Evolution: Das hoffnungsfrohe Ungeheuer
Zwei Augen auf derselben Seite - der merkwürdige Körperbau der Plattfische gehört zu den großen Rätseln der Evolution. Zwei Fischfossilien widerlegen jetzt die Vorstellung, dass diese Asymmetrie in der Evolution mit einem Schlag auftauchte.
Sie sind platt, schmecken vorzüglich – und stellen für Evolutionsbiologen eine harte Nuss dar: Plattfische wie Scholle, Seezunge oder Heilbutt pflegen sich bekanntermaßen mit einer Seite auf den Grund des Meeres zu legen. Dabei hat sich ihr Körper an diese Lebensweise hervorragend angepasst. Beide Augen sowie die Nasen- und Kiemenöffnungen liegen auf der dunklen, sandfarbigen Oberseite; die helle Unterseite ist blind.
Wie entstand dieser schiefe Plattfischbau? Schon der Begründer der Evolutionstheorie, Charles Darwin (1809-1882), hatte sich darüber den Kopf zerbrochen. Denn wenn die Plattfische aus "normalen" Fischen hervorgegangen sind, müsste es Übergangsformen gegeben haben, deren Körper nur teilweise asymmetrisch ist. Doch welchen Selektionsvorteil hätten diese Mischwesen genossen?
Diese Hypothese fügte sich zwar nur schlecht in das Konzept einer kontinuierlichen Evolution, konnte jedoch bislang bei den Plattfischen nicht widerlegt werden. Doch als Matt Friedman in alten Museumsbeständen herumstöberte, tauchten bei dem Evolutionsbiologen von der University of Chicago Zweifel auf.
Als Friedman die Fossilien mit schwacher Säure vorsichtig aus dem Gestein herauslöste und per Computertomografie in das Schädelinnere blickte, erlebte er eine Überraschung: Der Kopf war nicht – wie bislang vermutet – symmetrisch, sondern erschien leicht schief. Die Augen saßen zwar jeweils auf den gegenüberliegenden Körperseiten, allerdings auf unterschiedlichen Höhen.
Die schiefen Fische widerlegen damit die Monster-Theorie. "Wir haben ein Zwischenstadium zwischen heutigen Plattfischen und dem Körperbau anderer Fische entdeckt", betont Friedman.
Welches Auge diese Wanderung antrat, scheint bei Amphistium noch nicht festgelegt gewesen zu sein. Friedman fand Exemplare, die auf der rechten oder linken Seite schielten. Doch was hatten diese Fische von ihrem schiefen Kopf?
"Diese ausgestorbenen Fische waren sicherlich Räuber", meint dazu Friedman. "Viele Plattfische liegen auf der Seite, um ahnungslosen Beutetieren aufzulauern, aber sie liegen nicht immer flach – sie stützen sich oft mit ihren Flossen vom Meeresgrund ab. Amphistium und Heteronectes machten es vielleicht genauso, und auch eine unvollständige Asymmetrie könnte ihnen eine bessere Sicht auf Dinge über und um sie herum gewährt haben als überhaupt keine Asymmetrie."
Mit diesem asymmetrischen Körper erblickt ein neugeborener Plattfisch jedoch keineswegs das Licht der Welt. Wie es sich für ein Wirbeltier gehört, sind Plattfischlarven bilateralsymmetrisch gebaut und schwimmen frei im Wasser. Erst mit zunehmenden Alter setzt die merkwürdige Verwandlung ein: Das Auge der späteren Blindseite wandert über die Stirn zur zukünftigen Oberseite; die jungen Fische suchen ihr sandiges Heim auf. Welches Auge sich auf Wanderschaft begibt, ist artspezifisch. Die meisten Plattfischarten sind "rechtsäugig"; nur bei einigen Spezies wie der Flunder kommt beides vor.
Wie entstand dieser schiefe Plattfischbau? Schon der Begründer der Evolutionstheorie, Charles Darwin (1809-1882), hatte sich darüber den Kopf zerbrochen. Denn wenn die Plattfische aus "normalen" Fischen hervorgegangen sind, müsste es Übergangsformen gegeben haben, deren Körper nur teilweise asymmetrisch ist. Doch welchen Selektionsvorteil hätten diese Mischwesen genossen?
Etliche Biologen wie der deutsch-amerikanische Zoologe Richard Goldschmidt (1878-1958) vertraten daher die Ansicht, die Evolution verlaufe sprunghaft. Durch diese "Saltation" entstünden mit einer einzigen Mutation "hoffnungsfrohe Ungeheuer" (hopeful monsters), deren Abnormität sich plötzlich als vorteilhaft erweise.
Diese Hypothese fügte sich zwar nur schlecht in das Konzept einer kontinuierlichen Evolution, konnte jedoch bislang bei den Plattfischen nicht widerlegt werden. Doch als Matt Friedman in alten Museumsbeständen herumstöberte, tauchten bei dem Evolutionsbiologen von der University of Chicago Zweifel auf.
Das Naturhistorische Museum in Wien stellte Friedman ein 45 Millionen Jahre altes Fischfossil aus dem Eozän zur Verfügung; zwei weitere, etwa gleich alte Exemplare erhielt der Forscher vom Natural History Museum in London. Die Fossilien galten als Vertreter der Gattung Amphistium, die bereits vor über 200 Jahren beschrieben worden ist.
Als Friedman die Fossilien mit schwacher Säure vorsichtig aus dem Gestein herauslöste und per Computertomografie in das Schädelinnere blickte, erlebte er eine Überraschung: Der Kopf war nicht – wie bislang vermutet – symmetrisch, sondern erschien leicht schief. Die Augen saßen zwar jeweils auf den gegenüberliegenden Körperseiten, allerdings auf unterschiedlichen Höhen.
Der Körperbau des Wiener Exemplars fiel derart aus den Rahmen, dass Friedman sie als neue Gattung ansieht. Der Fisch hört jetzt auf den Namen Heteronectes chaneti, der einerseits dem wohl etwas schrägen Schwimmstil Rechnung trägt (heteros, griech.: anders; nectri, griech.: Schwimmer), mit dem andererseits der französische Plattfischforscher Bruno Chanet geehrt wird.
Die schiefen Fische widerlegen damit die Monster-Theorie. "Wir haben ein Zwischenstadium zwischen heutigen Plattfischen und dem Körperbau anderer Fische entdeckt", betont Friedman.
"Wir haben ein Zwischenstadium zwischen heutigen Plattfischen und dem Körperbau anderer Fische entdeckt"
(Matt Friedman)
"Bemerkenswerterweise lag die orbitale Migration, also die Wanderung eines Auges von der einen Schädelseite auf die andere, die normalerweise während der Larvalentwicklung auftritt, bei den beiden primitiven Plattfischen bereits vor, war aber noch unvollständig." (Matt Friedman)
Welches Auge diese Wanderung antrat, scheint bei Amphistium noch nicht festgelegt gewesen zu sein. Friedman fand Exemplare, die auf der rechten oder linken Seite schielten. Doch was hatten diese Fische von ihrem schiefen Kopf?
Hierüber lässt sich nur spekulieren. Vielleicht hatten sie mit ihrem oberen Auge gefährliche Räuber im Blick, während das untere dem Erspähen leckerer Beute diente.
"Diese ausgestorbenen Fische waren sicherlich Räuber", meint dazu Friedman. "Viele Plattfische liegen auf der Seite, um ahnungslosen Beutetieren aufzulauern, aber sie liegen nicht immer flach – sie stützen sich oft mit ihren Flossen vom Meeresgrund ab. Amphistium und Heteronectes machten es vielleicht genauso, und auch eine unvollständige Asymmetrie könnte ihnen eine bessere Sicht auf Dinge über und um sie herum gewährt haben als überhaupt keine Asymmetrie."
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