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Klimagipfel von Paris: "Das Ergebnis muss die neue Weltordnung widerspiegeln"

Was bedeutet die Klimavereinbarung von Paris, und wie sinnvoll ist sie? Ein Interview mit dem Umweltökonom Reimund Schwarze vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung, der die Verhandlungen vor Ort verfolgte.

Herr Schwarze, was ist das zentrale Ziel der Vereinbarung von Paris?

Der Kern der Vereinbarung ist ein völkerrechtsverbindliches Abkommen, das auf die Kyoto-Verträge folgt, nennen wir es Post-Kyoto. Es soll dieses recht unspezifische Konstrukt in einen völkerrechtlichen Vertrag gießen, das war die eigentliche Aufgabe hier. Dabei geht es weniger um die Inhalte als darum, einen Prozess zu schaffen, auf den man sich berufen kann. Das wurde mit freiwilligen Selbstverpflichtungen, aber auch anderen Dingen, ein Jahr lang vorbereitet. Eine Rechtsform für den Post-Kyoto-Prozess, wie man hier sagt, ein "outcome with legal force" – einen Kern der Rechtsverbindlichkeit, auch wenn der größte Teil unverbindlich ist.

Paris soll also eine organisatorische Grundlage für Maßnahmen und ihre Finanzierung schaffen?

Ja, insbesondere für die Finanzzusagen, für die INDC (intended nationally determined contributions, beabsichtigte national festgelegte Beiträge), die nach allem, was ich weiß, im Annex der Vereinbarung enthalten sein sollen. Aber auch für zum Beispiel Anpassungen an den Klimawandel sowie Finanz- oder sonstige Zusagen wie dem Technologietransfer, von dem hier in Paris viele reden. Erst wenn all solche Sachen auch erfasst sind, kann dieses Instrument des Paris Agreement geschaffen werden.

Das heißt aber auch, die meisten Finanzzusagen, um die so heftig gestritten wurde, sind noch nicht verbindlich?

Es ist gar kein Teil der Verhandlungen, eine Bestandsaufnahme der gesamten Finanzzusagen zu machen. Insofern kann man hier am Ende keine Zahl erwarten, die dann dicht gegliedert klarmacht, was da eigentlich an wen und wie fließt. Das wäre sehr heroisch und stand gar nicht auf der Tagesordnung. Dazu muss dieses Konstrukt überhaupt geboren werden, damit es einen solchen Prozess geben kann. Schritt für Schritt, auch wenn das unbefriedigend ist.

Reimund Schwarze

Nach dieser Konferenz wird es einen weiterführenden Prozess der national bestimmten Zusagen und Beiträge zur Abschwächung des Klimawandels geben, der so genannten NDMCC (nationally determinded mitigation commitments and contributions). Diese NDMCC sind das, was hier in Paris erst geboren wurde. Das sind dann die Zusagen, die sowohl die Klimaschutzzusagen wie auch sonstige Verpflichtungen aus der Vereinbarung enthalten, und die erst sind dann die Basis für eine wirkliche Bestandsaufnahme.

Es gibt einen speziellen so genannten Finance Track, in dem auch eine offizielle Bestandsaufnahme vorgesehen ist. Von der Kosmetik mal abgesehen war es nicht so gedacht, dass diese Veranstaltung in Paris schon eine inhaltliche Zusammenstellung der Zusagen beim Geld leistet. Der eigentliche Finance Track der Verhandlungen war ausdrücklich in die Zeit nach dieser Konferenz gelegt.

Man hat letztendlich viele zwischenzeitlich unwillige Parteien ins Boot bekommen. Wie ist das gelungen?

Der Spiegel schreibt, das liege an den Deutschen.

Das habe ich auch gelesen. Ich bin da ein bisschen skeptisch, dass das die ganze Antwort ist …

Nein, das ich glaube auch nicht. Deutschland kann ja nicht einzeln agieren, in diesem Sinn. Doch die Zuspitzung auf höhere Ambitionen hin, die wir in den letzten Tagen der Verhandlungen gesehen haben, ist natürlich eine deutsche Strategie, und zwar schon seit vielen Jahren. Insofern gibt es dahinter tatsächlich eine politische Strategie der Deutschen, der Europäer, die jetzt am Schluss aufkam.

Dahinter haben sich dann auch überraschend die Amerikaner gestellt, nachdem ihre direkten Bemühungen um Chinesen und Inder – es gab zum Beispiel ein US-chinesisches Abkommen erst letztes Jahr – schwierig geworden waren. Das waren dann selbst die unwilligen Parteien, von denen einige in den letzten Tagen in alte Muster zurückfielen, die aus meiner Sicht eigentlich fast schon aus vergangenen Zeiten stammen.

Was für "alte Muster" meinen Sie?

Dass die einzelnen Länder sich wieder in die Hardlinerpositionen zurückziehen – etwa dass Indien und China auf der bisherigen Differenzierung zwischen Industrie- und Entwicklungsländern beharren. Die neue Weltordnung muss sich in den Ergebnissen hier widerspiegeln. Das ist jedenfalls ein Anliegen der Parteien und der inhaltliche Knackpunkt.

"Neue Weltordnung" heißt, dass alle Staaten auf Augenhöhe ihre Beiträge leisten statt der bisherigen Zweiklassengesellschaft?

Genau. Und dass man im Auge behält, dass man riesige Geldmengen nicht nur umverteilt, sondern es eine Neuordnung der Wirtschaft bedeutet und wie man das bewerkstelligt. Man muss wieder ins Auge fassen, dass dieser Post-Kyoto-Prozess eine richtige Umstrukturierung der Wirtschaft bedeutet und nicht nur – quasi in der klassischen Tradition – Arm muss etwas fürs Klima tun und Reich muss dafür bezahlen. So sieht die Weltordnung heutzutage nicht mehr aus. Indien zum Beispiel hat eine riesige Solar Alliance noch vor der Konferenz gegründet und will eine große Fotovoltaikkampagne in den so genannten Ländern des Südens starten. Diese Realitäten muss man jetzt anerkennen und die alten Muster endlich ablegen.

Welche Rolle spielt das Thema Menschenrechte?

Das ist hier durch viele NGOs präsent. Es gab viele Presseveranstaltungen zum Beispiel über Kinderschutz, aber der Verhandlungsprozess ist davon ziemlich abgeschottet. Die Delegierten biegen immer gleich links ab, wo sie eigentlich rechts abbiegen müssten, um diese Themen zu sehen. Es ist nicht Gegenstand eines Verhandlungsstrangs.

Viele Vereinbarungen im Papier von Paris sind sehr langfristig angelegt. Was kommt denn an kurzfristigen konkreten Maßnahmen in Paris heraus?

Wir formulieren hier ein großes Versprechen auf die sehr ferne Zukunft in sehr großem Umfang. Zusätzlich sollten kurzfristigere Zwischenziele formuliert werden, die sich auf Maßnahmen vor 2020 beziehen. Wenn es vorgezogene Anstrengungen gibt, dann sollen die Länder, Geldgeber und auch -empfänger sich finden und die Aktivitäten so umgesetzt werden.

Sind denn diese Diskussionen über solche Zeitrahmen und Temperaturziele unter 1,5 Grad überhaupt realistisch angesichts der wissenschaftlichen Erkenntnisse, nach denen man sehr schnell und drastisch handeln müsste, um überhaupt noch eine Chance auf das Zwei-Grad-Ziel zu haben?

Was man nach zum Beispiel den Daten des Global Carbon Project tun müsste, damit sich die CO2-Konzentration in der Atmosphäre und damit im weitesten Sinn auch die Erwärmung stabilisiert, das ist das eine. Die Klimaforscher sagen alle, selbst das Zwei-Grad-Ziel ist kaum noch zu schaffen, wie sollen dann 1,5 Grad Celsius oder sogar darunter überhaupt noch möglich sein? Das ginge nur, wenn wir schon 2030 den globalen CO2-Peak erreichen. Kurzum, das ist für viele unrealistisch. Das ist der Stand der Wissenschaft.

Nun ist die Frage, was ist hier eigentlich noch Wissenschaft? Hier geht es ja um Abwägung von Risiken. Wir können natürlich Geoengineering machen oder CCS – also die Einlagerung von Kohlendioxid in der Tiefe – und auch noch Kernenergie und Biomasse im großen Maßstab. Alles ist möglich. Es ist nur alles sehr riskant. Und diese Abwägung, welche Technologien dabei möglich sind, ist eine Gefahrenabschätzung, die Wissenschaftler nicht treffen können.

Flashmob auf dem Gelände der Klimakonferenz | Im Umfeld von COP21 waren zwar viele Nichtregierungsorganisationen aktiv, ihr Einfluss auf die Verhandlungen selbst war allerdings begrenzt.

Und die Politiker hier meinen eventuell, diese Gefahren seien beherrschbar. Ich habe eher das Gefühl, dass sie sich dessen gerade nicht bewusst sind, was zum Beispiel die Risiken eines Unter-1,5-Grad-Ziels angeht. Das klingt immer so, als wären wir in einer heilen Welt, wenn wir bei einem dieser Temperaturziele landen. Ganz im Gegenteil sind wir dann in einer Welt voller Risiken. Aber dafür ist meiner Meinung nach nicht immer das volle Bewusstsein vorhanden. Aber umgekehrt kann auch kein Wissenschaftler beurteilen, dass diese Risiken unannehmbar sind. Ich wüsste nicht, wer sich die Aussage anmaßen darf, zum Beispiel Biomasse für die Energieversorgung sei unzumutbar. Der Wissenschaftler kann nur darauf hinweisen, dass dadurch die Nahrungsversorgung schwieriger wird.

Das würde bedeuten, dass wir für die Ziele von Paris massiv neue Technologien zum Klimaschutz brauchen.

Ja. Alle mir bekannten Szenarien waren mit negativen Emissionen – damit ist eigentlich alles gesagt. Daher kann man jetzt nur noch Wetten eingehen, wie das geschafft werden soll. Wir können gar nicht so schnell sagen, wie das funktionieren soll. Es werden hier keine Emissionsziele benannt, sondern es wird alles auf dem Erwärmungsziel beruhen. Diese Temperaturmarke in Klimaschutzziele umzusetzen, war hier gar nicht Gegenstand, und das wird auch nicht offen diskutiert.

Die Zielvereinbarung von Paris ist also im Prinzip eine Wette auf zum Teil noch nicht vorhandene Technologien und Maßnahmen?

Wir gehen mit diesem Abschluss tatsächlich eine Wette ein. Eins ist jedenfalls sicher: Man muss schon für das Zwei-Grad-Ziel riskante Technologien einsetzen. Selbst in den optimistischem Szenarien war das ja nur noch unter Einberechnung negativer Kohlendioxidemissionen möglich. Wir müssen auf solche neue Technologien hoffen. Ich meine jetzt nicht nur Geoengineering, sondern auch Entwicklungen im Bereich Bioenergie und dergleichen. Das ist eigentlich eine gute Frage.

Herr Schwarze, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview fand bereits am Donnerstag Abend statt.

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