Trockenheit in Deutschland: April, April
Es gehört zur Ironie dieses sehr speziellen Jahres, dass seit Beginn der Ausgangsbeschränkungen wegen des neuen Coronavirus schönstes Ausflugswetter herrscht. Die Sonne strahlt praktisch täglich von einem blank geputzten Himmel, Regenwolken machen einen großen Bogen um Deutschland. Dazu ist es angenehm warm, beinahe frühsommerlich, jedenfalls viel zu warm und trocken für die Jahreszeit. Die Bodenfeuchte sei in Deutschland derzeit ungewöhnlich gering, teilte der Deutsche Wetterdienst am Dienstag, den 22. April, mit. Steht Deutschland eine neue Dürre bevor?
Vieles spricht dafür, und das hat erneut mit dem April zu tun. Zwei Jahre ist es her, da brach Anfang April plötzlich der Sommer aus. Die Sonne brannte vom Himmel, der Boden trocknete aus – das Land stand am Anfang einer historischen Dürre. Auch der Sommer brachte kaum Regen, bis weit in den Herbst hinein herrschte Trockenheit bei strahlend blauem Himmel. Felder verdorrten, Flüsse trockneten aus, Wald und Wiesen färbten sich braun. Und jetzt? Scheint es sich zu wiederholen. Die Wetterlage erinnere sehr an den Beginn der verheerenden Dürre im Jahr 2018, sagen Meteorologen. Noch ist es allerdings zu früh, eine verlässliche Prognose abzugeben.
Der April ist jedenfalls nicht wiederzuerkennen. Er war einmal ein Monat, der aus der Reihe tanzte. Launischer als die anderen, exzentrisch und unbeherrscht – irgendwie sympathisch. Er konnte Schnee an Ostern bringen und ein Blütenmassaker auslösen. Aber er konnte auch die Freibadsaison einläuten und die ersten Erdbeeren reifen lassen – häufig lag zwischen Kälte und Wärme nur ein Tag. Das einzig Beständige an ihm sei seine Unbeständigkeit, hieß es früher. Aber das ist vorbei.
Seit zehn Jahren fehlen bundesweit mehr als 30 Liter Regen
Der neue April ist stabil und beständig, fast stoisch, ein Langweiler. Ein Monat wie geschaffen für den sonnenautoritären Zeitgeist, in dem gutes Wetter mit Sonnenschein gleichgesetzt wird, obwohl Regen zu Beginn der Vegetationsperiode viel besser wäre. Dass sich der Monat verwandelt hat, ist nicht nur ein Gefühl. Es lässt sich belegen in Zahlen: Seit etwa 20 Jahren fällt im April zu wenig Regen, bundesweit im Schnitt nur noch 43 Liter auf jeden Quadratmeter. Das sind 15 Liter weniger im Vergleich zur Referenzperiode von 1961 bis 1990. Am wenigsten kam im staubtrockenen April 2007 vom Himmel, damals summierten sich die Mengen auf mickrige vier Liter. Drastisch fällt die Bilanz aus, wenn man die vergangenen zehn Jahre betrachtet. Von 2010 bis 2019 bleiben die Werte konsequent unterdurchschnittlich, im Schnitt kamen nur noch 37 Liter Regen zusammen, ein Minus von 21 Litern. Kurzum: Jedes Jahr fehlt bundesweit ein Drittel der üblichen Regenmengen.
Am schlimmsten ist die Regenarmut der vergangenen 20 Jahre im Osten. Am härtesten trifft es Sachsen, dort fiel nur in einem der vergangenen 23 Jahre mehr Regen als üblich, und 2007 fiel der April dort ebenfalls besonders trocken aus. Jedes Jahr fehlen im Freistaat mehr als ein Drittel der üblichen Niederschläge. Dafür lässt sich die Sonne mittlerweile um ein Viertel länger blicken, statt 149,5 Sonnenstunden wie im Zeitraum von 1961 bis 1990 scheint sie mittlerweile 188,6 Stunden lang. Im restlichen Bundesgebiet ist der Trend ähnlich, er zeigt seit Beginn der Aufzeichnungen von Sonnenstunden im Jahr 1951 steil nach oben. Den Grund für den trockenwarmen April sehen Meteorologen in einer deutlichen Abnahme von regenträchtigen Tiefdruckwetterlagen. Seit vier Jahrzehnten nehme die Häufigkeit für zyklonale Lagen ab, wie es der Klimatologe Tobias Fuchs vom Deutschen Wetterdienst in Offenbach fachlich korrekt ausdrückt. Störungsfreie Hochdrucklagen nehmen zu. Das heißt: Statt windiger, kühler und nasser Atlantikluft weht häufiger knochentrockene Luft heran.
Der trockene April wirkt sich auf das gesamte Frühjahr aus. Seit zehn Jahren fehlen bundesweit im Schnitt mehr als 30 Liter Regen, die üblicherweise im Frühling fallen. Zudem scheint die Sonne häufiger. März und Mai hingegen haben sich in den vergangenen Jahren kaum verändert, Regenmengen und Sonnenschein zeigen keinen klaren Trend.
Der Temperaturtrend ist allerdings in allen Frühlingsmonaten eindeutig: Es wird immer wärmer. Um 1,4 Grad ist die Temperatur in wenigen Jahrzehnten gestiegen, das 21. Jahrhundert rast von Rekord zu Rekord. Und auch in dieser Betrachtung ist der April eine Ausnahmeerscheinung: So schnell wie er hat sich kein anderer Monat erwärmt. Um 1,8 Grad ist es im Vergleich zum Durchschnitt der Jahre 1961 bis 1990 wärmer geworden.
Mit dem Wärmetrend zeigt sich der Klimawandel
20 Jahre sind allerdings zu kurz, um daraus einen Klimatrend abzuleiten. Das ist statistisch erst nach 30 Jahren möglich. Schaut man weiter zurück in die Wettergeschichte des Landes, tauchen überraschenderweise immer wieder sehr trockene Frühjahrsphasen auf, wie jene zum Ende des 19. Jahrhunderts und jene zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Das Frühjahr scheint hydrologisch stark zu schwanken, der Klimawandel muss in diesem Fall nicht zwangsläufig der Hauptfaktor sein.
Eine populäre Theorie über den Klimawandel sollte man daher neu bewerten: Dass möglichweise der Höhenwind stärker mäandriert und dadurch Großwetterlagen länger andauern, ist als Erklärung schon aus historischen Gründen zweifelhaft, zumal die Beobachtungen auch aus jüngster Zeit eine andere Sprache sprechen. Dass der Klimawandel Fakt ist und zunehmend in Erscheinung tritt, ist hier zu Lande also weniger an den Schwankungen der Niederschläge festzustellen als vielmehr am Wärmetrend der letzten anderthalb Jahrhunderte. Die Warmphase des 21. Jahrhunderts ist einzigartig, ähnlich warme Phasen finden sich nicht in den Wetterbeobachtungen. Oder anders ausgedrückt: Die Menschheit ist längst in eine neue Klimaepoche eingetreten.
»Bei früherer Blütezeit besteht im Fall von Zufuhr polarer trockener Kaltluft die Gefahr von Frösten mit Schadenspotenzial für Kulturpflanzen«
Tobias Fuchs, Klimatologe
Analog zum Erwärmungstrend des Frühjahrs haben sich die Jahreszeiten verschoben, zumindest die phänologischen. Damit sind periodisch wiederkehrende Pflanzenwachstumsphasen gemeint, wie etwa die Entwicklung der Apfelblüte, die den Beginn des Vollfrühlings anzeigt. Klimatologe Tobias Fuchs weist auf eine deutliche Verschiebung der phänologischen Jahreszeiten hin. So blühe der Apfelbaum heute zehn Tage früher als im Mittel der Jahre 1961 bis 1990, der Schwarze Holunder sogar elf Tage früher. Mit der Gefahr, dass knackige Spätfröste besonders heftig zuschlagen, weil die Natur schon weit vorangeschritten ist. »Bei früherer Blütezeit besteht – trotz Klimawandels – im Fall von Zufuhr polarer trockener Kaltluft die Gefahr von Frösten mit Schadenspotenzial für Kulturpflanzen«, sagt Tobias Fuchs.
Dieser Trend wiederum führt zu einer längeren Vegetationsperiode. Die Natur erwacht früher und fällt später im Herbst in Winterstarre. Eine längere Vegetationsperiode führt indirekt zu mehr Trockenheit, weil Pflanzen über einen längeren Zeitraum Wasser aus den Böden ziehen. Da seit einigen Jahren im Frühling die Temperaturen steigen, Niederschläge ausbleiben und die Sonne länger vom Himmel brennt, verdunstet überproportional viel Wasser – das die Pflanzen jedoch zu Beginn der Vegetationsperiode dringend benötigen. Vor allem im sich stark erwärmenden Sommerhalbjahr intensiviert sich dadurch die Verdunstung. Kurzum: Der Klimawandel erhöht die Dürregefahr.
Dem Boden fehlt Wasser, Pflanzen beginnen zu welken
Das Maß, mit dem sich dieser Klimatrend am besten nachzeichnen lässt, ist die Bodenfeuchte. Ausgerechnet zu Beginn der Vegetationsperiode Mitte März blieb plötzlich der Regen aus. Nach Berechnungen des Wetterdienstes fielen vom 14. März bis 18. April bundesweit weniger als zehn Liter auf den Quadratmeter. Im April sind bislang nur vier Prozent der üblichen Regenmengen gefallen, dafür ist die Anzahl der Sonnenstunden schon jetzt um ein Drittel höher als normal.
Der Grund für die aktuelle Trockenheit ist nicht nur der ausbleibende Regen seit Mitte März. Die ungewöhnliche Wärme, der mitunter starke Wind, die starke Einstrahlung und die staubtrockene Luft entziehen Böden und Gewässern sehr viel Wasser, die Verdunstung überstieg das übliche Maß, und zwar in großen Teilen Europas. Die Verdunstungsraten liegen bei etwa sechs Litern pro Tag und Quadratmeter, schätzt der DWD. Die Pflanzen verbrauchen mehr Wasser, als von oben nachkommen kann. Vielerorts habe die Wassermenge im Boden bei Weitem nicht ausgereicht, um den Durst der Pflanzen zu stillen, sagt der Wetterdienst.
So wenig #Regen in weiten Teilen von #Europa : weniger als 25% vom Normalwert in den vergangenen 30 Tagen in einem großen Gebiet und auch vorige Woche sehr trocken. pic.twitter.com/zptmrJ4GDT
— DWD Klima und Umwelt (@DWD_klima) April 22, 2020
Zu ähnlichen Ergebnissen kommt der Dürremonitor des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung in Leipzig. Ganz im Süden und im äußersten Osten Sachsens herrscht eine außergewöhnliche Dürre im Oberboden, vielerorts ist kein Wasser im Boden mehr verfügbar. Die Pflanzen beginnen zu welken. Noch angespannter ist die Situation im Gesamtboden und damit auch in tieferen Schichten. Der halbe Osten und große Teile des Südens sind demnach von außergewöhnlicher Dürre betroffen, der höchsten von fünf Stufen. Das wiederum passt zum Trend, auf den eine Studie vor zwei Jahren in »Nature« hinwies. Die Bodenfeuchte sinkt – im Vergleich zu den letzten beiden Jahrhunderten – in unseren Breiten Besorgnis erregend.
»Wir haben es sehr wahrscheinlich mit einem einzigartigen Jahr zu tun«
Sonia Seneviratne, Klimaforscherin
Die Klimaforscherin Sonia Seneviratne von der ETH Zürich bezeichnet die aktuelle Lage als außergewöhnlich. »Die Trockenheit ist sogar schlimmer als vor zwei Jahren«, sagt sie. Im Gegensatz zu den Meteorologen stützt sie ihre Aussagen auch auf Messungen der Bodenfeuchte. Seit zehn Jahren leitet sie das Swiss Soil Moisture Experiment, ein erstes Schweizer Messnetz zur Untersuchung der Bodenfeuchte an verschiedenen Standorten. Noch nie in diesem Zeitraum war der Boden im April so ausgedörrt wie jetzt, selbst im April vor zwei Jahren lag die Bodenfeuchte höher. »Ein so tiefes Niveau haben wir normalerweise erst im Sommer«, sagt Seneviratne. Es ist so trocken wie sonst nur im Juli.
Bis in tiefere Schichten fehlt das Wasser, sagt Seneviratne; schon seit Jahresbeginn ist die Bodenfeuchte konsequent unterdurchschnittlich, daran konnte selbst das stürmische Regenwetter im Februar nichts ändern. Die Daten entstammen ihrer zehnjährigen Messreihe. An einer Station in der Nordostschweiz laufen die Messungen schon seit dem Jahr 1995, daher geht die Forscherin davon aus, dass auch zwischen 1995 und dem Beginn ihrer Messreihe kein ähnlich trockenes Jahr wie 2020 auftrat. »Wir haben es sehr wahrscheinlich mit einem einzigartigen Jahr zu tun«, lautet ihr Fazit.
Forstwissenschaftler sind jedenfalls nervös. Wenn jetzt nicht bald ausgiebig Regen kommt, droht ein massives Schadjahr, sagen sie. Der Borkenkäfer genoss einen warmen Winter, zudem liegt aus den Vorjahren noch jede Menge Schadholz im Wald herum. Ob der Mai die Wende bringt, ist alles andere als sicher. Zwar scheint in der kommenden Woche endlich Regen in Sicht, allerdings ist unklar, ob sich die Großwetterlage mit einem blockierenden Hoch so leicht vertreiben lässt.
Die Langfristprognose des Europäischen Wetterdienstes für die nächsten anderthalb Monate verheißt jedenfalls nichts Gutes, es bleibt wohl zu trocken. Solche eher experimentellen Modelle sind mit großen Unsicherheiten behaftet, insofern ist ungewiss, ob wirklich eine neue Dürre droht. Doch die Startbedingungen für den Sommer könnten schlechter nicht sein.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.