Evolution: Das Großhirn entstand schon bei den ersten Tieren
Der Neokortex, mit dem wir die Welt und unseren eigenen Körper wahrnehmen und bewegen, gilt – daher der Name – als stammesgeschichtlich besonders junger Teil des Gehirns. Doch das ist möglicherweise falsch, berichtet nun ein Team um Sten Grillner vom Karolinska-Institut in Stockholm. Wie das Team in »Nature Ecology & Evolution« schreibt, deutet eine Gemeinsamkeit in den Gehirnen von Säugetieren und Neunaugen darauf hin, dass die Grundstruktur der Großhirnrinde schon vor 560 Millionen Jahren entstand. Neunaugen sind eine der ältesten Gruppen lebender Wirbeltiere, und man dachte bisher, dass die Körperwahrnehmung in ihrem Kortex anders organisiert ist als bei Säugetieren – und sich deswegen in der Evolution eigenständig entwickelte. Das Team zeigte nun, dass das nicht stimmt und die grundlegende Organisation der Hirnrinde schon beim gemeinsamen Vorfahren beider Gruppen angelegt war.
In der Hirnrinde der Neunaugen fand die Gruppe nun eine Zone für visuelle Information und eine weitere, die Wahrnehmungen aus Kopf und Körper verarbeitet. Außerdem erhalten beide Bereiche ihre Informationen aus dem Thalamus und liegen direkt neben einem Bereich, der Muskelbewegungen steuert. All das widerspricht dem bisherigen Bild, dass die Hirnrinde der Neunaugen vor allem Gerüche verarbeitet; vielmehr enthält sie die gleichen Areale wie das Säugetiergehirn. Diese zeigen außerdem den gleichen charakteristischen Aufbau samt Vernetzung in tiefere Hirnbereiche.
Dieser Bauplan muss bereits beim gemeinsamen Vorfahren beider Gruppen bestanden haben, der während der Kambrischen Explosion vor weit über 500 Millionen Jahren lebte. Damit ist der Bauplan unseres Großhirns wohl 300 Millionen Jahre älter als bisher gedacht. Das Resultat kommt nicht ganz überraschend, denn es gibt schon länger Hinweise darauf, dass der Neokortex in Wirklichkeit eine viel längere Evolutionsgeschichte hat.
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