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Weinbau: Das Ende des Pinot noir?

Winzer und Kellermeister weltweit fürchten um die Zukunft des Qualitätsweinbaus. Denn mit höheren Jahrestemperaturen verändern sich Aromen und Zuckergehalt der Trauben.
Rotwein Verkostung

Als ich vor Kurzem Stichproben in Carneros nahm, einer Weinbauregion im Sonoma Valley in Kalifornien, entdeckte ich etwas Ungewöhnliches: Auf dem zweieinhalb Hektar großen Weinberg wuchsen wie erwartet Pinot-noir-(Spätburgunder-)Reben Reihe neben Reihe, doch etwas abseits standen einige andere Sorten. Anhand ihrer Blätter und Trauben identifizierte ich rote Cabernet-Franc-, Petit-Verdot-, Syrah- und Malbec-Trauben sowie die weiße Sauvignon blanc.

"Das ist mein kleines Experiment", erklärte mir Ned Hill, der einige der besten Weingüter in der Region leitet. "Hier ist es inzwischen ziemlich warm für den Pinot. Im Moment erzielen wir damit noch einen sehr guten Preis, aber schon sehr bald brauchen wir andere Sorten, die besser an den Klimawandel angepasst sind." Für einen amerikanischen Weinfreund klingt eine solche Aussage geradezu ketzerisch. Denn dort, wo sich Sonoma und Napa Valley zur Bucht von San Francisco vereinigen, ist traditionell Pinot-Gebiet. Milde Tage und kalte Nächte, frische Seeluft und lehmige Böden verleihen den Rotweinen der Regionen Aromen von frischen Erdbeeren, Kardamom und Zimt. Dieser Geschmack macht sie einzigartig und wertvoll.

Gut 9000 Kilometer weiter östlich haben Staats- und Regierungschefs der ganzen Welt gerade erst auf der UN-Klimakonferenz in Paris darüber beraten, wie der globale mittlere Temperaturanstieg zu beschränken sei. Wenn der Trend anhält, wird der Geschmack der Carneros-Weine nicht der gleiche bleiben. Winzer müssen dann womöglich zu anderen, den Bedingungen besser angepassten Sorten wechseln, wie Hill sie versuchsweise bereits anbaut. Sie könnten ihre Unternehmen auch nach Norden in kühlere Gebiete verlagern, doch der Geschmack hängt auch von Terroir, Feuchtigkeit und Niederschlägen ab. Derartige Maßnahmen würden einen Bruch mit Traditionen bedeuten und bergen das Risiko massiver Umsatzeinbußen.

Der Klimawandel bereitet Winzern weltweit Sorgen, ob in Kalifornien oder Burgund, in Südafrika oder Australien. Manche befürchten quantitative Ernteeinbußen, etwa in Fresno im kalifornischen Central Valley. Hier werden 30 Tonnen Trauben pro Hektar angestrebt, um mit großem Ertrag und viel preiswertem Wein Gewinn zu erzielen.

Nur 200 Meilen nördlich davon steht der Anbau im Zeichen der Qualität. Im Napa Valley schneiden die Winzer ihre Reben im Winter so, dass jeder Trieb wenige, dafür aber hochwertige Trauben hervorbringt. Den ganzen Sommer hindurch kontrollieren sie die Pflanzen und schneiden minderwertige Trauben heraus. Ein Hektar Rebfläche ergibt dann zwar "nur" ungefähr zehn Tonnen an Früchten, doch das daraus gewonnene Getränk erzielt einen zehnfach höheren Preis. Könnte man in Fresno nicht auf die gleiche Strategie umschwenken? "Selbst ein Genie bringt in Fresno keinen guten Pinot zu Wege", erklärte mir dazu ein Winzer. "Es ist dort im Jahresdurchschnitt um ein paar Grad heißer, und das ist einfach zu viel."

Wein besteht zu mehr als 80 Prozent aus Wasser und ungefähr 12 bis 15 Prozent Alkohol – die restlichen fünf Prozent aber entscheiden über einen außergewöhnlichen Geschmack. Und auch wenn der Herstellungsprozess viel Erfahrung voraussetzt: Das Potenzial des Weins liegt in seinen Trauben, wie die meisten der von mir interviewten Kellermeister bestätigen. Das Keltern und verschiedenste Finessen in den anschließenden Prozessen verändern allerlei geschmackliche Nuancen – von den unterschiedlichen Hefestämmen, die Zucker in Alkohol umwandeln, bis zum Reifen in Eichenfässern beim Barriqueausbau. Doch wenn der Wein wenig Potenzial bietet, wird kein Kellermeister ein Spitzenergebnis herbeizaubern. Und hier kommt nun das Klima ins Spiel.

Winzer unterscheiden das Makroklima einer ganzen Anbauregion wie zum Beispiel Carneros vom Mesoklima eines einzelnen Weinbergs und vom Mikroklima, das am Rebstock und um die Trauben herrscht. Ersteres wird durch größere geografische Zusammenhänge beeinflusst, die Temperatur und Niederschlag sowie die Anbausaison vorgeben – und damit auch, welche der Tausenden heutiger Rebsorten sich für eine bestimmte Region eignen. So passen spritzige Weißweine zu den kürzeren Wachstumsperioden und kühleren Temperaturen in Deutschland, während kräftige Rotweine ihren wuchtigen Geschmack eher während eines langen, heißen und trockenen Sommers in Spanien oder Südfrankreich entwickeln. Auch zu viel Feuchtigkeit kann schaden, da sie in Kombination mit Wärme den Pilzbefall fördert. Zu viele Niederschläge zur falschen Zeit können Trauben faulen lassen, während lang anhaltende Trockenheit die Reben stresst. Viele Weinanbauregionen in der Neuen Welt, einschließlich Kalifornien, werden daher intensiv bewässert. Studien, die ich in einem Team unter der Führung von Kollegen der Stanford University durchgeführt habe, zeigten allerdings, dass die Erträge auch von den natürlichen Niederschlägen abhängen.

Einer der wichtigsten Umweltfaktoren auf Makro-, Meso- und Mikroebene ist die Temperatur. Sie steuert, wann Reben aus der Winterruhe erwachen und wie die Trauben reifen. In dieser letzten Phase akkumuliert Zucker in den Früchten, bei reifen Weintrauben trägt er mit ungefähr einem Viertel zu ihrem Gewicht bei. Zum Vergleich: Bei einem reifen Pfirsich ist es nur ein Achtel. Eigentlich ist Wärme in dieser Zeit willkommen, denn sie steigert den Zuckergehalt um ein oder zwei Prozent pro Woche und damit – nach der Gärung des Traubensafts – den Alkoholgehalt. Doch allzu viel schadet der Qualität: Höherprozentige Weine schmecken vielen Kennern unausgewogen und etwas zu herb, weil der Alkohol manche feinen Aromen überdeckt.

Made in Germany

Deutsche Winzer gehören derzeit noch zu den Gewinnern der Klimaerwärmung

Kann ein deutscher Spätburgunder mit einem französischen Pinot noir mithalten? Noch vor etwa 15 Jahren hätte diese Frage einem Weinkenner nur ein müdes Lächeln entlockt. Das hat sich inzwischen geändert, und zwar wohl nicht allein dank der besseren Kenntnisse einer neuen Winzergeneration, sondern auch durch höhere Temperaturen.

Laut Marco Hofmann, Manfred Stoll und Hans Reiner Schultz von der auf Weinbau spezialisierten Hochschule Geisenheim im Rheingau beträgt die mittlere Temperatur während der Vegetationsperiode 15,7 Grad Celsius für die Jahre 2000 bis 2014. Das sind 1,2 Grad Celsius mehr als 1961 bis 1990 und entspricht damaligen Werten im französischen Burgund.

Der klassische Riesling profitiert zurzeit ebenfalls von der globalen Erwärmung sowie von einer Zunahme der Sonneneinstrahlung, die auf eine Abnahme von Aerosolen in der Atmosphäre zurückgehen könnte. Beide Bedingungen führen zu einem höheren Zuckergehalt der Trauben. So sei in den Jahrgängen 1973 bis 2000 auf zwei Testparzellen nur zweimal ein Öchslegrad von 90 erreicht worden, seit 2000 aber bereits in mehr als der Hälfte der Ernten. Mostgewichte von unter 75 Grad Öchsle, bis 2000 in gut der Hälfte der Jahre der Fall, kommen gar nicht mehr vor. Auch der Säuregehalt hat stark abgenommen, und der Riesling erreicht nun international anerkannte Qualität.

Freilich gibt es neue Risiken zu beachten. Im Süden und Südwesten Deutschlands sei die Wahrscheinlichkeit für niederschlagsreiche Sommermonate gestiegen. Insbesondere Rebsorten mit kompakten Trauben faulen schneller. Auch die Bodenerosion wird infolge von Starkregen zunehmen. Andererseits dürften lange trockene Phasen häufiger auftreten, was vor allem die Reben noch junger Weinberge mit schwach ausgeprägtem Wurzelwerk sowie Steillagen mit geringer Wasserspeicherfähigkeit belasten wird.

Damit nicht genug, lassen mildere Winter die Reben früher austreiben, was sie anfälliger gegen Nachtfrost macht. Die Wissenschaftler warnen auch davor, dass der höhere Zuckergehalt – Ergebnis wärmerer Spätsommer – Schädlinge anlockt. Zudem wandern neue Schädlinge wie die Kirschessigfliege aus südlichen Ländern ein.

Unklar ist noch, wie sich steigende Konzentrationen von Kohlendioxid auswirken. Das Gas wird von Pflanzen aufgenommen und in Biomasse umgesetzt, wirkt aber auch auf Bodenorganismen und Schädlinge. In Treibhäusern wird Kohlendioxid gezielt zur Düngung eingesetzt. Gemeinsam mit Forschern der Justus-Liebig-Universität in Gießen und der Philipps-Universität Marburg untersuchen Önologen der Hochschule Geisenheim diese Zusammenhänge nun bei Reben unter Freilandbedingungen.

Klaus-Dieter Linsmeier

Zucker und Säure austarieren

Die Wirkung des Mesoklimas ist weniger offensichtlich, in erster Linie beeinflusst es das Verhältnis von Zucker und Säure in den Trauben. Unreife Früchte enthalten viel Säure, die sich während des Reifeprozesses abbaut. In kühleren Regionen kultiviert man Sorten, die in der relativ kurzen Wachstumssaison schnell reifen und doch einen nicht zu hohen Säuregehalt aufweisen. Es kommt auf das richtige Maß an: Einem Weißwein verleiht die Säure Frische und Spritzigkeit, charakteristisch etwa beim beliebten deutschen Riesling.

Erst seit wenigen Jahren richten Önologen ihr Augenmerk auch auf weniger hervorstechende Komponenten. So ist der Traubensaft der meisten Rebsorten eigentlich farblos; ein Rotwein wird daraus, wenn er nach dem Pressen auf den Beerenschalen gären darf. Aus ihnen treten Anthozyane aus, Moleküle mit Kohlenstoffringen und angehängten OH-Gruppen. Diese phenolischen Verbindungen färben auch Blaubeeren blau und Auberginen lila. Die Farbe eines Weins ist nämlich nicht nur schmückendes Beiwerk – sie prägt unsere Erwartung und damit die Geschmackswahrnehmung. Einen tiefroten spanischen Rioja werden wir niemals auf die gleiche Weise erleben wie einen Spätburgunder. Diese chemischen Verbindungen entstehen in Folge der Umwandlung von Sonnenenergie. Trotzdem zeigen Weine aus bereits wärmer gewordenen Klimazonen eher weniger die erwünschte Farbe. Vermutlich kann ein Temperaturanstieg über einen Schwellenwert Prozesse anstoßen, welche die Anthozyankonzentration oder die Farbkomplexbildung verringern. Weißweintrauben enthalten übrigens weniger Phenole in den Schalen und werden normalerweise auch nicht mit ihnen weiterverarbeitet.

Reifung einer Traube – wann soll man ernten? |

Wenn die Traube reift, steigt der Zuckergehalt, und der Säureanteil fällt (obere Grafik, blaue und rote Kurve). Das ideale Verhältnis für einen guten Wein bildet sich ungefähr vier Monate nach der Blüte heraus. Auch der Geschmack (orangefarbene Kurve), durch andere Stoffe beeinflusst, hat sein Optimum ungefähr zu diesem Zeitpunkt. Das ergibt ein enges Zeitfenster für die beste Erntezeit. Wenn die globalen Temperaturen steigen (untere Grafik), entsteht das gewünschte Verhältnis aber schon früher und ebenso, jedoch nicht zur gleichen Zeit, das Geschmacksoptimum. Die Trauben könnten aber auch so schnell reifen, dass sich Aromen und Farbe erst gar nicht optimal entwickeln können (das Maximum ist in der orangefarbenen Kurve niedriger).

Das Mikroklima am Rebstock beeinflusst noch weitere phenolische Verbindungen: die Tannine. Der Name rührt aus alten Zeiten, als diese Stoffe zum Verarbeiten von Leder dienten. Das französische Wort "tanin" bedeutet Gerbstoff. Die Moleküle verbinden sich mit Proteinen des Speichels und trocknen so Zunge und Zahnfleisch, was ein raues, pelziges Gefühl im Mund verursacht; zudem schmecken sie bitter. Weine mit einem ausgewogenen Tanningehalt passen sehr gut zu herzhaften Speisen. Tannine polymerisieren bei der Reifung des Weins in Eichenholzfässern und bei der Flaschenreife, was ihre Wirkung mildert. Deshalb empfiehlt es sich bei manchen Rotweinen, sie eine Zeit lang zu lagern: Das Ergebnis ist ein samtig weicher Wein.

Den Unterschied zwischen einem passablen Tischwein und einem edlen Tropfen mit einzigartigem Charakter machen aber vor allem jene Bestandteile aus, die in nur sehr geringen Konzentrationen auftreten: die Aromen. Beim Schwenken des bauchigen Glases steigen sie auf und binden an die Geruchsrezeptoren in unserer Nase; von dort gelangen Signale direkt in unser Gehirn. Wenn wir Wein schmecken, haben wir ihn eigentlich gerochen. Aus diesem Grund erscheint einem Erkälteten selbst ein schwerer Rotwein oft fade. Die Aromen gelangen auf Grund des vermehrt gebildeten Nasensektrets erst gar nicht zu den Rezeptoren.

Insbesondere in den späteren Stadien des Reifens bilden sich immer mehr dieser Verbindungen. Würde ein Wein aus unreifen Trauben gewonnen, fände er daher nicht viele Freunde. Denn anfangs schmecken Trauben wie grüne Früchte oder Gemüse, später wie rote Früchte (Himbeere), dann wie schwarze (Brombeere) und schließlich wie Rosinen. Vermutlich entstehen die Aromen nicht in dem gleichen Maß, wie der Zuckergehalt steigt. Deshalb lesen einige Winzer die Trauben nicht mehr einfach, wenn ein bestimmter Öchslegrad erreicht ist. Vielmehr verkosten sie die Früchte vom Stock und entscheiden dann, ob die vorhandenen Geschmacksstoffe das Potenzial für einen großen Wein haben. Manchmal bleiben die Trauben deshalb länger hängen, allerdings verlieren sie dabei Wasser und damit Gewicht – der an der Saftmenge gemessene Ertrag sinkt. Durch die längere Reifezeit steigt überdies der Zuckergehalt. Das mag bei einem Eiswein erwünscht sein, mitunter zwingt es aber den Kellermeister, Most mit Wasser zu verdünnen, um den Alkoholgehalt auf dem gewünschten Niveau zu halten.

Karte der Weinanbaugebiete weltweit

Wissenschaftler versuchen, die Einflüsse der mehr als 1000 verschiedenen Aromastoffe auf den Geschmack besser zu verstehen. Ein schwieriges Unterfangen, denn einerseits kommen manche davon in extrem geringen Konzentrationen vor, andererseits nehmen wir sie ganz unterschiedlich wahr. So können wohl mehr als 200 Komponenten die Assoziation "Erdbeere" wecken, doch sind sie keine Garantie dafür, dass ein Kunde die Frucht herausschmeckt. Ein Meilenstein auf diesem Forschungsgebiet gelang der Wahrnehmungsforscherin Hildegarde Heymann von der University of California in Davis in den 1980er Jahren. Sie entdeckte, dass Sonnenlicht Methoxypyrazin zerstört, das einem Cabernet Sauvignon ein unerwünschtes Paprikaaroma verleiht. Kalifornische Winzer ließen ihre Reben daraufhin so wachsen, dass die Blätter den Früchten weniger Schatten spendeten; ihr Cabernet wurde deutlich besser. Forscher in Australien, Chile und Deutschland identifizierten die Substanz Rotundon als Quelle des beim Syrah erwünschten Geschmacks von schwarzem Pfeffer. Doch hier zeigt sich erneut der Einfluss des Klimas: Offenbar reichert sich dieses Molekül in kühleren Anbaugebieten oder in kühleren Jahren stärker an.

Seit Generationen im Familienbesitz

Erst wenn alle derartigen Einflüsse bekannt sind, können Winzer auf die globale Veränderung adäquat reagieren. Ob es sinnvoll wäre, beispielsweise Anbaugebiete von Kalifornien nach Oregon zu verlegen, lässt sich derzeit nicht vorhersagen, denn hochwertige Weine wachsen nur auf Böden mit den richtigen Nährstoffen und bei angemessenen Niederschlagsmengen. Zudem benötigt ein neuer Weinberg fünf bis sechs Jahre, bis er volle Erträge bringt, und es kann bis zu 20 Jahre dauern, bis man einen Gewinn erzielt. Viele Winzer hängen überdies an ihren Weingärten, weil die seit Generationen im Familienbesitz sind. Gebiete, die in naher Zukunft warm genug sein werden, um dort Wein anzubauen, mögen außerdem heute noch unbekannte Herausforderungen wie Schädlinge und Pflanzenkrankheiten bergen. Letztlich entwickelt eine Weinbauregion auch einen Stil und eine Identität, die nicht einfach zu verpflanzen sind. Die Konsumenten nehmen das ebenfalls so wahr: Wer die Rotweine Kaliforniens für sich entdeckt hat, wird nicht ohne Weiteres solche aus Oregon wertschätzen.

Statt mit den vorhandenen Rebsorten deren bevorzugten Umweltbedingungen hinterherzuziehen, könnte man natürlich umgekehrt auch Sorten verwenden, die dem erwarteten Klima bereits angepasst sind. Winzer haben im Lauf der Geschichte tausende Varietäten für bestimmte Umgebungsbedingungen gezüchtet. Aber auch mit dieser Strategie wird es Zeit und einen langen Atem brauchen, um trotz unvermeidlicher Fehlschläge letztlich das richtige Gesamtkonzept für eine Lage zu entwickeln.

Bei Grundnahrungsmitteln wie Getreide züchten Forscher bereits neue Sorten für steigende Temperaturen. Doch dieser Ansatz eignet sich nur bedingt für Reben. Bis das Ergebnis feststeht, braucht es zehn oder mehr Jahre, zudem gibt es kulturelle Beschränkungen. Französische Gesetze beispielsweise schreiben vor, dass in bestimmten Regionen nur bestimmte Sorten angebaut werden dürfen, wenn sie eine geschützte Herkunftsbezeichnung wie "Bordeaux" tragen sollen. Zwar ist der Marselan, eine Kreuzung aus Cabernet Sauvignon und Grenache, in den 1990er Jahren als Côtes du Rhône erfolgreich zugelassen worden, doch Weinliebhaber hängen oft an ihren Lieblingssorten und blockieren damit den Markt für neue.

Maische mit der Haut der Beeren | Winzer von Robert Sinskey Vineyards in Napa lassen die Maische mit der Haut der Beeren gären, um ein Maximum an Farbe und Tannin zu extrahieren.

Reben richtig erziehen

Winzer können den makroklimatischen Veränderungen aber auch mit diversen Maßnahmen im Weinberg begegnen: Sie können zum einen die Richtung der Pflanzreihen so ändern, dass sich die Pflanzen stärker beschatten. Auch die "Erziehung" der Reben, also die Technik, ihr Holz durch Stützkonstruktionen, durch Beschnitt und Anordnung der Triebe in die gewünschte Form zu bringen, kann die Früchte vor der Sonne schützen. Beispielsweise ist es in Südafrika üblich, Schatten spendende Halbdächer zu formen, und in steilen Hanglagen Südtirols pflegt man Reben zu einer Pergola zu erziehen. Winzer können auch Wurzelstöcke als Unterlagen verwenden, um darauf wärmeresistentere Sorten zu pfropfen; bislang erfolgt eine derartige Veredelung vor allem als Maßnahme gegen die Reblaus. Dergleichen wird normalerweise nur einmal durchgeführt, nämlich wenn man einen Weinberg anlegt.

Darüber hinaus lässt sich das Mesoklima in engen Grenzen durch Bewässern mit Sprengern verändern – auf diese Weise senkt man dank der Verdunstung die Temperatur im Weingarten. Außerdem gehört es zur Kunst des Rebschnitts, durch die Zahl und Position der Blätter das Mikroklima der reifenden Trauben zu beeinflussen.

In den Weinbergen um Carneros zeigten meine Messungen an Trauben von über 500 Pinot-noir-Reben, dass die Sonneneinstrahlung in den letzten Jahren um mehr als das Dreifache gestiegen ist. Dort habe ich die Wirksamkeit solcher Maßnahmen gemeinsam mit Kollegen von der Stanford University und der University of California in Davis untersucht. Alle Triebe und Blätter waren oberhalb der Trauben an Drähten hochgebunden, damit die Luft besser zirkulieren konnte, was Erkrankungen vorbeugt. Jedes Prozent zusätzliches Licht hatte einen zweiprozentigen Rückgang der Tannine und Anthozyane zur Folge. Banden wir die Reben aber so, dass die Blätter die Früchte mehr beschatteten, konnten diese kühler heranreifen und ihre Aromastoffe bewahren. Doch diese Maßnahmen haben ihre Grenzen. Eine Temperaturerhöhung von mehr als einem Grad Celsius im Frühjahr dürfte die Ernteerträge erheblich schmälern, und mit sinkender Qualität wird obendrein der Preis fallen.

Obwohl die meisten Aromen aus der Traube kommen, können Kellermeister den Geschmack noch zusätzlich beeinflussen. Wenn Säuren durch die Klimaerwärmung zu schnell abgebaut werden, kann man nach dem Pressen welche zugeben; akkumulieren die Trauben zu viel Zucker, entfernt Umkehrosmose einen Alkoholüberschuss. Dies sind aber drastische Maßnahmen, die nur bedingt den ursprünglichen Geschmack bewahren und den Wein zum Industrieprodukt machen, was sich auf den Preis auswirken dürfte.

"Es dauert eine Generation, um ein Weingut aufzubauen. Die nächste findet bereits einen Weg, es besser zu machen, die Generation der Enkel aber macht es dann wirklich gut." Jason Kesner, Manager eines der besten Weingüter Kaliforniens, weiß genau, wovon er spricht. "Auf genau diese Weise sind die grandiosen Weingüter in der Alten Welt entstanden – durch eine Menge harter Arbeit und die Erfahrung vieler Jahre." Manche Experten glauben, dass die Anbauregionen der Neuen Welt wie Napa und Sonoma ihr Potenzial noch gar nicht voll entwickelt haben. Winzer und Kellermeister können zwar mit einigen technischen Möglichkeiten und Migration gen Norden oder auf höheres Terrain auf die veränderten Bedingungen reagieren, es bleibt aber offen, ob dies ausreichen wird.

  • Quellen

Hofmann, M. et al.: Klimawandel und Weinbau. In: Geographische Rundschau 3, 2016 (in Vorbereitung)

Nicholas, K. A., Durham, W. H.: Farm-Scale Adaptation and Vulner- ability to Environmental Stresses: Insights from Winegrow- ing in Northern California. In: Global Environmental Change 22, S. 48 – 494, 2012

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