News: Das Gesicht im Gesicht
Punkt, Punkt, Komma, Strich, fertig ist das Mondgesicht – das erkennt jedes Kind. Doch auch ganz andere Informationen können ein Gesicht definieren. Selbst die Interpretation von Gesichtern wird von äußeren Faktoren beeinflusst.
Tagtäglich sehen wir hunderte von Gesichtern – zu Hause, bei der Arbeit, im Fernsehen, auf der Straße. Und stets erkennen wir ein Gesicht problemlos als Gesicht, selbst wenn die Hauptmerkmale Augen, Nase und Mund nicht zu differenzieren sind: Ganz klar, der ovale Fleck zwischen Schultern und Helm des Radfahrers dort am Ende der Straße, das ist das Gesicht!
In solchen Fällen sind die spezifischen Merkmale (Augen, Nase, Mund) unerheblich für die Definition "Gesicht", schließlich ist auf die Entfernung davon nichts zu erkennen. Das Gehirn muss also auf andere Hinweise zurückgreifen, um sich darüber klar zu werden, worum es sich bei besagtem ovalen Fleck eigentlich handelt. Dazu zieht es Informationen aus dessen Umfeld zu Rate; in diesem Fall ist das der Körper, auf dem der Kopf sitzt. Demnach mischt bei der Objekterkennung neben den so genannten intrinsischen Merkmalen, also den besonderen Eigenschaften des Objekts selbst, auch der Kontext entscheidend mit, in dem es gesehen wird.
Wie geht das Gehirn nun dabei vor? Zur Verarbeitung der spezifischen Kennzeichen, die das Gesicht zu einem Gesicht machen, nutzt es einen umschriebenen Hirnbereich, das fusiforme Gesichtsareal (fusiform face area, FFA). Wo sich die grauen Zellen den Eindruck eines Gesichts allein aus Umfeld-Informationen zusammenbasteln, ist bislang nicht bekannt. Möglicherweise geschieht dies auch in der FFA, vermutete das Team um Pawan Sinsha vom Massachusetts Institute of Technology [1].
Deshalb zeigten sie ihren Versuchspersonen verschiedene Bilder, auf denen Gesichter allein durch den Kontext definiert waren: Anstelle des Kopfes saß ein grauer Fleck auf einem Körper. Zum Vergleich gab es den Fleck in ungewöhnlichem Zusammenhang mit dem Körper, ein verwischtes Gesicht ohne Körper, einen kopflosen Körper, ein gut erkennbares Gesicht und schließlich noch ein Bild ganz ohne Mensch. Gleichzeitig sahen die Forscher per funktioneller Kernspinresonanztomographie (fMRI) dem Gehirn ihrer Testpersonen zu.
Dabei zeigte sich, dass die Kontext-Informationen genau das gleiche Hirnareal beschäftigten, das auch bei der Betrachtung spezifischer Gesichtsmerkmale aktiv ist: Prangte ein grauer Fleck über einem Körper, begann die FFA eifrig zu arbeiten – genau so, als ob sie ein Gesicht mit Augen, Nase und Mund verarbeitete. Begutachtete die Testperson dagegen ein undefiniertes Oval unterhalb von einem Körper, einen kopflosen Körper oder lediglich ein graues Oval allein, tat sich in diesem Gehirnbereich kaum etwas. Demnach verarbeitet die FFA nicht nur die intrinsischen Merkmale von Gesichtern, sondern es ist auch ihr Job, aus den begleitenden Informationen ein Gesicht zusammen zu basteln.
Doch ein Gesicht, egal ob es aus Augen, Nase und Mund besteht oder lediglich als undefiniertes Oval über den Schultern erscheint, ist nicht einfach nur ein Gesicht – es birgt außerdem eine immense Fülle von zusätzlichen Informationen. Deswegen können wir im Gesicht unseres Gegenübers oft lesen wie in einem Buch. Nicht nur Stimmungen und Gefühle kommen darin zum Ausdruck, sondern auch das Geschlecht oder das Alter des Menschen lassen sich klar erkennen.
Das alles gelingt uns zwar recht gut, wir sind dabei aber durch unsere Umgebung geprägt: Einem Europäer erscheinen Japaner oft alle verwirrend ähnlich, und umgekehrt tut sich ein Japaner in Europa in der Regel schwer, die Menschen vom kaukasischen Typus auseinander zu halten. Anscheinend beeinflusst die Gewöhnung an bestimmte Aspekte eines Gesichts, wie gut wir diese feinen Merkmale unterscheiden können. Dieses Phänomen nahmen nun Michael Webster und seine Kollegen von der University of Nevada genauer unter die Lupe [2].
Die Wissenschaftler konfrontierten Versuchspersonen mit drei Serien aus 100 computergenerierten Gesichtern, bei denen ein Extrem allmählich in ein anderes überführt wurde: Ein männliches Gesicht wurde stufenweise zu einem weiblichen, ein kaukasischer Typ verwandelte sich nach und nach in einen asiatischen oder ein verärgerter Gesichtsausdruck wechselte zu einem erstaunten.
Zunächst sollten die Testpersonen die einzelnen Bilder der Serien einfach nur einem der Extreme zuordnen. So fanden die Forscher heraus, welches Bild der Serie als neutral eingestuft wird und somit die individuelle Grenze zwischen den Kategorien festlegt. Dann folgte das eigentliche Experiment: Die Versuchspersonen wurden an einen der beiden Endpunkte der Bilderserien gewöhnt. Dazu sahen sie vor dem Start der Serie beispielsweise das Bild einer Frau für 180 Sekunden und dann vor jedem einzelnen Bild für 5 Sekunden.
Die Gewöhnung blieb nicht ohne Wirkung: Sie verschob die Kategoriengrenze in Richtung Frau. Ein Gesicht, das für die Probanden zuvor weiblich wirkte, galt nun als neutral, sodass mehr Bilder männlich erschienen. Bei den anderen Kategorien wie Ethnie oder Ausdruck bewirkte die Gewöhnung eine entsprechende Verschiebung.
Doch bereits ohne experimentellen Gewöhnungseffekt zeigten sich große individuelle Unterschiede bei der Festlegung der Kategoriengrenze. So verlegten Frauen diese mehr auf die Seite ihrer Geschlechtsgenossinnen, umgekehrt fanden Männer das neutrale Gesicht etwas mehr auf die Seite ihresgleichen. Amerikaner platzierten das neutrale Gesicht deutlich in den Bereich des kaukasischen Typus. Entsprechend verschoben japanische Studenten, die sich erst seit zwei Wochen in den USA aufhielten, die Grenze zwischen den Kategorien in den japanischen Bereich.
Etwas anders präsentierten sich Japaner, die bereits mindestens ein Jahr in Amerika lebten. Sie legten das neutrale Gesicht deutlich weiter in Richtung des vom Computer festgelegten Neutralpunktes als die Neuankömmlinge – allerdings blieben auch sie auf der japanischen Seite. Offensichtlich hatten sie sich im Laufe der Zeit an die europäischen Gesichter in ihrem Umfeld gewöhnt und konnten dadurch diesen Typus feiner differenzieren als ihre neu angekommenen Landsleute.
Der Mensch ist also für die Kategorie sensibler, zu der er selbst gehört. Aber er ist nicht auf Gedeih und Verderb festgelegt, sondern kann sich – zumindest in einem gewissen Maße – an fremde Aspekte gewöhnen und diese dann auch feiner unterscheiden.
In solchen Fällen sind die spezifischen Merkmale (Augen, Nase, Mund) unerheblich für die Definition "Gesicht", schließlich ist auf die Entfernung davon nichts zu erkennen. Das Gehirn muss also auf andere Hinweise zurückgreifen, um sich darüber klar zu werden, worum es sich bei besagtem ovalen Fleck eigentlich handelt. Dazu zieht es Informationen aus dessen Umfeld zu Rate; in diesem Fall ist das der Körper, auf dem der Kopf sitzt. Demnach mischt bei der Objekterkennung neben den so genannten intrinsischen Merkmalen, also den besonderen Eigenschaften des Objekts selbst, auch der Kontext entscheidend mit, in dem es gesehen wird.
Wie geht das Gehirn nun dabei vor? Zur Verarbeitung der spezifischen Kennzeichen, die das Gesicht zu einem Gesicht machen, nutzt es einen umschriebenen Hirnbereich, das fusiforme Gesichtsareal (fusiform face area, FFA). Wo sich die grauen Zellen den Eindruck eines Gesichts allein aus Umfeld-Informationen zusammenbasteln, ist bislang nicht bekannt. Möglicherweise geschieht dies auch in der FFA, vermutete das Team um Pawan Sinsha vom Massachusetts Institute of Technology [1].
Deshalb zeigten sie ihren Versuchspersonen verschiedene Bilder, auf denen Gesichter allein durch den Kontext definiert waren: Anstelle des Kopfes saß ein grauer Fleck auf einem Körper. Zum Vergleich gab es den Fleck in ungewöhnlichem Zusammenhang mit dem Körper, ein verwischtes Gesicht ohne Körper, einen kopflosen Körper, ein gut erkennbares Gesicht und schließlich noch ein Bild ganz ohne Mensch. Gleichzeitig sahen die Forscher per funktioneller Kernspinresonanztomographie (fMRI) dem Gehirn ihrer Testpersonen zu.
Dabei zeigte sich, dass die Kontext-Informationen genau das gleiche Hirnareal beschäftigten, das auch bei der Betrachtung spezifischer Gesichtsmerkmale aktiv ist: Prangte ein grauer Fleck über einem Körper, begann die FFA eifrig zu arbeiten – genau so, als ob sie ein Gesicht mit Augen, Nase und Mund verarbeitete. Begutachtete die Testperson dagegen ein undefiniertes Oval unterhalb von einem Körper, einen kopflosen Körper oder lediglich ein graues Oval allein, tat sich in diesem Gehirnbereich kaum etwas. Demnach verarbeitet die FFA nicht nur die intrinsischen Merkmale von Gesichtern, sondern es ist auch ihr Job, aus den begleitenden Informationen ein Gesicht zusammen zu basteln.
Doch ein Gesicht, egal ob es aus Augen, Nase und Mund besteht oder lediglich als undefiniertes Oval über den Schultern erscheint, ist nicht einfach nur ein Gesicht – es birgt außerdem eine immense Fülle von zusätzlichen Informationen. Deswegen können wir im Gesicht unseres Gegenübers oft lesen wie in einem Buch. Nicht nur Stimmungen und Gefühle kommen darin zum Ausdruck, sondern auch das Geschlecht oder das Alter des Menschen lassen sich klar erkennen.
Das alles gelingt uns zwar recht gut, wir sind dabei aber durch unsere Umgebung geprägt: Einem Europäer erscheinen Japaner oft alle verwirrend ähnlich, und umgekehrt tut sich ein Japaner in Europa in der Regel schwer, die Menschen vom kaukasischen Typus auseinander zu halten. Anscheinend beeinflusst die Gewöhnung an bestimmte Aspekte eines Gesichts, wie gut wir diese feinen Merkmale unterscheiden können. Dieses Phänomen nahmen nun Michael Webster und seine Kollegen von der University of Nevada genauer unter die Lupe [2].
Die Wissenschaftler konfrontierten Versuchspersonen mit drei Serien aus 100 computergenerierten Gesichtern, bei denen ein Extrem allmählich in ein anderes überführt wurde: Ein männliches Gesicht wurde stufenweise zu einem weiblichen, ein kaukasischer Typ verwandelte sich nach und nach in einen asiatischen oder ein verärgerter Gesichtsausdruck wechselte zu einem erstaunten.
Zunächst sollten die Testpersonen die einzelnen Bilder der Serien einfach nur einem der Extreme zuordnen. So fanden die Forscher heraus, welches Bild der Serie als neutral eingestuft wird und somit die individuelle Grenze zwischen den Kategorien festlegt. Dann folgte das eigentliche Experiment: Die Versuchspersonen wurden an einen der beiden Endpunkte der Bilderserien gewöhnt. Dazu sahen sie vor dem Start der Serie beispielsweise das Bild einer Frau für 180 Sekunden und dann vor jedem einzelnen Bild für 5 Sekunden.
Die Gewöhnung blieb nicht ohne Wirkung: Sie verschob die Kategoriengrenze in Richtung Frau. Ein Gesicht, das für die Probanden zuvor weiblich wirkte, galt nun als neutral, sodass mehr Bilder männlich erschienen. Bei den anderen Kategorien wie Ethnie oder Ausdruck bewirkte die Gewöhnung eine entsprechende Verschiebung.
Doch bereits ohne experimentellen Gewöhnungseffekt zeigten sich große individuelle Unterschiede bei der Festlegung der Kategoriengrenze. So verlegten Frauen diese mehr auf die Seite ihrer Geschlechtsgenossinnen, umgekehrt fanden Männer das neutrale Gesicht etwas mehr auf die Seite ihresgleichen. Amerikaner platzierten das neutrale Gesicht deutlich in den Bereich des kaukasischen Typus. Entsprechend verschoben japanische Studenten, die sich erst seit zwei Wochen in den USA aufhielten, die Grenze zwischen den Kategorien in den japanischen Bereich.
Etwas anders präsentierten sich Japaner, die bereits mindestens ein Jahr in Amerika lebten. Sie legten das neutrale Gesicht deutlich weiter in Richtung des vom Computer festgelegten Neutralpunktes als die Neuankömmlinge – allerdings blieben auch sie auf der japanischen Seite. Offensichtlich hatten sie sich im Laufe der Zeit an die europäischen Gesichter in ihrem Umfeld gewöhnt und konnten dadurch diesen Typus feiner differenzieren als ihre neu angekommenen Landsleute.
Der Mensch ist also für die Kategorie sensibler, zu der er selbst gehört. Aber er ist nicht auf Gedeih und Verderb festgelegt, sondern kann sich – zumindest in einem gewissen Maße – an fremde Aspekte gewöhnen und diese dann auch feiner unterscheiden.
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