Covid-19: Wie sinnvoll die Impfung von Kindern wirklich ist
Die Infektionszahlen steigen besonders bei den Kindern rapide an – und bis jetzt sind nicht einmal 20 Prozent der Fünf- bis Elfjährigen mindestens einmal geimpft. Derzeit liegt die Inzidenz bei mehr als 3000 Fällen auf 100 000 Menschen. Die Dynamik der Omikronwelle lässt jedoch befürchten, dass in absehbarer Zeit die einzige Alternative zur Impfung die Infektion ist. Im November waren Kinderärzte noch vorsichtig mit der Impfung von Fünf- bis Elfjährigen. Wie hat sich die Datenlage seitdem verändert?
Bis jetzt empfiehlt die STIKO die Impfung in dieser Altersklasse nur für Risikogruppen, ermöglicht aber die Impfung für alle Eltern und Kinder, die dies wollen. »Die STIKO ist in Deutschland unser Fachgremium für die Impfempfehlungen und trifft gründliche Entscheidungen, da sie sich sehr sorgfältig informiert und abwägt«, sagt Jörg Dötsch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin und Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin, Uniklinik Köln. »Es ist sehr gut, dass sie den Eltern die Möglichkeit lässt, sich für die Impfung zu entscheiden – wir als Kinderärzte respektieren beide Entscheidungen.«
Zuletzt haben Mediziner unterschiedlicher Fachrichtungen in einer Stellungnahme dafür plädiert, Kinder endlich besser vor Infektionen zu schützen, unter anderem Julian Schmitz, Professor für klinische Kinder- und Jugendpsychologie an der Uni Leipzig, Joachim Riedel, Ärztlicher Leiter am Werner Otto Institut für Kinder- und Jugendmedizin im Hamburg, und Jana Schroeder, Chefärztin für Infektiologie am Mathias-Spital in Rheine. »Die Impfungen von Kindern sollten effizient durchgeführt, niederschwellig angeboten und im Sinne einer Impfkampagne beworben werden«, heißt es darin.
Wie viele Kinder wirklich krank werden
Auch Christian Drosten hatte zuletzt die organisierten Kinderärzte kritisiert. »Die Situation im Schulbetrieb, da haben natürlich die kinderärztlichen, pädiatrischen Fachgruppen, Fachverbände, Fachgesellschaften über lange Zeit wirklich ihren Einfluss stark geltend gemacht«, sagte er im Corona-Virus-Update des NDR. »Und was wir jetzt haben, sowohl dass die Impfquote so ist, wie sie ist, und nicht höher, als auch, dass der Schulbetrieb relativ uneingeschränkt mit hohen Infektionszahlen und bei vielen Eltern mit großen Sorgen läuft, ist darauf zurückzuführen.«
Am Anfang kamen in Südafrika ungewöhnlich viele Kinder mit Omikron ins Krankenhaus, im Dezember dann in Großbritannien. »Das individuelle Risiko für schwere Verläufe ist durch Omikron zwar auch bei den Kindern gesunken«, sagt Jörg Dötsch. »Aber wenn zehnmal mehr infiziert werden als zuvor, steigen die Krankenhauseinweisungen trotzdem.« Inzwischen zeigen Daten aus England, dass sich die Hospitalisierungen zwischen Delta und Omikron nicht wesentlich unterscheiden. Ein etwas höherer Anteil von Kindern unter fünf Jahren wird mit Omikron eingewiesen, mit Delta kamen ältere Kinder öfter ins Krankenhaus.
Gleichzeitig gehen die Aufnahmen auf den Intensivstationen wegen schwerer Verläufe zurück. Neue Studien aus den USA zeigen, dass unter der Omikron-Welle an einigen Stellen die Zahl der Kinder nach oben schoss, die Atemwegssymptome (Husten bis zur Atemnot) hatten. Dies betrifft Kinder von einem halben bis zu drei Jahren. Grund ist wohl, dass Omikron im Gegensatz zu vorherigen Varianten sich eher in den oberen Atemwegen vermehrt. Diese sind bei kleineren Kindern anfälliger, da sie bei ihnen feiner sind.
Viele Eltern fürchten PIMS
Die akuten Folgen sind aber ohnehin nicht das, wovor sich die meisten Eltern fürchten. Da ist zum einen PIMS (»Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome«) oder auch MIS-C (»Multisystem Inflammatory Syndrome in Children«). Meistens tritt es drei bis sechs Wochen nach überstandener Sars-Cov2-Infektion auf. Hauptsymptome sind plötzliches, sehr hohes Fieber und Entzündungen der inneren Organe. Sogar wenn ein Kind keine Covid-Symptome hatte, kann es diese Komplikation entwickeln. In Deutschland wurden rund 660 Fälle in dem entsprechenden Register gemeldet, wahrscheinlich liegt die tatsächliche Zahl etwas höher. Mehr als die Hälfte der Kinder müssen auf die Intensivstation. Betroffen sind vor allem Kinder ohne Vorerkrankung, zuletzt wirkte es mancherorts so, als stiege die Zahl der Fälle parallel zu den Fallzahlen.
»Das sind Kinder, die schwer krank sind, etwa die Hälfte muss auf der Intensivstation behandelt werden«, sagt Johannes Trück, Pädiatrischer Immunologe am Unispital Zürich. »Die meisten erholen sich komplett, aber einige können längerfristig Probleme haben.« Vor allem die Folgen auf das Herz im späteren Leben seien noch unklar. »Im Vergleich mit Erwachsenen mögen die schweren Verläufe bei Kindern selten sein«, sagt Trück. »Doch weil es in der Pandemie so viele Infektionen gibt, sehen wir eben trotzdem schwere Verläufe.« Er vergleicht die Häufigkeit mit der Infektion mit Meningokokken, Bakterien, die ein schwere Hirnhautentzündung verursachen können. In Deutschland gab es 257 Fälle schwerer Meningokokken-Infektionen im Jahr 2019 und im Jahr darauf 138 Fälle – und dagegen lassen die meisten Eltern ihre Kinder impfen.
Die Pädiater waren anfangs skeptisch gegenüber der Covid-Impfung für Kinder, weil noch nicht klar war, ob diese tatsächlich PIMS verhindert. Das zeigt sich nun aber immer deutlicher, etwa in der ersten Studie aus Frankreich: Von 107 Kindern mit PIMS war keines zuvor doppelt geimpft gewesen, sieben Kinder hatten erst eine Impfung hinter sich. Eine Auswertung der US-Seuchenbehörde CDC ergab, dass der Impfstoff von Biontech/Pfizer – der einzige, der für Kinder momentan zugelassen ist –, 12- bis 18-Jährige zu 91 Prozent vor PIMS schützt. Zum Zeitpunkt der Datenerhebung war die Impfung für Jüngere noch nicht zugelassen.
Wie viele Kinder Long Covid kriegen, ist unklar
Dann ist da noch Long Covid. Wie viele infizierte Kinder längerfristig dadurch gehandikapt sein werden, ist noch nicht klar. Die Definition ist unscharf, oft fehlt den Studien eine Kontrollgruppe von Kindern, die nicht infiziert waren, zudem überlappen sich die Symptome psychischer Belastung durch die Pandemie mit denen von Long Covid. Allerdings gibt es Studien, die von 2 bis 13 Prozent ausgehen. Um die Studienergebnisse wird gestritten. Aber selbst wenn nur ein geringer Prozentsatz der Kinder und Jugendlichen Long Covid entwickelt – derzeit werden sehr viele von ihnen infiziert, deswegen könnte am Ende eine beträchtliche Zahl von ihnen betroffen sein.
»Ja, es ist viel seltener, aber es gibt Long Covid auch bei Kindern«Onur Boyman, Unispital Zürich
Dass die Impfung viele Menschen vor Long Covid schützt, legen Daten aus Israel nahe. Viele Eltern fragen sich, warum sie riskieren sollten, dass aus einem Kind voller Energie und Lebensfreude eines wird, das sich zu nichts mehr aufraffen kann. »Ja, es ist viel seltener, doch es gibt Long Covid auch bei Kindern«, konstatiert Onur Boymann, Direktor der Klinik für Immunologie am Unispital Zürich, der zum Thema Long Covid forscht. Ob man Kinder impfe, sei letztlich eine individuelle Nutzen-Risiko-Abschätzung.
Was gibt es Neues zu möglichen Risiken durch die Impfung? Eine Auswertung von 8,7 Millionen Impfungen bei Fünf- bis Elfjährigen aus den USA ergab – nahezu keine schweren Nebenwirkungen. »Die Gefahr einer Herzmuskelentzündung nach der zweiten Impfung ist bei den 5- bis 11-Jährigen um den Faktor 10 niedriger als bei den 12- bis 15-Jährigen«, sagt Jörg Dötsch.
Viel spricht für die Kinderimpfung
»Sehr viel spricht für die Impfung in dieser Altersklasse.« Schon bei den 12- bis 20-Jährigen war das Risiko einer Myokarditis bei den mit Sars-Cov-2 infizierten männlichen Kindern sechsmal höher als nach einer Impfung. Und dieser Vergleich ist bei einem so hohen Infektionsgeschehen, wo über kurz oder lang kein Kind um eine Infektion herumkommen wird, maßgeblich.
»Ist es sicherer, sich mit einer natürlichen Infektion einer nicht einschätzbaren Virusdosis auszusetzen oder sich einer klar definierten Dosis eines Impfstoffs auszusetzen?«, fragt Immunologe Onur Boyman. »Das Nutzen-Nebenwirkungsprofil bei einer Impfung ist sehr positiv. Die Impfung bei Kindern ist durchaus sinnvoll.«
Aber wie gut schützt sie überhaupt noch? Das Präparat von Biontech/Pfizer hatte laut Phase-III-Studie eine 90-prozentige Wirksamkeit gegen eine symptomatische Infektion mit Sars-Cov-2. Gegen die Omikron-Variante ist der Schutz vor Infektion schlechter. Vorläufige Daten aus Israel zeigten im Januar, dass von 53 000 infizierten Kindern 47 000 ungeimpft waren, die Schutzwirkung gegen Omikron ging aber auf zirka 50 Prozent zurück. Gegen schwere Verläufe dürfte der Impfstoff bei den Kindern erst recht wirken, denn sogar in höherem Alter müssen sie kaum ins Krankenhaus eingewiesen werden. So war auch kein einziges der in der israelischen Studie erfassten Kinder wegen einer Omikron-Infektion in kritischem Zustand.
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