Covid-19 in Afrika: Stärker durch Ebola, aber zu schwach für Corona
Als das Coronavirus Afrika erreichte, griffen die Gesundheitsbehörden von Liberia, Sierra Leone und Guinea zu genau denselben Methoden, mit denen sie schon den weltweit tödlichsten Ebola-Ausbruch der Jahre 2014 bis 2016 abgewehrt haben. Die Reaktion war rasch und gut koordiniert. Im Vergleich zu vielen anderen Ländern blieb die Zahl der Infektionen dort lange Zeit überschaubar. Doch das Coronavirus bringt andere Herausforderungen mit sich als Ebola. Und nun beginnen die Fallzahlen auch dort zu steigen.
Zu den bewährten Maßnahmen, mit denen sie Mitte bis Ende März den Kampf gegen Covid-19 aufnahmen, gehörte es unter anderem Personen, die positiv auf das Virus getestet worden waren, zu isolieren und diejenigen, die mit ihnen Kontakt hatten, unter Quarantäne zu stellen. Diese Maßnahmen haben die Ausbreitung des Virus wahrscheinlich verlangsamt. Die Zahl der gemeldeten Krankheitsfälle in den drei westafrikanischen Ländern lag zwischen zwei und fünf pro 10 000 Einwohnern und war damit mindestens zwölfmal niedriger als in Südafrika und etwa 22-mal geringer als in den USA. »Wir hatten Erfahrung mit Ebola, der politische Wille war also von Anfang an da«, erklärt Mosoka Fallah, der Direktor der nationalen Gesundheitsbehörde in Liberia.
Aber die Infektionsraten steigen, und zwar aus verschiedenen Gründen. Zum einen sind die Infektionen laut westafrikanischen Forschern schwer zu erkennen, insbesondere in einer überwiegend jungen Bevölkerung, wo viele Betroffene keinerlei Symptome zeigen. Zum anderen zählen die drei Staaten zu den ärmsten der Welt. Ihren Gesundheitssystemen mangelt es an Ressourcen, um das Personal zu schützen und Covid-19-Patienten zu versorgen.
Seitdem das Virus verarmte Gemeinden ohne fließendes Wasser und Strom erreicht hat, sei es besonders schwierig, seine Ausbreitung zu verlangsamen, sagt Fallah. Die Menschen dort teilten sich Latrinen und Brunnen und gingen häufig auf Märkte, um Lebensmittel zu kaufen, die sie zu Hause nicht lagern können. »Ich fürchte, das Coronavirus fängt an, sich von den Wohlhabenden auf die Armen auszubreiten, für die eine soziale Distanzierung fast unmöglich ist.«
Chinas Beispiel folgen
Als sich das Coronavirus im Januar auszubreiten begann, traf sich Fallah mit dem liberianischen Präsidenten George Weah, um eine Coronavirus-Task-Force zu bilden. Mitglieder der Gruppe wurden viele Ärzte und Gesundheitsexperten, die bereits die Ebola-Kampagnen geleitet hatten und nun erneut auf die tragenden Säulen dieser Bekämpfungsstrategie bauten. Dazu gehörte die Beschaffung von Coronavirus-Tests von der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die Koordination von Teams, die Kontakte nachverfolgen sollten, und Informationskampagnen, die sich an die breite Öffentlichkeit richten. In Lagezentren in den Hauptstädten der drei Länder tagten die jeweiligen Gruppen nun regelmäßig, um die Maßnahmen an die aktuelle Situation anzupassen, genau wie sie es auch während des Ebola-Ausbruchs getan hatten.
Wie man mit der Gesundheitskrise umgeht, hätten die Länder während des Ebola-Ausbruchs unter anderem von den US-amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention gelernt (CDC), sagt Tolbert Nyenswah, der ehemalige Direktor der Gesundheitsbehörde von Liberia. Nyenswah, der jetzt als Forscher an der Johns Hopkins University in Baltimore tätig ist, sagt, er sei verblüfft gewesen, dass die CDC diese wichtigen Maßnahmen in ihrem eigenen Land vernachlässigt hätten. »Es war für mich ein Schock, dass die USA offenbar nicht versteht, was Contact Tracing ist, oder wie man eine Reaktion auf das Virus organisiert und wie man über Risiken aufklärt«, sagt er.
Die Coronavirus-Task-Forces in Liberia, Sierra Leone und Guinea haben beschlossen, dem Beispiel Chinas zu folgen: Sie isolieren jede Person, die positiv getestet wurde – unabhängig davon, ob sie Symptome hat oder nicht. Menschen, die sehr krank sind, werden ins Krankenhaus gebracht, während Menschen ohne oder mit nur leichten Symptomen in spezielle Einrichtungen geschickt werden, bis die Tests negativ ausfallen. Eine Isolierung zu Hause sei in ihrem Land praktisch nicht möglich, sagt Baimba Idriss, ein Arzt am 34 Military Hospital in Freetown, Sierra Leone. »Ein junger Mensch mag vielleicht gesund sein, aber er lebt bei seiner Großmutter, seinen Tanten, eng mit den Nachbarn zusammen. Wir müssen die Übertragungsketten unterbrechen und die Menschen überwachen, damit wir sie frühzeitig behandeln können, wenn sie Atembeschwerden haben«, sagt er.
»Auch an Covid-19 sterben Menschen, aber es ist nicht annähernd so schrecklich wie Ebola«Baimba Idriss, Arzt
Laut Idriss weigere sich aber eine wachsende Zahl von positiv Getesteten in die Isolationseinrichtungen zu gehen – zumal sich herumspricht, dass viele Menschen keinerlei medizinische Versorgung benötigen. Außerdem würden einige nicht auf den Rat der Gesundheitsämter hören. Sie trügen keine Gesichtsmaske, weil sie sich nicht genügend Sorgen über die Krankheit machten. »Auch an Covid-19 sterben Menschen, aber es ist nicht annähernd so schrecklich wie Ebola.«
Wie andere Ärzte und Forscher auch vermutet Idriss, dass die Krankheit in afrikanischen Ländern südlich der Sahara milder ausfällt als anderswo, weil die Bevölkerung dort jünger ist. Laut den Statistiken der World Bank sind mehr als 40 Prozent der Menschen in Liberia, Sierra Leone und Guinea jünger als 15 Jahre, nur drei Prozent sind älter als 65 Jahre. In Sierra Leone und Liberia sterben etwa vier Prozent der nachweislich Infizierten. Die Länder verzeichnen damit in etwa die dieselbe Sterberate wie die Vereinigten Staaten. John Nkengasong, der Direktor des Africa CDC, einem Pendant der US-Gesundheitsbehörde, mit Sitz im äthiopischen Addis Abeba vermutet, dass viele leichte und asymptomatische Fälle unentdeckt bleiben würden. In Guinea und vielen anderen Ländern in Subsahara-Afrika liegt die Sterblichkeitsrate unter zwei Prozent.
Doch mit dem Anstieg der Infektionen hat auch die Zahl der Menschen zugenommen, die eine medizinische Versorgung benötigen. Für Idriss gibt das Anlass zur Sorge, denn den Krankenhäusern in Sierra Leone gehen bereits jetzt Betten, Basismedikamente, Desinfektionsmittel und Treibstoff für Fahrzeuge aus, die schwerkranke Menschen in die Spitäler bringen. Seinem Team fehle es an Schutzkleidung, Handschuhen und Gesichtsmasken sagt Issa French, Krankenpfleger am Kenema Government Hospital in Sierra Leone. »Wir verwenden das, was wir von Ebola übrig haben«, sagt er.
Selbst grundlegende Bedürfnisse werden nicht erfüllt
Einige Beschäftigte im Gesundheitswesen sagen außerdem, sie seien seit zwei Monaten nicht mehr bezahlt wurden und kämen deshalb nicht mehr zur Arbeit. Dieses Problem erschwerte auch die Reaktion auf Ebola und führte damals zu Streiks unter den Beschäftigten. »Sie haben uns während des Ebola-Ausbruchs nie das bezahlt, was sie uns schuldig waren. Deshalb habe ich beschlossen, mein Leben nicht auch noch einmal für Covid zu riskieren«, sagt Christopher White, ein Krankenwagenfahrer im Krankenhaus von Kenema. Laut einem Bericht des Center for Global Development, einer Denkfabrik in Washington D.C, dürften solche Probleme noch zunehmen. Ladenschließungen und Handelsbeschränkungen auf Grund von Covid-19 schädigen die Wirtschaft, insbesondere in Ländern mit niedrigem Einkommen. Nach derzeitiger Lage werden ärmere Länder ihre Gesundheitsbudgets wegen der weltweiten Wirtschaftseinbrüche um geschätzte zwei Milliarden US-Dollar kürzen müssen.
»Sie haben uns während des Ebola-Ausbruchs nie das bezahlt, was sie uns schuldig waren. Deshalb habe ich beschlossen, mein Leben nicht auch noch einmal für Covid zu riskieren«Christopher White, Krankenwagenfahrer
Wenn medizinisches Personal und Material fehlt, könnten womöglich bald noch mehr Menschen sterben – an Covid-19, aber auch an anderen Ursachen wie Malaria oder bei der Geburt. Viele Menschen in Kenema würden lieber zu Hause bleiben, wenn es ihnen nicht gut geht, sagt White. Sie vertrauten nicht darauf, dass das Krankenhaus sie angemessen versorgen kann.
Das bestätigt auch Marta Lado aus Kono in Sierra Leone. Sie ist Spezialistin für Infektionskrankheiten bei der gemeinnützigen Organisation Partners in Health. Durch Spenden sei das Land zwar an Beatmungsgeräte gekommen, aber es fehle an Personal, das für die Benutzung der Geräte ausgebildet ist, ebenso mangele es an Intensivstationen. Grundlegende medizinische Ausstattung wie Insulin, Antibiotika, Handschuhe und Sauerstoffgeneratoren würden viel dringender benötigt, sagt sie. In allen drei Ländern werden die Sars-CoV-2-Tests auf Grund des internationalen Wettbewerbs nun allmählich knapp. Nur noch ein Minimum an Unterstützung gebe es für Klinikpersonal und den Materialeinkauf.
Die Situation in Guinea unterscheidet sich leicht von der in den Nachbarländern. Die Fallzahl ist doppelt so hoch, die Sterblichkeitsrate aber deutlich geringer: Am 20. Juli lag sie bei 0,6 Prozent. Ein Grund für die stärkere Verbreitung könnten politische Unruhen sein. Medien berichteten über die gewaltsame Unterdrückung oppositioneller Gruppen vor und nach der Änderung der Verfassung durch den guineischen Präsidenten Alpha Condé, mit der er sich eine dritte Amtszeit sicherte.
Die Zahl der bekannten Todesfälle könnte nur scheinbar so niedrig sein, weil viele Menschen zu Hause sterben und nicht getestet werden. Es könnte aber auch sein, dass es den Krankenhäusern der Hauptstadt gelingt, schwere Fälle erfolgreich zu behandeln, sagt Billy Sivahera, Arzt und Gesundheitsexperte bei der gemeinnützigen Organisation ALIMA in der guineischen Hauptstadt Conakry. Noch hätten sie genügend Platz, um viele weitere aufzunehmen. Aber: »Wenn sich der Ausbruch von Conakry aus ins Umland ausweitet, werden die Menschen nicht mehr denselben Zugang zu einer guten Krankenhausversorgung haben«, sagt er.
Die Ausbreitung der Epidemie in ländliche Regionen beunruhigt auch Forscher in Sierra Leone und Liberia, denn die klinische Versorgung außerhalb der Städte ist mangelhaft. Nkengasong fordert die Gemeinden in den ärmsten Gebieten Afrikas auf, alles zu tun, um die Ausbreitung des Virus durch soziale Distanzierung, Einhaltung der Quarantänemaßnahmen und das Tragen von Masken zu stoppen. Die Zahl der bestätigten Fälle südlich der Sahara ist laut WHO in der zweiten Juliwoche um 27 Prozent gestiegen. »Wenn es zu einer ähnlichen Situation wie in den USA oder Südafrika kommt«, sagt er, »wird es unmöglich sein, dem Virus mit Tests und Kontaktverfolgung beizukommen..
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