Kosmologie: Dämmerung im Reich des Dunklen
Zuletzt haben die Dunkle-Materie-Detektoren zwar viel Widersprüchliches erbracht. Doch Forscher sind sich einig: Dem Feld steht der große Durchbruch bevor.
Es ist schon bemerkenswert, wie es einer komplett unsichtbaren Substanz gelingt, derart unübersehbar zu sein. Zwar weiß noch immer niemand genau, woraus Dunkle Materie eigentlich besteht, aber den Einfluss ihrer Gravitationskraft auf Galaxien, ganze Galaxienhaufen und sogar noch größere Strukturen beobachten Astronomen seit den 1930er Jahren. Alles in allem scheint es im Universum rund 5,5-mal mehr Dunkle als "normale" Materie zu geben.
Doch auf das "Was" der Dunklen Materie eine Antwort zu suchen, gleicht der Jagd nach einem Geist. Zahlreiche Detektoren befinden sich derzeit in Betrieb, doch sie haben alles außer einheitlichen Resultaten geliefert. Zwei Wissenschaftlerteams wollen unabhängig voneinander einen Strom Dunkler Materie aufgefangen haben, eine andere Gruppe scheint hingegen bestenfalls eine Hand voll Partikel beobachtet zu haben, die sie selbst aber als Hintergrundrauschen abtun. Und ein viertes Team hat bei seinen Messungen gleich gar nichts entdeckt.
Glücklicherweise dürfte dieser Zustand der Verwirrung nur von vorübergehender Dauer sein. Dunkle-Materie-Detektoren reagieren heutzutage um das rund 1000-Fache empfindlicher auf seltene Ereignisse als noch vor 20 Jahren, und im Verlauf des nächsten Jahrzehnts dürfte sich dies nochmals um den Faktor 100 steigern lassen. Der Grund dafür sind immer größere Detektoren und wachsendes Knowhow, wie sich das allgegenwärtige Rauschen vom gesuchten Signal unterscheiden lässt.
Großes steht bevor
"Mich würde es nicht überraschen, wenn sich im nächsten Jahr jemand hinstellt und sagt: 'Wir haben Dunkle-Materie-Teilchen nachgewiesen'", meint Sean Carroll, theoretischer Physiker vom California Institute of Technology in Pasadena. Andere Physiker äußern sich vorsichtiger und tippen auf Zeiträume von fünf bis zehn Jahren. Doch kaum einer, der nicht daran glaubt, dass dem Feld der ganz große Durchbruch bevorsteht.
Ausgangspunkt für die allermeisten Nachweisverfahren ist die Überlegung, dass Dunkle Materie im Weltraum aus einem Dunst schwach interagierender, massereicher Partikel, so genannter WIMPs, besteht, die noch aus den Zeiten des Urknalls stammen. Die WIMPS (weakly interacting massive particles) könnten in beliebig hoher Zahl durch Sterne, Planeten oder jede andere Form von Materie fliegen, ohne praktisch jemals mit einem anderen Teilchen zu kollidieren, und wären gleichzeitig schwer genug, um sich durch ihren kombinierten gravitativen Einfluss bemerkbar zu machen.
Die Strategie der Detektoren ist daher immer dieselbe: Man nehme einen möglichst großen Klumpen Materie, verstecke ihn in einer Höhle oder einem Stollen vor kosmischer Strahlung und anderen Fehlerquellen und warte, bis es der Zufall will, dass doch einmal ein WIMP mit einem Teilchen aus der Zielmasse zusammenstößt. Die Rückstoßenergie, die dabei freigesetzt wird, lässt sich messen. Wobei gilt: Je größer der Materieklumpen, desto höher die Wahrscheinlichkeit einer solchen Kollision.
Wie davon abgesehen der eigentliche Versuchsaufbau idealerweise aussehen sollte, können auch die Forscher nur erraten. Einen signifikanten Rückstoßeffekt erhält man beispielsweise nur, wenn die Atomkerne der Zielmasse in etwa dieselbe Masse wie das zu detektierende Teilchen haben. Angenommen man würde nach einer unsichtbaren Billardkugel suchen, erklärt der Teilchenphysiker Jonathan Feng von der University of California in Irvine, und man verwende Bowlingkugeln als Detektormaterial, dann würde man den Aufprall kaum bemerken. Tischtennisbälle hingegen könnten die gesuchten Kugeln kaum aufhalten, und wieder könne man nichts erkennen. "Man braucht im Wesentlichen eine zweite Billardkugel", sagt Feng.
Hinweise auf die Eigenschaften von WIMPs erhoffen sich einige von der Theorie der Supersymmetrie. Für sie ist die Vorstellung grundlegend, dass jedes Teilchen des Standardmodells der Physik einen schwereren Partner hat [1]. Eines dieser Partnerteilchen, das als WIMP in Frage käme, ist das Neutralino. Es hat laut Theorie genau die Eigenschaften, mit denen man die Verteilung Dunkler Materie im Weltall erklären könnte: eine hinreichend schwache Interaktion mit anderen Teilchen, aber die beachtliche Masse vom 50-Fachen bis hin zum Mehrere-Tausend-Fachen einer Protonenmasse.
Höhlenforschung
Eines der angesehensten Experimente zum Nachweis von Neutralinos ist das XENON Dark Matter Search Experiment, das sich im unterirdischen Teil des Gran-Sasso-Nationallabors im italienischen L'Aquila befindet. Wie der Name schon nahelegt, besteht die Detektormasse aus flüssigem Xenon, das in einem Tank im Herzen der Anlage aufbewahrt wird. Mit einer Masse von etwas über 131 u sind die Xenonatome ideal dafür geeignet, WIMPs am leichteren Ende des supersymmetrischen Spektrums aufzuspüren – ein vergleichsweise einfacher Einstieg in die Jagd nach der Dunklen Materie.
Ein erster, elftägiger Messlauf erbrachte zwar keinen direkten Befund [2], lieferte aber immerhin ein für sich genommen sehr interessantes Teilergebnis: WIMPs mit Massen unterhalb von 100 Gigaelektronvolt (GeV) hätten sich in jedem Fall zeigen müssen, meint Laura Baudis, die die XENON-Gruppe an der Universität Zürich leitet. Dass sie es nicht taten, lasse nur den Schluss zu, dass Teilchen mit einer Masse unterhalb dieser Grenze ausgeschlossen werden könnten. Leider lieferte ein anschließender Durchlauf von 100 Tagen Dauer verwirrende Ergebnisse: Die Forscher haben offenbar noch immer mit einer unerwartet hohen Hintergrundstrahlung auf Grund winzigster Verunreinigungen im Xenon zu kämpfen [3].
Nach Teilchen mit Massen von vergleichbaren Größenordnungen sucht auch das Cryogenic Dark Matter Search Experiment in der aufgelassenen Soudan-Mine im Norden von Minnesota. Als Medium setzen die Wissenschaftler eine Kombination aus Silizium- und Germaniumkristallen ein. Beide Elemente gehören zu den wenigen Feststoffen, die sich in einer Reinheit herstellen lassen, die den Ansprüchen der Forscher genügt. Während des Betriebs sind die Kristalle auf eine Temperatur von gerade einmal 40 Millikelvin heruntergekühlt, so dass jede Temperaturerhöhung in Folge einer Teilchenkollision aufgespürt werden kann.
Leichtgewichte gehen in die Falle
Auf der anderen Seite widersprechen die Ergebnisse von XENON und CDMS anderen Experimenten. Denn deren Betreiber vertreten die Auffassung, genau jene Teilchen geringer Masse entdeckt zu haben. Eines davon, das faszinierendste und zugleich umstrittenste Projekt, heißt Dark Matter Large Sodium Iodide Bulk for Rare Processes (DAMA/LIBRA), das sich mit XENON den Platz im Tiefgeschoss des Gran-Sasso-Labors teilt. DAMA baut auf dem Prinzip auf, dass das Sonnensystem dank der Bewegung der Sonne um das Zentrum der Milchstraße mit annähernd 220 Kilometern pro Sekunde durch Zonen voll Dunkler Materie befördert wird.
Genau das will das DAMA-Team, dessen Vorrichtung Szintillationsblitze in Natriumiodidkristallen ausfindig macht, beobachtet haben – über einen Zeitraum von 13 Jahren [5]. Die Detektoren können allerdings nicht zwischen WIMPs und der gewöhnlichen Strahlung aus der Umgebung der Anlage unterscheiden. Die Behauptung des Teams steht und fällt daher mit der Annahme, dass die natürliche Strahlung keinen jahreszeitlichen Schwankungen unterworfen ist und daher herausgerechnet werden kann. Sollten sie mit ihrer Analyse Recht behalten, wäre der Konflikt mit den XENON- und CDMS-Ergebnissen unausweichlich.
"Wäre das Signal so groß, wie behauptet wird, hätten wir und auch andere Teams es sehen müssen", sagt Leo Stodolsky vom Max-Planck-Institut für Physik in München, der am Projekt Cryogenic Rare Event Search with Superconducting Thermometers (CRESST) arbeitet, das ebenfalls am Gran Sasso aufgebaut ist. Er teilt die Kritik vieler Wissenschaftler am Grundgedanken von DAMA: Es kämen zahllose jahreszeitliche Prozesse als Quelle für die von DAMA detektierten subatomaren Teilchen in Betracht, selbst etwas so Profanes wie das Tauen und Gefrieren des Schnees in den Bergen oberhalb des Labors.
Auch die Tatsache, dass kein anderes Experiment zum Nachweis Dunkler Materie auf eine jahreszeitliche Periodizität setzt, untergräbt die Aussagekraft von DAMA, da so seine Resultate nicht von unabhängigen Stellen reproduziert werden können. Doch allen Kritikern zum Trotz wird das Signal, das die Detektoren von DAMA registrieren, von Jahr zu Jahr stärker. "Die DAMA-Leute hatten einfach Mut", sagt Juan Collar von der University of Chicago, "die sind mit einem klaren Statement rausgekommen", während andere Teams ihre Ergebnisse lieber in aller Vorsicht als Rauschen einstuft hätten.
Rätselhafte Strahlen aus dem Zentrum der Galaxis
Möglicherweise handelt es sich dabei um dieselben Kandidaten, die auch DAMA auffing, aber eher nüchterne Interpretationen sind ebenso möglich: "Bei CoGeNT kann man sehr leicht das Signal und den Hintergrund miteinander verwechseln", meint etwa David Kaplan von der Johns Hopkins University in Baltimore. Das Team hat deshalb angekündigt, ein ganzes Jahr mit der Veröffentlichung weiterer Daten zu warten, um nach den jahreszeitlichen Schwankungen Ausschau halten zu können, die in den DAMA-Ergebnissen zum Vorschein kamen.
Unterdessen ist in Forscherkreisen eine Diskussion über ein alternatives Nachweisverfahren entbrannt. Zu den vielen seltsamen Eigenschaften der Dunkle-Materie-Teilchen gehört auch, dass sie ihre eigenen Antiteilchen sein können. Wo besonders viele Teilchen an einer Stelle vorkommen, sollten sich immer wieder Teilchen-Antiteilchen-Paare gegenseitig vernichten und dabei Gammastrahlung aussenden. Insbesondere das Zentrum der Milchstraße käme als Quelle für diese Strahlung in Frage, denn hier müsste sich eigentlich die Dunkle Materie ballen, so Dan Hooper, Astronom vom Fermi National Accelerator Laboratory in Batavia. Hinweise auf einen Strahlungsüberschuss aus Richtung des galaktischen Zentrums will Hooper in den Daten des weltraumgestützten Fermi-Gammastrahlenobservatoriums der NASA entdeckt haben [7].
Man finde ziemlich genau die Muster in den Daten, die man auf Grund Dunkler Materie erwarten würde, meint der theoretische Physiker Neal Weiner von der New York University. Die Ergebnisse sprächen für Teilchen von 7,3 bis 9,3 GeV Masse, was von der Größenordnung her gut zu den Beobachtungen von CoGeNT und DAMA passen würde.
Doch auch dieser Ansatz stößt auf kritische Stimmen: "Die Verhältnisse im galaktischen Zentrum sind enorm komplex", sagt Doug Finkbeiner vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics in Cambridge. Erst müsse man alle anderen Möglichkeiten ausschließen, bevor man die Ursache dieser Strahlung in Teilchen-Antiteilchen-Annihilationen sehen könne. Das verräterische Signal könne laut Finkbeiner auch von bislang unbeobachteten Pulsaren stammen. Diese schnell rotierenden Neutronensterne würden nämlich ebenfalls erhebliche Mengen hochenergetischer Strahlung aussenden.
Zufall oder tiefere Wahrheit?
Hoopers Analysen haben dennoch einigen Forschern Anlass zur Hoffnung gegeben. Wenn die Resultate von gleich drei Detektoren auf Teilchen annähernd identischer Masse hindeuteten, "fragt man sich doch, ob das alles nur Zufall sein kann", meint Collar.
Ähnliche Überlegungen haben auch andere Forscher dazu gebracht, die Natur der Dunklen Materie möglichst unvoreingenommen zu überdenken. Sollten CoGeNT und DAMA Recht haben, meint etwa Jonathan Feng, haben wir es bei Dunkler Materie nicht mit dem erwarteten Neutralino zu tun, denn das müsste schwerer sein und dürfte nicht so bereitwillig mit den Detektoren interagieren. Möglicherweise besteht Dunkle Materie also aus einem ganz anderen Teilchen – oder aber die Vorstellung eines einzelnen WIMPs ist grundverkehrt.
"Die fünf Prozent des Universums, aus denen wir bestehen, sind bereits außerordentlich komplex", sagt Philip Schuster vom Perimeter Institute for Theoretical Physics im kanadischen Waterloo. Der "Teilchenzoo" des Standardmodells sieht so seltsame Vertreter wie Myonen, Neutrinos und Quarks vor. "Da ist es ein bisschen verrückt anzunehmen, dass die anderen 85 Prozent so einfach aufgebaut sein sollten."
Die gute Nachricht ist, dass aller Wahrscheinlichkeit nach noch in diesem Jahr sowohl XENON100 als auch CoGeNT erstmals ein Jahr umfassende Datensätze vorlegen werden. Außerdem dürften in absehbarer Zeit noch empfindlichere Anlagen wie das Large Underground Xenon (LUX) und das Xenon neutrino Mass (XMASS) in Betrieb genommen werden. "Momentan steht noch Aussage gegen Aussage", meint Weiner, "aber das wird nicht ewig so weitergehen. In den nächsten paar Jahren haben wir genügend Informationen zusammen, um das ein für alle Mal zu entscheiden."
Adam Mann
Doch auf das "Was" der Dunklen Materie eine Antwort zu suchen, gleicht der Jagd nach einem Geist. Zahlreiche Detektoren befinden sich derzeit in Betrieb, doch sie haben alles außer einheitlichen Resultaten geliefert. Zwei Wissenschaftlerteams wollen unabhängig voneinander einen Strom Dunkler Materie aufgefangen haben, eine andere Gruppe scheint hingegen bestenfalls eine Hand voll Partikel beobachtet zu haben, die sie selbst aber als Hintergrundrauschen abtun. Und ein viertes Team hat bei seinen Messungen gleich gar nichts entdeckt.
Glücklicherweise dürfte dieser Zustand der Verwirrung nur von vorübergehender Dauer sein. Dunkle-Materie-Detektoren reagieren heutzutage um das rund 1000-Fache empfindlicher auf seltene Ereignisse als noch vor 20 Jahren, und im Verlauf des nächsten Jahrzehnts dürfte sich dies nochmals um den Faktor 100 steigern lassen. Der Grund dafür sind immer größere Detektoren und wachsendes Knowhow, wie sich das allgegenwärtige Rauschen vom gesuchten Signal unterscheiden lässt.
Großes steht bevor
"Mich würde es nicht überraschen, wenn sich im nächsten Jahr jemand hinstellt und sagt: 'Wir haben Dunkle-Materie-Teilchen nachgewiesen'", meint Sean Carroll, theoretischer Physiker vom California Institute of Technology in Pasadena. Andere Physiker äußern sich vorsichtiger und tippen auf Zeiträume von fünf bis zehn Jahren. Doch kaum einer, der nicht daran glaubt, dass dem Feld der ganz große Durchbruch bevorsteht.
Ausgangspunkt für die allermeisten Nachweisverfahren ist die Überlegung, dass Dunkle Materie im Weltraum aus einem Dunst schwach interagierender, massereicher Partikel, so genannter WIMPs, besteht, die noch aus den Zeiten des Urknalls stammen. Die WIMPS (weakly interacting massive particles) könnten in beliebig hoher Zahl durch Sterne, Planeten oder jede andere Form von Materie fliegen, ohne praktisch jemals mit einem anderen Teilchen zu kollidieren, und wären gleichzeitig schwer genug, um sich durch ihren kombinierten gravitativen Einfluss bemerkbar zu machen.
Die Strategie der Detektoren ist daher immer dieselbe: Man nehme einen möglichst großen Klumpen Materie, verstecke ihn in einer Höhle oder einem Stollen vor kosmischer Strahlung und anderen Fehlerquellen und warte, bis es der Zufall will, dass doch einmal ein WIMP mit einem Teilchen aus der Zielmasse zusammenstößt. Die Rückstoßenergie, die dabei freigesetzt wird, lässt sich messen. Wobei gilt: Je größer der Materieklumpen, desto höher die Wahrscheinlichkeit einer solchen Kollision.
Wie davon abgesehen der eigentliche Versuchsaufbau idealerweise aussehen sollte, können auch die Forscher nur erraten. Einen signifikanten Rückstoßeffekt erhält man beispielsweise nur, wenn die Atomkerne der Zielmasse in etwa dieselbe Masse wie das zu detektierende Teilchen haben. Angenommen man würde nach einer unsichtbaren Billardkugel suchen, erklärt der Teilchenphysiker Jonathan Feng von der University of California in Irvine, und man verwende Bowlingkugeln als Detektormaterial, dann würde man den Aufprall kaum bemerken. Tischtennisbälle hingegen könnten die gesuchten Kugeln kaum aufhalten, und wieder könne man nichts erkennen. "Man braucht im Wesentlichen eine zweite Billardkugel", sagt Feng.
Hinweise auf die Eigenschaften von WIMPs erhoffen sich einige von der Theorie der Supersymmetrie. Für sie ist die Vorstellung grundlegend, dass jedes Teilchen des Standardmodells der Physik einen schwereren Partner hat [1]. Eines dieser Partnerteilchen, das als WIMP in Frage käme, ist das Neutralino. Es hat laut Theorie genau die Eigenschaften, mit denen man die Verteilung Dunkler Materie im Weltall erklären könnte: eine hinreichend schwache Interaktion mit anderen Teilchen, aber die beachtliche Masse vom 50-Fachen bis hin zum Mehrere-Tausend-Fachen einer Protonenmasse.
Höhlenforschung
Eines der angesehensten Experimente zum Nachweis von Neutralinos ist das XENON Dark Matter Search Experiment, das sich im unterirdischen Teil des Gran-Sasso-Nationallabors im italienischen L'Aquila befindet. Wie der Name schon nahelegt, besteht die Detektormasse aus flüssigem Xenon, das in einem Tank im Herzen der Anlage aufbewahrt wird. Mit einer Masse von etwas über 131 u sind die Xenonatome ideal dafür geeignet, WIMPs am leichteren Ende des supersymmetrischen Spektrums aufzuspüren – ein vergleichsweise einfacher Einstieg in die Jagd nach der Dunklen Materie.
Photomultiplier, die rings um den Tank angebracht sind, registrieren jeden noch so kleinen Lichtblitz im Xenon. Durch ein solches Szintillationsleuchten würde sich auch die Kollision eines WIMPs mit einem Xenonatomkern verraten. In der ersten Detektorgeneration des XENON-Projekts aus dem Jahr 2006 kamen 15 Kilogramm Xenon zum Einsatz. Aber die Maschine registrierte nichts, was nicht auch als Effekt der Hintergrundstrahlung erklärt werden könnte. Das Team leistete sich daraufhin ein Upgrade auf 161 Kilogramm Xenon und taufte ihr neues Projekt XENON100.
Ein erster, elftägiger Messlauf erbrachte zwar keinen direkten Befund [2], lieferte aber immerhin ein für sich genommen sehr interessantes Teilergebnis: WIMPs mit Massen unterhalb von 100 Gigaelektronvolt (GeV) hätten sich in jedem Fall zeigen müssen, meint Laura Baudis, die die XENON-Gruppe an der Universität Zürich leitet. Dass sie es nicht taten, lasse nur den Schluss zu, dass Teilchen mit einer Masse unterhalb dieser Grenze ausgeschlossen werden könnten. Leider lieferte ein anschließender Durchlauf von 100 Tagen Dauer verwirrende Ergebnisse: Die Forscher haben offenbar noch immer mit einer unerwartet hohen Hintergrundstrahlung auf Grund winzigster Verunreinigungen im Xenon zu kämpfen [3].
Nach Teilchen mit Massen von vergleichbaren Größenordnungen sucht auch das Cryogenic Dark Matter Search Experiment in der aufgelassenen Soudan-Mine im Norden von Minnesota. Als Medium setzen die Wissenschaftler eine Kombination aus Silizium- und Germaniumkristallen ein. Beide Elemente gehören zu den wenigen Feststoffen, die sich in einer Reinheit herstellen lassen, die den Ansprüchen der Forscher genügt. Während des Betriebs sind die Kristalle auf eine Temperatur von gerade einmal 40 Millikelvin heruntergekühlt, so dass jede Temperaturerhöhung in Folge einer Teilchenkollision aufgespürt werden kann.
Mit ihrem Detektor der zweiten Generation, dem CDMSII, sorgten die beteiligten Wissenschaftler Anfang letzten Jahres für viel Aufsehen, als sie bekannt gaben, zwei Kandidaten für WIMP-Kollisionen entdeckt zu haben [4]. Doch von der Euphorie mancher Fachkollegen ließ sich das Team selbst nicht anstecken. "Wir behaupten nicht, dass es signifikant ist", erläutert Jeffrey Filippini vom California Institute of Technology. "Wir sehen jede Menger solcher Ereignisse bei niedrigen Schwellenwerten. Bei den meisten dürfte es sich um Hintergrundstörungen handeln", so der Angehörige des CDMS-Teams. Sieht man von diesen Befunden ab, liefert der CDMS-Detektor im Wesentlichen die gleichen Resultate wie das XENON-Projekt: null Treffer – was wiederum die Existenz von WIMPs mit geringer Masse ausschließen würde.
Leichtgewichte gehen in die Falle
Auf der anderen Seite widersprechen die Ergebnisse von XENON und CDMS anderen Experimenten. Denn deren Betreiber vertreten die Auffassung, genau jene Teilchen geringer Masse entdeckt zu haben. Eines davon, das faszinierendste und zugleich umstrittenste Projekt, heißt Dark Matter Large Sodium Iodide Bulk for Rare Processes (DAMA/LIBRA), das sich mit XENON den Platz im Tiefgeschoss des Gran-Sasso-Labors teilt. DAMA baut auf dem Prinzip auf, dass das Sonnensystem dank der Bewegung der Sonne um das Zentrum der Milchstraße mit annähernd 220 Kilometern pro Sekunde durch Zonen voll Dunkler Materie befördert wird.
Auf der Erde stationierte Detektoren müssten demnach Teilchen aufspüren können, die mit exakt dieser Geschwindigkeit die Anlagen passieren, inklusive einer jährlichen Schwankung von 30 Kilometern pro Sekunde, die sich aus der Eigenbewegung unseres Planeten um die Sonne ergibt.
Genau das will das DAMA-Team, dessen Vorrichtung Szintillationsblitze in Natriumiodidkristallen ausfindig macht, beobachtet haben – über einen Zeitraum von 13 Jahren [5]. Die Detektoren können allerdings nicht zwischen WIMPs und der gewöhnlichen Strahlung aus der Umgebung der Anlage unterscheiden. Die Behauptung des Teams steht und fällt daher mit der Annahme, dass die natürliche Strahlung keinen jahreszeitlichen Schwankungen unterworfen ist und daher herausgerechnet werden kann. Sollten sie mit ihrer Analyse Recht behalten, wäre der Konflikt mit den XENON- und CDMS-Ergebnissen unausweichlich.
"Wäre das Signal so groß, wie behauptet wird, hätten wir und auch andere Teams es sehen müssen", sagt Leo Stodolsky vom Max-Planck-Institut für Physik in München, der am Projekt Cryogenic Rare Event Search with Superconducting Thermometers (CRESST) arbeitet, das ebenfalls am Gran Sasso aufgebaut ist. Er teilt die Kritik vieler Wissenschaftler am Grundgedanken von DAMA: Es kämen zahllose jahreszeitliche Prozesse als Quelle für die von DAMA detektierten subatomaren Teilchen in Betracht, selbst etwas so Profanes wie das Tauen und Gefrieren des Schnees in den Bergen oberhalb des Labors.
Auch die Tatsache, dass kein anderes Experiment zum Nachweis Dunkler Materie auf eine jahreszeitliche Periodizität setzt, untergräbt die Aussagekraft von DAMA, da so seine Resultate nicht von unabhängigen Stellen reproduziert werden können. Doch allen Kritikern zum Trotz wird das Signal, das die Detektoren von DAMA registrieren, von Jahr zu Jahr stärker. "Die DAMA-Leute hatten einfach Mut", sagt Juan Collar von der University of Chicago, "die sind mit einem klaren Statement rausgekommen", während andere Teams ihre Ergebnisse lieber in aller Vorsicht als Rauschen einstuft hätten.
Rätselhafte Strahlen aus dem Zentrum der Galaxis
Etwa zur gleichen Zeit, als CDMSII berichtete, praktisch nichts gefunden zu haben, veröffentlichte CoGeNT die Daten der ersten 56 Betriebstage [6]. Darunter waren Hunderte von Kollisionsereignissen, die auf Dunkle-Materie-Teilchen von sieben bis elf GeV Masse hindeuteten.
Möglicherweise handelt es sich dabei um dieselben Kandidaten, die auch DAMA auffing, aber eher nüchterne Interpretationen sind ebenso möglich: "Bei CoGeNT kann man sehr leicht das Signal und den Hintergrund miteinander verwechseln", meint etwa David Kaplan von der Johns Hopkins University in Baltimore. Das Team hat deshalb angekündigt, ein ganzes Jahr mit der Veröffentlichung weiterer Daten zu warten, um nach den jahreszeitlichen Schwankungen Ausschau halten zu können, die in den DAMA-Ergebnissen zum Vorschein kamen.
Unterdessen ist in Forscherkreisen eine Diskussion über ein alternatives Nachweisverfahren entbrannt. Zu den vielen seltsamen Eigenschaften der Dunkle-Materie-Teilchen gehört auch, dass sie ihre eigenen Antiteilchen sein können. Wo besonders viele Teilchen an einer Stelle vorkommen, sollten sich immer wieder Teilchen-Antiteilchen-Paare gegenseitig vernichten und dabei Gammastrahlung aussenden. Insbesondere das Zentrum der Milchstraße käme als Quelle für diese Strahlung in Frage, denn hier müsste sich eigentlich die Dunkle Materie ballen, so Dan Hooper, Astronom vom Fermi National Accelerator Laboratory in Batavia. Hinweise auf einen Strahlungsüberschuss aus Richtung des galaktischen Zentrums will Hooper in den Daten des weltraumgestützten Fermi-Gammastrahlenobservatoriums der NASA entdeckt haben [7].
Man finde ziemlich genau die Muster in den Daten, die man auf Grund Dunkler Materie erwarten würde, meint der theoretische Physiker Neal Weiner von der New York University. Die Ergebnisse sprächen für Teilchen von 7,3 bis 9,3 GeV Masse, was von der Größenordnung her gut zu den Beobachtungen von CoGeNT und DAMA passen würde.
Doch auch dieser Ansatz stößt auf kritische Stimmen: "Die Verhältnisse im galaktischen Zentrum sind enorm komplex", sagt Doug Finkbeiner vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics in Cambridge. Erst müsse man alle anderen Möglichkeiten ausschließen, bevor man die Ursache dieser Strahlung in Teilchen-Antiteilchen-Annihilationen sehen könne. Das verräterische Signal könne laut Finkbeiner auch von bislang unbeobachteten Pulsaren stammen. Diese schnell rotierenden Neutronensterne würden nämlich ebenfalls erhebliche Mengen hochenergetischer Strahlung aussenden.
Zufall oder tiefere Wahrheit?
Hoopers Analysen haben dennoch einigen Forschern Anlass zur Hoffnung gegeben. Wenn die Resultate von gleich drei Detektoren auf Teilchen annähernd identischer Masse hindeuteten, "fragt man sich doch, ob das alles nur Zufall sein kann", meint Collar.
Ähnliche Überlegungen haben auch andere Forscher dazu gebracht, die Natur der Dunklen Materie möglichst unvoreingenommen zu überdenken. Sollten CoGeNT und DAMA Recht haben, meint etwa Jonathan Feng, haben wir es bei Dunkler Materie nicht mit dem erwarteten Neutralino zu tun, denn das müsste schwerer sein und dürfte nicht so bereitwillig mit den Detektoren interagieren. Möglicherweise besteht Dunkle Materie also aus einem ganz anderen Teilchen – oder aber die Vorstellung eines einzelnen WIMPs ist grundverkehrt.
"Die fünf Prozent des Universums, aus denen wir bestehen, sind bereits außerordentlich komplex", sagt Philip Schuster vom Perimeter Institute for Theoretical Physics im kanadischen Waterloo. Der "Teilchenzoo" des Standardmodells sieht so seltsame Vertreter wie Myonen, Neutrinos und Quarks vor. "Da ist es ein bisschen verrückt anzunehmen, dass die anderen 85 Prozent so einfach aufgebaut sein sollten."
Mit seinen Kollegen sucht Schuster nach Beweisen für eine komplexere Theorie der Dunklen Materie, die sich "Dark Sector" nennt. Der "Dunkle Sektor" könnte verschiedene Arten Dunkler Materie und Dunkler Kräfte umfassen, die sich wie die normale Materie zu "Dunklen Atomen" zusammenfinden. Die Theorie wird derzeit im so genannten A Prime Experiment (APEX) an der Thomas Jefferson National Accelerator Facility in Newport News einer kritischen Prüfung unterzogen. Die Wissenschaftler bringen dort einen hochenergetischen Elektronenstrahl auf hohe Geschwindigkeiten und beobachten, welche schweren, Kraft übertragenden Teilchen dabei ausgesendet werden. "Dabei könnte sich zeigen, dass das Universum viel breiter ist als gedacht", erklärt Natalia Toro, die am Perimeter Institute gemeinsam mit Schuster an APEX arbeitet.
Die gute Nachricht ist, dass aller Wahrscheinlichkeit nach noch in diesem Jahr sowohl XENON100 als auch CoGeNT erstmals ein Jahr umfassende Datensätze vorlegen werden. Außerdem dürften in absehbarer Zeit noch empfindlichere Anlagen wie das Large Underground Xenon (LUX) und das Xenon neutrino Mass (XMASS) in Betrieb genommen werden. "Momentan steht noch Aussage gegen Aussage", meint Weiner, "aber das wird nicht ewig so weitergehen. In den nächsten paar Jahren haben wir genügend Informationen zusammen, um das ein für alle Mal zu entscheiden."
Adam Mann
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.