Covid-19: Wir haben doch die Impfung. Brauchen wir noch Masken?
An der Eingangstür der Wolfeboro Food Coop hängt noch immer ein Schild mit der Aufschrift: »Face masks required« (»Gesichtsmasken erforderlich«). Bis vor Kurzem befand sich direkt darunter ein weiteres Schild, auf dem erklärt wurde, dass der Bioladen in New Hampshire damit der Bundesrichtlinie folgt.
Am 14. Mai 2021 hat Erin Perkins, die Geschäftsführerin des Ladens, das zweite Schild entfernt. Einen Tag zuvor hatten die US-amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention (CDC) bekannt gegeben, dass vollständig gegen das Coronavirus geimpfte Menschen in den meisten Situationen keine Maske mehr tragen müssen. »Damit haben wir nicht gerechnet«, sagt Perkins. »Es bringt uns in eine prekäre Lage. Wir wollen unsere Kunden eigentlich nicht fragen, ob sie geimpft sind oder nicht.«
New Hampshire war 2020 der letzte Staat in der Region Neuengland im Nordosten der USA, der das Tragen von Masken in der Öffentlichkeit vorschrieb, um die Ausbreitung von Sars-CoV-2 einzudämmen. Am 16. April 2021 hob New Hampshire diese Vorschrift schließlich als erster Staat in der Region auch wieder auf und folgte damit dem Beispiel mehrerer anderer Bundesstaaten, die ihre Beschränkungen im Zusammenhang mit der Pandemie ebenfalls lockerten.
Städte und Unternehmen in New Hampshire können nach wie vor ihre eigenen Regeln festlegen. Perkins fühlt sich – selbst nachdem die CDC ihre Richtlinien US-weit angepasst haben – mit maskenlosen Menschen in ihrem Geschäft unwohl. Sie weiß, dass einige Kunden ein geschwächtes Immunsystem haben, und neue Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass Menschen in dieser Gruppe auch nach der Impfung noch gefährdet sind. »Wir haben uns deshalb entschieden, noch zu warten – bis wir ein besseres Gefühl bei der Sache haben und bis die Zahlen für uns etwas mehr Sinn ergeben«, sagt sie. Selbst wenn das bedeutet, sich hin und wieder mit ungehaltenen Kunden auseinanderzusetzen.
Zu früh gelockert?
Anne Hoen, Epidemiologin am Dartmouth College, kann Perkins' Vorsicht verstehen. In ihren Augen haben Staat und Bundesstaaten die Maskenpflicht ein bisschen zu früh gelockert. Studien belegen relativ eindeutig, dass Masken das Risiko, sich mit Covid-19 zu infizieren und am Ende daran zu sterben, reduzieren. Trotzdem kämpfen Wissenschaftler und Experten aus dem Gesundheitswesen auch heute – fast eineinhalb Jahre nach Beginn der Pandemie – noch damit, Menschen dazu zu bringen, sie in den richtigen Momenten aufzusetzen. So werden in den USA seit Mitte Februar im Schnitt immer weniger Masken genutzt, obwohl die Infektionszahlen in der Zwischenzeit an einigen Orten wieder gestiegen sind.
Monica Gandhi, die sich an der University of California in San Francisco mit Infektionskrankheiten befasst, gehört zu den Fachleuten, die betonen, dass sich Vorgaben zum Maskentragen angesichts der steigenden Impfraten weiterentwickeln sollten. Behörden sollten damit beginnen, die Einschränkungen zu lockern, um den Menschen Hoffnung zu geben und sie zur Impfung zu motivieren, sagt sie. Doch solche Lockerungen müssten mit Vorsicht und Bedacht erfolgen.
»Das Tragen von Masken sollte wahrscheinlich zu den letzten Dingen gehören, die wir abschaffen«
Anne Hoen, Epidemiologin
Etwa zur gleichen Zeit, als New Hampshire die Maskenpflicht für Geimpfte aufhob, begannen die Infektionszahlen in Indien zu steigen. Strenge Maskenvorschriften hatten dort im September 2020 dazu beigetragen, die erste Infektionswelle einzudämmen. Doch als die Infektionszahlen wieder sanken, ließen immer mehr Menschen die Maske weg und nahmen an großen Versammlungen teil. Covid-19 hat dadurch – auch dank neuer Varianten – schnell wieder die Oberhand gewonnen. Nun bemühen sich die Verantwortlichen verzweifelt darum, die Menschen zur Impfung zu bewegen und dazu, die Masken wieder aufzusetzen.
»Das Tragen von Masken sollte wahrscheinlich zu den letzten Dingen gehören, die wir abschaffen«, sagt Hoen. Zumal es nicht so einfach ist, eine einmal abgeschaffte Maskenpflicht wieder in Kraft zu setzen. Sie hofft deshalb, dass andere Länder sich in diesem Punkt nicht an den USA orientieren.
Jena war Vorreiter in Sachen Maskenpflicht
Die Maskenpflicht wurde vielerorts schon relativ früh in der Pandemie eingeführt. Am 6. April 2020 schrieb die Stadt Jena als eine der ersten weltweit das Tragen von Masken in der Öffentlichkeit vor. Oberbürgermeister Thomas Nitzsche erlebte zwei schlaflose Nächte, bevor die neue Richtlinie in Kraft trat. »Ich wusste nicht, ob sich die Menschen daran halten würde«, sagt er. »Zum Glück taten sie es.«
Laut Studien ging die Zahl der Neuinfektionen in den ersten 20 Tagen nach Einführung der Maskenpflicht in der Stadt mit rund 110 000 Einwohnern um etwa 75 Prozent zurück. Doch es ist nicht so, dass sich mit der Einführung einfach ein Schalter umlegen lässt: Immer mehr deutet darauf hin, dass es auch auf eine gute Kommunikation und passende Vorbilder ankommt, damit die Bevölkerung solche Maßnahmen annimmt. In Jena etwa wurde die Maskenpflicht damals von einer breiten Informationskampagne begleitet. Plakate in der ganzen Stadt verkündeten »Jena zeigt Maske«, und Nitzsche selbst ließ sich in einer Straßenbahn mit Maske ablichten.
Für den Oberbürgermeister war es schlicht eine Frage des gesunden Menschenverstands, frühzeitig auf Masken zu setzen. Andere Städte und Bundesländer in Deutschland brauchten länger, um diese Entscheidung zu treffen. Viele von ihnen führten die Maskenpflicht erst ein, als die Fallzahlen weitaus stärker in die Höhe schnellten. Während es in Jena fünf Tage nach Beginn der Maskenpflicht keine neuen Covid-19-Fälle mehr gab, breitete sich das Virus in der nahe gelegenen Landeshauptstadt Erfurt weiter aus. Die Verbreitung verlangsamte sich erst, als hier ebenfalls Masken zum Einsatz kamen, wie eine Preprint-Studie von Verantwortlichen des öffentlichen Gesundheitswesens in Jena belegt.
In anderen Ländern zeigte sich ein ähnliches Bild. China und andere asiatische Länder setzten früh auf Masken und verhinderten so wahrscheinlich eine großflächige Ausbreitung des Virus. Nitzsche wurde hingegen von der Tschechischen Republik inspiriert, die Mitte März 2020 das Tragen von Masken an bestimmten öffentlichen Orten vorschrieb.
Masken haben das Wachstum der Infektionszahlen verlangsamt
Klaus Wälde, Wirtschaftswissenschaftler an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, glaubt, dass der Rest von Deutschland dem Beispiel Jenas schneller hätte folgen sollen. Andererseits boten die asynchronen Maskenverordnungen Wälde und anderen Forscherinnen und Forschern eine einzigartige Gelegenheit. Gemeinsam mit seinen Kollegen wertete er die Daten aus gut 400 Regionen in ganz Deutschland aus, um den Effekt der Maskenpflicht auf die Übertragung von Sars-CoV-2 einzuschätzen. Die Schlussfolgerung des Teams: Die Vorschrift, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen, senkte die tägliche Wachstumsrate der gemeldeten Covid-19-Fälle um mehr als 40 Prozent.
In eine ähnliche Richtung weist eine Studie aus den USA, die im Januar 2021 veröffentlicht wurde. Darin fanden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler heraus, dass das verpflichtende Tragen von Masken am Arbeitsplatz die wöchentliche Zunahme an Infektionen und Todesfällen Ende April 2020 um zehn Prozentpunkte hätte senken können. Das hätte die Zahl der Todesfälle bis Ende Mai 2020 um 47 Prozent (oder um fast 50 000) verringert. Eine andere Untersuchung, die im Oktober 2020 vorab auf einem Preprint-Server veröffentlicht wurde, brachte die Maskenpflicht mit einem Rückgang der wöchentlichen Fallzahlen in Kanada um 20 bis 22 Prozent in Verbindung.
Zahlreiche Beobachtungs- und Laborstudien zeigen, dass Masken sowohl ihren Träger als auch die Menschen in seiner Umgebung schützen. Sie können Viruspartikel abblocken, die sich in Tröpfchen und Aerosolen befinden. Eine im Februar 2021 veröffentlichte Studie der US National Institutes of Health weist zudem darauf hin, dass die Feuchtigkeit, die sich im Inneren einer Maske bildet, dazu beitragen könnte, die Abwehrkräfte der Lunge gegen Krankheitserreger zu stärken.
Daten aus den USA legen allerdings auch nahe, dass es nicht damit getan ist, einfach eine Maskenpflicht zu verhängen. Einer Umfrage mit mehr als 350 000 Teilnehmern vom März 2021 zufolge griffen die Befragten im Lauf der Zeit auch unabhängig von staatlichen Regelungen häufiger zur Maske. Die Vorschriften hatten zwar einen messbaren Einfluss, doch worauf es wirklich ankam, war das tatsächliche Verhalten der Bevölkerung.
Was wird also nötig sein, um die Menschen wieder zum Tragen von Masken zu bewegen, falls die Infektionszahlen erneut ansteigen sollten? Wie lassen sich Ungeimpfte dazu motivieren, weiterhin mit einen Stück Stoff vor dem Gesicht herumzulaufen, gerade jetzt, wo die Pandemiemüdigkeit überall zunimmt? Möglicherweise können frühere Pandemien dabei helfen, diese Fragen zu beantworten.
Die Aids-Epidemie als Vorbild
Zu Beginn der HIV/Aids-Epidemie in den 1980er Jahren standen die Gesundheitsbehörden ebenfalls vor einer großen Herausforderung, als sie versuchten, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen. Das Problem bestand nicht unbedingt darin, den Menschen zu vermitteln, dass eine physische Barriere – in diesem Fall ein Kondom – eine Infektion verhindern kann. Es lag vielmehr in der Risikowahrnehmung der Leute, sagt Ronald Valdiserri, Epidemiologe an der Emory University in Atlanta, Georgia. Während homosexuelle Männer die Todesfälle in ihrer Community nur schwer ignorieren konnten, sahen viele Heterosexuelle Aids als eine »Schwulenkrankheit« an und dachten, sie seien selbst nicht besonders gefährdet, sich anzustecken.
»Es gab Leute, die dachten: ›Das ist nichts, was meine Gemeinde, meine Stadt oder meine Nachbarschaft betrifft. Warum sollte ich also eine Maske tragen?‹«
Ronald Valdiserri, Epidemiologe
Zu Beginn der Corona-Pandemie reagierten viele Menschen ähnlich: »Es gab Leute, die dachten: ›Das ist nichts, was meine Gemeinde, meine Stadt oder meine Nachbarschaft betrifft. Warum sollte ich also eine Maske tragen?‹«, sagt Valdiserri.
Bei Aids haben Gesundheitsexperten bald damit begonnen, ihre Aufklärungsbotschaften an die verschiedenen Bevölkerungsgruppen anzupassen. Unter Sexarbeitern in Afrika haben sich Gleichgesinnte als beste Wortführer entpuppt. Fußballstars halfen hingegen dabei, Kondome bei Männern erfolgreich zu vermarkten. Und als die Krankheit sich in den frühen 1980er Jahren in San Francisco und New York ausbreitete, setzte eine effektive Kampagne auf attraktive schwule Männer, die anderen homosexuellen Männern Kondome als »spaßig und sexy« anpriesen, erklärt die Epidemiologin Susan Hassig von der Tulane University in New Orleans.
Das Image von Masken zu verbessern, könnte sich lohnen
Doch kann das Tragen von Gesichtsmasken jemals Spaß machen oder sexy sein? Obwohl es bislang keine Studien zu dieser Frage gibt, ist die Idee gar so nicht abwegig. So gibt es im Internet zum Beispiel zahlreiche Anleitungen, wie man lustige Masken für Kinder bastelt, und zahlreiche Geschäfte verkaufen den Mund-Nasen-Schutz inzwischen in modischen Designs. Bei der Grammy-Verleihung im März 2021 in Los Angeles zogen Stars die Aufmerksamkeit mit Masken auf sich, die zu ihren Outfits passten.
Die Gesundheitswissenschaftlerin Helene-Mari van der Westhuizen von der University of Oxford beklagt vor allem, dass Masken zu Beginn der Pandemie in erster Linie als medizinische Objekte betrachtet wurden, die man auf eine bestimmte Art und Weise handhaben, tragen und bei bestimmten Temperaturen waschen muss. Die Einführung von bunten Stoffmasken habe ihnen hingegen etwas Verspieltes und Alltägliches verliehen. Das habe sicher zur Akzeptanz beigetragen, sagt van der Westhuizen, die dafür plädiert, das Tragen von Masken eher als soziales und nicht als medizinisches Verhalten zu betrachten. Am Ende sei es wichtig, eine gute Balance zu finden. So seien Masken mit Ventilen etwa zeitweise modern gewesen, obwohl sie die Ausbreitung von Viruspartikeln nicht verhindern. Das sei ein Beispiel für eine schädliche Modeerscheinung, erklärt die Expertin. Masken müssten nach wie vor funktionieren.
Dass Maske nicht gleich Maske ist, kommt auch in anderen Fälle erschwerend hinzu. Einfache Stoffmasken schützen zum Beispiel gut andere Menschen, nicht aber den Träger selbst, sagt Jeremy Howard von der University of San Francisco. Medizinische High-End-Masken könnten hingegen für den Alltagsgebrauch zu viel des Guten sein. Howard empfiehlt deshalb, auf die weit verbreiteten KN95- beziehungsweise FFP2-Masken zurückzugreifen – die inzwischen übrigens ebenfalls in verschiedenen Farben erhältlich sind.
Ein Werkzeug für zukünftige Pandemien
Obwohl es unwahrscheinlich ist, dass Masken in vielen westlichen Ländern auch nach der Pandemie noch ähnlich rege genutzt werden, geht van der Westhuizen davon aus, dass das Maskentragen durch Sars-CoV-2 dennoch deutlich an Akzeptanz zugelegt hat. »Es ist wirklich bemerkenswert, wie weit verbreitet diese neue Gewohnheit geworden ist. Wir haben ein wertvolles Präventionswerkzeug hinzugewonnen.«
Van der Westhuizen hat nicht nur künftige Varianten von Sars-CoV-2 im Blick, die sich vielleicht noch entwickeln könnten, oder die nächste Grippeepidemie. Zu einem der Forschungsschwerpunkte der Wissenschaftlerin gehört auch die Tuberkulose, die in Südafrika zu den häufigsten Todesursachen zählt. Obwohl Studiendaten zeigen, dass Masken auch hier helfen könnten, die Verbreitung einzudämmen, haben soziale Normen und Stigmatisierung bislang verhindert, dass sie großflächig zum Einsatz kamen. »Die Pandemie hat dieses Stigma aufgebrochen«, sagt van der Westhuizen.
Epidemiologin Susan Hassig fühlt sich im Hinblick auf das Tragen von Masken auch an andere Gesundheitsmaßnahmen erinnert. So wurde das Anlegen von Sicherheitsgurten in Fahrzeugen etwa vielerorts zunächst als Empfehlung ausgesprochen und erst dann zum Gesetz erhoben. Schließlich begann die Polizei, diejenigen zu bestrafen, die sich nicht daran hielten, und das Anschnallen wurde zur Norm. »Es kommt sehr selten vor, dass eine gesundheitspolitische Maßnahme ohne eine Art Durchsetzungsmechanismus auf breiter Front akzeptiert wird.«
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.