Raumfahrtgeschichte: Als Apollo seine Unschuld verlor
Steve Clemmons konnte die Bilder nie mehr vergessen. "Ich sehe noch immer den Rauch und die Flammen vor mir", schrieb der ehemalige Raketentechniker 2004. "Ich höre noch immer die Schreie meiner Teamkollegen, während wir versuchen, die Luken aufzubekommen." Clemmons erinnerte sich auch noch an seine spontane, naive Hoffnung, die Raumanzüge der Astronauten könnten dem Feuer standhalten. Dem Feuer, das den Innenraum der Kommandokapsel in ein Inferno verwandelte – und die drei Männer darin binnen Sekunden tötete.
Clemmons, der 2014 starb, war Augenzeuge einer Katastrophe, die am 27. Januar 1967 Amerika erschütterte. Knapp sechs Jahre zuvor hatte John F. Kennedy der NASA das Ziel auferlegt, bis zum Ende des Jahrzehnts einen Amerikaner auf den Mond zu bringen. Bisher war das Apollo-Programm auf einem guten Weg. Doch nun stand eine bittere Lektion für die technikaffine Nation an: Selbst die besten Ingenieure des Landes konnten etwas sehr Offensichtliches übersehen, allem Eifer und aller Akribie zum Trotz.
Der Schauplatz dieser Tragödie ist eine abseits stehende Startrampe auf dem Gelände von Cape Canaveral. Seit dem Herbst 1966 erprobt die NASA hier, direkt an der Atlantikküste Floridas, einen neuen Typ Raumkapsel. In ihm sollen die Apollo-Astronauten bis in die Mondumlaufbahn reisen. Für den Februar 1967 ist ein erster bemannter Probeflug in den Erdorbit geplant. Noch trägt die Mission den Namen AS-204. Nach dem Unglück wird die NASA sie in Apollo 1 umbenennen.
Am 27. Januar steht ein wichtiger Test bei den Startvorbereitungen an. Erstmals sollen Techniker alle Kabelverbindungen von der Kommandokapsel abziehen. Nach der Mittagspause zwängen sich die drei Astronauten in ihre Raumanzüge und krabbeln in das kegelförmige Modul an der Spitze der Saturn-IB-Rakete. Im Inneren schnallen sie sich auf ihren nach hinten gekippten Startsitzen fest, stöpseln ihre Luftschläuche ein und beginnen mit den Checklisten.
Virgil Grissom, 40, und Edward White, 36, zählen damals zu den bekanntesten Astronauten des amerikanischen Raumfahrtprogramms. Für den 31-jährigen Roger Chaffee hingegen, der wie seine beiden Kameraden ausgebildeter Kampfjetpilot ist, soll es die erste Reise ins All werden. Immer wieder beklagen sich die Raumfahrer an diesem Tag über Probleme mit der Funkverbindung. Als gegen 18 Uhr abends viele Techniker Pause machen, steht der eigentliche Test des Tages noch aus.
"Wir haben ein schlimmes Feuer. Wir verbrennen!"
Kurz darauf passiert es. Um 18:31:03 Uhr meldet sich einer der Piloten über Funk: "Wir haben ein Feuer im Cockpit." Der Sprecher, vermutlich handelt es sich um den Rookie Chaffee, klingt zunächst, als würde er eine Routinedurchsage machen. Wenige Sekunden später wiederholt er die Warnung, und diesmal hört man die Panik in seiner Stimme: "Wir haben ein schlimmes Feuer. Wir verbrennen!" Es folgt ein schriller Schmerzensschrei, und die Übertragung reißt ab.
Um 18:31:17 Uhr, 14 Sekunden nach dem ersten Hilferuf, schießt eine mächtige Flamme aus der Kapsel gen Himmel. Steve Clemmons und vier seiner Kollegen sitzen zu diesem Zeitpunkt wenige Meter entfernt, in dem an die Kapsel angeschlossenen Serviceraum. Eine schmale Rampe führt hinüber ins oberste Stockwerk des Turms der Startrampe.
Hektisch suchen die Männer nach Feuerlöschern und Gasmasken. Feuerlöscher gibt es zu wenige, passende Gasmasken überhaupt keine. Immerhin finden sie in einer Schublade den Spezialschraubenschlüssel, mit dem sich das komplizierte Türsystem der Kapsel öffnen lässt. Es besteht aus drei Luken, für deren Öffnen man mindestens 90 Sekunden braucht. Fünf Minuten kämpfen die Techniker gegen Flammen und Rauch, und schließlich drücken sie die innerste Luke auf.
Die sengend heiße Metalltür fällt ins Innere der Kapsel, auf einen leblosen, verkohlten Körper. Auf der Innenseite der Luke entdecken die Helfer einen von Asche umgebenen Handabdruck. Die Raumanzüge sind in der Höllenhitze mit der Kabine verschmolzen. Eineinhalb Stunden wird es dauern, bis die bald darauf eintreffenden Rettungskräfte die Leichen der Astronauten geborgen haben. Die Obduktionen ergeben schließlich, dass die Männer an einer Kohlenmonoxid-Vergiftung starben.
Das Unglück muss für alle Beteiligten wie ein surrealer Schock gewirkt haben. Die NASA-Manager hatten zwar damit gerechnet, dass bei dem waghalsigen Mondprogramm früher oder später Astronauten ums Leben kommen würden. Sie hatten aber vor allem Angst vor einem missglückten Raketenstart oder einer brenzligen Situation im Weltall. So wie 1966 bei Gemini-8, als Neil Armstrong nach einem Dockingmanöver nur mit Mühe die Kontrolle über sein Raumschiff behielt. Ein tödlicher Unfall auf dem Boden, Wochen vor dem Start, überstieg hingegen die Vorstellungskraft vieler NASA-Mitarbeiter.
An der Untersuchung des Feuers nehmen 1500 Menschen teil, so die Autoren des 1979 erschienen Buchs "Chariots for Apollo". Für die Rekonstruktion des Unfalls baut die NASA unter anderem eine baugleiche Kapsel Schraube für Schraube auseinander. Der Abschlussbericht des Apollo 204 Review Board umfasst am Ende knapp 3000 Seiten. Das diplomatisch formulierte Fazit der von der NASA eingesetzten Expertengruppe: Das Apollo-Team habe es versäumt, banale, aber ebenso essenzielle Sicherheitsfragen mit hinreichender Aufmerksamkeit zu bedenken.
Die "New York Times" fällt nach der Lektüre des Berichts ein schärferes Urteil. Die Untersuchung überführe die Leitung des Apollo-Projekts der "Inkompetenz und Fahrlässigkeit", schreibt sie im April 1967. Die Verantwortlichen hätten die drei Astronauten einer Umgebung ausgesetzt, die selbst ein Schüler im Chemieunterricht als eine tickende Zeitbombe erkannt hätte. Gemeint war eine Besonderheit des Lebenserhaltungssystems, die viele Laien sprachlos zurückließ: Die Kommandokapsel war mit reinem Sauerstoff gefüllt gewesen, der noch dazu unter leichtem Überdruck stand. Ein Pulverfass.
Reiner Sauerstoff – wie konnte die NASA nur? Tatsächlich gab es nachvollziehbare Gründe für diese Wahl. Einer war Gewohnheit. Schon während der Mercury- und Gemini-Missionen hatte die Raumfahrtbehörde ihre Kapseln mit dem reaktionsfreudigen Gas gefüllt. Die Alternative wäre gewesen, einen zweiten Tank voller Stickstoff an Bord zu nehmen. Das Gas macht einen Großteil der Erdatmosphäre aus und ist reaktionshemmend.
Ein zweiter Tank hätte die Raumschiffe aber schwerer gemacht, und das ist stets ein Problem bei Raketenstarts. Außerdem war die Technik für die korrekte Mischung der Gase kompliziert. Bei einem Defekt würden Astronauten zu viel Stickstoff einatmen, was lebensbedrohlich ist.
Obendrein verlor Sauerstoff seinen Schrecken, sobald die Kapsel den Weltraum erreichte: Dort konnte man den Luftdruck im Inneren auf ein Drittel des Atmosphärendrucks senken. Auch dann fanden noch genügend O2-Moleküle ihren Weg in die Lungen der Astronauten. Bei diesem Druck war die Brandgefahr stark reduziert. Rechnungen während des Mercury- und Gemini-Programms hatten ergeben, dass der Sauerstoff im Inneren der Kommandomodule ohnehin nicht ausreichte, um ein schlimmes Feuer in Gang zu setzen.
Die Raumkapsel des Apollo-Programms war allerdings deutlich voluminöser. Und auf der Startrampe musste der Druck in der Kapsel natürlich ähnlich hoch sein wie der der umgebenden Luft, damit die Astronauten ein- und aussteigen konnten. Um Lecks in Leitungen entdecken zu können, setzten die NASA-Ingenieure die Kabine sogar unter leichten Überdruck, nachdem die Piloten eingestiegen waren.
Wie die Untersuchung ergab, war sich die NASA der Gefahr bewusst, schätzte das Risiko aber falsch ein. Der Hersteller North American hatte während der Planungen der Apollokapsel aus Sicherheitsgründen sogar für ein Mischgas-Design plädiert, sich aber nicht durchsetzen können. Das Expertengremium konnte auch beweisen, dass Joseph Shae, der Chef der Raumkapselabteilung im NASA-Kontrollzentrum, wiederholt auf die Gefahr hingewiesen worden war. So zeichnete er den Brief eines Industriemanagers gegen, der eindringlich vor Bränden warnte.
Auch bei einem Treffen mit North American im August 1966 war die Feuergefahr Thema gewesen. Den Experten machten vor allem Nylonnetze Sorgen, die Astronauten und Techniker an vielen Stellen in der Kapsel aufgehängt hatten, um darin Werkzeug und andere Gegenstände zu lagern. In Sauerstoff getränkt, waren die Netze leicht entflammbar.
Shae ordnete nach dem Treffen mit North American zwar an, brennbares Material aus der Kapsel zu entfernen, schreiben die Autoren Charles Murray und Catherine Cox in ihrem Buch "Race to the Moon". Aber der Chefingenieur verlor seine Direktive aus den Augen. Es habe einfach zu viele Baustellen gegeben, sagte er später zu seiner Verteidigung.
So war der Innenraum von Apollo 1 am 27. Januar 1967 noch mit Netzen verhangen. Statt der erlaubten 30 Quadratzentimeter bedeckten sie eine zehnmal so große Fläche. An einer Stelle am Fuß von Grissoms Sitz lagen nur wenige Zentimeter zwischen einem der Netze und einem Kabel. Ein Kabel, dessen Ummantelung an zwei Stellen abgewetzt war. Vermutlich wurde hier der folgenschwere Funke gezündet, mutmaßen die NASA-Experten in ihrem Abschlussbericht. Hundertprozentig sicher sind sie sich aber nicht.
Mit großem Aufwand machen sich die Ingenieure in den folgenden Monaten an die Ausbesserung. Die Planer ersetzen die dreiteilige, schwer zu öffnende Luke von Apollo 1 durch ein praktischeres Modell, das die Astronauten im Notfall binnen weniger Sekunden öffnen können. Die Ingenieure entwickeln außerdem ein System, das die Kapsel vor dem Start mit einem Sauerstoff-Stickstoff-Gemisch füllt, auf dem Weg in den Orbit dann aber die dort vorteilhafte Unterdruckumgebung aus reinem Sauerstoff herstellt. Und das brennbare Nylon weicht brandfesten Materialien wie Teflon und Fiberglas.
"In der Nacht des Feuers wurden die jungen Männer des Weltraumprogramms plötzlich erwachsen"
Joseph Shae und ein anderer Missionsverantwortlicher mussten letztlich ihre Posten räumen. Aus Sicht manches Beobachters setzte auch ein Mentalitätswandel ein: Bis zu dem Unglück sei das Apollo-Programm von einer Art jugendlichem Überschwang geprägt gewesen, dem Glauben, dass alles schon gut gehen werde, schreiben Murray und Cox. "In der Nacht des Feuers wurden die jungen Männer des Weltraumprogramms plötzlich erwachsen."
Tatsächlich bleibt das Apollo-Programm von weiteren fatalen Unfällen verschont. Im Freudentaumel der geglückten Mondlandung gerät die Katastrophe von Apollo 1 schnell in Vergessenheit. So weit, dass die Nachlässigkeit erneut zuschlägt: Am 28. Januar 1986 stürzt das Challenger-Shuttle wegen eines porösen Dichtungsrings ab. Am 1. Februar 2003 bricht die Columbia im Flug auseinander, weil NASA-Manager Mängel im Hitzeschild ignoriert hatten.
Zum 50-jährigen Gedenktag von Apollo 1 hat sich die NASA dazu durchgerungen, erstmals einen Teil der Unglückskapsel öffentlich auszustellen. Darauf drängen die Angehörigen der toten Astronauten seit Jahrzehnten. Bisher hielt die NASA das verkohlte Raumschiff stets unter Verschluss. Nun zeigt sie immerhin jene Komponente, die Grissom, White und Chaffee das Leben kostete: die dreiteilige Luke, die sich von innen nicht rechtzeitig öffnen ließ.
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