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Neuropsychologie: Deine Blamage tut mir weh

Fremdschämen aktiviert gleiche Hirnareale wie Mitleid für körperliche Schmerzen.
Peinlicher Moment
Es passiert jeden Tag: Der Gesprächspartner hat seine Hose nicht zugemacht, das Handy des Nachbarn klingelt mitten im Kinofilm – peinlich, peinlich, nicht nur für den Betreffenden selbst. Menschen schämen sich für andere, auch wenn sie nichts zu dessen unangenehmer Lage beigetragen haben und die beobachtete Person nicht einmal kennen. Sören Krach und sein Team von der Philipps-Universität in Marburg haben jetzt nachgewiesen, dass dieses so genannte Fremdschämen auch die gleichen Hirnareale aktiviert wie das Nachempfinden körperlicher Schmerzen anderer.

Peinliche Situationen | Die Aktivität verschiedener Hirnareale der Versuchsteilnehmer wurde gemessen, während ihnen solche Bilder von peinlichen Situationen eines Protagonisten (roter Pfeil) gezeigt und durch einen kurzen Satz erklärt wurden. Sie wurden in vier Gruppen unterteilt, je nachdem, ob sich der Beobachtete seines Fehlverhaltens bewusst ist oder nicht und ob er versehentlich oder absichtlich gegen gesellschaftliche Konventionen verstößt.
AA: Du bist auf der Post, die Hosen einer Person vor dir zerreißen, während sie sich nach einem Paket bückt.
AU: Du bist in der Bibliothek, bei der Person vor dir kannst du die Unterhose sehen.
IA: Du bist im Kino, während des Films telefoniert eine Person mit dem Handy.
IU: Du bist in der Innenstadt, eine Person trägt eine angeberische Halskette.
Als Vergleich dient eine neutrale Situation (N): Du bist in der Bibliothek, eine Person leiht sich an der Rezeption ein Buch aus.
Zuerst konfrontierten die Wissenschaftler über 600 Probanden mit kurzen Beschreibungen peinlicher Szenen und erhoben mittels Fragebogen, wie stark sie ihre persönliche Verlegenheit durch die Fehltritte der Mitmenschen einschätzten. Die ist offenbar unabhängig davon, ob das Malheur zufällig passiert oder der Betreffende bewusst gegen gesellschaftliche Normen verstößt. Genauso irrelevant ist es, ob sich das Gegenüber selbst blamiert fühlt oder sein Dilemma gar nicht bemerkt.

Dann zeigten die Forscher 32 Versuchsteilnehmern schematische Darstellungen peinlicher Situationen und registrierten mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) die Hirndurchblutung. Dabei fanden sie verstärkte Blutversorgung und folglich erhöhte Aktivität in der anterioren Insula und im anterioren zingulären Kortex. Viele frühere Studien hatten nachgewiesen, dass dieselben Areale bei Mitleid reagieren, das Menschen beim Beobachten körperlicher Verwundungen anderer Personen empfinden.

Eigene und fremde Schmerzen | Fremder Schmerz, sowohl physiologischer (z.B. ein Entgegenkommender fällt vom Fahrrad) als auch sozialer Natur (z.B. Fremdschämen), regt Hirnareale an, welche die emotionale Bewertung des Reizes vornehmen: die anteriore Insula und den anterioren cingulären Kortex. Dieselben Bereiche des Gehirns werden auch bei eigenen Schmerzen aktiv. Doch wenn jemand selbst betroffen ist, egal ob physiologisch (z.B. er schneidet sich in den Finger) oder sozial (z.B. er wird von seinem Partner verlassen), wird zusätzliche das sensorische Areal stimuliert, der somatosensorische Kortex.
Das Mitgefühl für andere entspricht allerdings nicht vollständig den Gefühlen bei eigenem Leid. Das Schmerzempfinden besteht aus zwei Komponenten: Die sensorische Qualität, die Wahrnehmung einer Verletzung, wird im somatosensorischen Kortex verarbeitet. Die emotionale Bewertung des Sinneseindrucks als unangenehm, quälend oder heftig kommt dagegen im limbischen System hinzu, speziell in der anterioren Insula und dem anterioren zingulären Kortex.

Erst kürzlich hatten Forscher nachgewiesen, dass auch soziale Ablehnung genau wie eine Reizung der Schmerzrezeptoren im Körper alle genannten Areale aktiviert. Mitfühlen oder Fremdschämen betreffen demgegenüber nur die emotionalen Zentren des limbischen Systems, die negative Empfindungen vermitteln. (gw)

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