wurden.
Beide Teams führen derzeit das gleiche Experiment mit Antikörpern durch, die durch eine Impfung und nicht durch eine durchlebte Infektion erzeugt wurden. Eine Studie von Wissenschaftlern in Israel habe bereits auf die Wirksamkeit solcher Antikörper hingedeutet, sagt Yariv Wine, ein Immunologe an der Universität Tel Aviv und Mitautor der Studie.
Dafür müssten die Antikörper allerdings länger bestehen bleiben. Wissenschaftler wissen noch nicht, wie lange geimpfte Menschen Covid-19-Antikörper bilden. Erste Hinweise sind ermutigend: Eine Studie mit 33 Personen legt nahe, dass die Antikörperproduktion bei Erwachsenen, die den Moderna-Impfstoff erhalten haben, für mindestens sechs Monate anhält. Das könnte bedeuten, dass Säuglinge weiterhin einen gewissen Schutz von ihren Müttern erhalten, solange diese weiter stillen – obwohl die Antikörperkonzentration in der Muttermilch mit der Zeit abnimmt.
»Ich würde nicht warten mit der Impfung, schließlich können Sie Ihrem Kind Immunität schenken«
Galit Alter, Immunologin und Virologin
Dieser ständige Nachschub ist der Schlüssel zum Erfolg: Die Wissenschaftler vermuten, dass die Antikörper im Darm des Babys schon nach Stunden bis Tagen abgebaut werden. Das bedeutet, dass ihre Teilimmunität wahrscheinlich verschwindet, sobald sie nicht mehr gestillt werden. Aber selbst für Babys, die ausschließlich gestillt werden, raten Ärzte den Müttern weiterhin zur Vorsicht. »Jeder, der mit dem Baby in engem Kontakt steht, sollte geimpft sein oder eine Maske tragen«, sagt Andrea Edlow, eine Spezialistin für Mutter-Fötus-Medizin an der Harvard Medical School und dem Massachusetts General Hospital, die mit Gray an der Studie gearbeitet hat.
Gray und ihr Team werden ihre Teilnehmer, darunter auch Siegel und andere, ein ganzes Jahr lang begleiten, um Langzeitdaten zu erhalten. Gaws Team an der University of California in San Francisco plant, den allgemeinen Gesundheitszustand und die Infektionsrate von Säuglingen zu untersuchen, während sie gestillt werden. Die Wissenschaftler arbeiten auch daran, die Antikörper selbst genauer zu analysieren. So erhalten Chambers und ihre Kollegen von der University of California in San Diego derzeit Milchproben von etwa 40 Teilnehmerinnen pro Tag.
Auch wenn noch viele Studien laufen, sind die bisherigen Ergebnisse so vielversprechend, dass die meisten Experten stillenden Müttern dringend raten, sich impfen zu lassen. Oder, wie es die Harvard-Immunologin Galit Alter ausdrückt: »Wenn ich jetzt so ein kleines Würmchen hätte, ich würde es nicht darauf ankommen lassen – ich würde nicht warten mit der Impfung, schließlich können Sie Ihrem Kind Immunität schenken.«
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