Nautik: Dem Leitstein nach
Sie gelten als blutrünstige Krieger, aber auch als hervorragende Seefahrer. Doch wie fanden sich die Wikinger auf hoher See zurecht? Vielleicht wie die Bienen - mit Hilfe des polarisierten Sonnenlichts.
A furore Normannorum, libera nos domine – "Herr, befreie uns von der Raserei der Nordmannen!"
Der Hilferuf aus einem englischen Gebetbuch des 9. Jahrhunderts lässt den Schrecken erahnen, den die Männer aus dem hohen Norden in Mitteleuropa verbreitet haben mussten. In der Tat genossen die Wikinger, die am 8. Juni 793 mit ihrem Angriff auf das englische Kloster Lindisfarne die Bühne der europäischen Geschichte betraten, keinen guten Leumund. Als mordlüsterne Barbaren, die plündernd und brandschatzend alles niedermachten, was ihnen im Weg lag, sollen sie das christliche Mittelalter tyrannisiert haben.
Doch das Bild, das uns mittelalterliche Mönche überliefert haben, ist ein wenig schief. Die meisten Nordmänner und -frauen lebten als Bauern und Händler wohl eher friedlich an den Küsten Skandinaviens und bauten vor hier aus ein beeindruckendes Handelsnetz auf. Ihren hoch entwickelten Kriegs- und Handelsschiffen hatten die Mitteleuropäer nichts entgegenzusetzen.
Mag auch das eine oder andere Wikingerschiff nicht sein Ziel erreicht haben, so kehrten doch die meisten wieder sicher zurück. Die Wikinger segelten nicht planlos umher, sondern bewiesen sich als umsichtige Navigatoren, die wussten, was sie taten. Doch wie fanden sie sich auf hoher See zurecht?
Dass auch die Sonne eine wichtige Navigationshilfe war, zeigten die Überreste von Holzscheiben, die auf Grönland, in England und auf der Insel Wollin entdeckt wurden. Die windrosenartigen Strichmarkierungen deuten Archäologen als Sonnenkompass: Aus Lage und Länge des Schattens, den ein senkrecht aufgestellter Stock wirft, lässt sich die ungefähre geografische Breite ermitteln. Doch bekanntermaßen gelten die nordischen Gewässer nicht gerade als von der Sonne verwöhnt. Was tun, wenn sich das Himmelslicht mal wieder bei Schietwetter hinter einer trüben Wolkendecke verbirgt?
Der dänische Archäologe Thorkild Ramskou spekulierte in den 1960er Jahren, dass die Wikinger per "Sonnenstein" navigierten. In mehreren Wikingersagen werden solche magischen Steine erwähnt, die den Stand der Sonne auch bei bedecktem Himmel verraten. Dabei handelte es sich, so vermutet Ramskou, um Kristalle mit polarisierenden Eigenschaften, wie beispielsweise das Mineral Cordierit, die bevorzugt das Licht einer bestimmten Schwingungsebene durchlassen. Da nun die Polarisationsrichtung des Himmelslichts vom Sonnenstand abhängt, verfärben sich die Kristalle, wenn man sie in Richtung Sonne hält.
So weit die Theorie. Doch funktioniert das auch in der Praxis? Die Expedition "Beringia 2005" mit dem schwedischen Eisbrecher "Oden" von Alaska durch die arktische Nordwestpassage nach Spitzbergen lieferte eine günstige Gelegenheit zum Test. Die Forscher um den Biophysiker Gábor Horváth von der Eötvös-Universität in Budapest wollten wissen, ob sich in nordischen Gewässern tatsächlich mit der Polarisation des Himmelslichts der Sonnenstand bestimmen lässt.
Die Wissenschaftler setzten keine Sonnensteine ein, sondern herkömmliche Polarimeter. Der Praxistest bewies: Es könnte klappen. Der Polarisationswinkel des Lichts ändert sich nicht, wenn die Sonne von Wolken bedeckt ist. Und eine geschlossene Wolkendecke, bei dem das bloße Auge nicht mehr die Position der Sonne bestimmen kann, lässt immer noch genügend polarisiertes Licht durch. Kritisch wird es erst bei Nebel. In einer dicken Waschküche, wie sie häufiger in nordischen Gewässern auftritt, dürften die Wikinger Schwierigkeiten gehabt haben. Wird der Nebel jedoch von der Sonne beschienen, dann könnte das trübe Scheinen ausgereicht haben, den Sonnenstand halbwegs genau zu orten.
Nutzten die Wikinger tatsächlich eine Technik, mit der sich auch Insekten und Zugvögel orientieren? Die Biophysiker können nur sagen, dass es theoretisch möglich gewesen sein könnte. Eine endgültige Antwort müssen die Archäologen liefern. Denn einen echten Sonnenstein aus der Wikingerzeit hat noch keiner gefunden.
Der Hilferuf aus einem englischen Gebetbuch des 9. Jahrhunderts lässt den Schrecken erahnen, den die Männer aus dem hohen Norden in Mitteleuropa verbreitet haben mussten. In der Tat genossen die Wikinger, die am 8. Juni 793 mit ihrem Angriff auf das englische Kloster Lindisfarne die Bühne der europäischen Geschichte betraten, keinen guten Leumund. Als mordlüsterne Barbaren, die plündernd und brandschatzend alles niedermachten, was ihnen im Weg lag, sollen sie das christliche Mittelalter tyrannisiert haben.
Doch das Bild, das uns mittelalterliche Mönche überliefert haben, ist ein wenig schief. Die meisten Nordmänner und -frauen lebten als Bauern und Händler wohl eher friedlich an den Küsten Skandinaviens und bauten vor hier aus ein beeindruckendes Handelsnetz auf. Ihren hoch entwickelten Kriegs- und Handelsschiffen hatten die Mitteleuropäer nichts entgegenzusetzen.
Überhaupt zeigten sich die Wikinger als Meister der Nautik: Das abgelegene Island besiedelten sie spätestens im 9. Jahrhundert, um von hier aus noch weiter nach Westen zu gelangen. Erik der Rote, der wegen eines blutig endenden Nachbarschaftsstreits die Insel verlassen musste, segelte um 980 zielstrebig nach Grönland. Sein Sohn Leif landete um das Jahr 1000 in Nordamerika.
Mag auch das eine oder andere Wikingerschiff nicht sein Ziel erreicht haben, so kehrten doch die meisten wieder sicher zurück. Die Wikinger segelten nicht planlos umher, sondern bewiesen sich als umsichtige Navigatoren, die wussten, was sie taten. Doch wie fanden sie sich auf hoher See zurecht?
"Herr, befreie uns von der Raserei der Nordmannen"
(englisches Gebetbuch)
Einen Magnetkompass, mit denen die europäischen Segelschiffe des 16. Jahrunderts die Weltmeere eroberten, kannten die Wikinger vermutlich noch nicht. Er hätte ihnen auch in grönländischen Gewässern wenig geholfen, da hier – in der Nähe der magnetischen Nordpols – die hohe Missweisung eine Kompassnavigation unmöglich macht. Sicherlich wussten die nordischen Nautiker als aufmerksame Naturbeobachter vorherrschende Windrichtungen und Meeresströmungen sowie das Zugverhalten von Vögeln, Fischen und Walen zu nutzen. Und in der Nacht wies ihnen der Polarstern den Weg. (englisches Gebetbuch)
Dass auch die Sonne eine wichtige Navigationshilfe war, zeigten die Überreste von Holzscheiben, die auf Grönland, in England und auf der Insel Wollin entdeckt wurden. Die windrosenartigen Strichmarkierungen deuten Archäologen als Sonnenkompass: Aus Lage und Länge des Schattens, den ein senkrecht aufgestellter Stock wirft, lässt sich die ungefähre geografische Breite ermitteln. Doch bekanntermaßen gelten die nordischen Gewässer nicht gerade als von der Sonne verwöhnt. Was tun, wenn sich das Himmelslicht mal wieder bei Schietwetter hinter einer trüben Wolkendecke verbirgt?
Der dänische Archäologe Thorkild Ramskou spekulierte in den 1960er Jahren, dass die Wikinger per "Sonnenstein" navigierten. In mehreren Wikingersagen werden solche magischen Steine erwähnt, die den Stand der Sonne auch bei bedecktem Himmel verraten. Dabei handelte es sich, so vermutet Ramskou, um Kristalle mit polarisierenden Eigenschaften, wie beispielsweise das Mineral Cordierit, die bevorzugt das Licht einer bestimmten Schwingungsebene durchlassen. Da nun die Polarisationsrichtung des Himmelslichts vom Sonnenstand abhängt, verfärben sich die Kristalle, wenn man sie in Richtung Sonne hält.
So weit die Theorie. Doch funktioniert das auch in der Praxis? Die Expedition "Beringia 2005" mit dem schwedischen Eisbrecher "Oden" von Alaska durch die arktische Nordwestpassage nach Spitzbergen lieferte eine günstige Gelegenheit zum Test. Die Forscher um den Biophysiker Gábor Horváth von der Eötvös-Universität in Budapest wollten wissen, ob sich in nordischen Gewässern tatsächlich mit der Polarisation des Himmelslichts der Sonnenstand bestimmen lässt.
Die Wissenschaftler setzten keine Sonnensteine ein, sondern herkömmliche Polarimeter. Der Praxistest bewies: Es könnte klappen. Der Polarisationswinkel des Lichts ändert sich nicht, wenn die Sonne von Wolken bedeckt ist. Und eine geschlossene Wolkendecke, bei dem das bloße Auge nicht mehr die Position der Sonne bestimmen kann, lässt immer noch genügend polarisiertes Licht durch. Kritisch wird es erst bei Nebel. In einer dicken Waschküche, wie sie häufiger in nordischen Gewässern auftritt, dürften die Wikinger Schwierigkeiten gehabt haben. Wird der Nebel jedoch von der Sonne beschienen, dann könnte das trübe Scheinen ausgereicht haben, den Sonnenstand halbwegs genau zu orten.
Nutzten die Wikinger tatsächlich eine Technik, mit der sich auch Insekten und Zugvögel orientieren? Die Biophysiker können nur sagen, dass es theoretisch möglich gewesen sein könnte. Eine endgültige Antwort müssen die Archäologen liefern. Denn einen echten Sonnenstein aus der Wikingerzeit hat noch keiner gefunden.
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