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News: Das Kommando zum Selbstmord

Amerikanische Wissenschaftler vermuten, daß sie einen Teil des Rätsels gelöst haben, wie das HI-Virus Zellen abtötet, die es nicht infiziert hat - und dadurch die Spirale auslöst, die am Ende zu AIDS führt. Ihre Ergebnisse könnten Forschern und Ärzten helfen zu verstehen, warum sich der Zustand HIV-infizierter Menschen, die das Virus oft jahrelang in sich tragen und kaum Symptome der Krankheit zeigen, plötzlich verschlechtert. Und möglicherweise können sie einen Weg weisen, wie sich der schlagartige Verfall stoppen läßt, der schließlich das Leben der AIDS-Patienten fordert.

Schon länger ist bekannt, daß HIV kurz nach der Infektion eine Abnahme der CD4-T-Helfer-Zellen verursacht. Ärzte verwenden dieses Phänomen als Surrogatmarker und überwachen mit ihm den Zustand ihrer Patienten und deren Reaktion auf Therapien. Hohe Konzentrationen an T-Helfer-Zellen sind ein gutes Zeichen, niedrige Konzentrationen zeigen den Fortschritt der Krankheit. HIV-positive Menschen verlieren jedoch noch eine andere Gruppe von Immunzellen, die CD8-Zellen. Diese Killer-T-Zellen sind die primäre Waffe des Körpers im Kampf gegen Viren. Nach einer HIV-Infektion bleibt ihre Zahl im allgemeinen hoch, manchmal über Jahre – bis sie plötzlich, aus unerklärlichen Gründen rasch absterben.

Bisher war unbekannt, was diese schlagartige Veränderung auslöst. Die neue Studie deutet jedoch darauf hin, daß bestimmte HIV-Stämme, die bei einigen Menschen im späteren Stadien der Krankheit auftreten, diesen Massenselbstmord der CD8-Zellen verursacht. Darüberhinaus deutet sie darauf hin, daß HIV einen der Schlüsselprozesse des Immunantwort als Komplizen benutzt, um diesem Tod "von eigener Hand" Vorschub zu leisten.

Das Ergebnis des Massensterbens der Killer-T-Zellen ist ein unheilvoller Schneeballeffekt. Sobald die Patienten ihre CD8-T-Zellen verlieren, wird das Wachstum des Virus in den CD4-Helferzellen angekurbelt und mehr Zellen werden abgetötet, erklärt Georges Herbein vom University of Texas Medical Branch (UTMB) in Galveston. Der Forscher im AIDS Pathogenesis Research Program des UTMB meint, daß diese Prozesse den Verfall der gesamten Immunfunktion beschleunigen, bis das Immunsystem schließlich erschöpft ist.

Auf welche Weise HIV andere Zellen als CD4-Helferzellen angreift, ist weitgehend unbekannt. Die Untersuchungen zeigen einen neuen Weg, den HIV beschreitet, um die Funktion nicht infizierter Zellen zu stören, erläutert Eric Verdin, Forscher Gladstone Institute of Virology and Immunology der University of California in San Francisco.

Diese Studie verknüpft mehrere Beobachtungen, die bisher nicht miteinander in Zusammenhang gebracht wurden. So wissen Forscher, daß CD8-Zellen infizierter Patienten eine erhöhte Umsatzrate haben: Sie sterben schneller ab, als das normalerweise der Fall ist. Allerdings werden sie in den Frühstadien der Krankheit vom Körper ersetzt, so daß ihre Gesamtzahl im allgemeinen hoch bleibt. Den CD8-Zellen fehlt ein Schlüsselmolekül, der CD4-Rezeptor. Er ist bei T-Helferzellen vorhanden und ermöglicht HIV, in diese einzudringen. Da CD8-Zellen nicht infiziert werden, war unsicher, warum sie im Verlauf der Krankheit absterben. Es war ebenfalls bekannt, daß Patienten der Krankheit schneller erliegen, wenn sie eine bestimmte Variante des Virus in sich tragen, den Synzytium-induzierenden Stamm (SI-Stamm). Da SI-Stämme im Verlauf der HIV-Infektion spät erscheinen, war unklar, ob sie Ursache oder Wirkung des raschen Verfalls dieser Patienten sind.

Jetzt deutet die neue Studie darauf hin, daß sie Ursache sind. Experimente, die sowohl im Labor als auch an Patienten durchgeführt wurden, lassen vermuten, daß die SI-Stämme den CD8-Zelltod auf ein so hohes Niveau heben, daß der Körper diese entscheidende Waffe im Kampf gegen das Virus nicht mehr ersetzen kann. Die SI-Stämme binden an das CXCR4-Molekül. Dieses ist sowohl in CD8-Zellen als auch in Makrophagen, anderen wichtigen Immunzellen, vorhanden. Die CXCR4-Bindung löst in den CD8-Zellen eine Selbstmordreaktion aus. Diese sogenannte Apoptosis führt zum schnellen Tod der Zellen (Nature vom 10. September 1998).

Anscheinend braucht HIV dabei die Makrophagen, um den CD8-Zellselbstmord einzuleiten: Im Experimenten fand der Anstieg im Zelltod von CD8-Zellen nur statt, wenn Makrophagen vorhanden waren. Auch war dieses Phänomen in Anwesenheit von SI-Stämmen viel stärker ausgeprägt als bei nicht-Synzytium-induzierenden Stämmen (NSI-Stämme). Diese dominieren in Patienten kurz nach der HIV-Infektion. Daß verschiedene HIV-Stämme CD8-Zellen auf unterschiedliche Weise beeinflussen, sei überraschend, da das Virus diese Zellen nicht infiziert, erklärt Herbein.

Nach Ansicht der Forscher könnte eine Blockade der Bindung zwischen HIV und CXCR4 vielleicht zumindest bei einigen Erkrankten verhindern, daß sie AIDS im fortgeschrittenen Stadium entwickeln. Ungefähr die Hälfte dieser Patienten trägt einen SI-Stamm des Virus in sich. Derzeit konzentriert sich alles darauf, Wege zu finden, wie CCR5 blockiert werden kann – ein Molekül, das eine Infektion durch NSI- oder frühe Stämme von HIV erlaubt, sagt Verdin. Die neuen Ergebnisse zeigten, daß es genau so wichtig sein könnte, zu verhindern, daß Viren an CXCR4 binden. Nach Ansicht von Herbein sollten auch die CD8-Zellen von Patienten, die Impfungen gegen HIV erhalten haben, genau überwacht werden – wenn in den Impfstoffen Varianten des gp-120-HIV-Hüllproteins verwendet wurden. Von diesen sei bekannt, daß sie an CXCR4 binden.

Auch eine paradoxe Eigenschaft der Krankheit läßt sich nun dem Prinzip nach erklären: Anscheinend sterben mehr CD4-Helferzellen, als tatsächlich mit dem Virus infiziert sind. Die neue Studie deutet an, daß Makrophagen oder andere Immunzellen dem Virus möglicherweise helfen, diese Zellen abzutöten. "Wir kennen nun zumindest einen Weg, wie HIV eine Zelle töten kann, ohne sie zu infizieren", meint Verdin. "Es ist wahrscheinlich, daß dieser Mechanismus auf andere Bestandteile des Immunsystems ebenfalls zutrifft."

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