Direkt zum Inhalt

Kohlekraftwerke: Aussteigen ist komplex

Der Fahrplan für das Ende der Kohle steht: Das letzte Kraftwerk soll spätestens 2038 abgeschaltet werden. Dafür muss das Tempo beim Ausbau der erneuerbaren Energien allerdings enorm anziehen.
Ein Paar schmutzige Hände hält eine handvoll Steinkohle vor schwarzem Hintergrund in die Kamera.

Demos, Klagen, Sitzblockaden, sogar Paddelboot-Proteste auf der Elbe: Die Umweltverbände haben alle Register gezogen, um den Bau des Steinkohlekraftwerks im Hamburger Stadtteil Moorburg zu verhindern. Vergeblich, die 1,6-Gigawatt-Anlage ging 2015 ans Netz, als jüngster Kohlemeiler Deutschlands. Allzu lang wird Betreiber Vattenfall aber wohl keine Freude mehr an seinem Kraftwerk haben. Denn mit dem Ende Januar 2019 vorgelegten Konzept der Kommission zum Braun- und Steinkohleausstieg muss Moorburg spätestens 2038 vom Netz, obwohl die Anlage technisch gesehen noch mindestens 20 Jahre länger in Betrieb bleiben könnte.

Die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission hat einen Fahrplan erarbeitet, der die Kohleverstromung in Deutschland geordnet und im gesellschaftlichen Konsens zum Ende führen soll. Der Plan sieht vor, dass bis 2022 Kraftwerke mit einer Gesamtleistung von 12,5 Gigawatt abgeschaltet werden. Bis 2030 folgen weitere 26 Gigawatt. Die restlichen 17 Gigawatt sollen dann bis 2038 oder womöglich auch schon einige Jahre früher vom Netz gehen. Zudem empfiehlt die Kommission umfassende Strukturhilfen für die betroffenen Regionen, eine Entlastung privater und industrieller Verbraucher bei den Stromkosten sowie ein regelmäßiges Monitoring des Ausstiegs.

Allerdings hat das Papier der Kommission nur empfehlenden Charakter. Die Bundesregierung ist nun gefordert, aus dem Konzept einen verbindlichen, rechtssicheren Ausstiegsplan zu machen. Das soll auf Basis von Vereinbarungen mit den Kraftwerksbetreibern geschehen. Hier sind heiße Diskussionen über Entschädigungen zu erwarten – die Unternehmen werden versuchen, möglichst hohe Kompensationen für das Abschalten ihrer Anlagen herauszuschlagen. Sollten die Verhandlungen scheitern, rät die Kommission der Bundesregierung, die Stilllegung auf ordnungsrechtlichem Wege zu erzwingen, bei Entschädigungszahlungen an die Betreiber. Das birgt jedoch das Risiko, dass diese Klage einreichen und so den Ausstieg verzögern.

»Den meisten Politikern ist sehr genau bewusst, dass der Kohleausstieg breite Zustimmung in der Bevölkerung genießt«Dirk Uwe Sauer

In der CDU/CSU-Fraktion ist der Entwurf der Kommission durchaus umstritten. Das Konzept wird dennoch so in die Umsetzung gehen, erwartet Dirk Uwe Sauer, Professor an der RWTH Aachen und Sprecher des Akademienprojekts »Energiesysteme der Zukunft« (ESYS). »Den meisten Politikern ist sehr genau bewusst, dass der Kohleausstieg breite Zustimmung in der Bevölkerung genießt. Zudem wissen die Politiker, dass die Energiebranche klare Verhältnisse braucht, um die nötigen Ersatzinvestitionen in Erzeugungsanlagen oder Speicher tätigen zu können«, sagt Sauer. Er rechnet sogar mit einem früheren Endtermin für den Ausstieg. »Ich gehe davon aus, dass die letzten Braunkohlekraftwerke bereits vor 2038 vom Netz gehen werden. Denn der CO2-Preis wird weiter steigen, so dass der Betrieb der Anlagen mittelfristig nicht mehr wirtschaftlich ist«, erklärt der Wissenschaftler.

Ausbau der Wind- und Solarenergie schwächelt

Die Braun- und Steinkohlekraftwerke tragen derzeit rund 40 Prozent zum Strommix bei, etwa so viel wie die Erneuerbare-Energien-Anlagen. Deren Anteil muss also enorm wachsen, um den Wegfall der Kohlemeiler – und auch der letzten Atomkraftwerke, die bis Ende 2022 vom Netz gehen – zu kompensieren. Bereits mit ihrem Koalitionsvertrag hat die Bundesregierung beschlossen, die Ökostromquote bis 2030 auf 65 Prozent zu steigern. Betrachtet man allein den Stromsektor, dürfte eine solche Quote zusammen mit Gaskraftwerken genügen, um den bis dahin wegfallenden Kohle- und Atomstrom zu ersetzen, meint Sauer. »Das reicht nicht, wenn man berücksichtigt, dass wir künftig viel Strom für den Verkehr und die Wärmeversorgung benötigen. Das Ausbautempo muss also deutlich anziehen«, erklärt der Wissenschaftler.

»Nicht der Ausstieg aus der Kohle ist die Herausforderung, sondern der Einstieg in die Erneuerbaren«Clemens Hoffmann

Allerdings droht selbst das Ziel aus dem Koalitionsvertrag weit verfehlt zu werden. »Um 65 Prozent der gegenwärtigen Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien bereitzustellen, müssen ab 2020 jedes Jahr acht Gigawatt Windenergie und neun Gigawatt Fotovoltaik zugebaut werden«, sagt Professor Clemens Hoffmann, Direktor des Fraunhofer-Instituts für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik IEE. Davon sind die jüngsten Zubauzahlen weit entfernt: Bei der Onshore-Windenergie wurden 2018 gerade einmal 2,4 Gigawatt und bei der Fotovoltaik knapp drei Gigawatt installiert. »Nicht der Ausstieg aus der Kohle ist die Herausforderung, sondern der Einstieg in die Erneuerbaren«, so der Fraunhofer Forscher.

Wenn nun aber der nötige Zubau ausbleibt – könnte der Fahrplan für den Kohleausstieg doch noch in Frage gestellt werden? Hoffmann weist darauf hin, dass die Kommission allein für alte Braunkohlekraftwerke konkrete Ausstiegszahlen genannt hat. Die sukzessive Reduktion der Energieerzeugung aus den übrigen Kraftwerken dagegen könne nur aus den Wind- und Solarzubauzahlen abgeleitet werden. »Es wird die wesentliche Aufgabe des politischen Entscheidungsprozesses in den nächsten Monaten sein, diese beiden Aspekte der Energiewende miteinander zu koppeln«, sagt Hoffmann. Sollte der Ausbau hinter dem notwendigen Maß zurückbleiben, dürften wohl schon in wenigen Jahren Forderungen nach einer Anpassung des Ausstiegsplans laut werden.

Gaskraftwerke für Dunkelflauten

Und was bedeutet die Ablösung von Atom und Kohle durch Wind und Solar für die Versorgungssicherheit? Woher soll der Strom kommen, wenn ganz Deutschland unter Wolken liegt und kein Wind weht, also die berüchtigte Dunkelflaute herrscht? Vor allem aus Gaskraftwerken, so die Kommission – die jedoch erst einmal gebaut werden müssen. Etwa 100 Gigawatt Leistung sind laut Fraunhofer IEE nötig, um die Versorgungssicherheit zu jedem Zeitpunkt und unter allen Bedingungen zu garantieren. Derzeit sind hier zu Lande Gaskraftwerke mit zusammen rund 30 Gigawatt Leistung am Netz.

Kohlekraftwerk | Zu den größten Kohlendioxidschleudern Europas zählen einige deutsche Kohlekraftwerke. In Zukunft sollen sie saubere Energie erzeugen, indem ihr CO2 abgeschieden und im Untergrund eingelagert wird.

»Entgegen häufig genannten Befürchtungen ist diese Infrastruktur zu wirtschaftlichen Bedingungen realisierbar«, ist Hoffmann überzeugt. Anders als die Kohlekommission geht der Forscher aber nicht davon aus, dass sich die so genannten Ausgleichskraftwerke über die erzeugte Energie finanzieren lassen – dazu werden sie zu selten gebraucht. Hoffmann sieht sie vielmehr als Teil der Netzinfrastruktur, die über die Netznutzungsentgelte finanziert werden. Diese Entgelte sind Teil des Strompreises. Ähnlich wie bei den klassischen Netzkomponenten lasse sich auch bei den Ausgleichskraftwerken ein Wettbewerb herstellen, so dass sie zu minimalen Kosten betrieben werden könnten.

»Der Ausstieg aus der Kohle bedeutet den Einstieg in die Speicher«Professor Michael Sterner

Begleitet werden muss der Zubau von Wind- und Solarkraftwerken der Kohlekommission zufolge auch von einer Flexibilisierung des Energiesystems, unter anderem durch den breiten Einsatz von Speichern. Sie helfen nicht nur dabei, Stromangebot und -nachfrage in die Balance zu bringen, sondern können auch so genannte Systemdienstleistungen erbringen. Dazu zählt etwa die Bereitstellung von Regelenergie, mit der die Netzbetreiber kurzfristig Frequenzschwankungen ausgleichen. Solche Aufgaben übernehmen bislang vor allem fossile Kraftwerke. An die Stelle der Kohlemeiler könnten hier etwa Batteriespeicher und sogar Akkus von Elektroautos treten, wie Pilotprojekte zeigen.

»Der Ausstieg aus der Kohle bedeutet den Einstieg in die Speicher«, meint Professor Michael Sterner von der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg. Besondere Bedeutung hat seiner Meinung nach dabei die Sektorenkoppelung durch das »Power to X«-Speicherkonzept: Überschüssiger Wind- oder Solarstrom wird genutzt, um damit per Elektrolyse Wasserstoff zu erzeugen, der dann ins vorhandene Gasnetz eingespeist oder aber zu Kohlenwasserstoffen wie Methan oder synthetischen Kraftstoffen weiterverarbeitet wird. Power to X flexibilisiert die Nachfrage nach Strom und mindert zugleich die CO2-Emissionen im Verkehr- und Wärmesektor.

Bislang gibt es keinen Markt für solche Anlagenkonzepte, da Strom mit seinem hohen Anteil staatlich festgesetzter Preiskomponenten derzeit noch zu teuer ist. »In einer aktuellen Studie für die Gaswirtschaft konnten wir zusammen mit Energierechtsexperten zeigen, dass die Befreiung von allen Abgaben, Steuern und Umlagen für die nächsten zehn Jahre der Schlüssel zur Markteinführung von Power to X ist«, erklärt Sterner. Auch die Kohlekommission rät, das System der Entgelte, Abgaben und Umlagen umfassend zu überarbeiten. Dagegen sperrt sich die Bundesregierung jedoch noch.

Neue Wärmequellen benötigt

Neben der Stromerzeugung und der Bereitstellung von Systemdienstleistungen haben Kohlekraftwerke eine weitere Funktion im Energiesystem: Sie versorgen Gebäude und Industrieanlagen mit Wärme. Rund 28 Prozent der Fern- und Nahwärme stammen dem deutschen Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) zufolge aus Kohlekraftwerken.

Dieser Anteil soll laut Kohlekommission durch einen Mix unterschiedlicher Technologien ersetzt werden, zu denen neben Gaskraftwerken und -motoren auch große Wärmepumpen sowie Power-to-Heat-Anlagen gehören – eine Art riesiger elektrischer Heizstab, der Wärme erzeugt, wenn gerade viel Strom verfügbar ist. Da sich Wärme gut speichern lässt, können sie dazu beitragen, Windräder und Solaranlagen in das Energiesystem zu integrieren, indem sie vor allem laufen, sobald es an Abnehmern für den Strom fehlt. Wirtschaftlich ist diese Betriebsweise allerdings nur dann, wenn der eingesetzte Strom ganz oder teilweise von Steuern und Abgaben befreit wird.

Mit dem Ersatz der Kohlekraftwerke durch Windräder und Solaranlagen ist es also nicht getan – der Kohleausstieg verändert das Energiesystem tief greifend. Doch nur so besteht die Chance, das deutsche CO2-Ziel für den Stromsektor einzuhalten, eine Minderung der Emissionen um 62 Prozent bis 2030 gegenüber 1990. Ob auch das übergeordnete Klimaziel der Bundesrepublik – insgesamt minus 55 Prozent bis 2030 – erreicht wird, hängt damit vor allem vom Verkehrs- und Wärmesektor ab. Gerade beim Verkehr hinkt Deutschland seinen Zielen allerdings so weit hinterher, dass hier wohl Maßnahmen nötig sind, gegen die der Kohleausstieg ein Kinderspiel ist.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.