Jeff Bezos’ Firma Blue Origin: Ein fast geheimes Raumfahrtprogramm
Amazon-Gründer Jeff Bezos hat Blue Origin im Jahr 2000 gegründet. Fast im Geheimen hat sich das Unternehmen seitdem zu einem wichtigen Teil der amerikanischen Raumfahrtszene entwickelt. Nach wie vor ist es so etwas wie Bezos' Baby: Der mittlerweile reichste Mann der Welt leitet Blue Origin bis heute und finanziert es auch größtenteils. Immer wieder hat Bezos dazu Amazonaktien verkauft, kürzlich veräußerte er beispielsweise einen Batzen im Wert von 1,8 Milliarden Dollar. Das allein entspricht dem jährlichen Budget der japanischen Weltraumagentur JAXA oder der indischen Raumfahrtbehörde ISRO.
Dennoch ist bis heute viel weniger über das Raketen-Start-up bekannt als über Elon Musks Firma SpaceX. Während Musk zur Finanzierung von SpaceX immer wieder die Öffentlichkeit suchte, operierte Bezos' Firma im Schatten des Konkurrenten. Vieles spricht dafür, dass dies Absicht war. »Gradatim ferociter« lautet das Motto der Firma mit der Schildkröte als Maskottchen. Frei übersetzt: »Langsam, aber unaufhaltsam.«
Inspiriert von Sciencefiction
Über Jeff Bezos' genaue Motive kann man bis heute nur spekulieren. Fest steht: Er will ins All. Bekannt ist, dass der Unternehmer von Sciencefiction-Autoren wie Gerard K. O'Neill inspiriert wurde, in dessen Büchern es um riesige Raumstationen mit Millionen von Bewohnern geht. Für O'Neill liegt die Zukunft der Menschheit draußen in der endlosen Schwerelosigkeit und nicht etwa dem Mars. Bezos findet, die Erde sollte ihre Ressourcen aus dem Sonnensystem beziehen und die Industrie ins Weltall verlagern. In einigen Jahrhunderten werde die Erde nur noch zum Wohnen da sein.
Blue Origin kam – wie auch SpaceX – früh zu dem Schluss, dass größere Weltraumpläne an den nur einmal verwendbaren Raketen scheitern werden, die lange Usus in der Raumfahrtbranche waren. Das Vorbild für Bezos war dabei nicht das viel zu teure Spaceshuttle, sondern die Technik der senkrecht landenden Delta-Clipper-Rakete DC-X, die in den 1990er Jahren mehrere erfolgreiche Tests absolviert hatte. 1996 übernahm die NASA den Senkrechtlander offiziell vom Privatunternehmen McDonnell Douglas. Ein Unfall läutete bald darauf jedoch das Ende des Programms ein.
Blue Origin knüpfte hier nach seiner Gründung an und verpflichtete viele ehemalige DC-X-Ingenieure. 2005 startete die Firma dann eine erste eigene Testplattform. Charon funktionierte wie eine Quadrokopter-Drohne mit Düsentriebwerken und erreichte bei Testflügen eine Flughöhe von 96 Metern fernab der Öffentlichkeit. Parallel dazu ließ Bezos ein einfaches Raketentriebwerk entwickeln. Die Blue Engine 1, kurz BE-1, war ein einfaches Gerät mit einem Schub von gerade mal zehn Kilonewton. Zum Vergleich: Ein Eurofighter-Triebwerk erreicht das Neunfache davon.
Die BE-1 zerlegte Wasserstoffperoxid mit einem Katalysator in heißen Wasserdampf und Sauerstoff. Die Technik taugte damit nicht für Flüge in den Weltraum, aber sie benötigte nur eine Treibstoffkomponente und war damit ideal zum Sammeln von Erfahrung. Der Plan ging auf: Eine mit der BE-1 ausgestattete Rakete, benannt nach dem US-amerikanischen Raketenpionier Robert H. Goddard, flog 2006 und 2007 insgesamt dreimal. Im Januar 2007 gab Blue Origin eines seiner seltenen öffentlichen Statements dazu ab.
Aus dem stillen Kämmerlein ins Weltall
Insgesamt werkelte das Unternehmen jedoch im stillen Kämmerlein: Weder teilte es Gemeinden im Umfeld des Testgeländes in Texas anstehende Starts mit noch war es zuverlässig für Journalisten erreichbar, wie ein Artikel der Nachrichtenagentur Associated Press aus dieser Zeit verrät. Aber man gab sich Mühe, dass rechtlich alles in Ordnung ist. Die Designs der Fluggeräte übermittelte Blue Origin an die Federal Aviation Administration und setzte diese auch über künftige Startpläne in Kenntnis.
Öffentlich meldete sich die Firma erst viereinhalb Jahre später wieder zu Wort. Blue Origin hatte die Zeit genutzt, um ein wesentlich leistungsfähigeres Triebwerk zu entwickeln, die Blue Engine 2. In ihr wird Wasserstoffperoxid mit Kerosin verbrannt, um den überschüssigen Sauerstoff zu nutzen und im Triebwerk höhere Drücke und Temperaturen zu erreichen. Vier der Triebwerke, jedes mit 140 Kilonewton Schub, montierte man am Antriebsmodul 2. Aus der wiederverwendbaren Raketenstufe sollte später eine zweistufige Rakete mit einer Passagierkapsel werden. Touristen sollten damit in eine Höhe von 100 Kilometern gebracht werden – für Bezos offenbar ein viel versprechendes Geschäftsmodell.
Der zweite Testflug endet in Flammen
Es kam jedoch anders. Nach einem ersten erfolgreichen Testflug in niedriger Höhe endete der zweite Flug im Jahr 2011 in Flammen. In einer Höhe von 14 Kilometern verlor die Leitstelle von Blue Origin die Kontrolle und musste die Rakete sprengen. Damit war es auch vorbei mit der Diskretion: Der fehlgeschlagene Flug war weithin sichtbar und sorgte für Schlagzeilen. So sah sich die Firma erneut zu einer ihrer seltenen Pressemitteilungen genötigt.
Aber so eine Schildkröte ist zäh: Ein Jahr später begann die Entwicklung eines neuen Triebwerks, genannt Blue Engine 3, und einer neuen Version der Rakete. Als sie im Jahr 2015 fertig entwickelt war, trat die Firma selbstbewusst in das Licht der Öffentlichkeit. Die Rakete trägt den Namen New Shepard, benannt nach dem ersten US-Astronauten Alan Shepard, der 1961 in einem ballistischen Flug die Grenze zum Weltraum überschritt.
Das sollte auch die Aufgabe der New Shepard werden. Auf inzwischen elf Flügen hat sie das All erreicht. Die darauf montierte Passagierkapsel hat dabei alle Tests erfolgreich bestanden. Und die Raketenstufe ist, abgesehen vom ersten Flug, immer erfolgreich gelandet. Mit an Bord der vier Tonnen schweren Kapsel waren wiederholt Experimente, die im Flug etwa dreieinhalb Minuten in Schwerelosigkeit schwebten.
1000 Dollar für eine Sekunde Schwerelosigkeit
Inzwischen bereitet sich das Unternehmen auf Flüge mit Passagieren vor, unter denen später auch wohlhabende Touristen sein sollen. Die Ticketpreise sollen bei rund 250 000 US-Dollar liegen, womit jede Sekunde Schwerelosigkeit auf dem Flug über 1000 US-Dollar kosten würde.
Wie Alan Shepards Redstone-Rakete aus dem Jahr 1961 besteht New Shepard nur aus einer Raketenstufe. Aber anders als die von Redstone ist sie wiederverwendbar und kann nach dem Flug weich landen. Möglich macht das das effizientere Wasserstofftriebwerk, das BE-3. Es erreicht nur etwa den halben Maximalschub des Vulcain 2, des Haupttriebwerks der Ariane 5, dennoch ist es technisch wesentlich anspruchsvoller.
Denn es muss nicht nur die voll betankte Rakete mit Passagierkapsel starten. Für das Landemanöver muss es auch neu gestartet werden, um die Raketenstufe mit dem Resttreibstoff abzubremsen. Kurz vor der Landung schwebt die New Shepard dann mit leeren Tanks über dem Boden wie ein Helikopter, bevor sie schließlich aufsetzt. Dazu muss das Triebwerk stark gedrosselt werden, ohne dass die Verbrennung in der Brennkammer instabil wird.
Die Technik beruht auf dem so genannten offenen Expanderzyklus. Der kalte Wasserstofftreibstoff kühlt dabei nicht nur die Wände der Brennkammer. Das entstehende Wasserstoffgas treibt die Turbine an, mit deren Hilfe rund 150 Kilogramm Treibstoff pro Sekunde in die Brennkammer gepumpt werden. Andere Triebwerke verbrennen stattdessen einen Teil des Treibstoffs in einem Gasgenerator und treiben so die Turbine an. Der Expanderzyklus ist technisch einfacher, die Leistung ist allerdings begrenzt durch die Wärme, die von der Brennkammer abgegeben wird.
Blue Origin will das Prinzip noch weitertreiben: Unlängst hat es die Pläne für ein neues Triebwerk präsentiert, die Blue Engine 7. Sie soll dereinst einen Mondlander namens Blue Moon antreiben, der mit einer Masse von 3,6 Tonnen auf dem Mond aufsetzen soll. Dabei würden die 40 Kilonewton Schub des Triebwerks schon auf der Erde reichen, um vier Tonnen in der Schwebe zu halten. Spätere Versionen sollen mit einem Landegewicht von 6,5 Tonnen etwa so schwer wie die Landeeinheit bei den Apollo-Missionen werden.
Anstatt das Wasserstoffgas hinter der Turbine mit niedrigem Druck durch einen Auspuff zu pusten, wird es bei einem höheren Druck zusammen mit dem restlichen Treibstoff in die Brennkammer geleitet. Dabei verliert die Turbine an Leistung, und das ganze System muss viel höhere Drücke aushalten. Den maximalen Schub des Triebwerks haben die Ingenieure noch stärker begrenzt, zu Gunsten eines etwas geringeren Treibstoffverbrauchs. Das macht das Triebwerk ideal für einen Einsatz auf dem Mond, wo man nicht viel Schub braucht, aber gut mit dem Treibstoff haushalten muss.
Von Blue Engine 4 zu Blue Engine 7
Um den Erdtrabanten überhaupt erreichen zu können, entwickelt Bezos zusätzlich zu New Shepard eine weitere Trägerrakete, die New Glenn. Benannt ist sie nach John Glenn, dem ersten Amerikaner im Erdorbit. Ihr Triebwerkstyp ist schon länger in Entwicklung, er läuft unter der Bezeichnung Blue Engine 4. Er kann einen Schub von 2400 Kilonewton aufbringen und verbrennt Methan mit Sauerstoff im so genannten Hauptstromverfahren. Dabei wird heißes, sauerstoffreiches Abgas von den Turbinen mit in die Brennkammer geleitet.
Das Verfahren wurde in den 1960er Jahren in der Sowjetunion für die Verbrennung von Kerosin ohne Ruß entwickelt. Durch die vollständige Nutzung der Abgase können einige Turbinen Leistungen von mehr als 100 Megawatt entwickeln. Allerdings wirkt heißer Sauerstoff sehr korrosiv. Daher hielt man in Westeuropa und den USA die sowjetischen Angaben zu dem Triebwerk lange für Propaganda – bis die Triebwerke am Ende des Kalten Kriegs in den Westen kamen.
Seit dem Jahr 2000 nutzen die amerikanischen Atlas-Raketen russische RD-180-Triebwerke nach diesem Prinzip. Mit der Zeit wuchs der Druck, die gleiche Technik auch in den USA zu entwickeln, insbesondere für die Nachfolge der US-amerikanischen Atlas-Trägerrakete. Doch erst die Ukrainekrise gab 2014 den endgültigen Anlass dafür. Hier brillierte letztlich die Blue Engine 4 – sie setzte sich als Triebwerk für die nächste Raketengeneration made in USA durch, die so genannten Vulcans. Hersteller wird das Konzern-Joint-Venture United Launch Alliance sein.
Aber auch die Eigenproduktion von Blue Origin soll Akzente setzen: Die New Glenn ist wesentlich ambitionierter als die Vulcan. Gleich sieben Blue-Engine-4-Triebwerke treiben die erste Stufe der Rakete an, die beim Start ähnlich schwer wie eine Falcon Heavy sein wird. Ähnlich wie bei der SpaceX-Rakete soll die erste Stufe auf einem Schiff im Meer landen. Allerdings soll sie von Anfang an für die Wiederverwendung ausgelegt sein und nicht erst schrittweise zu diesem Punkt hinentwickelt werden. Die zweite Stufe soll von der dritten Generation der Blue Engines angetrieben werden, die für den Betrieb im Weltraum optimiert ist. Die zweite Stufe wird nicht wieder landen können, auch wenn Blue Origin zumindest mit dem Gedanken einer Wiederverwendung in irgendeiner Form im Orbit spielt.
Welche weiteren Pläne die Firma im Hintergrund verfolgt, ist nicht klar. Die Firma bewarb sich 2011 erfolgreich um 22 Millionen US-Dollar NASA-Gelder für die Entwicklung einer Raumkapsel, trat 2012 aber nicht mehr zu einem Nachfolgewettbewerb an. Derzeit wird die New Glenn zum Start von Satelliten, Raumsonden und ähnlichen Missionen angeboten. Auch will Jeff Bezos' Firma Amazon eine Konstellation aus über 3000 Satelliten für die Internetversorgung aufbauen (das so genannte Projekt Kuiper), ähnlich der Starlink-Konstellation von SpaceX.
Das scheint aber nicht das Ende der Pläne von Jeff Bezos zu sein: Bei der Vorstellung der New-Glenn-Rakete im Jahr 2016 tauchte der Name New Armstrong auf, ohne weitere Details. Es könnte sich dabei um eine noch größere Rakete handeln. Eine solche wäre für die größere Version des von Blue Origin entwickelten Mondlanders auf jeden Fall notwendig. Auch der Sprung in den Seriennummern, von der Blue Engine 4 zur Blue Engine 7, deutet darauf hin, dass im Hintergrund weitere Entwicklungen stattfinden. Ohne weitere Bekanntmachungen oder unfreiwillig öffentlich gewordene Tests bleibt das jedoch reine Spekulation.
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