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Ozeanforschung: Der Atlantik erobert den Arktischen Ozean

Die Framstraße ist das Tor zur Arktis. Eine Expedition will herausfinden, welche Rolle die Zirkulation in der Meerenge für die Folgen der Ozeanerwärmung spielt.
Bei gutem Wetter spiegelt Spitzbergen sich im Isfjord.

»Drei, zwei, eins und los!« Auf das Kommando von Wilken-Jon von Appen löst Carina Engicht die Bremse der Winde und lässt die Sonde, die etwa so groß ist wie ein Baseballschläger, Richtung Meeresgrund sinken. Seit zwei Stunden stehen die Forscher in Polaranzügen am Heck der »Maria S. Merian«. Es bläst ein kräftiger Wind, dichter Nebel dimmt die nächtliche Sonne. Während das Forschungsschiff die wenige Kilometer entfernte Meereiskante entlangfährt, misst die Sonde während 80 Sekunden freien Falls durch 200 Meter Wassersäule die Temperatur und den Salzgehalt des Meeres. Dann spult die Winde die Befestigungsleine surrend wieder auf, und das Spiel beginnt von vorne.

Zerlina Hofmann wartet unterdessen darauf, dass von Appen ihr per Funk das Zeichen gibt, eine von 21 Treibbojen auszusetzen. »Die Boje soll die Schmelzwasserfront markieren, damit wir diese in den nächsten Tagen verfolgen können«, erklärt die Meeresphysikerin und streift sich ein zweites Paar Handschuhe über. Die Boje hat einen Satellitensender, der regelmäßig seine Position an das Schiff sendet. Ein Bremsschirm verhindert, dass sie vom Wind abgetrieben wird, statt mit der Strömung zu driften. Schließlich wirft Hofmann den gelben Schwimmkörper über Bord, der rasch im Nebel verschwindet.

Anfang Juli 2020 befindet sich die »Merian« 150 Kilometer westlich von Spitzbergen, knapp 1200 Kilometer vom Nordpol entfernt. An Bord des deutschen Forschungsschiffes: zwölf Wissenschaftler und Technikerinnen des Alfred-Wegener-Instituts Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung sowie der Universität Bremen. In der Framstraße, der wichtigsten Verbindung zwischen dem Arktischen Ozean und den subpolaren Meeren, will das Team um Expeditionsleiter Wilken-Jon von Appen mehr über die Zirkulation und die Biogeochemie der Eisrandzone herausfinden. Denn: Was sich an der Grenze zwischen Polarwasser und warmem Atlantikwasser abspielt, beeinflusst sowohl die Zukunft des arktischen Ökosystems als auch die Folgen der Erderwärmung in anderen Erdteilen.

Jenseits des Polarkreises heizt sich unser Planet mehr als doppelt so schnell aufwie im globalen Mittel, und das sommerliche Meereis in der Arktis schwindet seit gut zwei Jahrzehnten in atemberaubendem Tempo. Im Sommer 2020 ist die Meereisfläche auf den zweitniedrigsten Wert seit Beginn der Satellitenmessungen im Jahr 1979 abgeschmolzen, so dass der Eisbrecher »Polarstern« Mitte August im Rahmen der MOSAiC-Expedition mühelos den Nordpol erreichte. Bald braucht es wohl keinen Eisbrecher mehr, um zum Pol vorzudringen: Einer aktuellen Studie zufolge dürfte die Arktis noch vor 2050 im Sommer eisfrei sein, selbst wenn es gelingt, den weltweiten CO2-Ausstoß drastisch zu reduzieren.

Aussetzen des Triaxus-Sensorschlittens | Hier wird am Heck der »Merian« der Triaxus ausgesetzt: ein Schlitten, an dem verschiedene Sensoren befestigt werden können, die zum Beispiel Temperatur, Salzgehalt, Strömungsgeschwindigkeit, Algenbiomasse oder Nährstoffgehalt im Meer messen. Er wird bei verminderter Geschwindigkeit (etwa sechs Knoten) hinter dem Schiff hergezogen und kann, per Software oder manuell gesteuert, ab- und auftauchen.

Für den immer stärkeren Eisrückgang sorgt neben dem Temperaturanstieg in der Atmosphäre die zunehmende Salz- und Wärmezufuhr aus dem Atlantik. Sie wirbelt die Schichtung im Arktischen Ozean durcheinander, wo salzarmes, relativ leichtes Polarwasser über salzigem, schwerem Atlantikwasser liegt. Als Folge der stärkeren Vermischung isoliert das Oberflächenwasser die Schollen schlechter gegen das wärmere Tiefenwasser, sie schmelzen schneller, und es bildet sich weniger Neueis. Forschende sprechen hierbei von der »Atlantifizierung« der Arktis.

Mit der Framstraße hat die »Merian«-Expedition eine Schlüsselregion für diese Transformation angesteuert. Über die 350 Kilometer breite und 2700 Meter tiefe Meerenge zwischen Spitzbergen und Grönland erfolgen rund drei Viertel des Wasseraustauschs der Arktis. Dabei ist die Framstraße augenfällig zweigeteilt: Im Westen treiben jährlich etwa zehn Prozent des arktischen Meereises in die Grönlandsee, während die Ostseite ganzjährig weitestgehend eisfrei bleibt. Der Grund dafür ist relativ warmes Atlantikwasser, das westlich von Spitzbergen entlang der Schelfkante gen Norden strömt. Auf seiner Reise kühlt das Wasser ab und gewinnt an Dichte, so dass es sich auf Höhe des 80. Breitengrads unter das Polarwasser schiebt. Ein Teil des Atlantikwassers jedoch biegt in der Framstraße nach Westen ab und fließt anschließend, in einigen hundert Metern Tiefe, zurück nach Süden, vorbei an der Ostküste Grönlands.

»Wir wollen die physikalischen Prozesse verstehen, die Atlantikwasser in der Eisrandzone abtauchen und wieder nach Süden strömen lassen«, erklärt von Appen. Bislang ist nicht genau bekannt, wie viel Wasser die nördliche oder die südliche Route nimmt. Das erschwert es unter anderem, den Wärmetransport in die Arktis präzise zu bestimmen.

Deshalb kreuzen die Meeresforscher auf der »Merian« nun die Schmelzwasserfront, an der sich die Wassermassen übereinanderschieben. Bei ruhiger See und beinahe wolkenlosem Himmel passiert das Schiff einige Treibbojen, die nachts über Bord gegangen sind. Binnen weniger Kilometer steigt die Temperatur im Oberflächenwasser um 4,5 Grad, und auf dem Schiffsradar erscheinen Muster, die zunächst Treibeis vermuten lassen. Aber keine Scholle weit und breit. Stattdessen durchziehen glatte Schlieren die Meeresoberfläche. »Wir überfahren gerade die Front«, sagt von Appen auf der Brücke. »Das Atlantikwasser taucht hier unter das Schmelzwasser.« Dabei hinterlässt es an der Oberfläche einen öligen Film an organischen Verbindungen, die beispielsweise Plankton produziert und die wegen des positiven Auftriebs nicht mit in die Tiefe sinken.

»Maria S. Merian« | Das mittelgroße Forschungsschiff befand sich im Jahr 2019 unter anderem im Isfjord vor Longyearbyen/Spitzbergen.

Für die vertikale Zirkulation ist die Dichte des Meerwassers ein wesentlicher Faktor. Sie hängt von der Temperatur, aber auch vom Salzgehalt ab, sagt Zerlina Hofmann, die Daten für ihre Doktorarbeit sammelt: »Wo salzreiches Atlantikwasser auf salzarmes Schmelzwasser trifft, treten starke Dichtegradienten auf.« An der Front sorgen leichtes, salzarmes Schmelzwasser auf der einen Seite und schweres Atlantikwasser auf der anderen Seite für eine instabile Schichtung. Deshalb taucht letzteres hier ab.

Dasselbe geschieht bei den Wassermassen, die in der Framstraße umkehren und südwärtsfließen: Sie sind so salzhaltig, dass sie sich – obwohl wärmer – im Westen der Framstraße unter das nach Süden strömende kalte Wasser des Ostgrönlandstroms schieben. Jedoch ist die Temperatur des Atlantikwassers in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gestiegen, wie seit 1997 am Meeresgrund verankerte Sensoren des Alfred-Wegener-Instituts belegen: Die einströmenden Atlantikwassermassen sind heute rund ein Grad wärmer als noch vor gut 20 Jahren.

In der Folge gelangt auch an der Ostküste Grönlands mehr Wärme unter die Eiszungen der ins Meer mündenden Gletscher und beschleunigt ihr Abschmelzen. Gewaltige Mengen Süßwasser landen dadurch im Ozean. Erst kürzlich vermeldete der Geological Survey of Denmark and Greenland, dass eine mehr als 100 Quadratkilometer große Eisfläche vom mächtigsten Küstengletscher der Insel, dem Nioghalvfjerdsfjorden, abgebrochen ist. Dessen schwimmendes Eisschelf hat seit 2001 erheblich an Masse eingebüßt, weil die Temperatur an der Unterseite steigt.

Die großen Mengen an Schmelzwasser senken den Salzgehalt im Meer, und das zunehmend salzärmere, wärmere Wasser verliert an Dichte – mit womöglich weit reichenden Konsequenzen. Das nach Süden strömende Wasser speist den tiefen Nordatlantik. Die Tiefenwasserbildung vor Grönland ist eine wichtige Komponente der Atlantischen Umwälzzirkulation und damit des Klimasystems der Erde. Laut dem 2019 veröffentlichten Sonderbericht des Weltklimarats hat die Umwälzzirkulation in den vergangenen Jahrzehnten bereits an Kraft verloren und wird sich sehr wahrscheinlich weiter abschwächen. Mögliche Folgen sind vermehrte Trockenheit in der Sahelzone und im Amazonasbecken sowie ein beschleunigter Eisverlust in der Antarktis.

Nicht zuletzt auf Grund der Bedeutung für das globale Klima und den Meeresspiegelanstieg sei es wichtig, die Strömungen in der Framstraße genauer zu verstehen, sagt Wilken-Jon von Appen: »Unsere Ergebnisse könnten helfen, Prognosen für den Ozean auf der Basis von Computermodellen zu verbessern, die kleinräumige Zirkulationsmuster bislang nicht auflösen.«

In Zukunft ein verändertes Ökosystem

Darüber hinaus ist die Eisrandzone der Framstraße für die Forschenden auf der »Merian« auch eine Art Modellregion, die einen Blick auf die Zukunft des arktischen Ökosystems erlaubt. Denn mit dem verstärkten Rückzug des sommerlichen Meereises in die zentrale Arktis wandert die Eiskante durch ein immer größeres Gebiet. Welchen Einfluss hat das auf die Nahrungskette und die Stoffkreisläufe im Nordpolarmeer?

Im Labor des Forschungsschiffs sitzt Expeditionsleiter von Appen vor einer Wand aus Bildschirmen, auf denen Kurven in verschiedensten Farben auf und ab wandern. 13 Laptops verarbeiten den enormen Datenstrom eines knallgelben Messschlittens, den die »Merian« hinter sich herzieht. An der Schmelzwasserfront, wo Atlantik und Arktis aufeinandertreffen, wandeln sich die Eigenschaften des Meerwassers sprunghaft. Etliche Sensoren an dem Messschlitten, der in der oberen Wassersäule permanent abtaucht und wieder aufsteigt, liefern dem Forschungsteam ein detailliertes Bild darüber, wie sich Temperatur, Strömungsgeschwindigkeit oder Nährstoffgehalt verändern.

Mehrmals fährt die »Merian« ein enges Raster ab, das die Forschenden über die mit den Treibbojen markierte Front gelegt haben. Als das Schiff diese wieder einmal kreuzt, schießt die Trübungskurve plötzlich nach oben – ein Anzeichen für eine hohe Dichte an Mikroalgen. »Das Phytoplankton profitiert offenbar davon, dass nitratreiches Wasser aus tieferen Schichten an die Oberfläche gelangt«, sagt von Appen. Bereits auf einer früheren Reise beobachteten er und andere Forschende des AWI, dass Phytoplankton an der Grenze zwischen atlantischem und polarem Wasser besonders gut gedeiht.

Erkenntnisse der Expedition, wie die Zirkulation den Nährstoffgehalt und damit die Produktivität erhöht, sind für das Nordpolarmeer insgesamt relevant: Laut einer Auswertung von Satellitendaten durch ein Team der kalifornischen Stanford University wandeln Mikroalgen in der Arktis heute über 50 Prozent mehr CO2 in Biomasse um als gegen Ende der 1990er Jahre. Weil immer größere Flächen immer länger eisfrei bleiben und auf Grund stärkerer Durchmischung mehr Nährstoffe an die Oberfläche gelangen. Der Arktische Ozean wird infolge des Klimawandels also womöglich produktiver. Denn wo mehr Algen wachsen, gibt es auch für Zooplankton, Fische und Meeressäuger mehr zu fressen.

Wie Corona die Meeresforschung beeinträchtigt

Gut zwei Jahre lang hatte das Team um Wilken-Jon von Appen die Expedition vorbereitet. Mit dem deutschen Forschungsschiff »Heincke« sollte sie von Spitzbergen aus aufbrechen. Im Frühjahr jedoch steht die Expedition plötzlich vor dem Aus: Das Coronavirus verbreitet sich rasant um den Globus. Der internationale Flugverkehr kommt fast vollständig zum Erliegen, Landesgrenzen und Häfen werden geschlossen.

Die »Merian« ist auf dem Weg nach Chile, für eine Reise in die Antarktis, als die Pandemie ausbricht. Sie und weitere Schiffe – darunter die »Meteor« im Atlantischen und die »Sonne« im Indischen Ozean – müssen nach Deutschland zurückkehren. Auf absehbare Zeit finden nur Expeditionen statt, die hier zu Lande starten und enden. Viele Forschungsgebiete sind damit praktisch unerreichbar geworden. Dazu gelten strengere Hygieneauflagen auf den Schiffen. So dürfen etwa Doppelkammern für die Forschenden nur noch einfach belegt werden.

Von Appen hat Glück im Unglück: Wenige Wochen vor Expeditionsstart gibt es grünes Licht für seine Reise in die Framstraße. An Stelle der »Heincke« steht ihm nun die deutlich größere und für die Forschung in der Eisrandzone konzipierte »Merian« zur Verfügung. Es wird die erste Expedition der »Merian« seit Ausbruch der Pandemie sein.

Zuvor wird das Schiff jedoch helfen, einen vorzeitigen Abbruch der MOSAiC-Expedition zu vermeiden. Eigentlich soll die Crew der »Polarstern«, die seit Monaten an einer Eisscholle durch das Nordpolarmeer treibt, Anfang April per Flugzeug von Spitzbergen ausgetauscht werden. Als aber in Europa die Corona-Infektionen in die Höhe schnellen, schottet sich die Inselgruppe ab. Im Mai brechen daher die »Merian« und die »Sonne« auf, um die »Polarstern« vor Spitzbergen zu treffen und den Crew-Wechsel durchzuführen. Die Rückkehrer haben am Ende gut zwei Monate länger als geplant in der Arktis verbracht.

Ende Juni dann darf von Appens Expeditionsteam nach mehrtägiger Hotelquarantäne und negativem Corona-Test in Emden an Bord der »Merian«. Landgänge, während das Schiff im Hafen liegt, um Proviant und wissenschaftliche Ausrüstung zu laden, sind tabu. Kurz darauf nimmt die »Merian« Kurs Richtung Arktis. Nach sechstägiger Überfahrt erreicht sie das Forschungsgebiet in der Framstraße.

Noch dazu könnte absinkende Planktonbiomasse dafür sorgen, dass mehr CO2 in der Tiefsee gespeichert wird. Abhängig ist das jedoch von der Geschwindigkeit, mit der Flocken toter Algen – so genannter Meeresschnee – oder der Kot von Zooplankton zum Grund sinken. Und neben der Zunahme des Phytoplanktons ist im Zuge der Atlantifizierung des Arktischen Ozeans ein weiterer Trend erkennbar: Das Artenspektrumverschiebtsich. Statt der für die Polarregionen typischen Kieselalgen findet man immer öfter atlantische Arten in den nördlichsten Gewässern.

»In der Barentssee etwa gibt es vermehrt Blüten von Kalkalgen, deren Verbreitungsgrenze eigentlich weiter südlich liegt«, sagt Julia Oelker vom Institut für Umweltphysik der Universität Bremen. Sie entwickelt Algorithmen, mit deren Hilfe aus Satellitendaten die Menge und Artenzusammensetzung des Phytoplanktons bestimmt werden können. In ihrem Labor stapeln sich Wasserkanister, auf dem Tisch brummt eine Vakuumpumpe. Mehrmals täglich filtriert sie etliche Liter Oberflächenwasser, um anhand der Lichtabsorption und der Analyse von Photopigmenten die Algen in der Eisrandzone zu bestimmen. Auf vielen ihrer Filter landet eine geleeartige Masse: aus hunderten Zellen bestehende Algenkolonien der Gattung Phaeocystis, die eine schleimige Hülle umgibt. Sie profitieren ebenfalls vom Zustrom wärmeren Atlantikwassers, in der Framstraße wie auch in der Barentssee.

»Im Gegensatz zu Kieselalgen haben Phaeocystis keine schweren Schalen und sinken langsamer ab«, erklärt Morten Iversen, Professor für Partikelsedimentation an der Universität Bremen. Er und sein Team untersuchen, wie effizient das an der Oberfläche von Phytoplankton in Biomasse umgewandelte CO2 in die Tiefe gelangt. Mit einer Unterwasserkamera bestimmen sie Art und Größe von Partikeln in der Wassersäule. Sie setzen Treibfallen aus, die herabsinkendes organisches Material in Plastikrohren auffangen, in bis zu 400 Meter Tiefe. So können sie die Menge an Kohlenstoff ermitteln, die dort unten ankommt.

Gerade ist der »Snow Catcher« wieder an Deck gehievt worden. Das mannshohe, zylinderförmige Gerät erlaubt es, die fragilen Meeresschneeflocken unversehrt zu fangen. Im Labor der »Merian« platziert Iversen sie behutsam in ein Aquarium auf einem Nylonnetz. Um zu messen, wie schnell die meist kaum einen Millimeter großen Algenflocken sinken, lässt er Wasser von unten durch das Netz strömen, bis diese gerade zu schweben beginnen. Die fluffigsten Partikel, die vor allem aus Phaeocystis bestehen, schaffen nur wenige Meter pro Tag.

Markierungsboje von ausgeworfenen Treibfallen | In verschiedenen Tiefen sammeln die Forscher mit Hilfe von Sinkstofffallen, im Prinzip einfach unten geschlossenen Plastikrohren, marinen Schnee und Zooplankton-Kotballen. Am Ende können sie damit bestimmen, wie viel organisch gebundener Kohlenstoff in die Tiefe des Ozeans gelangt. Die Plastikrohre sind über ein Seil mit zwei großen Auftriebskugeln befestigt, die als Bojen knapp unter der Wasseroberfläche treiben. Die kleinen orangen Kugeln dienen als Wellenbrecher und verhindern, dass sich die Sinkstofffallen in der Wassersäule auf und ab bewegen. Ein Satellitensender an den Bojen hilft dabei, die Fallen wiederzufinden, nachdem sie bis zu 24 Stunden frei mit der Strömung getrieben sind.

»Je langsamer Meeresschnee sinkt, desto mehr Zeit bleibt Bakterien, die Algenbiomasse zu recyceln, bevor sie die Tiefsee erreicht«, sagt Morten Iversen. »Nur wenn Partikel mehr als einen Kilometer Tiefe erreichen, ist der Kohlenstoff für mehrere hundert Jahre im Ozean gespeichert.«

Der Meeresbiologe glaubt, dass die Erwärmung der Arktis und die Verschiebung im Artenspektrum auch den Kohlenstoffkreislauf verändern könnte: Der effiziente Transfer organischen Materials in die Tiefsee durch schnell sinkende Kieselalgen könnte abgelöst werden von einem System, in dem Meeresschnee von Bakterien in der oberen Wassersäule größtenteils recycelt und CO2 wieder freigesetzt wird. Trotz größerer Produktivität an der Oberfläche fiele so weniger Nahrung für Seesterne, Seegurken und Kleinstlebewesen am Meeresgrund ab.

Gleichzeitig, betont Iversen, dürfe man die physikalischen Prozesse nicht vernachlässigen: »Der Ozean wird oft als ein vertikales Rohr betrachtet, in dem Algen lediglich passiv in die Tiefe schneien. In der Eisrandzone jedoch verfrachtet womöglich vor allem das abtauchende Atlantikwasser Kohlenstoff in die Tiefe.« Nur so ließe sich erklären, dass Phaeocystis noch in mehreren hundert Metern Tiefe zu finden sei.

Gut eine Woche vermessen die Forscher die vertikale Zirkulation in der Eisrandzone, sie sammeln Unmengen an Daten und Wasserproben für spätere Laboranalysen. Diese werden ihnen helfen, den Wärmetransport und die Biogeochemie der Framstraße besser zu verstehen – und damit die Zukunft des sich rasant wandelnden Arktischen Ozeans. Die Strömung hat die Treibbojen in diesem Zeitraum zum Teil 80 Kilometer weit getragen. Einige aber haben ihre Position kaum verändert und markieren noch immer die Front, an der das Atlantikwasser unter das polare Schmelzwasser taucht.

Anm. d. Red.: Diese Recherche wurde mit Mitteln des WPK-Recherchefonds gefördert.

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