Endstation Verbraucher: Das Ampel-Gehampel
"Eine Portion (30g) enthält 11g Zucker" prangt plötzlich vorne auf der Cornflakes-Packung. "Ein Glas (250 ml) beinhaltet 3,8g Fett" steht deutlich sichtbar oben auf der Milchtüte.
Nährwert-Tabellen führten bislang ein verstecktes Dasein, klein gedruckt, irgendwo auf der Rückseite von Flaschen und Kartons. Das ist jetzt vorbei: Neue Kennzeichnungen vorne auf der Verpackung sollen die Kunden gut erkennbar informieren.
Im Oktober stellte Verbraucherschutzminister Horst Seehofer (CSU) auf der Ernährungsmesse Anuga in Köln das Modell "1 plus 4" zur verbesserten Nährwertinformation vor. Das Konzept ist Schwerpunkt des "Nationalen Aktionsplans" der Bundesregierung gegen falsche Ernährung, Übergewicht und Bewegungsmangel. In Zukunft soll der Verbraucher mit einem Blick erkennen können, wie viele Kalorien er mit einer Portion des Produktes zu sich nimmt und wie viel Prozent des täglichen Bedarfs er damit deckt. Ein zweiter Blick, zum Beispiel auf die Rückseite der Verpackung, soll dann vier weitere Nährwerte zeigen – den Gehalt von Zucker, Fett, gesättigten Fettsäuren und Salz.
Freiwillige Kennzeichnung
Noch sind die neuen Kennzeichnungsregeln freiwillig, sie werden in Deutschland im Moment nicht zum Gesetz. An einem solchen arbeitet stattdessen die Europäische Union. Nach ihren Plänen sollen die Nährwerte zum besseren Vergleich grundsätzlich je 100 Gramm oder Milliliter aufgelistet werden.
Zurück im Supermarkt: "11g Zucker – entspricht zwölf Prozent der empfohlenen Tageszufuhr eines Erwachsenen", lautet der Text auf dem Cornflakeskarton weiter. "Super, total wenig!", denkt sich der Käufer und die Schachtel landet im Einkaufswagen. Falsch gedacht: Denn zu Hause essen die Kinder die Cornflakes – und so stimmen auch die Angaben nicht mehr. "Eine realistische Portionsgröße ist mit 60 Gramm doppelt so groß wie angegeben, damit ist man sofort auch bei doppelt so viel Zucker", warnt Silke Schwartau, Leiterin der Fachabteilung Ernährung der Verbraucherzentrale Hamburg. Die Prozentangabe richtet sich nach einer erwachsenen Frau mit einem Durchschnittsbedarf von 2000 Kilokalorien. Für Vier- bis Siebenjährige empfehlen die Deutsche Gesellschaft für Ernährung und die Weltgesundheitsorganisation nur eine Zuckerzufuhr von 38 Gramm pro Tag. Aus zwölf Prozent für den Erwachsenen werden so 58 Prozent beim Kind. Über die Hälfte des täglichen Bedarfs – und das allein zum Frühstück.
Ampel gegen Übergewicht
"22 Millionen Kinder in Europa sind zu dick. Dafür ist die Lebensmittelindustrie mit verantwortlich. Ein schnelles Handeln wäre unbedingt erforderlich", sagt Schwartau. Die studierte Ökotrophologin und ihre Kollegen bedauern die Entscheidung Seehofers: "Wir hätten uns eine einfache farbliche Ampel-Kennzeichnung gewünscht, die auch Kinder und weniger gebildete Menschen verstehen."
Wie das geht, macht Großbritannien seit einem Jahr vor. Eine "Punkte-Ampel" zeigt dort dem Verbraucher anhand der Farben Grün, Gelb und Rot wie bedenklich der Zucker- und Fettgehalt der Produkte ist. Auch Punkte für zu viel Salz und gesättigte Fettsäuren gibt es. Eine Tüte Paprika-Chips bekommt nach diesem System für Fett und gesättigte Fettsäuren einen roten Punkt, einen gelben bei Salz und einen grünen für wenig Zucker. "Eine solche Bewertung der Inhaltsstoffe fehlt in Deutschland komplett", so Schwartau.
Gute und schlechte Lebensmittel?
Genau diese Bewertung hält Peter Loosen, Geschäftsführer des Bundes für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL), für grundsätzlich falsch: "Man kann Lebensmittel nicht in "gut" oder "schlecht" einteilen. Die Kunden benötigen objektive Informationen für eine eigenständige Entscheidung, keine vorgeschriebene Produktdiskriminierung durch rote Punkte." Nach Einschätzung der Verbraucherzentralen sind die "objektiven Informationen“ jedoch „gezielte Täuschung". Die Portionen, auf die sich die Nährwertangaben beziehen, halten sie für viel zu klein. Schwartau nennt ein konkretes Beispiel: "Niemand legt nach einer Hand voll Chips die Tüte wieder zur Seite oder trinkt lediglich 125 Milliliter Limo." Die so geschönten Zahlen ließen kalorienreiche Produkte gesünder aussehen als sie sind. Eine Kalorienbombe müsse durch einen roten Punkt als solche direkt zu erkennen sein. Will der Käufer an Hand der momentanen Kennzeichnung vergleichen, welche Cornflakes weniger Zucker enthalten, muss er genau nachrechnen.
"Wir können nur ein Informationsangebot machen und versuchen Transparenz zu schaffen", sagt Loosen. "Jeder Mensch weiß doch, welche Lebensmittel kalorienreich sind und dass Chips, Schokolade und Kuchen dazu gehören.". Der Verbraucher fordere zwar immer mehr Kennzeichnung, aber nur wirklich Interessierte richteten ihren Einkauf danach aus. "Die Menschen, die sich mit Kalorien beschäftigen, verstehen auch die Nährwertkennzeichnung." Der BLL begrüßt daher das von Seehofer im Oktober vorgestellte Modell. Der Verein vertritt die Meinung, dass durch die bereits bestehende, freiwillige Nährwertkennzeichnung eigentlich überhaupt kein Bedarf für den Gesetzgeber bestünde, zu handeln. "Die Verfechter der Ampelkennzeichnung bieten nur eine Alibilösung an und sie wissen das auch. Einfache Lösungen für komplexe Zusammenhänge funktionieren eben im wirklichen Leben nicht", mutmaßt Loosen.
Selbstverpflichtung statt Gesetz
"Immer wenn große Konzerne gesetzliche Regelungen verhindern wollen, dann bieten sie Selbstverpflichtungen an", stellt Schwartau dem entgegen, "Die Industrie will den Politikern nur Sand in die Augen streuen". Tatsächlich hatten Coca Cola, Danone und Nestlé die neuen Symbole nach und nach auf ihre Produkte aufgebracht, als das Ministerium für Verbraucherschutz bereits beschlossen hatte etwas zu ändern, über das Wie aber noch diskutierte. Letztendlich übernahm Seehofer den Vorschlag der Lebensmittelindustrie wirklich in sein Konzept.
Wird eine verstärkte Nährwertkennzeichnung das Problem Übergewicht lösen? Loosen glaubt nicht daran. Viele weitere Faktoren wie Bewegung, genetische Veranlagung, Essgewohnheiten und soziale Schicht spielten hier eine Rolle. Entscheidend sei die Aufklärungsarbeit und Motivation für eine bewusste Ernährung: "Einen gesunden Lebensstil zu führen – diese Aufgabe muss jeder für sich selbst übernehmen."
Christina Merkel
Dieser Beitrag ist Teil eines Projektes der Studenten des 3. und 5. Semester Wissenschaftsjournalismus der Hochschule Darmstadt zum Thema "Ernährung":
Das große Fressen
Nährwert-Tabellen führten bislang ein verstecktes Dasein, klein gedruckt, irgendwo auf der Rückseite von Flaschen und Kartons. Das ist jetzt vorbei: Neue Kennzeichnungen vorne auf der Verpackung sollen die Kunden gut erkennbar informieren.
Im Oktober stellte Verbraucherschutzminister Horst Seehofer (CSU) auf der Ernährungsmesse Anuga in Köln das Modell "1 plus 4" zur verbesserten Nährwertinformation vor. Das Konzept ist Schwerpunkt des "Nationalen Aktionsplans" der Bundesregierung gegen falsche Ernährung, Übergewicht und Bewegungsmangel. In Zukunft soll der Verbraucher mit einem Blick erkennen können, wie viele Kalorien er mit einer Portion des Produktes zu sich nimmt und wie viel Prozent des täglichen Bedarfs er damit deckt. Ein zweiter Blick, zum Beispiel auf die Rückseite der Verpackung, soll dann vier weitere Nährwerte zeigen – den Gehalt von Zucker, Fett, gesättigten Fettsäuren und Salz.
Freiwillige Kennzeichnung
Noch sind die neuen Kennzeichnungsregeln freiwillig, sie werden in Deutschland im Moment nicht zum Gesetz. An einem solchen arbeitet stattdessen die Europäische Union. Nach ihren Plänen sollen die Nährwerte zum besseren Vergleich grundsätzlich je 100 Gramm oder Milliliter aufgelistet werden.
Zurück im Supermarkt: "11g Zucker – entspricht zwölf Prozent der empfohlenen Tageszufuhr eines Erwachsenen", lautet der Text auf dem Cornflakeskarton weiter. "Super, total wenig!", denkt sich der Käufer und die Schachtel landet im Einkaufswagen. Falsch gedacht: Denn zu Hause essen die Kinder die Cornflakes – und so stimmen auch die Angaben nicht mehr. "Eine realistische Portionsgröße ist mit 60 Gramm doppelt so groß wie angegeben, damit ist man sofort auch bei doppelt so viel Zucker", warnt Silke Schwartau, Leiterin der Fachabteilung Ernährung der Verbraucherzentrale Hamburg. Die Prozentangabe richtet sich nach einer erwachsenen Frau mit einem Durchschnittsbedarf von 2000 Kilokalorien. Für Vier- bis Siebenjährige empfehlen die Deutsche Gesellschaft für Ernährung und die Weltgesundheitsorganisation nur eine Zuckerzufuhr von 38 Gramm pro Tag. Aus zwölf Prozent für den Erwachsenen werden so 58 Prozent beim Kind. Über die Hälfte des täglichen Bedarfs – und das allein zum Frühstück.
Ampel gegen Übergewicht
"22 Millionen Kinder in Europa sind zu dick. Dafür ist die Lebensmittelindustrie mit verantwortlich. Ein schnelles Handeln wäre unbedingt erforderlich", sagt Schwartau. Die studierte Ökotrophologin und ihre Kollegen bedauern die Entscheidung Seehofers: "Wir hätten uns eine einfache farbliche Ampel-Kennzeichnung gewünscht, die auch Kinder und weniger gebildete Menschen verstehen."
Wie das geht, macht Großbritannien seit einem Jahr vor. Eine "Punkte-Ampel" zeigt dort dem Verbraucher anhand der Farben Grün, Gelb und Rot wie bedenklich der Zucker- und Fettgehalt der Produkte ist. Auch Punkte für zu viel Salz und gesättigte Fettsäuren gibt es. Eine Tüte Paprika-Chips bekommt nach diesem System für Fett und gesättigte Fettsäuren einen roten Punkt, einen gelben bei Salz und einen grünen für wenig Zucker. "Eine solche Bewertung der Inhaltsstoffe fehlt in Deutschland komplett", so Schwartau.
Gute und schlechte Lebensmittel?
Genau diese Bewertung hält Peter Loosen, Geschäftsführer des Bundes für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL), für grundsätzlich falsch: "Man kann Lebensmittel nicht in "gut" oder "schlecht" einteilen. Die Kunden benötigen objektive Informationen für eine eigenständige Entscheidung, keine vorgeschriebene Produktdiskriminierung durch rote Punkte." Nach Einschätzung der Verbraucherzentralen sind die "objektiven Informationen“ jedoch „gezielte Täuschung". Die Portionen, auf die sich die Nährwertangaben beziehen, halten sie für viel zu klein. Schwartau nennt ein konkretes Beispiel: "Niemand legt nach einer Hand voll Chips die Tüte wieder zur Seite oder trinkt lediglich 125 Milliliter Limo." Die so geschönten Zahlen ließen kalorienreiche Produkte gesünder aussehen als sie sind. Eine Kalorienbombe müsse durch einen roten Punkt als solche direkt zu erkennen sein. Will der Käufer an Hand der momentanen Kennzeichnung vergleichen, welche Cornflakes weniger Zucker enthalten, muss er genau nachrechnen.
"Wir können nur ein Informationsangebot machen und versuchen Transparenz zu schaffen", sagt Loosen. "Jeder Mensch weiß doch, welche Lebensmittel kalorienreich sind und dass Chips, Schokolade und Kuchen dazu gehören.". Der Verbraucher fordere zwar immer mehr Kennzeichnung, aber nur wirklich Interessierte richteten ihren Einkauf danach aus. "Die Menschen, die sich mit Kalorien beschäftigen, verstehen auch die Nährwertkennzeichnung." Der BLL begrüßt daher das von Seehofer im Oktober vorgestellte Modell. Der Verein vertritt die Meinung, dass durch die bereits bestehende, freiwillige Nährwertkennzeichnung eigentlich überhaupt kein Bedarf für den Gesetzgeber bestünde, zu handeln. "Die Verfechter der Ampelkennzeichnung bieten nur eine Alibilösung an und sie wissen das auch. Einfache Lösungen für komplexe Zusammenhänge funktionieren eben im wirklichen Leben nicht", mutmaßt Loosen.
Selbstverpflichtung statt Gesetz
"Immer wenn große Konzerne gesetzliche Regelungen verhindern wollen, dann bieten sie Selbstverpflichtungen an", stellt Schwartau dem entgegen, "Die Industrie will den Politikern nur Sand in die Augen streuen". Tatsächlich hatten Coca Cola, Danone und Nestlé die neuen Symbole nach und nach auf ihre Produkte aufgebracht, als das Ministerium für Verbraucherschutz bereits beschlossen hatte etwas zu ändern, über das Wie aber noch diskutierte. Letztendlich übernahm Seehofer den Vorschlag der Lebensmittelindustrie wirklich in sein Konzept.
Wird eine verstärkte Nährwertkennzeichnung das Problem Übergewicht lösen? Loosen glaubt nicht daran. Viele weitere Faktoren wie Bewegung, genetische Veranlagung, Essgewohnheiten und soziale Schicht spielten hier eine Rolle. Entscheidend sei die Aufklärungsarbeit und Motivation für eine bewusste Ernährung: "Einen gesunden Lebensstil zu führen – diese Aufgabe muss jeder für sich selbst übernehmen."
Christina Merkel
Dieser Beitrag ist Teil eines Projektes der Studenten des 3. und 5. Semester Wissenschaftsjournalismus der Hochschule Darmstadt zum Thema "Ernährung":
Das große Fressen
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben