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Ornithologie: Das Gerücht von den toten Pinguinen

Ein Eisberg habe in der Antarktis zehntausende Pinguine getötet - so lauteten die Schlagzeilen. Allein: Sie stimmen nicht.
Adeliepinguin

150 000 Adeliepinguine (Pygoscelis adeliae) – so viele Vögel soll der gigantische Eisberg B09B in der Ostantarktis auf dem Gewissen haben. Er strandete 2010 in der Commonwealth Bay und blockierte für die Pinguine den Weg von der Brutkolonie ins Meer. Als Kerry-Jayne Wilson vom neuseeländischen West Coast Penguin Trust und ihr Team wenige Jahre später den unter Antarktisforschern berühmten Nistplatz am Cape Denison besuchten, bot sich ihnen ein trauriges Bild. "Wo früher ohrenbetäubender Lärm herrschte, war jetzt bedrückende Stille", so der Expeditionsleiter Chris Turney von der University of New South Wales. Während ihrer Zählung im Dezember 2013 entdeckten sie Hunderte aufgegebener Eier und zahlreiche gefriergetrocknete Küken aus dem Vorjahr, wie sie in "Antarctic Science" berichten. Der Eisberg blockierte die Bucht vor dem Brutplatz und sorgte dafür, dass hier das Meer komplett zufror, während es sonst während der Brutzeit eisfrei blieb.

Ein Vergleich mit früheren Studien zeigte rasch: Die Kolonie wurde praktisch ausgelöscht. Vor 100 Jahren lebten in der Region wohl rund 200 000 Tiere, und noch 2011 kamen hier etwa 180 000 Adeliepinguine zur Paarung zusammen. Doch schon 2013 zählten die Forscher gerade noch wenige tausend Paare, die meist erfolglos versuchten, ihren Nachwuchs großzuziehen – um sie zu versorgen, mussten sie nun 60 Kilometer über das Eis zurücklegen, statt direkt ins Meer tauchen zu können. Dieser kräftezehrende Marsch sorgte dafür, dass die Küken nicht mehr ausreichend mit Nahrung versorgt wurden und verhungerten. "Die Population könnte in spätestens 20 Jahren komplett verschwunden sein, sofern B09B nicht weitertreibt oder das Packeis zwischen ihm und der Küste aufbricht", so Wilson und Co.

Flexible Reaktion

Doch wo waren die zehntausende erwachsenen Pinguine geblieben? Für viele Nachrichtenseiten war der Fall klar: Sie sind tot – gestorben wegen des Eisbergs. Die Veröffentlichung gibt dies jedoch nicht her, denn an keiner Stelle ist die Rede davon, dass die Altvögel verendet wären. Das bestätigt auch Kerry-Jayne Wilson auf Nachfrage: "Wir haben nicht behauptet, dass 150 000 Pinguine tot sind – und würden das auch nicht erwarten. Es kehrten nur sehr viel weniger Vögel zu ihrem Brutplatz zurück. Und jene, die es taten, konnten nicht erfolgreich brüten." Die Adeliepinguine wechseln sich dabei ab, und während ein Partner das Ei oder Küken hütet, sucht der andere nach Nahrung – wegen der riesigen Distanzen, die sie durch B09B überbrücken mussten, hatten sie für eine erfolgreiche Brut jedoch keine Kraft mehr. "Ihr Selbsterhaltungstrieb sorgte dafür, dass sie die Brut aufgaben, um zu überleben, so dass sie sich in den nächsten Jahren unter besseren Bedingungen erneut fortpflanzen können", so Wilson.

Die meisten erwachsenen Pinguine überlebten also wahrscheinlich. Unklar ist, ob sie an anderer Stelle eine neue Brutkolonie gegründet oder sich einer anderen angeschlossen haben. Wilson ist skeptisch: "Normalerweise kehren die Tiere Jahr für Jahr zu ihrem angestammten Neststandort zurück. Wir denken daher eher, dass sie den Sommer im Meer vor dem Eis am Cape Denison verbringen und auf günstigere Zeiten warten." Die Forscherin schließt aber nicht aus, dass die Vögel den Standort gewechselt haben. Das hat man etwa bei Kaiserpinguinen nachgewiesen, von denen Ornithologen auch lange gedacht hatten, sie würden konsequent einem Brutplatz treu bleiben. Mittlerweile hat sich jedoch gezeigt, dass sie bei Bedarf rasch neue Kolonien gründen. Und auch bei Adeliepinguinen konnten Forscher jüngst eine flexible Reaktion belegen: Nachdem 2001 ein Eisberg in der Ross-See auf Grund lief und den Zugang zu den Brutstätten durch zusätzliche Vereisung blockierte, siedelte ein Teil der Population an andere Orte um.

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