Direkt zum Inhalt

Physik seit Einstein: Das hätte auch Albert gern gesehen

Schneller als die Polizei erlaubt: Auf der Einstein-Tagung in Berlin konnte das staunende Publikum erfahren, wie es sich mit Lichtgeschwindigkeit reist.
Physik seit Einstein
Dass dieser Vortrag am Montagmorgen viele Hörer anziehen würde, damit war zu rechnen. Aber einen derart gewaltigen Besucherstrom hatte wohl niemand erwartet. Das Audimax der Humboldt-Universität ist berstend voll, und vor den Türen warten noch riesige Menschentrauben auf Einlass. "Das macht ja richtig Spaß", freut sich Hanns Ruder von der Uni Tübingen, der Referent des heutigen Abends.

Ruder spricht zum Thema "Was auch Einstein sicher gern gesehen hätte – Visualisierung relativistischer Effekte". Es geht darum: Was sehe ich, wenn ich bei knapp einer Milliarde Kilometer pro Stunde aus der Windschutzscheibe schaue? Wie sieht die Welt aus der Sicht eines Reisenden aus, der sich mit nahezu Lichtgeschwindigkeit bewegt?

Von Anfang an ist Ruder die volle Aufmerksamkeit des Publikums sicher. Zunächst erklärt er den Hörern, woran seine Forschergruppe arbeitet: Ruders Team programmiert Computer mit der Lorentztransformation – dem mathematischen Übergang von ruhenden in bewegte Systeme.

Beherrscht der Computer diese Transformation, dann kann man mit seiner Hilfe die Effekte berechnen, die aus der Speziellen Relativitätstheorie folgen – also die Verkürzung schnell bewegter Körper in Bewegungsrichtung (relativistische Längenkontraktion) und die Verlangsamung des Zeittakts schnell bewegter Uhren (relativistische Zeitdilatation). "Schnell" heißt hier: vergleichbar mit der Lichtgeschwindigkeit.

Damit geben sich Ruder und seine Kollegen aber nicht zufrieden. Sie wollen nicht nur wissen, was relativistisch tatsächlich passiert, sondern vor allem, wie ein fast lichtschneller Körper aus der Sicht eines ruhenden Beobachters aussieht.

Relativistischer Würfel | Gedreht und verbogen – so sieht ein ruhender Betrachter einen Spielwürfel, der fast lichtschnell an ihm vorbeifliegt.
Und was da herauskommt, ist ziemlich verblüffend. Fliegt zum Beispiel ein Spielwürfel mit nahezu Lichtgeschwindigkeit an einem Beobachter vorbei, dann erscheint er diesem als etwa 90 Grad zur Seite gedreht. Mit anderen Worten: Der Betrachter sieht die Rückseite des Würfels – obwohl dieser auf ihn zufliegt!

Den Eiffelturm verbiegen

Ähnlich wäre die Situation bei einem Astronauten, der beinahe lichtschnell an der Erde vorbeirast. Dem Raumfahrer böte sich die Erdkugel – analog zum Spielwürfel – um etwa 90 Grad verdreht dar. Wiese die Spitze seines Raumschiffs in Richtung Europa, so würde er durch die Frontscheibe beispielsweise den Atlantik vor sich erblicken! "Anders als man es zunächst vermutet", erklärt Ruder, "sieht der ruhende Beobachter die relativistische Verkürzung vorbeifliegender Körper nicht. Das hat optische Gründe. Stattdessen erscheinen sie ihm aus einer seitlichen Perspektive."

Aufrechte, gerade Stäbe, die fast lichtschnell auf einen Betrachter zustürzen, erscheinen ihm verbogen, wobei die Stab-Enden von ihm weg weisen. Entfernen sich die Stäbe vom Beobachter, so sieht er sie ebenfalls gekrümmt – doch diesmal zeigen die Stab-Enden zu ihm hin.

Relativistisches Tübingen | Eindeutig überm Tempolimit: Wer beinahe mit Lichtgeschwindigkeit durch Tübingen radelt, muss sich nicht über das seltsame Straßenbild wundern.
Was das für merkwürdige Folgen hat, demonstriert Ruder an einer virtuellen Fahrradtour durch Tübingen. Bei 99 Prozent Lichtgeschwindigkeit tritt eine Art Tunneleffekt ein: Die Straßenzüge werden auf seltsame Weise verzerrt und präsentieren sich dem flinken Radler als Röhre, durch die er hindurchsaust. "Hinzu kommen noch weitere Phänomene, zum Beispiel Dopplereffekte des Lichts, die dazu führen, dass Objekte direkt vor dem Radfahrer blau verfärbt erscheinen", ergänzt Ruder.

Anschließend präsentiert er dem staunenden Publikum eine wilde Fahrt unter dem Eiffelturm hindurch. Bei 99,99999 Prozent Lichtgeschwindigkeit ist das Bauwerk kaum noch erkennbar: Die Spitze des Turms erscheint auf geradezu groteske Weise in Richtung Erdboden verbogen, die zahlreichen Stahlverstrebungen formieren sich zu surrealistischen Figuren, die an fraktale Muster erinnern.

"Gestatten wir uns ruhig einmal, uns eine Welt vorzustellen, in der technisch alles möglich ist und nur noch die Physik die Grenzen vorgibt", resümiert Ruder, der seinen Vortrag mit amüsanten Filmausschnitten aus dem Filmserie "Star Trek" abrundet. Als er seine Lesung beendet, brandet donnernder Applaus auf. Das Publikum ist sichtlich begeistert. Die aufgeregten Fragen in der anschließenden Diskussion zeigen, dass auch viele Nicht-Physiker gekommen sind.

Der DPG-Kongress in Berlin hatte sich unter anderem zum Ziel gesetzt, das öffentliche Publikum anzusprechen. Spätestens nach Ruders Vortrag ist klar: Es ist ihm gelungen.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.