News: Das Gedächtnis der Hamster
Doch woher weiß ein Hamster eigentlich, dass der Winter kommt? Wie Brian Prendergast von der Johns Hopkins University berichtet, haben die Tiere eine Art "photoperiodisches Gedächtnis": Sie merken sich die Tageslängen der vergangenen Wochen. Dabei kommt es darauf an, ob auf lange Tage kürzere folgen. "Es gab einigen Widerstand, das Phänomen als 'Gedächtnis' zu bezeichnen, weil es nicht in die bestehenden Kategorien passt", erzählt Prendergast. Bisher seien Wissenschaftler davon ausgegangen, dass die Hamster schlicht und einfach auf direkte Signale aus ihrer Umwelt reagieren. "Was wir nun aber zeigen konnten, ist, dass ihre Reaktion auf einen Reiz durch frühere Umstände modifiziert wird. Das lässt auf eine von der Vorgeschichte abhängige Antwort schließen, und das ist eine der Definitionen für Gedächtnis."
Die große Herausforderung für das Gedächtnis des Hamsters ist es, die jahreszeitlichen Schwankungen der Tageslänge zu berücksichtigen. Und da die Gehirne der kleinen Gesellen recht klein und wenig ausgereift sind, fragten sich die Forscher, wie ein Hamster weiß, dass die als Reiz verwendete Erinnerung auch wirklich die jüngste Erfahrung ist, die das Tier gemacht hat.
Die Wissenschaftler hielten ihre Versuchstiere über verschieden lange Zeiträume – von einer Woche bis zu drei Monaten – unter Langtagbedingungen, mit einer Lichtbestrahlung von 15 Stunden. Anschließend versetzten sie die Hamster in Gehege mit mittleren Tageslängen von 12,5 bis 14 Stunden. Ob die Hamster diese Abfolge als auf den Sommer folgenden Herbst betrachteten, erfassten Prendergast und seine Mitarbeiter über die Größe der Hoden. Denn bei jedem Tier, dass sich an die langen Tage erinnern würde, müßten sich die Organe zurückbilden.
Hamster, die nur für eine Woche den künstlichen Sommer geniessen durften, zeigten keinerlei Reaktion. Doch bei Tieren, die erst nach zwei Wochen oder mehr in das "Herbst-Gehege" umziehen mussten, wurden die Hoden in Erwartung des kommenden Winters kleiner. Dabei war es ohne Bedeutung, ob der Zeitraum zwei Wochen oder drei Monate umfasste (Proceedings of the National Academy of Sciences vom 2. Mai 2000, Abstract). "Anders als bei starken oder schwachen Erinnerungen schien es hier keine Form von Abstufung zu geben", berichtet Prendergast. "Das Tier hatte entweder eine Erinnerung, oder es hatte sie nicht."
Eine entscheidende Rolle in diesem Zyklus spielt offenbar das Hormon Melatonin, das nur nachts von dem Pinealorgan, der so genannten Zirbeldrüse im Gehirn, ausgeschüttet wird. Nachdem einige Tiere die "Langtagbedingungen" gelernt hatten, entfernten die Wissenschaftler bei ihnen diese Drüse. Anschließend waren die Hamster nicht mehr in der Lage, Informationen über die Jahreszeit in ihrem Gedächtnis zu behalten. "Was auch immer sie gelernt hatten, sie konnten es nicht mehr aktualisieren", erklärt Prendergast. Um die mittleren Tageslängen zu simulieren, verabreichten ihnen die Forscher Melatonin-Infusionen. Solange sie damit in den ersten Wochen nach der Operation begannen, reagierten die Tiere wie ihre nicht-operierten Versuchsgenossen mit einer Verkleinerung der Hoden. Lag die Entfernung des Pinealorgans aber bereits mehr als 13 Wochen zurück, zeigten die Hamster keine Reaktion – offenbar hatten sie die Sommertage vergessen. "Das macht absolut Sinn in Bezug auf das, was in der freien Wildbahn geschieht", meint Prendergast. Denn 13 Wochen, beziehungsweise ein Vierteljahr, entspricht etwa einer Saison. "Jede Information über Tageslängen, die der Hamster vor mehr als 13 Wochen gelernt hat, würde ihn zu einer falschen 'Entscheidung' bezüglich eines Tages mit mittlerer Länge treiben." Nicht, dass die Frühlingsgefühle plötzlich im Herbst erwachen.
Siehe auch
- Spektrum Ticker vom 10.6.1999
"Bei anderem Licht besehen"
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