Aids-Impfung: Das Immunsystem schrittweise auf HIV abrichten
Bereits Anfang der 1980er Jahre erkannten Forscher, dass das HI-VirusAids verursacht. Mittlerweile lässt sich die Krankheit zwar schon besser behandeln, jedoch gibt es bis heute kein Heilmittel. Ähnlich schwer wie die Suche nach einem wirksamen Medikament gegen das Virus scheint es, zumindest die Ansteckung mit HIV zu verhindern, etwa durch einen wirksamen Impfschutz. Allein im Jahr 2015 gab es mehr als zwei Millionen Neuansteckungen.
HIV macht es dem Immunsystem extrem schwer: Es befällt ausgerechnet wichtige Immunzellen und schwächt sie, zudem verändert der Erreger aber auch laufend sein Aussehen. Zwar erkennt das Immunsystem den Erreger zunächst als Feind und fährt ein geeignetes Abwehrprogramm hoch, dies dauert aber seine Zeit. Und oft zu lange: Denn in der Zwischenzeit verändert sich der Erreger so stark, dass das eben noch aktuelle Fahndungsprofil des Immunsystems nicht mehr greift. Bis es sich auf die neue Variante eingestellt hat, wandelt sich die Angriffsfläche des HIV erneut – und ist so immer einen Schritt voraus.
In den letzten Jahrzehnten hatte man verschiedenste Bekämpfungsstrategien getestet, die sich gegen andere Krankheiten bewähren. Doch keine schien gegen HIV zu funktionieren; immer wieder wurden klinische Tests wegen negativer Ergebnisse abgebrochen. Jeffrey Safrit, HIV-Forscher und Direktor für Forschungsverbünde der Internationalen Aids-Impfstoff-Initiative IAVI, erklärt: "Auf Grund der besonderen Tücken des Virus werden gänzlich neue Ansätze in der Impfstoffentwicklung gebraucht." Zudem müssten die Lebensumstände der besonders gefährdeten Menschen berücksichtigt werden: Wir brauchen, so der Immunologe, Vorbeugung, die die Menschen im Alltag auch tatsächlich nutzen. Und: "Für einen dauerhaften Impfschutz gegen HIV wäre die Aktivierung breit neutralisierender Antikörper entscheidend."
Verhaltene Euphorie nach der Thailandstudie
Ein solcher Impfschutz fehlt aber bis heute. Dabei schürten Teilerfolgsmeldungen schon Hoffnungen. So im September 2009, als erstmals positive Ergebnisse in klinischen Tests bestätigt werden konnten. Ein Impfstoff, der in Thailand an über 16 000 Teilnehmern getestet wurde, schien teilweise zu schützen. Über einen Zeitraum von dreieinhalb Jahren infizierten sich insgesamt 30 Prozent weniger Geimpfte als Ungeimpfte. Obwohl das nur ein relativ geringer Schutz war, lieferte die Studie immerhin den ersten Hinweis darauf, dass eine Impfung gegen Aids überhaupt möglich ist.
Das Thailandvakzin setzte sich aus zwei Komponenten zusammen, die separat in vorherigen Tests keine Wirkung gezeigt hatten. Die erste bestand aus Teilen der HIV-DNA, verpackt in einem für den Menschen ungefährlichen Vogelvirus. Diese feuerte das Immunsystem zunächst an und sensibilisierte es für HIV. In Nachimpfungen spritze man dann zusätzlich ein HIV-Hüllenprotein, um die Produktion von Antikörpern anzuregen. Basierend auf den Erfolgen der Thailandstudie beginnen jetzt Ende 2016 weitere klinische Tests in Südafrika mit einer etwas abgewandelten Version des Wirkstoffs. Zusätzlich werden andere optimierte Impfstoffe getestet; weltweit laufen laut IAVI derzeit mehr als 30 klinische Studien zu neuen HIV-Impfungen.
"Für einen dauerhaften Impfschutz gegen HIV sind breit neutralisierende Antikörper entscheidend"Jeffrey Safrit
Doch bisher erreichte keine, was Safrit für entscheidend hält: Die Aktivierung von "breit neutralisierenden Antikörpern". Nur diese haben das Potenzial, HIV in all seinen Varianten zu erkennen und dauerhaft vor einer Infektion zu schützen.
Solche breit neutralisierenden Antikörper bilden einige wenige Menschen mit HIV nach Jahren der Infektion. Das Besondere an diesen Antikörpern: Sie binden an einen Teil des HIV-Hüllenproteins, der sich – im Gegensatz zum Rest des Komplexes – im Lauf der Zeit kaum verändert. Deshalb können sie verschiedenste Stammvarianten des Virus erkennen und neutralisieren, und das auch noch nach mehrfachen Veränderungen. Obwohl die Antikörper nur in einer Minderheit von Infizierten und erst nach langer Zeit produziert werden, weckte ihre Entdeckung im Jahr 2009 neue Hoffnungen. Denn man war zum ersten Mal auf menschliche Antikörper gestoßen, die das Virus trotz seiner ständigen Veränderungen schlagen können.
Breit neutralisierende Antikörper als Hoffnungsträger
Und bald bestätigte sich, dass breit neutralisierende Antikörper tatsächlich gegen jegliche HIV-Stämme schützen: Direkt gespritzt bewährten sie sich zunächst in einer Studie mit Affen und später ebenfalls beim Menschen. Seit Mai 2016 wird auch diese Methode in einer groß angelegten klinischen Studie getestet. Zwar können die gespritzten Antikörper für einen sofortigen Schutz sorgen, weil sie aber nicht vom Immunsystem selbst produziert werden, hält die Schutzwirkung jedoch nur für eine begrenzte Zeit. Patienten müssten die Impfung fortlaufend auffrischen lassen, um durchgehend geschützt zu sein, was mit hohen Kosten verbunden wäre.
Um Aids tatsächlich auszurotten, müsste also ein Impfstoff her, der die Herstellung körpereigener breit neutralisierender Antikörper anregt – und ebendiesem Prozess sind mehrere Forschergruppen weltweit auf der Spur: Sie sind dabei zu entschlüsseln, wie und wann das Immunsystem diese Antikörper produziert und ob man den Prozess von außen – eben durch einen Impfstoff – ankurbeln könnte. Dazu müssen B-Zellen des Immunsystems aktiviert werden. Dies geschieht, wenn zum Beispiel ein Virusprotein – das Antigen – an die Zellen andockt. Nun können HIV-Proteine aber gerade die B-Zellen, die die Vorläufer der breit neutralisierenden Antikörper produzieren, nicht ausreichend aktivieren – sie binden einfach nicht stark genug. Wissenschaftler fanden zwar schon heraus, dass ein Antigen mit einer etwas anderen Struktur dazu im Stande ist. Die so aktivierten B-Zellen produzieren dann aber nur Antikörper gegen das aktivierende Antigen und nicht gegen HIV. Ein Dilemma – aber kein unlösbares, wie nun gleich fünf neue Studien mit innovativen Strategien belegen [1-5].
Die Arbeitsgruppen waren ähnlich vorgegangen und hatten spezielle Antigensortimente designt. Ausgangspunkt war dabei jeweils ein Antigen, das besonders gut bindet. Dieses präsentierten sie dem Immunsystem von Versuchstieren. Darauf folgte dann der nächste Entwurf einer Reihe weiterer, stets ein wenig mehr veränderter Antigene: Das erste ähnelte dem vorherigen noch stark, hatte aber bereits erste Elemente eines HIV-Proteins. So glichen sie die Antigene Schritt für Schritt an das natürliche HIV-Protein an. Am Ende sollte ein durch das Antigenset stufenweise trainiertes Immunsystem stehen.
Das Immunsystem schrittweise trainieren
Im Test an Mäusen, die mit Hilfe von Gentechnik ein menschenähnliches Immunsystem entwickelt hatten, scheint das schon zu klappen: Innerhalb von fünf Monaten produzierte das stufenweise trainierte Immunsystem dieser Mäuse menschliche Antikörper, die tatsächlich verschiedenste HIV-Stämme erkennen konnten. Zum ersten Mal wurden so durch sequenzielle Impfungen breit neutralisierende Antikörper gegen HIV aktiviert.
Der nächste Schritt ist nun, die Methode für eine Impfung von Menschen möglich zu machen. Laut Michel Nussenzweig, der gemeinsam mit seinem Kollegen William Schief einige der Studien leitete, bestehe die Schwierigkeit darin, dass die Vorläufer dieser Antikörper nur einen sehr kleinen Anteil des menschlichen Immunsystems ausmachten und es nicht so einfach sei, sie mit einem Impfstoff zu erreichen. Schief sagt: "Dies ist erst der Anfang. Wir versuchen, einige Regeln der Impfstoffentwicklung neu zu definieren, um die außergewöhnlichen Herausforderungen, vor die HIV uns stellt, zu überwinden. Aber wir machen wichtige Fortschritte."
Der erste Impfstoff der Versuchsreihe – das aktivierende Antigen – wird demnächst schon in ersten klinischen Studien der IAVI getestet. "Die Forschung und Entwicklung von neuen HIV-Impfstoffen macht gute Fortschritte. Neue wissenschaftliche Einsichten und neue Methoden, die wir vor einigen Jahren noch nicht hatten, bringen uns enorm voran", meint Jeffrey Safrit. Die Studien an Mäusen zeigen, dass der Ansatz funktionieren kann.
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