Virologie: Das antivirale Moskitonetz
Wenn Insekten überleben, was uns krank macht - lohnt sich dann ein Blick auf die offenbar überlegene Abwehrkraft der Sechsbeiner? Schaden kann es zumindest nur dem Erreger, finden Wissenschaftler nach einem genauen Blick auf Viren, Mücken und Menschen.
Manche Mücken, meinten Forscher, sind wie Mary Mallon. Die irische USA-Immigrantin war Anfang des vergangenen Jahrhunderts mehr berüchtigt denn berühmt – als tragische Todbringerin: Wo sie aufgetaucht und als Köchin eingestellt worden war, starben bald und regelmäßig Menschen an einer unvermittelt auftretenden Bakterien-Epidemie. Miss Mallon – die "Typhus-Mary" – war, ohne dass ihr dies selbst bewusst wurde, eine der seltenen "stillen Überträger" krankmachender Bakterien: Ihr eigener Körper hatte sich mit den in ihm hausenden Keimen derart gut arrangiert, dass er selbst keine offensichtlichen Krankheitssymptome entwickelte. Mallon blieb lange ahnungslos, während sie die ansteckenden Erreger in der Umgebung verteilte.
Auch Mücken wie Aedes aegypti scheinen von manchen für andere tödlichen Erregern in ihrem Inneren nichts zu spüren, während sie ihrem Tagwerk nachgehen: Die stechenden Plagegeister tragen etwa Gelbfieber- oder Dengueviren im Körper und übertragen sie beim Stechakt auf Menschen. Selbst scheinen sie völlig immun. Dies warf schon früh die Frage auf, warum für Menschen tödliche Erreger keinen Schrecken für Insekten haben.
Forscher entwickelten schon plausible Antworten: Viren könnten – wie so mancher hoch entwickelte Parasit, etwa der Malariaerreger – einfach von einer gesunden Mücke deutlich mehr profitieren als von einer kranken, geschwächten, weil diese sich dann womöglich seltener an die begehrten Körper des Menschen heransirren kann – ein Schaden für Virus und Zwischenwirt. Wie aber kann dem extrem einfach konstruierten viralen Mechanismus – nicht viel mehr als ein RNA-Faden in einer Schutzhülle mit wenigen Andockrezeptoren – schon allein die subtile Unterscheidung von Wirbeltier- und Insektenwirt gelingen? Wie könnte er dann "entscheiden", nur einen der beiden Wirte zu schädigen, den anderen aber unbehelligt zu lassen? Ist für ihn als zufallsgestreutes Massenprodukt nicht Gewebe gleich Gewebe?
Von Mücken zu Menschen
Eine andere, aus medizinischer Sicht spannendere Fährte umgeht diese Gegenfrage und folgt stattdessen den Unterschieden zwischen menschlich-wirbeltierischem und insektoidem Immunsystem: Vielleicht kann Letzteres ja Viren einfach besser in Schach halten? Womöglich gar mit einem Trick, den man der Insektenabwehr abschauen kann, um ihn bei der Bekämpfung der Viren im Menschen einzusetzen?
Mit dieser Hoffnung spürten Kevin Myles vom Virginia Polytechnic Institute in Blacksburg und seine Kollegen Viren in Mücken hinterher. Sie untersuchten exemplarisch die Modell-Lebensgemeinschaft von A.-aegypti-Moskitos und der von ihnen verbreiteten Sindbis-Viren. Diese SINV gehören zur Familie der Alphaviren, zu denen auch das heimtückische Chikungunya-Virus oder der Erreger der Östlichen Pferdeenzephalitis gehören, die auch für Menschen gefährlich werden kann.
Das Team verglich zunächst das Körpergeschehen infizierter und virenfreier Mücken – und bemerkte, dass durchaus Abwehrmechanismen des Insektenimmunsystems zu arbeiten beginnen, sobald die Tiere infiziert sind. Besonders auffällig: Während einer Virusinfektion produzierten die Zellen der Insekten massenhaft eine bestimmte Sorte kleiner, aus der viralen RNA herausgeschnittenen RNA-Schnipsel, so genannter viRNA (virus-derived small interfering RNA). Sie machten bald bis zu zehn Prozent aller kleinen RNA-Schnipsel in den Zellen aus, ermittelten Myles und Co überrascht, die weit geringere Mengen der zuvor schon in Taufliegen bekannt gewordenen Virenschnipsel erwartet hatten.
Die 21 Nukleotide lange viRNA entsteht offenbar im Zuge einer RNA-Interferenz-Abwehrmaßnahme der infizierten Zellen, interpretieren Myles und Co ihre Daten. Das SINV produziert als typisches Alphavirus im Zuge seiner Vermehrung doppelsträngige RNA – den typischen Angriffspunkt für Dicer-Enzyme, die Träger einer RNAi-Abwehrreaktion. Im Zytoplasma zerlegen solche Enzyme dann die virale dsRNA offensichtlich massenhaft in die viRNAs. Viele andere Viren ergreifen gegen diese Abwehr Gegenmaßnahmen, indem sie ihrerseits die Schnittprozedur hemmen – nicht aber das SINV, so Myles: So schnell das Virus sich zu reproduzieren versucht, so schnell wird es auch gleich wieder zerlegt – wobei eben massenhaft viRNA-Reste anfallen.
Zerlegte Virenmasse
Die Forscher untersuchten nun ein Modell, in dem sie das viRNA-produzierende Enzymsystem durch bekannte Gegenstrategien ihrerseits lahmlegten. Der rabiate Eingriff bekommt den Mücken nicht gut, denn ohne die RNA-Schnipsel überleben sie eine Virusinfektion deutlich seltener, während die Viren sich unkontrolliert und verstärkt vermehrten. Offenbar sind die an viRNA ablesbaren viralen Verluste ein notwendiger Preis der Erreger, die das Überleben der Mücken garantieren – und damit auch eine für die Viren tolerierbare Einschränkung, könnten sie doch ohne fliegenden Transporter kaum das Blutgefäßsystem ihrer eigentlichen Wirbeltier-Wirte erreichen.
Ob die Erkenntnis einmal eingesetzt werden kann, um Menschen – vielleicht durch Ankurbelung der zelleigenen RNAi-Abwehr – vor Chikungunya, Gelb- oder Denguefieber zu schützen, ist mehr als unklar. Es verdichten sich schließlich die Anzeichen dafür, dass das Immunsystem von Wirbeltieren generell seltener auf RNAi als Abwehrstrategie zurückgreift als jenes der Insekten.
Bei den Moskitos anzusetzen, also im Zuge einer biologischen Bekämpfung Mücken und die von ihnen übertragenen Viren mit einer Klappe zu treffen, könnte da im Prinzip viel versprechender sein. Allerdings greift man auf diesem Weg heute meist eher zur groben Keule, der flächendeckenden Moskitovernichtung als zum Florett der Genmanipulation, bei der virenresistente Konkurrenzstämme sich im Freiland durchsetzen sollen: Letzteres hat in der Malariabekämpfung etwa noch nie wirklich funktioniert.
Bleibt auch bei Mücken das, was mit Molly Mallon einst geschah: erzwungene Quarantäne. Diese verbrachte die unglückliche Typhus-Mary einst fast ihr ganzes Leben lang in Isolation auf einer Insel, nachdem Ärzte sie als Gesundheitsgefahr erkannt hatten. Bei Mücken könnten Moskitonetze ausreichen.
Auch Mücken wie Aedes aegypti scheinen von manchen für andere tödlichen Erregern in ihrem Inneren nichts zu spüren, während sie ihrem Tagwerk nachgehen: Die stechenden Plagegeister tragen etwa Gelbfieber- oder Dengueviren im Körper und übertragen sie beim Stechakt auf Menschen. Selbst scheinen sie völlig immun. Dies warf schon früh die Frage auf, warum für Menschen tödliche Erreger keinen Schrecken für Insekten haben.
Forscher entwickelten schon plausible Antworten: Viren könnten – wie so mancher hoch entwickelte Parasit, etwa der Malariaerreger – einfach von einer gesunden Mücke deutlich mehr profitieren als von einer kranken, geschwächten, weil diese sich dann womöglich seltener an die begehrten Körper des Menschen heransirren kann – ein Schaden für Virus und Zwischenwirt. Wie aber kann dem extrem einfach konstruierten viralen Mechanismus – nicht viel mehr als ein RNA-Faden in einer Schutzhülle mit wenigen Andockrezeptoren – schon allein die subtile Unterscheidung von Wirbeltier- und Insektenwirt gelingen? Wie könnte er dann "entscheiden", nur einen der beiden Wirte zu schädigen, den anderen aber unbehelligt zu lassen? Ist für ihn als zufallsgestreutes Massenprodukt nicht Gewebe gleich Gewebe?
Von Mücken zu Menschen
Eine andere, aus medizinischer Sicht spannendere Fährte umgeht diese Gegenfrage und folgt stattdessen den Unterschieden zwischen menschlich-wirbeltierischem und insektoidem Immunsystem: Vielleicht kann Letzteres ja Viren einfach besser in Schach halten? Womöglich gar mit einem Trick, den man der Insektenabwehr abschauen kann, um ihn bei der Bekämpfung der Viren im Menschen einzusetzen?
Mit dieser Hoffnung spürten Kevin Myles vom Virginia Polytechnic Institute in Blacksburg und seine Kollegen Viren in Mücken hinterher. Sie untersuchten exemplarisch die Modell-Lebensgemeinschaft von A.-aegypti-Moskitos und der von ihnen verbreiteten Sindbis-Viren. Diese SINV gehören zur Familie der Alphaviren, zu denen auch das heimtückische Chikungunya-Virus oder der Erreger der Östlichen Pferdeenzephalitis gehören, die auch für Menschen gefährlich werden kann.
Das Team verglich zunächst das Körpergeschehen infizierter und virenfreier Mücken – und bemerkte, dass durchaus Abwehrmechanismen des Insektenimmunsystems zu arbeiten beginnen, sobald die Tiere infiziert sind. Besonders auffällig: Während einer Virusinfektion produzierten die Zellen der Insekten massenhaft eine bestimmte Sorte kleiner, aus der viralen RNA herausgeschnittenen RNA-Schnipsel, so genannter viRNA (virus-derived small interfering RNA). Sie machten bald bis zu zehn Prozent aller kleinen RNA-Schnipsel in den Zellen aus, ermittelten Myles und Co überrascht, die weit geringere Mengen der zuvor schon in Taufliegen bekannt gewordenen Virenschnipsel erwartet hatten.
Die 21 Nukleotide lange viRNA entsteht offenbar im Zuge einer RNA-Interferenz-Abwehrmaßnahme der infizierten Zellen, interpretieren Myles und Co ihre Daten. Das SINV produziert als typisches Alphavirus im Zuge seiner Vermehrung doppelsträngige RNA – den typischen Angriffspunkt für Dicer-Enzyme, die Träger einer RNAi-Abwehrreaktion. Im Zytoplasma zerlegen solche Enzyme dann die virale dsRNA offensichtlich massenhaft in die viRNAs. Viele andere Viren ergreifen gegen diese Abwehr Gegenmaßnahmen, indem sie ihrerseits die Schnittprozedur hemmen – nicht aber das SINV, so Myles: So schnell das Virus sich zu reproduzieren versucht, so schnell wird es auch gleich wieder zerlegt – wobei eben massenhaft viRNA-Reste anfallen.
Zerlegte Virenmasse
Die Forscher untersuchten nun ein Modell, in dem sie das viRNA-produzierende Enzymsystem durch bekannte Gegenstrategien ihrerseits lahmlegten. Der rabiate Eingriff bekommt den Mücken nicht gut, denn ohne die RNA-Schnipsel überleben sie eine Virusinfektion deutlich seltener, während die Viren sich unkontrolliert und verstärkt vermehrten. Offenbar sind die an viRNA ablesbaren viralen Verluste ein notwendiger Preis der Erreger, die das Überleben der Mücken garantieren – und damit auch eine für die Viren tolerierbare Einschränkung, könnten sie doch ohne fliegenden Transporter kaum das Blutgefäßsystem ihrer eigentlichen Wirbeltier-Wirte erreichen.
Ob die Erkenntnis einmal eingesetzt werden kann, um Menschen – vielleicht durch Ankurbelung der zelleigenen RNAi-Abwehr – vor Chikungunya, Gelb- oder Denguefieber zu schützen, ist mehr als unklar. Es verdichten sich schließlich die Anzeichen dafür, dass das Immunsystem von Wirbeltieren generell seltener auf RNAi als Abwehrstrategie zurückgreift als jenes der Insekten.
Bei den Moskitos anzusetzen, also im Zuge einer biologischen Bekämpfung Mücken und die von ihnen übertragenen Viren mit einer Klappe zu treffen, könnte da im Prinzip viel versprechender sein. Allerdings greift man auf diesem Weg heute meist eher zur groben Keule, der flächendeckenden Moskitovernichtung als zum Florett der Genmanipulation, bei der virenresistente Konkurrenzstämme sich im Freiland durchsetzen sollen: Letzteres hat in der Malariabekämpfung etwa noch nie wirklich funktioniert.
Bleibt auch bei Mücken das, was mit Molly Mallon einst geschah: erzwungene Quarantäne. Diese verbrachte die unglückliche Typhus-Mary einst fast ihr ganzes Leben lang in Isolation auf einer Insel, nachdem Ärzte sie als Gesundheitsgefahr erkannt hatten. Bei Mücken könnten Moskitonetze ausreichen.
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