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Physikalische Chemie: Das schnelle Zittern vermessen

Wenn chemische Umwälzungen anstehen, achten Wissenschaftler gerne nur auf gebrochene und neu geknüpfte Bindungen. Um die Abläufe während einer Reaktion wirklich zu verstehen, muss man jedoch das gesamte Molekül betrachten. Mit einer ausgefeilten Auswertung spektroskopischer Daten ist dies japanischen Forschern nun gelungen.
Im Labor
Wer wissen möchte, wie chemische Reaktionen im Detail ablaufen, sieht sich gleich zwei gewaltigen Problemen gegenüber: Moleküle sind ungeheuer klein und ihre Veränderungen nicht weniger ungeheuer schnell. Wenn A zu B wird, dann messen beide in der Regel weniger als ein milliardstel Meter, und für den Wechsel benötigen sie etwa den millionsten Teil einer millionstel Sekunde. Und trotzdem – ganz allmählich erobert die chemische Grundlagenforschung immer mehr Erkenntnisbereiche dieser verborgenen Welt.

Häufig setzt sie dabei auf die Methode der synchronisierten Masse. Statt ein einzelnes Molekül beobachtet sie enorme Anzahlen, die auf ein extrem kurzes Startsignal hin alle das Gleiche tun. Das geht natürlich am besten mit Lösungen von farbigen Molekülen, die mit ultrakurzen Lichtblitzen angeregt werden, sich zu verändern. Doch selbst damit reicht es meist gerade, um den Anfangs- und den Endzustand zu analysieren. Was dazwischen passiert, bleibt weiterhin ein Rätsel.

Stilben | Stilben besteht aus zwei Phenylringen, die über eine Brücke von zwei Kohlenstoffatomen miteinander verbunden sind.
Diesem Geheimnis sind Tahei Tahara von der japanischen Hokkaido Universität und seine Kollegen nun am Beispiel des Stilbens nachgegangen. Diese Substanz ist eine Art Modell für unterschiedliche Pigmente, die beim Farbsehen eine Rolle spielen. Sie besteht aus zwei Ringsystemen, die über eine Brücke von zwei Kohlenstoffatomen miteinander verbunden sind. Zwischen diesen Atomen erstreckt sich eine Doppelbindung, die vorübergehend aufbrechen kann, was dem grundsätzlich starren Molekül eine gewisse Beweglichkeit erlaubt. Nur solange die Doppelbindung offen ist, können die Ringe sich zueinander verdrehen und von der cis- in die trans-Stellung überwechseln.

Der Trick von Taharas Team bestand nun darin, das Stilben nicht mit einem oder zwei Laserpulsen zu bestrahlen, sondern mit drei aufeinander folgenden Blitzen. Der erste aus dieser Reihe hob das Molekül wie üblich aus seinem Ruhezustand in den angeregten, reaktionsfreudigen Zustand. Nach einer gewissen Verzögerungszeit versetzten die Forscher es dann mit dem zweiten Blitz in Schwingungen, die mit dem dritten Laserpuls gemessen wurden. Indem sie den zeitlichen Abstand zwischen dem ersten Blitz und seinen Nachfolgern variierten, erhielten die Wissenschaftler einen zeitlichen Verlauf, dessen Auflösung im Bereich von Femtosekunden – den millionsten Teilen einer milliardstel Sekunden – lag und fein genug war, um die veränderten Vibrationen in den Ringen und im restlichen Molekül zu verfolgen.

Doch erst die Auswertung des an der Probe gestreuten Lichts, den so genannten Raman-Spektren, mit quantenmechanischen Modellen verriet, was sich im Molekül abspielt. Danach durchläuft das Stilben beim Umklappen von der cis- in die trans-Konfiguration zwei Phasen: Zunächst wird das Molekül im angeregten Zustand schnell und heftig an seiner Doppelbindung gestreckt. Gleichzeitig werden deren beide Kohlenstoffatome verschoben und die Bindung zwischen ihnen verdreht. Bis zu diesem Zeitpunkt haben sich die beiden Ringsysteme des Stilbens kaum bewegt. Und dann ...

... war der Zeitbereich, in dem die hochauflösende Ramanspektroskopie der Japaner verwertbare Signale liefert, zu Ende. Irgendwie müssen sich schließlich auch die Ringe auf den Weg in ihre neuen Positionen machen und die Doppelbindung sich wieder schließen. Das zu beobachten, bleibt jedoch anderen Verfahren überlassen. Forschung ist eben ein Puzzle, bei dem man nie weiß, in welcher Ecke wohl das nächste Teil zu finden ist.

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