Atmosphäre: Das Luftschiff-Labor
Wenn alle Messgeräte fehlerfrei arbeiten, kann Jennifer Kaiser hin und wieder die Aussicht aus dem Panoramafenster genießen. Alle zehn Minuten kontrolliert die Doktorandin von der University of Wisconsin in Madison das wissenschaftliche Equipment, mit dem die Passagierkabine des Zeppelins an Stelle der Sitze vollgepackt wurde. "Wenn alles funktioniert, fühlt es sich fast an, wie bei einem Rundflug über Berge, Wälder und Städte zu schweben", schwärmt sie. Die Amerikanerin ist neben zwei Piloten die einzige Wissenschaftlerin an Bord des Luftschiffs, das seit seinem Start Mitte April von der Zeppelinwerft in Friedrichshafen in Etappen von vier bis sechs Stunden Richtung Skandinavien schwebt. An dem EU-Projekt PEGASOS(Pan-European Gas-Aerosol-Climate Interaction Study) sind insgesamt 26 Partner aus 15 Ländern beteiligt. Auf der gut zweimonatigen Forschungsmission studieren die Klimawissenschaftler die Zusammensetzung der Atmosphäre und ermitteln den Einfluss natürlicher chemischer Reaktionen auf Luftqualität und Klimawandel. Mit Hilfe der Ergebnisse will die europäische Kommission in Zukunft ihre Klimaschutzmaßnahmen verbessern.
"Wenn alles funktioniert, fühlt es sich fast an, wie bei einer Sightseeingtour über Berge, Wälder und Städte zu schweben."
Auf dem Weg nach Finnland zu den eigentlichen Messungen wurde zunächst gründlich die Ausrüstung getestet. "Nachdem man so viel Zeit im Labor mit der Vorbereitung verbracht hat, ist es sehr aufregend, dabei zu sein, wenn die ganzen Instrumente an Bord endlich zusammenarbeiten", berichtet Kaiser. Eigentlich funktionieren die Geräte von ganz allein, manche Teile können außerdem vom Boden aus kontrolliert werden. Trotzdem muss ein so genannter Operator alles überwachen. Stürzt ein Instrument ab oder muss neu justiert werden, greifen Notfallprotokolle: Kaiser schickt sofort eine SMS an Projektleiter Thomas Mentel vom Forschungszentrum Jülich. Der fährt bis zu zwei Kilometer weiter unten mit dem Rest des siebenköpfigen Teams im Kleinbus hinter dem Zeppelin her. "Wir können nicht miteinander telefonieren", erklärt Mentel, "dafür ist der Zeppelin zu hoch. Deshalb benutzen wir SMS oder Chatdienste."
Das Waschmittel der Atmosphäre
Am Ziel der etwa 2300 Kilometer langen Reise liegt das finnische Hyytiälä, wo Mentel und sein Team seit dieser Woche genauer unter die Lupe nehmen, wie zum Beispiel das Hydroxyl- oder OH-Radikal gebildet wird – die wichtigste Komponente beim Abbau von Luftschadstoffen. Das Radikal wird oft als das Waschmittel der Atmosphäre bezeichnet [1]. Es oxidiert gasförmige Schadstoffe wie Schwefeldioxid, das bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe entsteht, zu wasserlöslichen Produkten – in diesem Fall Schwefelsäure –, die dann der Niederschlag auswäscht. Auch Treibhausgase wie Methan werden auf diese Weise abgebaut. Die Anwesenheit des Radikals gibt also Auskunft über die Selbstreinigungskraft der Erdatmosphäre.
Seine Menge zu bestimmen, ist technisch etwas knifflig. Nicht nur ist die Konzentration sehr gering, es existiert außerdem nur für Bruchteile von Sekunden, bevor es reagiert. Aus diesem Grund messen die Wissenschaftler den Prozess in Echtzeit im Zeppelinlabor, anstatt etwa Proben mit nach unten zu nehmen. Darüber hinaus benötigt die Bildung des Atmosphärenwaschmittels Sonnenlicht. "Man darf also nicht unterhalb eines Flugobjekts messen, denn im Schatten stört man die Konzentration des Radikals", erklärt Astrid Kiendler-Scharr, Direktorin der Abteilung "Troposphäre" am FZ Jülich, der auch Mentels Arbeitsgruppe angehört: "Weil aber unser Zeppelin eine starre Innenkonstruktion besitzt, können wir die Nutzlast auf ihn draufsetzen und oberhalb messen." Die Analysegeräte schicken von dort ständig Daten zu Kaiser in die Kabine. Das Innengerüst aus Aluminium und Kohlefaser verleiht dem Zeppelin NT eine hohe Stabilität und unterscheidet ihn von einem Blimp. Dieser sieht auf den ersten Blick zwar genauso aus, hat aber kein starres Gerüst. Seine Hülle fällt daher zusammen, wenn das Gas abgelassen wird, und er kann keine schweren Lasten transportieren. Insgesamt wiegt die Ausrüstung nämlich über eine Tonne, weshalb auch Helikopter und Ballons laut Kiendler-Scharr nicht geeignet waren.
Aerosole und Klimawandel
Zusätzlich zu den Radikalmessungen untersuchen Mentel und sein Team, wie atmosphärische Aerosole entstehen – Mischungen der Luft mit festen oder flüssigen Partikeln. Solche Schwebeteilchen gelangen zum Beispiel durch Abgase in die Luft, wie im Fall von Rußpartikeln. Sie entstehen aber auch bei der Oxidation von Gasen durch das OH-Radikal, wenn sich genügend Moleküle des Produkts zusammenlagern [2]. Noch weiß man wenig darüber, wie genau und in welcher Höhe die verschiedenen Partikel entstehen. Um ihrer Bedeutung für das Klima auf die Spur zu kommen, fehlen vor allem statistisch aussagekräftige Messungen. Die nur wenige Nanometer kleinen Partikel könnten einen großen Einfluss auf die Erderwärmung haben, erklärt Thomas Mentel: "Weil sie Sonnenlicht streuen und Wolken bilden, sind sie die kühlenden Gegenspieler der Treibhausgase."
Je nach ihrer Beschaffenheit können Partikel aber genauso gut die Erderwärmung begünstigen [3]: Rußteilchen geben Wärme ab, wenn sie Sonnenlicht absorbieren. Je nachdem, in welcher Schicht sie sich dabei befinden, heizen sie die Atmosphäre auf oder fangen die Strahlung wie ein Sonnenschirm hoch genug ab [4]. Helle Sulfatpartikel wiederum reflektieren das Licht und wirken deshalb kühlend.
Saubere Luft ist also ein zweischneidiges Schwert. Erkenntnisse aus den neuen Messungen sollen deshalb künftig in Klimamodelle integriert und bei EU-Klimaschutzmaßnahmen berücksichtigt werden. "Traditionell werden Luftqualität und Klima separat erforscht", erklärt Astrid Kiendler-Scharr, "Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität sind aber nicht zwingend auch positiv für die Verbesserung des Klimas und umgekehrt. Diese Rückkopplung im Blick zu behalten, ist das Ziel des PEGASOS-Projekts."
"Weil sie Sonnenlicht streuen und Wolken bilden, sind Aerosole die kühlenden Gegenspieler der Treibhausgase."
Informationen aus der Grenzschicht
Dass die PEGASOS-Mission mit einem Zeppelin unternommen wird, liegt auch an der Höhe der Luftschicht, für die sich die Forscher interessieren. Die Radikale und Partikel werden ein bis zwei Kilometer über dem Boden gemessen, dem oberen Bereich der planetarischen Grenzschicht. Diese beginnt bei ungefähr 500 Metern und endet in zwei Kilometern Höhe. Sie ist Teil der 15 Kilometer dicken Troposphäre, der untersten Atmosphärenschicht, in der sich der Großteil des irdischen Wetters abspielt. Die planetarische Grenzschicht ist chemisch besonders reaktiv, wurde aber trotzdem bis heute wenig untersucht. "Praktisch alle Emissionen gehen vom Boden aus", ergänzt Astrid Kiendler-Scharr, "deshalb sind dort die Schadstoffkonzentrationen am höchsten. Gleichzeitig leben wir in dieser Schicht, wir verschmutzen sie und atmen sie ein. Ihre Luftqualität betrifft uns also direkt."
Bisher gibt es vor allem wegen technischer Hindernisse kaum Messungen aus dieser Grenzschicht, weshalb nun der Zeppelin zum Einsatz kommt. Einer gewundenen Flugbahn folgend, deckt der Zeppelin die verschiedenen Höhenbereiche wie auf einer Wendeltreppe ab. Untersuchungen dieser Art wären laut Kiendler-Scharr mit keinem anderen Fluggerät möglich: "Auch wenn man Messtürme am Boden zum Beispiel möglichst hoch baut – etwa auf Berge –, kann man dort immer nur das messen, was die Luft an einen heranträgt. Und größere Flugzeuge haben überhaupt keine Erlaubnis, sich in dieser geringen Höhe länger aufzuhalten." Die Zeppelin-Messungen schließen also eine Lücke im Datenbestand der Atmosphärenforscher und ergänzen die Werte der Bodenstationen, die schon seit Jahrzehnten gesammelt werden.
Das Luftschiff kann zudem präzise in alle Richtungen manövrieren, langsam fliegen und sogar in der Luft anhalten. Außerdem könnte es, wenn nötig, bis zu 24 Stunden am Stück oben bleiben – auch wenn ein Flug gewöhnlich nicht länger als sechs Stunden dauert. Denn dann heißt es wieder: auftanken, Geräte rekalibrieren und Daten sichern.
Ein einzigartiges Luftschiff
Diese Art von Zeppelin gibt es seit 1993 und wird für Passagierflüge, als Werbeträger und bei Aufklärungsflügen eingesetzt. 2005 übertrug er beim FIFA Confederations Cup Fernsehbild und -ton. Von einem klassischen Labor unterscheidet sich das 75 Meter lange und fast 20 Meter breite Luftschiff auch durch die Raumaufteilung in der Kabine: Bei ihrer Kontrollrunde hat Jennifer Kaiser ungefähr so viel Platz wie in einem Flugzeuggang. "Außerdem macht man sich im Labor keine Gedanken um die Stromversorgung oder das Wetter, doch gerade diese Dinge verursachen hier im Feld die meisten Schwierigkeiten", bemerkt sie.
Denn wenn es zu stark windet, kann das schnell den ganzen Tagesplan durcheinanderwirbeln. "Mit einem Zeppelin zu fliegen ist so ähnlich, wie mit einem Boot zu fahren. Man hat ruhige Tage und windige Tage, und manchmal ist es eben zu stürmisch, um den Flughafen zu verlassen", sagt Kaiser. Und auch am Boden ist es bei unruhigem Wetter kein Kinderspiel, den Zeppelin unter Kontrolle zu halten. Der Mastwagen, an dem das Luftschiff verankert ist, hält ihn beweglich an Ort und Stelle. Doch wenn die Böen zu heftig werden, kann der Zeppelin unversehens abheben und auf den Boden schlagen. Dann muss ein Mitarbeiter Ballast ablassen und verhindern, dass etwas kaputtgeht.
Solche Hindernisse haben die Wissenschaftler natürlich längst im Flugplan berücksichtigt, schließlich fliegen sie nicht zum ersten Mal mit einem Zeppelin. Beim ersten Teil der Mission sammelte das Team bereits letztes Jahr im Luftraum über den Niederlanden und der Poebene Daten zur Bildung von Aerosolen. Auch am nächsten Tag wird Jennifer Kaiser wieder den Job des Operators übernehmen. Weil diesmal die doppelte Strecke absolviert werden soll, musste aber erst geklärt sein, dass es einen Tankstopp mit Toilettenpause gibt. Das Klo im Zeppelin wurde nämlich aus Gewichtsgründen ausgebaut.
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