Internet: Was Katzenvideos das Klima kosten
Es geht schnell. Ein schneller Klick aufs Smartphone: Regnet es heute noch? Scheint die Sonne? Oder kommt ein Sturm auf? Wer wissen will, welche Jacke passend ist, kann einfach eine Wetter-App öffnen. Dass er damit selbst einen kleinen Anteil zum Klimawandel beiträgt, das hat der Nutzer meist nicht im Blick.
Suchanfragen, Skypen oder Streamen belasten das Klima. Und das nicht wenig. Die digitale Welt verursacht nach Expertenmeinung zwischen 1,7 und 3,7 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen – je nach Studie. Und der Anteil steigt. Bis auf 8 Prozent im Jahr 2030, in einem Worst-Case-Szenario sagen schwedische Wissenschaftler von Huawei sogar 23 Prozent voraus.
Wissenschaftler des französischen Thinktanks »The Shift Project« haben daher zur digitalen Mäßigung aufgerufen. Doch nützt es, eine E-Mail aus dem Papierkorb zu löschen oder online auf Katzenvideos zu verzichten? Wie viel Strom braucht eine Suchanfrage oder Streamen? Die Antworten fallen unterschiedlich aus. Denn die Abschätzungen variieren schon beim Strombedarf. So kommt die American Coalition for Clean Coal Electricity auf einen viel höheren Wert als die Informations- und Kommunikationstechnologie-Industrie (IKT).
Ein Grund: Viele betrachten nicht das ganze Internet, also die gesamte Infrastruktur, die gebraucht wird, um beispielsweise eine Suchanfrage zu stellen, schreibt ein Forscherteam um Joshua Aslan 2017 im »Journal of Industrial Ecology«. Das ganze Internet ist eben nicht nur der Akku eines Smartphones, der Energie schluckt. Dazu kommt die Energie, um die Tablets und PCs zu produzieren, die Infrastruktur, um die Daten zu transportieren, wie die Mobilfunkanlagen, und vor allem der Energiebedarf der Rechenzentren.
»Streamingdienste verursachen allein 300 Millionen Tonnen CO2 im Jahr. Das ist etwa ein Prozent aller globalen menschengemachten Emissionen«Shift Project
Eine aktuelle Zahl aller Teile des Internets geben 2019 die Forscher des Shift Project an. Demnach benötigt die IKT 2019 mehr als 3600 Terawattstunden (TWh) pro Jahr. Das sind fast 1000 TWh mehr, als ganz Deutschland allein braucht. Und während auf allen Gebieten versucht wird, den Energieverbrauch und damit die Kohlendioxidemissionen zu verringern, schätzen sie, dass es jedes Jahr rund neun Prozent mehr werden. Doch wer sind die Treiber der Steigerungen?
Zunächst gibt es immer mehr Geräte, die produziert werden. Im Jahr 2017 gab es vier Milliarden Endgeräte, so die Shift-Forscher, 2020 werden es 5,5 Milliarden gewesen sein. Aber noch stärker macht sich die Produktion der zahlreichen neuen Features bemerkbar, die schwieriger zu produzieren sind und mehr seltene Rohstoffe erfordern.
Die Treiber beim digitalen Surfen: Katzenvideos und Seriensüchtige?
Die »Explosion« im Energieverbrauch sehen die Shift-Forscher allerdings im veränderten Nutzerverhalten. Nicht nur billiges mobiles Surfen verleitet zu mehr Onlinenutzung, sondern auch die immer hochwertigeren und datenreicheren Videos. Videos machen inzwischen 69 Prozent des Internetverkehrs aus, Tendenz steigend. Auch Werbung funktioniert am besten mit Videos, die mittlerweile mit Auto-Play automatisch ohne Klick starten. Konzerte werden von zahlreichen Besuchern als eigener Videomitschnitt in die Cloud geschickt.
»Streamingdienste verursachen allein 300 Millionen Tonnen CO2 im Jahr. Das ist etwa ein Prozent aller globalen menschengemachten Emissionen«, schreiben die Aktivisten hinter The Shift Project. Und: »Eine Stunde HD-Video-Streaming verbraucht halb so viel Strom wie ein Backofen.«
Datenverbrauch hat sich in zehn Jahren verhundertfacht
Und so kommen die Shift-Forscher auf 300 Millionen Tonnen CO2 jährlich – allein für Videos. Die großen Umweltsünden verursachen demnach Streamen von Netflix oder Amazon-Serien, Pornofilme, Youtube und Videos per Whatsapp. Mit ein Grund dafür, warum sich in Deutschland das durchschnittliche monatliche Datenvolumen der Nutzer in den letzten zehn Jahren von 0,027 auf 2,5 Gigabyte (GB) verhundertfacht hat.
Wer 2014 die Fußball-WM mit LTE angesehen hat, verbrauchte im LTE-Netz laut Telekom 2,7 GB in den 90 Minuten. Das entspricht heute dem Verbrauch eines HD-Films in einer einzigen Stunde mit drei GB. Fast das Vierfache verbraucht ein Stream in UHD-Qualität mit sieben GB.
Diesen Datenverbrauch haben die Shift-Forscher in einen gesamten Energieverbrauch umgerechnet: Wer heutzutage eine Stunde »Game of Thrones« auf dem Tablet streamt, könne für die gleiche Energie eine halbe oder eine ganze Stunde einen Elektrobackofen bei voller Power laufen lassen. Wissenschaftler der ETH Zürich kommen allerdings nur auf ein Zehntel dieses Werts, und der Wert des Teams um Aslan aus dem Jahr 2015 liegt irgendwo in der Mitte. »Der Stromverbrauch des ganzen Internets lässt sich nicht präzise messen, sondern nur abschätzen«, sagt auch Andreas Winter, Professor für Softwaretechnik an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Aber einig sind sich alle: Streaming braucht immer mehr Energie.
»Der Stromverbrauch des ganzen Internets lässt sich nicht präzise messen, sondern nur abschätzen«Andreas Winter
Es gibt unzählige Vergleiche zwischen dem Energieverbrauch einer Suchanfrage und einer Glühbirne: »Ein typischer Benutzer verbraucht etwa 180 Wattstunden im Monat für Suchanfragen mit Downloads. Das entspricht einer 60-Watt-Glühbirne für drei Stunden«, behauptet etwa ein Sprecher von Google gegenüber der »New York Times«.
Und laut Zahlen von Google aus dem Jahr 2011 verbraucht eine Suche 0,3 Wattstunden. Das macht knapp 16 Gramm Kohlendioxid beim derzeitigen Strommix. Auch nach eigenen Angaben von 2018 verbraucht der Konzern Google 5,7 Terawattstunden pro Jahr, das ist so viel wie ganz San Francisco. Es war also höchste Zeit für einige Internetgiganten wie Google und Apple, sich ein grünes Label zu verpassen: Sie propagieren, für ihre Serverfarmen Wind- und Sonnenenergie als Stromquellen zu nutzen.
Grüne Energie ist nicht endlos vorhanden
Doch gleichzeitig unterstützt Google Organisationen, die den Klimawandel leugnen, wie der »Guardian« kürzlich ermittelte. Ob die grünen Absichten real sind und nachhaltig, hat Greenpeace in seinem Bericht »Grüner klicken« aufgelistet. Schlusslicht ist Amazon, das 30 Prozent seiner Energie aus Kohle, Atom und Erdgas bezieht. Dagegen hat Microsoft in Irland und Holland zwei komplette Windparks übernommen. Das bringt aber auch Probleme mit sich: Diese Energie fehlt an anderer Stelle: Der gesamte Internet-Energieverbrauch war bereits 2012 dreimal so hoch wie die Menge an Energie, die alle Wind- und Solaranlagen im gleichen Jahr geliefert haben.
Ein Drittel des Energiebedarfs der Internetnutzung machen Datenbanken aus: »Der Energiebedarf von Rechenzentren in Deutschland liegt momentan ungefähr bei 10 bis 15 TWh. In CO2-Äquivalente umgerechnet entspricht das ungefähr den CO2-Emissionen, die wir im Flugverkehr in Deutschland haben«, rechnet Clemens Rohde vom Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung in Karlsruhe vor. Die Rechenzentren brauchen nicht nur Strom für den Betrieb, sondern auch zum Kühlen der Server. In Schweden wollen sie diese Abwärme im Fernwärmenetz nutzen. Das ist so viel, dass sie bis 2035 ein Zehntel des Heizbedarfs von Stockholm ersetzen kann.
Rechenzentren verursachen so viel CO2-Emissionen wie Flugverkehr
Auch Programme können verbessert werden, damit sie effizienter werden. Daran arbeitet der Oldenburger Forscher Winter. Doch kann auch der Nutzer sein Verhalten ändern: mehr auf Festplatten speichern, E-Mails aus dem Papierkorb löschen, nutzlose Newsletter abbestellen? Weniger hochauflösende Videos aus dem Internet ziehen und den Router abschalten, wenn er nicht gebraucht wird? Nicht mehr auf Konzerten Filmchen in die Cloud senden?
In »Why We Need a Speed Limit for the Internet« bezweifelt Autor Kris De Decker, dass sich das Nutzerverhalten ohne einschneidende Zwangsmaßnahmen ändert. Er äußert provokant, das könne zum Beispiel ein verordnetes Tempolimit, das die drahtlose Geschwindigkeit drosselt. Wirksam könne es auch sein, die Nutzung von Videos zu verbieten und das mobile Internet wieder mehr zu einem Text- und Bildmedium machen.
Denn der Zugriff über die Mobilfunkmasten verbraucht mehr Strom als durchs Kabel. 3G erfordert 15-mal mehr Energie als WiFi und 4G sogar 23-mal mehr. Und suchten die Nutzer beim langsamen 3G noch oft kostenloses WiFi, um Daten herunterzuladen, so ist dies bei 4G nicht mehr so. Mit schnellerem Mobilfunk kann man die Energie fressenden Filme nicht nur ansehen, wann man will, sondern auch, wo man will. Diese Forderungen würden den technologischen Fortschritt nicht behindern, sondern den Raum und den Druck schaffen, ein energieeffizienteres Internet zu entwickeln, so De Decker.
Auf der anderen Seite soll die zunehmende Digitalisierung in der Industrie 4.0 Energie einsparen. Der neue Mobilfunkstandard 5G soll energieeffizienter sein, so die Swisscom auf Anfrage: Ein Bit zu übertragen, brauche einen Bruchteil des Stroms. Aber gleichzeitig sei damit zu rechnen, dass der starke Anstieg der Datennutzung die Stromersparnisse wieder zunichtemacht.
Auch Nutzer können Strom sparen
Zudem regt die wachsende Digitalisierung neue Geschäftsmodelle und Verhaltensmuster an, die auf mobilem Datenverkehr beruhen. So können mit 5G beispielsweise weit mehr hochauflösende Konstruktionspläne auf Baustellen helfen oder die erweiterte Realität voranbringen. Auch das Training von künstlicher Intelligenz erfordert sehr viel Rechenleistung.
Internet und Kommunikationstechnologien verbrauchten laut Bundesregierung in Deutschland 2015 an Strom knapp 48 Terawattstunden, also rund acht Prozent des gesamten Nettostrombedarfs. Der Klimafußabdruck in 2017: knapp 31 Millionen Tonnen CO2 für die IKT. Aber Prognosen für die zukünftige Entwicklung liegen nicht vor, weder insgesamt noch für die Entwicklungen mit 5G oder der des Internets der Dinge, so die Bundesregierung auf eine kleine Anfrage.
Auch einzelne Nutzer haben die Möglichkeit, Energie zu sparen. Wer in Zukunft das Internet mit Blick auf die Klimabilanz nutzen will, kann seinen eigenen Verbrauch messen: Das Shift Project hat einen CO2-Rechner für Browser entwickelt. Dennoch liege die Verantwortung mehr bei der Politik – und die hätte das Problem leider noch nicht verstanden.
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