Gene und Verhalten: Das Architekturgen der Hirschmäuse
Die in Amerika heimische Küstenmaus (Peromyscus polionotus) und die Hirschmaus (Peromyscus maniculatus) sind sich zum Verwechseln ähnlich und nahe verwandt; in einem Punkt aber unterscheiden sie sich auffallend: in der Architektur ihrer unterirdischen Wohnbauten. Denn während die Hirschmaus in einem simplen, rasch gebuddelten Erdloch haust, gestaltet ihre Verwandte das Heim stets deutlich großzügiger und dabei funktionaler. Die insgesamt tieferen Küstenmausbauten haben lange Eingänge und zudem einen Fluchttunnel als Hintertür. Und diese Bauvorlieben der Spezies sind offenbar alles andere als ein flüchtiger Modetrend, der sich mit den herrschenden Bedingungen oder den Bodenverhältnissen verändern könnte – vielmehr ist es wohl fest im Erbgut der Mausarten verdrahtet, wie genau man die jeweils artgerechte Höhle buddelt.
Den ersten Hinweis darauf hatten Mausforscher um Hopi Hoekstra von der Harvard University in einem Experiment gefunden, für das sie die beiden Mausarten miteinander gekreuzt haben [1]. Die erste Generation von Mischlingen übernahm nun schlicht eins zu eins die komplexere Bauweise der Küstenmäuse. Schon die Kinder dieser Hybridmäuse aber gingen zu einer von vier Kombinationsbauweisen über: Sie buddelten Schlupflöcher mit langen oder kurzen Eingängen mit oder ohne Fluchttunnel und behielten diese individuelle Vorliebe dann stereotyp bei. Dies deutete auf einen klassisch mendelschen Erbgang des Phänotyps "Höhlengestaltung", bei dem die Architektur der Küstenmaus dominant gegenüber einer rezessiven Variante der Hirschmaus ist.
Tatsächlich offenbarten Erbgutanlysen der Hybride dann einige wenige explizit für das Buddel-Knowhow zuständige Gene. Typische Sequenzunterschiede in drei kurzen Regionen der Maus-DNA entscheiden dabei wesentlich über die Länge des Eingangs; eine weitere über den Bau oder Verzicht eines Fluchtunnels.
Natürlich würden die Forscher gerne erfahren, wie genau sich vergleichsweise subtile Sequenzunterschiede im Erbgut auf deutliche Unterschiede in einem anspruchsvollen Verhaltensprogramm wie dem Erdhöhlenbau auswirken können. Bislang müssen Hoekstra und Kollegen darüber noch spekulieren. Einige der Gene in der betroffenen Erbgutregion sind schon zuvor mit zwanghaften, suchtähnlichen Verhaltensäußerungen assoziiert worden. Womöglich seien Küstenmäuse also "grabungssüchtiger" als ihre Verwandten, vermuten die Forscher – ein Verhaltensmuster, das sich dann in freier Wildbahn als positiv heraustellen kann, wenn es zu einem Bau mit größeren Fluchtmöglichkeiten führt. Bei den Hirschmäusen kämen dann vielleicht eher Nachteile des Suchtbuddelns zum Tragen; denkbar wäre etwa ein ineffizient hoher Energieverbrauch.
Die Identifizierung einzelner Gene als Regulatoren komplexer Verhaltenmuster wird durch den Fortschritt der Sequenzanalysetechnik derzeit immer einfacher. Neben der Maustudie zeigen dies zum Beispiel Untersuchungen der Gene von Feuerameisen (Solenopsis invicta) durch ein Forscherteam um Laurent Keller von der Universität Lausanne [2]. In dieser Studie erkannten die Forscher eine größere Genregion die darüber bestimmt, ob die Kolonie nur eine oder gleich mehrere Königinnen toleriert. Die Wissenschaftler vermuten, dass viele der arttypisch unterschiedlichen Verhaltenstereotypen von sozialen Insekten durch Unterschiede in Genclustern oder "Sozialen Chromosomen" kodiert sind. Hier wie bei den Mäusen ist aber noch völlig unklar, wie genau Genunterschiede ein stereotypes Verhalten festlegen.
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