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Neurofeedback: "Das ist wie Radfahren"

Dank verfeinerter Techniken könnte Neurofeedback künftig für eine Reihe seelischer Erkrankungen eine Alternative zu Medikamenten bieten - davon ist der Psychologe Niels Birbaumer überzeugt. G&G traf den renommierten Forscher in seinem Institut an der Universität Tübingen.
Niels Birbaumer
Gehirn&Geist: Herr Professor Birbaumer, wie erklären Sie einem Patienten, was Neurofeedback ist?

Niels Birbaumer: Neurofeedback ist, einfach gesagt, eine Methode zur Kontrolle der eigenen Hirntätigkeit. Genau wie Menschen in der Lage sind, ihre Atmung oder ihren Herzschlag zu beeinflussen – etwa indem sie bewusst tief ein- und ausatmen –, können sie auch innerhalb gewisser Grenzen lernen, ihre Hirntätigkeit zu lenken. So kann man zum Beispiel versuchen, ungünstige Aktivierungsmuster bei bestimmten Erkrankungen zu verändern.

Aus Gehirn&Geist 10/2011
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Welche Störungen behandeln Sie bereits mit Neurofeedback?

Gerade testen wir die Methode bei Männern mit pädophilen Neigungen. Die Datensammlung hat jedoch erst vor Kurzem begonnen. In einem anderen Projekt, das jetzt anläuft, arbeiten wir mit Nikotinabhängigen. Sie können per Neurofeedback lernen, die Suchtzentren in ihrem Gehirn selbstständig lahmzulegen.

Wie funktioniert das?

Wir wissen, dass bestimmte Hirnareale – vor allem die Inselregion – für die Raucherentwöhnung wichtig sind. Wenn die Insula wenig oder keine Aktivität zeigt, weil sie etwa auf Grund eines Hirnschadens ausgefallen ist, haben Raucher keinerlei Entzugserscheinungen. Sie verspüren dann einfach kein Bedürfnis mehr nach Nikotin. Deshalb lernen unsere Patienten im Magnetresonanztomografen, die Aktivität der Insula selbst zu drosseln.

Was muss man im Hirnscanner tun, um die Insula zu beeinflussen?

Jeder Teilnehmer muss individuell herausfinden, was bei ihm funktioniert. Bei der Insula liegt die Idee nahe, an etwas emotional sehr Negatives zu denken, zum Beispiel einen Ekel erregenden Anblick oder Geruch. Damit gelingt es vielen Leuten, das Signal zu verändern, aber nicht allen. Daher versuchen wir, keine Tipps zu geben, sondern die Probanden durch Versuch und Irrtum lernen zu lassen.

Im Gespräch mit Niels Birbaumer | Niels Birbaumer (links) wurde 1945 in Ottau (heute Záton, Tschechien) geboren. Er studierte Psychologie, Statistik und Physiologie an der Universität Wien. Von 1975 bis 1993 war Birbaumer Professor für Klinische und Physiologische Psychologie an der Universität Tübingen, seit 1993 ist er Ordinarius für Medizinische Psychologie und Verhaltensneurobiologie. Birbaumer hatte verschiedene Gastprofessuren inne unter anderem an der Pennsylvania State University und der Università degli Studi in Padua.

Rechts im Bild: G&G-Redakteur Joachim Marschall.
Welche Strategien entwickeln Versuchspersonen sonst noch, um ihre Hirnaktivität zu verändern?

Das Problem ist, dass die Auskünfte, die Ihnen Patienten darüber geben – bei allen Arten von Neurofeedback, egal ob per EEG oder Bildgebung –, immer unzuverlässig sind. Denn diese Dinge laufen nicht unbedingt bewusst ab: Sobald man einmal gelernt hat, eine bestimmte Hirnregion zur regulieren, geht das anschließend automatisch. Das ist so, wie wenn Sie einen Fußballer fragen, wie er gerade den Ball ins Tor geschossen hat: Da bekommen Sie einfach keine aussagekräftige Antwort.

Das heißt, man weiß gar nicht genau, wie Neurofeedback funktioniert?

Nicht bis ins Detail. Bislang machten sich Forscher auch wenig Mühe, zu untersuchen, welche kognitiven und neuronalen Vorgänge dabei genau ablaufen. Die dürften sicher für jede Art von Hirnaktivität, die man mit Neurofeedback verändern will, unterschiedlich sein. Das im Detail herauszufinden, ist im Moment zu mühsam – zuerst interessiert uns, ob es überhaupt einen therapeutischen Effekt gibt.

Wie lange müssen die Patienten trainieren, bis sie einen Teil ihres Gehirns nach Belieben kontrollieren können?

Im Durchschnitt braucht es ungefähr drei Sitzungen im Magnetresonanztomografen von jeweils etwa einer Stunde; länger hält man es in der engen Röhre auch nicht aus. In einer früheren Studie von uns konnten zumindest Nichtraucher nach dieser Zeit ihre Inselregion zuverlässig kontrollieren. Und wenn Sie das einmal gelernt haben, verlernen Sie es nicht mehr, das ist wie beim Radfahren.

MRT-Geräte sind sehr teuer. Von dem Verfahren können wohl nicht alle Raucher profitieren?

Licht ins Gehirn

Nahinfrarotspektroskopie (NIRS) heißt eine neue Methode, die neuronale Aktivität misst. Auf einer Haube sind Leuchtdioden angebracht, die langwelliges Infrarotlicht durch den Schädel senden. Je nachdem, wie stark das Hirngewebe durchblutet ist, werden die Strahlen anders reflektiert. So lässt sich anhand des zurückgeworfenen Lichts, das von Sensoren aufgefangen wird, das Aktivitätsniveau der Nervenzellen abschätzen. Verglichen mit EEG erlaubt NIRS einen tieferen Blick ins Gehirn, und die Probanden können sich während der Messungen frei bewegen, ohne das Signal zu stören.
Das stimmt, derzeit muss man das noch im Tomografen machen, was kostspielig und aufwändig ist. Ich glaube aber, dass wir demnächst bei dieser Art von Neurofeedback zunehmend auf die so genannte Nahinfrarotspektroskopie umsteigen werden. Die NIRS-Technik ist billig, dringt allerdings nicht so tief ins Gehirn vor wie ein Scan im Tomografen.

Wie funktioniert NIRS – und wurde die Technik schon für den Einsatz beim Neurofeedback erprobt?

Hier in Tübingen haben Kollegen sie bereits bei Patienten mit Aufmerksamkeitsdefizit eingesetzt. Vor allem für Kinder ist das Verfahren ideal: Sie müssen nur eine Gummihaube aufsetzen, ähnlich einer Badekappe, und können dann sogar damit herumlaufen! Das Ganze funktioniert nur mit Licht – überhaupt nichts Invasives oder potenziell Schädliches. Ein MRT-Scanner kostet eine Klinik drei bis vier Millionen Euro, ein NIRS-Gerät ist für 100 000 bis 300 000 Euro zu haben. Könnte man auf die Infrarottechnik umsteigen, wäre das ein großer Gewinn für das Neurofeedback.

Und das Lenken der eigenen Hirnaktivität klappt damit genauso gut?

Das untersuchen wir gerade bei einigen unserer Suchtpatienten. Wir trainieren die Probanden im MRT – und diejenigen, die ihre Insula erfolgreich regulieren können, testen wir dann mittels NIRS. Die Resultate stehen allerdings noch aus. Suchtkranke sollen lernen, die Aktivität in der Inselregion zu steuern.

Auf welche Regionen des Gehirns zielt das Neurofeedback bei anderen Erkrankungen ab, zum Beispiel bei Schizophrenie?

In einer Pilotstudie mit Psychotikern haben wir uns zunächst auch für die Inselregion entschieden. Die Betroffenen haben große Schwierigkeiten, die Mimik ihrer Gesprächspartner zu deuten – insbesondere wenn es darum geht, negative Emotionen zu erkennen. Wir trainierten die Patienten darin, die Aktivität ihrer Insula hochzufahren. Anschließend konnten sie die emotionalen Signale anderer tatsächlich besser deuten.

Sie versuchen auch, Psychopathen mit Neurofeedback zu behandeln. Wie funktioniert das?

"Beim EEG-Neurofeedback scheint die positive Wirkung über Jahre stabil zu bleiben, sowohl bei Epilepsiepatienten als auch bei Kindern mit Aufmerksamkeitsstörungen".
(Niels Birbaumer)
Da laufen gerade erste Untersuchungen. Bei Psychopathen sind vor allem die Angstareale des Gehirns zu wenig aktiv – dazu zählt wiederum die Insula. Daher kennen sie keine Furcht, auch nicht vor Strafe. Alle unsere Probanden lernten per Neurofeedback, ihre Inselregion stärker zu aktivieren. Allerdings reagiert nur ein Teil der bisher untersuchten Patienten anschließend in Tests auch wirklich ängstlicher – und darauf kommt es ja letztlich an. Bei Experimenten mit gesunden Probanden waren die Verhaltenseffekte ausgeprägter. Woran das liegt, wissen wir noch nicht.

Wie bereitwillig nehmen Psychopathen an solchen Studien teil?

Gar nicht – das ist allein eine Frage des Geldes. Ohne großzügige Bezahlung würde keiner von ihnen mitmachen. Wir sind dabei vor allem auf Strafgefangene angewiesen. "Erfolgreiche" Psychopathen, die es unter Umständen zu Bankdirektoren, Universitätsprofessoren oder Klinikleitern gebracht haben, würden natürlich nicht im Traum daran danken, an so einem Experiment teilzunehmen!

Und wie lange halten die bisher gefundenen Effekte an?

Beim MRT-Neurofeedback kann man über die Langzeitwirkung noch nichts sagen, weil die Technik sehr neu ist und sich bislang nur wenige Forscher damit beschäftigen. Aber beim EEG-Neurofeedback scheint die positive Wirkung über Jahre stabil zu bleiben, sowohl bei Epilepsiepatienten als auch bei Kindern mit Aufmerksamkeitsstörungen.

Inwiefern kann EEG-Neurofeedback Patienten mit Aufmerksamkeitsdefizit helfen?

Da gibt es verschiedene Ansätze. Die Betroffenen können etwa lernen, ihre so genannten langsamen Hirnpotenziale zu steigern – um so die Neurone in bestimmten Hirngebieten quasi schon vorzuaktivieren, wenn sie eine Aufgabe erwarten. Eine andere Methode besteht darin, bestimmte Frequenzbänder zu stärken oder zu schwächen, etwa die langsamen Thetawellen. Soweit man das bisher sagen kann, scheint das Training der langsamen Hirnpotenziale am besten zu wirken. Es gibt auch eine kleine Studie, in der die Wirkung von Neurofeedback mit der von Ritalin verglichen wurde: Die Effekte waren gleich groß. Da Ritalin jedoch massive Nebeneffekte hat und nicht langfristig wirkt, sind Neurofeedback und Verhaltenstherapie im Moment die einzig sinnvollen Behandlungsmethoden. Trotzdem verschreiben die meisten Ärzte einfach Ritalin – weil es schneller geht und weil ihnen das die Pharmaindustrie so eingeredet hat.

Neben dem Neurofeedback per EEG oder MRT gibt es ja noch viele andere Biofeedback-Anwendungen, zum Beispiel die Kontrolle von Atmung, Puls oder Muskelspannung. Lassen sich diese Methoden sinnvoll mit dem Lenken der Hirnaktivität kombinieren?

Das wissen wir nicht, denn die Kombination von Neurofeedback mit anderen Biofeedback-Ansätzen ist empirisch noch nicht erprobt. In manchen Fällen wie ADHS könnte das durchaus sinnvoll sein – etwa indem die Betroffenen zuerst lernen, ihre Muskelaktivität zu beherrschen, und sich anschließend dem kognitiven Hirntraining zuwenden. Aber grundsätzlich haben auch andere Biofeedback-Ansätze ähnliche Akzeptanzprobleme wie das Neurofeedback: Die Wirksamkeit etwa bei Schmerzzuständen wurde schon in vielen Studien nachgewiesen, zum Beispiel bei Spannungs- oder Rückenschmerzen – Krankheiten, unter denen Millionen von Menschen leiden und die dem Gesundheitssystem massive Kosten verursachen. Biofeedback ist billiger als Medikamente und hat keine Nebenwirkungen. Es gibt keinen vernünftigen Grund, es nicht in jeder Schmerzpraxis anzubieten – und trotzdem fristet die Methode ein Nischendasein.

Wenn es schon Nachweise über die Wirksamkeit von Biofeedback und EEG-Training gibt, warum bieten nicht viel mehr Kliniken und Praxen die Behandlung an?

Dafür gibt es viele Gründe. Zum einen ist Neurofeedback keine Kassenleistung. Aber wenn Therapeuten wollen, bekommen sie ihr Geld – zum Beispiel, indem sie das EEG-Training als Verhaltenstherapie abrechnen. Allerdings haben viele die Behandlung gar nicht gelernt: Neurofeedback wird so gut wie nie im Rahmen der Therapieausbildung gelehrt. Zum anderen sind die meisten Psychotherapeuten skeptisch gegenüber Technik eingestellt, für viele ist Neurofeedback schon fast "Gerätemedizin". Und natürlich tut auch die Pharmaindustrie alles, um günstigere Alternativen zu Medikamenten zu verhindern.

Sind die Verfahren überhaupt dazu geeignet, dass Psychotherapeuten sie selbst in ihren Praxen anwenden?

Natürlich, die Geräte für das EEG-Neurofeedback sind mittlerweile sehr günstig. Heutzutage bekommen Sie eine brauchbare Ausstattung schon ab 3000 Euro.

Jeder Lernvorgang ändert die Verschaltung im Gehirn. Wo liegt der Vorteil von Neurofeedback gegenüber herkömmlichen psychologischen Verfahren, etwa der kognitiven Umstrukturierung im Rahmen einer Verhaltenstherapie?

Man kann nicht pauschal sagen, dass es besser ist als andere Formen des Lernens. Das müssen wir für jede Krankheit erst einmal empirisch überprüfen. Noch ist zum Beispiel vollkommen unklar, ob das Hirntraining bei Schizophrenie oder Nikotinsucht besser wirkt als klassische Methoden wie Verhaltenstherapie. Aber für einige Erkrankungen besteht offenbar ein Mehrwert. Dazu zählen therapieresistente Epilepsien und Aufmerksamkeitsstörungen bei Kindern und Erwachsenen. Außerdem können nur mit Hilfe dieser Methoden vollständig gelähmte Menschen lernen, wieder zu kommunizieren.

Wie steht es mit dem so genannten Neuro-Enhancement? Auch gesunde Menschen schlucken Psychopharmaka, weil sie hoffen, damit die Leistung ihres Gehirns zu verbessern. Wäre Neurofeedback nicht die schonendere Alternative?

Ja, vor allem das EEG-Neurofeedback, das bei der Aufmerksamkeitsstörung eingesetzt wird. Es verbessert das Gedächtnis und verringert die Ablenkbarkeit. Für besonders zukunftsträchtig halte ich die Kombination von Neurofeedback mit gleichzeitiger elektrischer oder magnetischer Stimulation des Gehirns. Das haben wir kürzlich in einer Studie untersucht: Zuerst haben wir das Gehirn unserer Probanden elektrisch vorerregt. Anschließend fiel das Erlernen des Neurofeedbacks deutlich leichter! Es gab dazu vorher bereits einige Arbeiten zu dieser Hirnstimulation, die meisten davon mit transkranieller Magnetstimulation. Aber das war die erste Studie, in der es um das Erlernen von Neurofeedback ging.

Was haben die Probanden, deren Hirn unter Strom stand, trainiert?

Das waren Patienten, die einen Schlaganfall erlitten hatten und die es schaffen sollten, eine Roboterhand mit der Kraft ihrer Gedanken zu steuern. Doch die elektrische Stimulation des Gehirns erleichtert alle Arten von Lernvorgängen, ob Neurofeedback oder Vokabellernen. Wenn die Hirnzellen bereits erregt sind, arbeiten sie besser. Der Strom, den wir dabei anlegen, hat keine Nebenwirkungen, Sie merken das nicht einmal. Das halte ich für eine sehr viel versprechende Methode des Neuro-Enhancements.

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