Gammablitze: Das vermutlich größte Feuerwerk im All
Es gibt eine ganze Reihe bedeutender wissenschaftlicher Entdeckungen, die aus purem Zufall geschehen sind. Im Jahr 1912 etwa wollte der österreichische Physiker Victor Hess auf Ballonflügen die Stärke der radioaktiven Hintergrundstrahlung bestimmen. Wenn sie – wie damals angenommen – vor allem aus irdischem Gestein stammte, sollte sie in größerer Höhe schwächer werden. Tatsächlich ging die Gesamtstärke der Strahlung auch zunächst zurück, stieg aber ab einer gewissen Flughöhe wieder an: Es musste also auch Strahlung von oben kommen. So ganz nebenbei hatte Hess auf seinen wagemutigen Ballonfahrten die kosmische Strahlung entdeckt.
Eine weitere zufällige Entdeckung in der Astrophysik verdankt sich allerdings nicht kühnem Forschergeist, sondern dem abgrundtiefen Misstrauen der beiden Supermächte in der Hochphase des Kalten Kriegs. Nachdem sowohl die USA als auch die Sowjetunion einsehen mussten, dass die Vielzahl ihrer Atomtests und das irrsinnige Wettrüsten nicht nur ihre Staatskasse, sondern auch ihr Ansehen in der Weltgemeinschaft ramponierten, einigten sich beide Seiten 1963 auf einen Atomwaffensperrvertrag. Der Vertrag sollte natürlich auch weitere Staaten von Atomtests abhalten und die Vormachtstellung der Supermächte zementieren. Der Sperrvertrag verbot alle Tests in der Atmosphäre, im Weltall und unter Wasser. Nur unterirdische Explosionen, bei denen die Bombenwirkung mit damaliger Technologie weniger einfach nachzuweisen war, blieben nach diesem Vertrag erlaubt.
Da die Supermächte sich natürlich nicht über den Weg trauten, entwickelten amerikanische Wissenschaftler spezielle Satelliten, die nach Gammastrahlung Ausschau halten sollten, wie sie bei Atombombenexplosionen frei wird. Diese Vela-Satelliten kreisten auf sehr hohen Umlaufbahnen – hoch genug, um Gammastrahlung auf der Rückseite des Mondes messen zu können. Amerikanische Militärs mutmaßten, die Sowjets könnten dort geheime Atomwaffentests durchführen. Im Juli 1967 entdeckten dann gleich zwei Vela-Satelliten simultan einen Ausbruch von Gammastrahlen; der war jedoch nicht typisch für eine Atombombenexplosion. In den kommenden Jahren stellte sich dann heraus, dass diese Blitze weder irdischen Ursprungs waren noch von sonst irgendwo in unserem Sonnensystem stammten.
Dabei war es anfangs schwierig zu bestimmen, ob die Gammablitze wirklich von so weit weg kommen und dementsprechend stark sind. "Mitte der 1980er Jahre war noch nicht klar, ob wir es mit einem nahen oder fernen Phänomen, also in unserer solaren Nachbarschaft oder weit außerhalb der Galaxie, zu tun haben", sagt Olaf Reimer, Astrophysiker an der Universität Innsbruck.
Doch die Blitze kamen aus der Tiefe des Alls – von Quellen, die weiter weg waren als fast alles, was man sonst mit Teleskopen beobachten konnte. Dabei gehören Gammablitze nicht nur zu den heftigsten, sondern auch zu den kürzesten Ereignissen, die Astronomen beobachten.
Je besser man die Entfernung abschätzen konnte, desto klarer wurde den Forscher auch, wie stark diese Ausbrüche wirklich sind. 1997 gelang es Forschern erstmals, die Distanz eines Gammablitzes ziemlich genau zu messen. Die gemessenen sechs Milliarden Lichtjahre Entfernung bedeuteten, dass die Gammastrahlen zu einem Zeitpunkt gestartet waren, als das Universum gerade einmal halb so alt war wie heute. Selbst mit dem Weltraumteleskop Hubble ist es schwer, die schwach leuchtenden Objekte aus dieser fernen Vergangenheit auszumachen. Gammadetektoren sind allgemein sehr viel weniger empfindlich als Hubble und brauchen bei normalen Gammaquellen lange Beobachtungszeiten, um überhaupt etwas zu sehen.
"Die enorme Leuchtkraft der Gammaausbrüche bietet den Astronomen auch eine besondere Chance, denn ihre Strahlung durchleuchtet quasi das halbe Universum in Raum und Zeit", sagt Jochen Greiner vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching. Dies nutzen Forscher zunehmend, um ferne Galaxien zu untersuchen, die zwischen dem Ursprung der Gammablitze und uns liegen.
Sekundenlange Blitze – hell wie eine Galaxie
Mittlerweile gibt es spezialisierte Satelliten, die nach Gammastrahlenausbrüchen suchen. Zwei wichtige Frühwarnstationen, Swift und Fermi, spähen mit ihren Detektoren im Dauerbetrieb in alle Richtungen. Gammastrahlung ist genau wie Radiowellen, Licht oder Röntgenstrahlung eine elektromagnetische Strahlung, allerdings noch energiereicher als Letztere. Trifft sie auf die Erdatmosphäre, wird sie schnell absorbiert – deshalb benötigt man Weltraumobservatorien. Nur extrem hochenergetische Gammastrahlung lässt sich mit großen irdischen Teleskopsystemen beobachten.
Deutet sich in den Daten von Swift oder Fermi irgendwo ein Gammablitz an, startet in Sekundenschnelle ein weltweites Beobachtungsprogramm, bei dem nicht nur Satelliten, sondern auch irdische Teleskope automatisch den Himmel nach der Quelle absuchen. Das Ziel der Forscher: möglichst viele Informationen über den Entstehungsort der Gammablitze zu erhalten, nicht nur im Gammabereich, sondern auch mit Radio- und optischen Teleskopen.
Das ist mitunter gar nicht einfach: Denn Gammablitze sind nur sehr schwer zu lokalisieren. Anders als Radiowellen oder gar Licht lassen sich ihre Strahlen nicht bündeln; deshalb sind die Bilder von Gammaquellen deutlich unschärfer. Der Gammadetektor von Fermi kann den Herkunftsort nur auf eine Fläche von rund vier Vollmonden eingrenzen. Swift ist etwas genauer mit einer Auflösung von einem fünftel Vollmonddurchmesser. Wenn Swift einen Gammablitz aufleuchten sieht, schwenkt er automatisch in diese Richtung und bringt dabei auch sein Röntgenteleskop zum Einsatz. Es sieht zwar keine Gammastrahlung, aber das Nachleuchten der umgebenden Materie im Röntgenbereich – und zwar scharf genug, um das schmale Sichtfeld der irdischen Teleskope auf den Herkunftsort ausrichten zu können.
Kurze und lange Gammablitze
Im Gammabereich können solche Ausbrüche alle anderen Quellen überstrahlen. In wenigen Sekunden setzen sie so viel Energie um wie unsere Sonne in Milliarden von Jahren. Nach kurzer Zeit ist es allerdings wieder vorbei, die Strahlung klingt ab und verschwindet im Rauschen der kosmischen Hintergrundstrahlung. Dabei treten Gammablitze offenbar in zwei verschiedenen Arten auf: Die einen dauern nur wenige Sekunden, teilweise sogar nur Sekundenbruchteile. Die anderen dauern wesentlich länger – bis hin zu einigen tausend Sekunden. Vermutlich haben diese zwei Kategorien von Gammablitzen auch eine unterschiedliche Ursache.
Das stellt die Wissenschaft vor ein großes Rätsel, denn einerseits ist kein Sternprozess bekannt, der so viel Energie in so kurzer Zeit freisetzt. Andererseits kommen nur Sterne oder ähnlich kompakte Gebilde wie Neutronensterne oder stellare Schwarze Löcher als Auslöser in Betracht. Denn derart schnelle Ereignisse müssen einen lokal begrenzten Ursprung haben. Verleibt sich etwa ein supermassereiches Schwarzes Loch im Zentrum einer Galaxie einen Stern ein, führt das auch zu einem Aufleuchten – das allerdings dauert sehr viel länger.
Supernovae, bei denen ein ganzer Stern explodiert, zählen zu den spektakulärsten bekannten Ereignissen im All. Doch lange schien es, als würden Gammastrahlenausbrüche noch viel mehr Energie freisetzen. Zudem war lange Zeit nicht klar, warum Gammablitze in kurzen und langen Varianten auftreten. Mittlerweile gibt es zwar einige gute Ideen zur Herkunft dieser Blitze, aber auch noch einige Rätsel mehr zu lösen.
Rund ein Drittel aller Gammablitze gehört zur schnellen Kategorie, die nur wenige Sekunden dauert. "Vermutlich entstehen kurze Gammablitze bei der Verschmelzung kompakter Körper, also wenn zwei Neutronensterne miteinander verschmelzen oder ein Neutronenstern mit einem Schwarzen Loch", sagt Jochen Greiner. Schluckt ein Schwarzes Loch einen Neutronenstern oder entsteht ein solches durch die Fusion der beiden Objekte, treten enorm starke, gebündelte elektromagnetische Felder an den Polen auf, die Teilchen wie in einem riesigen Teilchenbeschleuniger zu hohen Energien peitschen und als so genannten Jet ins All schießen.
Ob kurze Gammablitze wirklich genau auf diese Art entstehen, ist noch nicht bewiesen. Dies ist aber gegenwärtig die plausibelste Erklärung. Das Problem: Solche Ereignisse lassen sich kaum im Computer simulieren, denn die Berechnungen sind irrsinnig komplex – und über den Materiezustand im Inneren von Neutronensternen kann man nur spekulieren.
Lange Gammablitze setzen noch wesentlich mehr Energie frei als kurze. Auch über ihren Ursprung wird noch diskutiert. Er könnte in sterbenden Sternen liegen. Ausreichend massereiche Sterne werden am Ende ihrer Lebensdauer in einer Supernova zerrissen, wobei in ihrem Kern ein Neutronenstern oder ein Schwarzes Loch entsteht. Hierbei formen sich vermutlich ebenfalls extrem starke magnetische Felder – etwa an den Polen eines Neutronensterns, erzeugen einen Jet und schicken ihn – falls er stark genug ist – durch die abgestoßene Hülle des explodierten Sterns. Diese Strahlenjets sind scharf gebündelt: Sie fokussieren fast ihre gesamte Energie in eine bestimmte Richtung. Dadurch erscheinen sie sehr viel intensiver, wenn sie zufällig Richtung Erde zeigen. Und deshalb sind sie auch über so extreme Distanzen sichtbar.
Eine mögliche Erklärung für die besonders langen Gammablitze: Wenn im Inneren eines kollabierenden Sterns ein Neutronenstern mit extrastarkem Magnetfeld entsteht – ein so genannter Magnetar –, dann könnte dieser über längere Zeit enorm viel Energie in den Teilchenstrahl pumpen. "Früher dachten wir, solch lang andauernde Ereignisse stammen von den Supernovae besonders schwerer Sterne mit etwa der 50-fachen Sonnenmasse", erklärt Greiner. Im Jahr 2016 konnten die Forscher allerdings einen extrem langen Gammablitz in Kombination mit einer Supernova nachweisen, der nicht zu dieser Hypothese passt, sondern auf einen Magnetar hinweist. Der Vorläuferstern könnte dann mit vielleicht acht Sonnenmassen ein ganzes Stück kleiner sein.
Dabei ist die Beobachtung von Gammablitzen eine astronomische Disziplin mit ganz eigenen Schwierigkeiten. Denn die kurzen Blitze sind so schnell vorbei, dass selbst größere Roboterteleskope kaum Zeit haben, in die richtige Richtung zu schwenken. Und die leichten, schnellen Teleskope sind oft zu lichtschwach, um überhaupt etwas zu sehen. Die großen, langsamen Teleskope sehen mit etwas Glück nur das Nachleuchten – aber auch aus dem können die Wissenschaftler wertvolle Informationen ziehen. Die langen Blitze wiederum lassen sich einfacher untersuchen, bringen jedoch ihre eigenen Probleme mit sich: So verschwinden die Gammasatelliten gerne einmal hinter dem Horizont, noch während der Gammablitz andauert, und müssen erst die von ihm abgewandte Seite der Erde umkreisen, bevor er wieder ins Sichtfeld tritt. Häufig ist dann das Ereignis schon vorbei oder nicht vom fluktuierenden kosmischen Hintergrund zu unterscheiden.
Im besten Fall aber lässt sich die Entwicklung eines hellen Gammablitzes mit verschiedenen Instrumenten nachvollziehen. "Dann studieren wir das Zeitverhalten der Emission, damit also auch die unterschiedlichen verantwortlichen Emissionszonen", so Reimer. "Dabei lernen wir, wie der Materiestrahl oder Jet sich durch die zirkumstellare Materie arbeitet und wie dort Teilchenbeschleunigung und Strahlungsemission stattfinden."
Gefahr für die Erde?
Im Prinzip sind Gammastrahlenausbrüche so heftig, dass sie eine akute Gefahr für die Erde darstellen können. Doch Gammablitze in entfernten Galaxien müssen uns keine Sorgen bereiten: Sie sind einfach viel zu schwach, bis sie auf die Erde treffen. Anders sähe es mit einem Gammablitz in unserer direkten galaktischen Nachbarschaft aus. Er könnte für empfindlich hohe Strahlendosen auf unserem Planeten sorgen oder unsere Atmosphäre in Mitleidenschaft ziehen.
Zum Glück sind solche Phänomene selten. "Nur rund jede 100. Supernova geht mit einem Gammablitz einher", so Greiner. Durch die Fokussierung verringert sich diese Häufigkeit noch einmal um den Faktor 100. Nur jede 10 000. Supernova erzeugt also einen Gammablitz, der Richtung Erde weist. Nun ereignen sich alle 100 Jahre in unserer Milchstraße ungefähr drei Supernovae – wobei diese Rate vor Jahrmilliarden höher war als heute.
Die Chance, dass in den letzten fünf Milliarden Jahren seit Entstehung der Erde ein lebensgefährlicher Gammablitz in unserer Nähe aufgetreten ist, beträgt etwa 90 Prozent. Über die letzten 500 Millionen Jahre gerechnet liegt dieser Wert immer noch bei 50 Prozent. Einige Forscher vermuten, dass ein Massensterben vor rund 440 Millionen Jahren auf so einen Gammablitz durch eine nahe Supernova zurückgehen könnte. Eigentlich sind das Erdmagnetfeld und unsere Atmosphäre ein guter Schutzschild gegen jede Art kosmischer Strahlung. Aber selbst wenn die Atmosphäre nicht davongeblasen wird, kann die starke Gammastrahlung die Ozonschicht für Jahre schwer beschädigen. Diese kann dann die UV-Strahlung der Sonne nicht mehr zurückhalten, was zu wesentlich höheren Strahlungsdosen auf der gesamten Erdoberfläche führt.
Vor 440 Millionen Jahren gab es noch gar keine Landlebewesen. Intensive UV-Strahlung kann aber in die oberen Schichten der Ozeane eindringen, wo sich damals viele Lebensformen tummelten. Für die Hypothese, ein Gammablitz habe seinerzeit das Massensterben ausgelöst, spricht, dass gerade die nahe der Wasseroberfläche lebenden Trilobiten ausstarben.
Um für das Leben auf der Erde wirklich gefährlich zu werden, müsste ein Gammablitz aber auch in galaktischen Maßstäben relativ nahe auftreten. Einen Gammablitz aus zehntausenden Lichtjahren Entfernung von der anderen Seite der Milchstraße dürfte die Erde wohl ganz gut wegstecken können. Bei Distanzen unterhalb von 3000 Lichtjahren wird es aber kritisch. Unterhalb von 500 Lichtjahren könnte die Vegetation so schweren Schaden nehmen, dass die Nahrungsmittelversorgung zum großen Teil zusammenbräche.
Es gibt aber auch eine beruhigende Nachricht: Wie Forscher um Krzysztof Stanek von der Ohio State University herausgefunden haben, treten Gammablitze anscheinend vor allem in Galaxien auf, die noch keine starke Entwicklung durchgemacht haben und die noch genügend massereiche Sterne besitzen, die in einer Supernova explodieren können. "Reife" Galaxien wie unsere Milchstraße sind in dieser Hinsicht anscheinend deutlich ruhiger. Außerdem hat es sich die Erde an einem recht beschaulichen Plätzchen in einem Seitenarm der Milchstraße bequem gemacht, an dem wenige spektakuläre Explosionen zu erwarten sind. Schade für die Astronomie, aber gut für die Menschheit.
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