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Dante Alighieri: Aus der Hölle übers Fegefeuer ins Paradies

Vor 700 Jahren starb der Autor der »Göttlichen Komödie« und der Schöpfer einer italienischen Schriftsprache. Seine großen Werke schrieb Dante im Exil. Mit ihnen wollte er auch die gespaltene Gesellschaft seiner Zeit zurechtrücken.
Dante vor den drei Reichen des Jenseits. Fresko von Domenico di Michelino aus dem Jahr 1465.

An denkwürdigen Vorkommnissen war im frühen 14. Jahrhundert, wie der Florentiner Kaufmann und Politiker Giovanni Villani es sah, kein Mangel. Als junger Mann war Villani (um 1280–1348) im Heiligen Jahr 1300 nach Rom gepilgert und hatte sich dort entschlossen, eine »neue Chronik« zu verfassen – vornehmlich, wenn auch keineswegs ausschließlich über das Geschehen in seiner Heimat. So notierte der Geschichtsschreiber neben zahllosen Scharmützeln der zerstrittenen italienischen Stadtstaaten den Italienzug Kaiser Heinrichs VII. im Jahr 1310, die kriegerischen Umtriebe Roberts von Anjou, des Königs von Neapel, dann führte er eine Hungersnot in Deutschland zwischen 1315 und 1317 an und einen Familienzwist im byzantinischen Kaiserhaus.

Unter den prominenten Verstorbenen, die Villani erwähnte, waren Philipp der Schöne von Frankreich und Papst Clemens V. sowie ein weiterer, dessen Ableben er in etwa derselben Länge kommentierte wie den Tod des französischen Königs – aber fast doppelt so ausführlich wie den des Heiligen Vaters: »Im besagten Jahr 1321 (…) starb Dante Alighieri aus Florenz in der Stadt Ravenna (…) und wurde mit allen Ehren im Gewand eines Dichters und großen Philosophen in Ravenna vor dem Portal der Hauptkirche beigesetzt.« Obwohl kein Geistlicher, sondern Laie, sei er ein bedeutender, in fast allen Wissenschaften belesener Literat gewesen, rühmte ihn Villani.

Herausragender Dichter und vollkommener Philosoph – mit Bildungsdünkel

Für das moderne Italien gilt der Dichter der »Göttlichen Komödie« und Schöpfer der italienischen Literatursprache als Vordenker einer auch politischen Einheit des Landes, als Symbolfigur und Markenzeichen. Die auswärtigen Kulturinstitute Italiens tragen seinen Namen. Sein lorbeergeschmücktes Konterfei ziert die italienische Zwei-Euro-Münze. In den Zirkeln des Risorgimento, der italienischen Nationalbewegung des 19. Jahrhunderts, genoss er geradezu kultische Verehrung. Von dem »stolzen und tugendhaften Republikaner, der mit der Feder Blitze gegen die Tyrannen seines Vaterlandes schleuderte«, war bereits 1798 die Rede. »O Italiener, studiert Dante!«, rief 1826 der exilierte Geheimbündler und Revolutionär Giuseppe Mazzini (1805–1872) seinen Landsleuten zu. »Nicht in den Kommentaren, nicht in den Anmerkungen, sondern in der Geschichte des Jahrhunderts, in dem er lebte, in seinem Leben, in seinen Werken.«

Dante und Beatrice
Dante und Beatrice | Im Paradies der »Göttlichen Komödie« begleitet den Dichter seine Jugendliebe Beatrice. Wie in dieser venezianischen Buchmalerei aus dem 14. Jahrhundert illustriert, erklärt sie ihm den Himmel mit den Gestirnen.

Der umfangreiche Chronikeintrag Villanis illustriert freilich, wie klar die Bedeutung des Mannes schon den Zeitgenossen vor Augen stand: »Er war ein herausragender Dichter und Philosoph (…), ein vollkommener Rhetoriker (…), erlesener Rezitator mit dem reinsten und schönsten Stil, der bis zu seiner Zeit und darüber hinaus in unserer Sprache jemals geschrieben wurde.« Und der Chronist fährt fort: »In seiner Jugend schuf er das Liebesbuch ›Vita nova‹, später im Exil schuf er 20 ganz ausgezeichnete Lieder über Themen der Liebe und der Moral (…), und er schuf die ›Komödie‹, wo er in geschliffenen Reimen und umfassenden, feinsinnigen Erörterungen über Moral, Natur, Astrologie, Philosophie und Theologie mit schönen und neuen Figuren, Vergleichen und poetischen Erfindungen in 100 Kapiteln oder Gesängen Dasein und Zustand in Hölle, Fegefeuer und Paradies abhandelte, und zwar in unsagbar erhabener Weise.« Unschönes erwähnte Villani freilich auch. Ein gewisser Bildungsdünkel habe »diesen Dante« gelegentlich anmaßend, abweisend und herablassend wirken lassen, wie einen übellaunigen Philosophen, dem es schwergefallen sei, sich mit gewöhnlichen Leuten zu unterhalten.

Florentinische Schöngeister und eine idealisierte Geliebte

Geboren wurde Dante im Mai oder Juni 1265 in einer Familie des Florentiner Kleinadels. Über seine frühen Jahre ist wenig bekannt. Seine Werke lassen erkennen, dass er eine umfassende Bildung genossen hat und mit nahezu dem gesamten Wissen seiner Zeit vertraut gewesen sein muss – mit Geschichte und Mythologie der Antike, Philosophie und Theologie. Als junger Mann gehörte Dante zu einem Kreis gleichaltriger Schöngeister aus der besseren Gesellschaft der Arno-Stadt, die sich die Zeit mit Liebesdichtung vertrieben.

Aus diesen poetischen Fingerübungen erwuchs in den Jahren 1292 bis 1295 der Liederzyklus »Vita nova«, in dessen Mittelpunkt eine früh verstorbene, idealisierte Geliebte namens Beatrice stand. Der poetischen Erzählung zufolge traf Dante sie zum ersten Mal, als beide neun Jahre alt waren, und weitere neun Jahre später erneut. Die Figur der Beatrice begleitete ihn durch sein ganzes Leben und Werk. Sie begegnete dem Erzähler zuletzt in der »Göttlichen Komödie«, wo er von ihr im Paradies begrüßt wird. Über ihre allegorische Ausdeutung haben sich Generationen von Interpreten den Kopf zerbrochen.

Im realen Leben ehelichte der etwa 20-jährige Dante die ebenfalls einer vornehmen Familie entstammende Gemma Donati (1267 bis nach 1333), mit der er drei Söhne und eine Tochter hatte. Er zog für seine Vaterstadt auch ins Feld, nahm bei Campaldino an der siegreichen Schlacht gegen Arezzo am 11. Juni 1289 teil und ein Jahr später an der Erstürmung der pisanischen Festung Caprona.

Mit Blick auf eine politische Karriere, die einem Angehörigen des Adels in der Stadtrepublik Florenz sonst verwehrt geblieben wäre, trat er 1295 der Zunft der Apotheker und Ärzte bei. Seit November desselben Jahres gehörte Dante nacheinander mehreren Gremien der kommunalen Selbstverwaltung an und erreichte den Gipfel seiner Laufbahn als einer der sechs Prioren, die in Florenz die Stadtregierung führten. Er blieb allerdings nur kurz in diesem Amt, vom 15. Juni bis zum 15. August 1300, und blickte später im Zorn zurück: »Alles Unglück, alle Widerwärtigkeiten meines Lebens hatten ihre Ursache (…) in den unglückseligen Begebenheiten meines Priorats.«

Hier äußerte sich ein Mann, der mit dem eigenen Schicksal haderte, aber auch mit den Verhältnissen der zu seiner Zeit politisch zerklüfteten Apenninen-Halbinsel. Dante, der in seinen sprachtheoretischen Überlegungen wie kaum ein Zeitgenosse eine ganz Italien umfassende Kulturheimat im Blick hatte, empfand sich gleichwohl in seinen letzten zwei Jahrzehnten als heimatlos, entwurzelt, nirgendwo zugehörig. »Da es den Bürgern von Florenz (…) gefiel, mich von dem süßen Busen wegzustoßen, an dem ich geboren und genährt wurde«, klagte er, »habe ich wie ein Fremder und Bettler alle Gegenden durchwandert, so weit diese Sprache reicht. (…) Ich war ein Schiff ohne Segel und ohne Ruder, vom kalten Wind, der die schmerzensreiche Armut durchdringt, zu vielen Häfen und Buchten und Stränden getrieben.«

»Schwarz« gegen »Weiß«

Dante war den Ambitionen Bonifatius' VIII. (1230–1303) in die Quere gekommen, eines machtbewussten Herrn auf dem Stuhl Petri, der ein letztes Mal in der Geschichte Europas den Anspruch vertrat, zur Oberhoheit über alle weltlichen Herrscher berufen zu sein. In seinem Bestreben, die Toskana dem Kirchenstaat einzuverleiben, machte sich Bonifatius den Umstand zu Nutze, dass die Florentiner Stadtgesellschaft in zwei einander bitter befehdende Parteien zerfallen war. Die »Schwarzen« agierten als unbedingte Verfechter päpstlicher Interessen. Die »Weißen«, denen Dante sich zurechnete, hielten sich auf Distanz zum Heiligen Vater.

Vorgeblich als Vermittler, tatsächlich als seinen Beauftragten schickte der Papst im Herbst 1301 Karl von Valois (1270–1325), einen jüngeren Bruder des französischen Königs, nach Florenz. Mit dessen Hilfe ergriffen die »Schwarzen« die Macht und machten Anfang 1302 führenden Parteigängern der »Weißen« den Prozess. Dante, der sich zum Zeitpunkt des Umsturzes mit einer florentinischen Delegation in Rom aufgehalten hatte, wurde zum Tod durch Verbrennen verurteilt. Ohne jemals nach Florenz zurückzukehren, wanderte er in der Folge von einem Fürstenhof Norditaliens zum anderen, verbrachte einige Jahre bei den Scaligern in Verona und fand zuletzt Zuflucht bei Guido da Polenta (zirka 1275–1323), dem Stadtherrn von Ravenna.

Im Exil zur Dichterkrone

Auf seinen literarischen Schaffensdrang hatte der Schicksalsschlag die Wirkung eines Treibsatzes. Er empfand das, wie er stets betonte, »unverdiente« Exil als Demütigung und tiefe Kränkung, woraus der Ehrgeiz erwuchs, durch ein herausragendes Werk in den Augen der Welt eine Art Ausgleich herzustellen. Erste Versuche blieben unvollendet – so ein Zyklus mit dem Titel »Convivio«, Gastmahl, in dem sich Lyrik mit Prosatraktaten über Themen der Philosophie abwechselte. Beide Textgattungen verfasste er in italienischer Volkssprache. Dass er entgegen dem gelehrten Usus der Zeit nicht wenigstens die Abhandlungen auf Latein verfasst hatte, bedurfte, wie Dante wohl wusste, der Rechtfertigung. Er nannte zwei Gründe: die Liebe zur Muttersprache, die jedem Menschen zuerst den Weg zur Weltkenntnis gewiesen habe und »der höchsten Gegenstände würdig« sei, und den Wunsch, auch von Lesern ohne akademische Schulung verstanden zu werden.

In der Hölle
In der Hölle | Dante und Vergil reiten auf dem Ungeheuer Geryon in den achten Kreis der Hölle – Malebolge –, der aus konzentrischen Gräben besteht. Lombardische Buchmalerei, um 1440.

Dante kam auf das Thema zurück in einer späteren Schrift über »volkssprachliche Beredsamkeit«, in der er die Frage aufwarf, wie ein idealtypisch normiertes Italienisch beschaffen zu sein habe. Nach seiner Ansicht kam keiner der Dialekte der Apenninen-Halbinsel allein als Grundlage dafür in Frage, auch das Toskanische nicht. Das bedeutete aber, dass eine allgemein gültige Schriftsprache von vergleichbarem Rang, wie ihn das Französische damals bereits besaß, bis auf Weiteres ein unablässig anzustrebendes, indes fernes Ideal war. Dante sah einen Zusammenhang mit der Vielfalt der italienischen Staatenwelt: Hier sei auch die Sprache heimatlos, weil das politische Zentrum fehle.

Dante durchquert mit Vergil die Höllenkreise

Seine philosophische und theologische Belesenheit, zumal seine Nähe zur Bildungswelt der Antike brachte Dante schließlich in seinem Hauptwerk zur Entfaltung: dem in gereimten Terzinen verfassten Bericht einer Reise in die drei Reiche des Jenseits, an dem er seit 1307 bis an sein Lebensende arbeitete. Nicht von ungefähr war es Vergil (70–19 v. Chr.), der Nationaldichter des augusteischen Rom, der den Erzähler durch die neun Kreise der Hölle auf den »Berg der Läuterung« an die Pforte des Paradieses geleitete, das der Heide Vergil selbst nicht betreten durfte.

Mit dem Werk wuchs der Ruhm des Autors. Bereits um 1315 wurden Teile der »Göttlichen Komödie« an der Universität Bologna gelesen. Spätestens Anfang 1321 war der dritte Teil, die Schilderung des Paradieses, vollendet. Im Sommer desselben Jahres reiste Dante zu Verhandlungen für seinen Gastgeber Guido da Polenta nach Venedig. Er erkrankte in der Lagunenstadt. Als Dante nach Ravenna zurückgekehrt war, starb er dort am 14. September. Spätestens da begann die Welt, seine Werke in Kunst und Literatur auszudeuten und damit unsterblich zu machen.

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