Makedonisches Großreich: Ein Grab gegen die Krise
Griechenland steckt in der Krise, und seine Regierung braucht dringend Erfolge. Getrieben von den internationalen Geldgebern auf der einen Seite und einer auf Neuwahlen drängenden Opposition auf der anderen, kommt ihr die Gelegenheit gerade recht, die antike Vergangenheit medienwirksam zu beschwören. Bald geistert der Name Amphipolis durch die Presse, wo Archäologen womöglich das Grab Alexanders des Großen entdeckt hätten.
Doch bei genauerem Hinsehen erweist sich die Befundlage als äußerst dünn.
12. August. Das Land macht Ferien. Läden sind geschlossen. In Athen ruhen die Staatsgeschäfte. Keine News für die Medien, Saure-Gurken-Zeit. Doch die Journalisten werden jäh aus ihrem Sommerschlaf gerissen, als die Staatskanzlei verlautbart, der Ministerpräsident breche zu einer wichtigen Reise nach Makedonien auf, nach Amphipolis.
Die Pressevertreter wundern sich, was Antonis Samaras in einem Dorf 100 Kilometer östlich von Thessaloniki will. Wer sich kundig macht, weiß aber zumindest: Der Ort wurde schon 437 v. Chr. gegründet, weil in der Umgebung Gold und Silber zu fördern waren. Bereits sieben Jahre danach eroberte Sparta die Minenstadt im Peloponnesischen Krieg. 356 v. Chr. fiel sie dann an Philipp II., König der Makedonen und Vater des großen Alexander. Ab 167 v. Chr. gehörte Amphipolis zum Römischen Reich und machte in der Spätantike noch einmal als Wohnort des Apostels Paulus von sich reden.
Im Jahr 1956 hatten Archäologen begonnen, die antike Stadt zu untersuchen; nach und nach legten sie eine ausgedehnte Nekropole frei. Seit 2012 konzentriert sich Katerina Peristeri, Leiterin der Antikenverwaltung von Serres, auf ein bestimmtes Grab. Was sie dort entdeckt und am 10. August dem Staatschef mitteilt, veranlasst diesen, seinen Urlaub zu unterbrechen.
Es ist ein Hügelgrab, ungewöhnlich groß und offenbar mit großem Aufwand gebaut. Allein die kreisförmige Umfassungsmauer ist 497 Meter lang und 4,5 Meter hoch, gefügt aus Blöcken hellweißen Marmors von der Insel Thasos. Den frei gelegten Eingang flankieren Sphingen, von denen zwar nur jeweils der Torso erhalten ist, die aber die Besucher dennoch überragen. Und Antonis Samaras erklärt den mitgereisten Journalisten, dass er außergewöhnliche und wichtige Funde erwarte. Wer immer dort so königlich bestattet wurde, man werde es bald wissen. Bis Ende des Monats.
Am Tag darauf verkünden alle großen Zeitungen, der Tumulus sei zwischen 325 und 300 v. Chr. entstanden und folgerichtig käme nur ein Kandidat in Frage: Alexander der Große. Weil der 323 v. Chr. in Babylon verstorbene Makedone antiken Chronisten zufolge aber in Alexandria beigesetzt wurde, formulieren es die Medien als Vermutung – mit sehr kleinem Fragezeichen.
Etwa zwei Wochen vergehen, bis das Kultusministerium vor solchen Spekulationen warnt. Man solle bitte warten, bis die Grabungen abgeschlossen seien. Doch der Medienhype lässt sich nicht stoppen, Katerina Peristeri avanciert zum Fernsehstar. In Echtzeit erfährt das Publikum per Twitter und Blogs, welche Schätze ihr Team gerade entdeckt.
26. August: In einer Kammer hinter den Sphingen kommt ein Mosaikboden zum Vorschein, außerdem Fragmente einer Wandbemalung in den Farben Rot, Blau und Schwarz.
6. September: Zwei lebensgroße Karyatiden werden entdeckt, also Frauenstatuen, die als Säulen fungierten. Jeweils einen Arm weit gestreckt, scheinen ihre abwehrenden Hände immer noch zu gebieten: bis hierhin und nicht weiter.
10. September: Drei reich verzierte Architrave werden gefunden, mit roten und blauen Farbresten.
12. September: Die Vereinigung griechischer Archäologen kritisiert das Kultusministerium, die Berichterstattung vermittle ein falsches Bild der Wissenschaft und der Antike. Dies diene vor allem politischen Zielen.
Dass in Griechenland Archäologie auch gern mal Politik ist, war schon 1977 so. Drei Jahre nach dem Sturz der Militärdiktatur versuchte Konstantinos Karamanlis als Ministerpräsident aus dem zerrissenen Land eine Nation zu machen. Ein Archäologe kam ihm zu Hilfe. Manolis Andronikos informierte ihn 1977 noch vor dem Kultusministerium, dass er das Grab Philipps II. in Vergina gefunden habe. Karamanlis war vor Ort, als ein kostbarer Goldschatz Stück für Stück geborgen wurde. Auch damals fieberte das ganze Land mit. Die große Vergangenheit ließ endlich an eine gemeinsame Zukunft glauben.
15. September: Eine dritte Grabkammer wird gefunden.
20. September: Olga Palagia, Ordinaria für Archäologie und Alte Geschichte an der Universität Athen, bezweifelt die Datierung. Der Tumulus sei erst zu römischer Zeit angelegt worden, frühestens im 1. Jahrhundert v. Chr., urteilt sie anhand des Baustils und der Ausschmückung.
22. September: Der Kultusminister Kostas Tasoulas erklärt, Alexander der Große sei auf keinen Fall in Amphipolis begraben.
Doch wer dann? Vielleicht sein Sohn, werden neue Spekulationen laut. Denn Alexander IV. Aigos geriet im Streit um das Erbe des Welteroberers zwischen die Fronten und wurde antiken Quellen nach 316 v. Chr. in Amphipolis umgebracht.
2. Oktober: In der dritten Kammer entdecken die Archäologen Fragmente einer Tür aus Marmor, dazu Nägel aus Bronze und Eisen.
12. Oktober: Ein Bodenmosaik aus weißen, schwarzen, grauen, blauen, roten und gelben Steinen, 4,5 mal drei Meter groß, kommt in diesem Raum zum Vorschein. Es zeigt den Gott Hermes, zu dessen Aufgaben auch das Geleit der Toten in den Hades zählte, vor einem Streitwagen, den ein bärtiger Mann lenkt.
Am gleichen Tag will die griechische Opposition ihren Teil am Glanz und beantragt im EU-Parlament, eine offizielle Delegation nach Amphipolis zu entsenden. Dem Antrag wird stattgegeben. Termin: irgendwann in 2015. Der Nationalstolz schwillt, auch bei den griechischen Archäologen. Es hat Geschichte in Griechenland, sich in der Politik der Geschichte zu bedienen.
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