Invasive Arten: Das letzte Jahr der Ratte
Sie sind zahlreich, gefräßig - und vor allem unerwünscht: Millionen Ratten besiedeln South Georgia Island im Südatlantik und verwüsten das Ökosystem. Mit einem bislang einmaligen Kraftaufwand soll das Eiland gerettet und die Nager vernichtet werden.
South Georgia ist so etwas wie ein sicherer Hafen in den stürmischen Breiten des südlichen Atlantiks: Wo Stürme und Wellen über tausende Kilometer hinweg ungebremst von Landmassen über den Ozean toben können, dient jedes kleine Stückchen Land als Zuflucht – zumindest auf Zeit. Mehr als 30 Millionen Seevögel – darunter Albatrosse, Sturmvögel und Pinguine – nutzen South Georgia deshalb als Brutplatz, hunderttausende Seelöwen und Seeelefanten die Insel als Kinderstube. Und auch zahlreiche Walfänger und Pelzjäger landeten im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf dem Eiland an, um Proviant aufzunehmen, ihre Schiffe zu warten oder reiche Beute in der umliegenden See zu machen.
Gegen die Plage
Nun wird der Spieß umgedreht: In einer konzertierten Aktion wollen Mitarbeiter des South Georgia Heritage Trusts um Tony Martin von der University of Dundee ab 2011 mit der Nagerplage aufräumen. "Es ist das größte Rattenbekämpfungsprogramm, das weltweit je gestartet wurde", sagt Martin. "Und meine Aufgabe wird es sein, sie bis zur letzten Ratte zu erlegen, ohne dass andere Arten allzu großen Schaden nehmen." Sein Team hat sich viel vorgenommen, denn South Georgia umfasst mehr als 3750 Quadratkilometer Fläche – ein Mehrfaches der neuseeländischen Insel Campbell, die Anfang des Jahrtausends rattenfrei gemacht wurde und als bisheriger Rekordhalter "nur" 110 Quadratkilometer groß ist. Außerdem durchzieht ein Gebirge South Georgia, dessen höchste Gipfel mehr als 2000 Meter aufragen.
Und die Zeit drängt – nicht nur wegen des ökologischen Desasters, das die Nagetiere anrichten. "South Georgia besitzt viele Gletscher, die bis zum Meer hinabreichen und wie eine Barriere wirken.
Wettlauf mit der Zeit
Momentan unterteilen die Gletscher South Georgia jedoch noch in einzelne Segmente, die nach und nach von den Ratten befreit werden können – die dringlichsten zuerst. Und seit Naturschützer 1986 gezielt die erste Insel wieder nagerlos gemacht haben, hat sich auch die eingesetzte Technik stark verbessert. "Wir verteilen das Gift aus der Luft mit Hilfe von Helikoptern. GPS-Systeme steuern den Piloten optimal über die Zielgebiete, so dass die Köder auch wirklich flächendeckend ausgebracht werden können", beschreibt Springer. Zum Einsatz kommen gebräuchliche Rodentizide, die nicht sofort zum Tod der Ratten führen, sondern einige Tage verzögert über die Leber die Blutgerinnung der Tiere unterbinden.
Diese Kollateralschäden fürchten die Naturschützer am meisten: Schließlich wollen sie keine Vögel vergiften, deren Schutz die ganze Aktion gilt.
Wohin mit den Rentieren?
Und noch eine weitere Art müssen die Forscher im Auge behalten: Rentiere. Rund 2000 Stück grasen auf South Georgia. Sie sind die Nachkommen einer Herde, die 1911 von norwegischen Walfängern als Fleischlieferanten eingeführt und ausgesetzt worden waren. Heute überweiden sie die empfindliche Vegetation des Eilands – und vor allem könnten sie mit den Ratten um die Giftkörner konkurrieren. Um also zu verhindern, dass die Rentiere die Aktion unterminieren und selbst daran sterben, sollen sie eingefangen und wenn möglich auf die Falklandinseln überführt werden. Dort besteht reges Interesse, mit den Tieren eine Fleischzucht zu eröffnen.
Mit sich brachten die Seefahrer jedoch unwillkommene Gäste: Ratten. Millionenfach haben sich die Nager seitdem vermehrt – mit verheerenden Folgen, wie Keith Springer vom Tasmania Parks and Wildlife Service erläutert: "Sie fressen Insekten und Pflanzensamen und verhindern dadurch, dass sich die Vegetation regeneriert. Und vor allem plündern sie sich durch die Seevogelkolonien. Das hat den Bruterfolg mancher Arten drastisch verringert. Wenn das so weitergeht, steht ihr Überleben in Frage."
"Wenn das so weiter geht, steht ihr Überleben in Frage"
(Keith Springer)
Der einzige Singvogel des Archipels, der Südgeorgien-Pieper (Anthus antarcticus), hält sich sogar nur noch auf einigen kleinen rattenfreien Felsen um die Hauptinsel und wenigen Enklaven auf South Georgia selbst. Viele der ortsansässigen, in Erdhöhlen brütenden Sturmvogelarten erleiden jährliche Gelegeverluste von bis zu 90 Prozent – keine Art verkraftet das auf Dauer. (Keith Springer)
Gegen die Plage
Nun wird der Spieß umgedreht: In einer konzertierten Aktion wollen Mitarbeiter des South Georgia Heritage Trusts um Tony Martin von der University of Dundee ab 2011 mit der Nagerplage aufräumen. "Es ist das größte Rattenbekämpfungsprogramm, das weltweit je gestartet wurde", sagt Martin. "Und meine Aufgabe wird es sein, sie bis zur letzten Ratte zu erlegen, ohne dass andere Arten allzu großen Schaden nehmen." Sein Team hat sich viel vorgenommen, denn South Georgia umfasst mehr als 3750 Quadratkilometer Fläche – ein Mehrfaches der neuseeländischen Insel Campbell, die Anfang des Jahrtausends rattenfrei gemacht wurde und als bisheriger Rekordhalter "nur" 110 Quadratkilometer groß ist. Außerdem durchzieht ein Gebirge South Georgia, dessen höchste Gipfel mehr als 2000 Meter aufragen.
Doch das sind nicht die einzigen Schwierigkeiten, mit denen Martin und Co zu kämpfen haben werden, fürchtet Springer: "South Georgia ist weit abgelegen – allein die Logistik ist eine riesige Herausforderung." Alles muss per Schiff über tausende Kilometer herangeschafft werden, was die Aktion zusätzlich verteuert – rund acht Millionen Pfund haben die Wissenschaftler insgesamt veranschlagt. Einen zweiten Versuch werden sie kaum bekommen, deshalb müsse die Bekämpfung auf Anhieb erfolgreich sein, so Martin: "Zwischen Erfolg und Versagen liegt nur das Überleben zweier Ratten. Sollte nur ein Pärchen überleben, haben wir hier in wenigen Jahren wieder genauso viele Ratten wie heute." Theoretisch kann aus einem Paar in nur einem Jahr eine Population von 16 000 Individuen heranwachsen.
Und die Zeit drängt – nicht nur wegen des ökologischen Desasters, das die Nagetiere anrichten. "South Georgia besitzt viele Gletscher, die bis zum Meer hinabreichen und wie eine Barriere wirken.
"Meine Aufgabe wird es sein, sie bis zur letzten Ratte zu erlegen"
(Tony Martin)
Sie haben bislang verhindert, dass die Ratten die gesamte Insel überrennen. Noch gibt es also rattenfreie Enklaven, doch die Gletscher schmelzen und ziehen sich zurück", erläutert Ian Hay von der Australian Antarctic Division in Kingston auf Tasmanien. Sobald sich die Gletscherzungen aus dem Ozean landeinwärts verlagern und den Weg an der Küste freimachen, erobern die gefräßigen Säuger neue Seevogelkolonien, die bislang geschützt waren. (Tony Martin)
Wettlauf mit der Zeit
Momentan unterteilen die Gletscher South Georgia jedoch noch in einzelne Segmente, die nach und nach von den Ratten befreit werden können – die dringlichsten zuerst. Und seit Naturschützer 1986 gezielt die erste Insel wieder nagerlos gemacht haben, hat sich auch die eingesetzte Technik stark verbessert. "Wir verteilen das Gift aus der Luft mit Hilfe von Helikoptern. GPS-Systeme steuern den Piloten optimal über die Zielgebiete, so dass die Köder auch wirklich flächendeckend ausgebracht werden können", beschreibt Springer. Zum Einsatz kommen gebräuchliche Rodentizide, die nicht sofort zum Tod der Ratten führen, sondern einige Tage verzögert über die Leber die Blutgerinnung der Tiere unterbinden.
Dadurch wird verhindert, dass Artgenossen spitzkriegen, woran ihr Nächster verendet ist. Stattdessen verbluten sie erst später in ihren Höhlen, denn das eingesetzte Mittel Brodifacoum macht die Ratten lichtempfindlich: Sie verkriechen sich zum Sterben in ihre Bauten. Das ist kein schöner Tod, andererseits müsse man aber bedenken, dass auch die Küken der Seevögel auf unangenehme Weise ums Leben kommen, meint Martin: Sie würden häufig bei lebendigem Leib von den Ratten gefressen. Der Rückzug zum Sterben reduziert außerdem die Gefahr, dass sich das Gift in der Nahrungskette anreichert und andere Arten geschädigt werden.
Diese Kollateralschäden fürchten die Naturschützer am meisten: Schließlich wollen sie keine Vögel vergiften, deren Schutz die ganze Aktion gilt.
"Noch gibt es rattenfreie Enklaven, doch die Gletscher schmelzen und ziehen sich zurück"
(Ian Hay)
Neben aasfressenden Möwen hat Martins Team vor allem die Südgeorgien-Spießente (Anas georgica georgica) im Visier: Sie existiert nur hier auf der Insel und könnte von den Getreideködern angelockt werden, in denen sich das Gift versteckt. Deshalb werden die ausgelegten Pellets blau gefärbt, was die Enten zumindest in Tests auf Distanz hielt, während sich die Ratten davon nicht abschrecken ließen. (Ian Hay)
Wohin mit den Rentieren?
Und noch eine weitere Art müssen die Forscher im Auge behalten: Rentiere. Rund 2000 Stück grasen auf South Georgia. Sie sind die Nachkommen einer Herde, die 1911 von norwegischen Walfängern als Fleischlieferanten eingeführt und ausgesetzt worden waren. Heute überweiden sie die empfindliche Vegetation des Eilands – und vor allem könnten sie mit den Ratten um die Giftkörner konkurrieren. Um also zu verhindern, dass die Rentiere die Aktion unterminieren und selbst daran sterben, sollen sie eingefangen und wenn möglich auf die Falklandinseln überführt werden. Dort besteht reges Interesse, mit den Tieren eine Fleischzucht zu eröffnen.
Allen Schwierigkeiten zum Trotz stehen die Chancen ganz gut, meint Keith Springer: "Weltweit wurden schon rund 300 Inseln erfolgreich von Nagetieren befreit. Die Techniken hierfür sind erprobt und funktionieren." Im nächsten Herbst der Südhalbkugel, wenn die Zugvögel weg sind und die Nahrung allgemein knapp wird, soll es losgehen. Innerhalb von vier Jahren wird South Georgia dann rattenfrei gemacht. Zwei speziell ausgebildete Hunde überprüfen am Ende mit ihrer Nase, ob die ganze Aktion gelungen ist oder noch Gerüche überlebender Individuen in der Luft liegen. Tony Martin und sein Team sollten nicht ruhen, bis nicht der letzte Nager zur Strecke gebracht worden ist. Denn es winkt ein hoher Preis, macht ihr Kollege Keith Springer Hoffnung: "Seevögel, Pflanzen oder Insekten – alle werden sich stark erholen."
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