Direkt zum Inhalt

News: Der Ausstieg und die Folgen

Für Baden-Württemberg hätte ein rascher Ausstieg aus der Kernenergie gravierende Folgen: Energiekosten und Kohlendioxid-Emissionen würden deutlich steigen. Dies ergab eine Studie der Akademie für Technikfolgenabschätzung in Stuttgart. Die Autoren untersuchten die Konsequenzen bei Fortschreibung der bisherigen Praxis und beim Ausstieg mit und ohne Klimaschutzmaßnahmen.
Wenn das Land seine fünf Kernkraftwerke zum Beispiel bereits nach 20 Jahren Betriebsdauer abschalten würde, fielen jährlich 670 Millionen Mark Mehrkosten für die Stromerzeugung an. Immer noch 140 Millionen Mark wären fällig, falls die Kernkraftwerke im Land nach 35 Jahren Betriebsdauer vom Netz gingen. Je rascher sich der Ausstieg vollzieht, desto tiefer müßten die Verbraucher in die Tasche greifen. Hätten sie bei einem Ausstieg bis 2019 mit direkten Zusatzkosten von etwa 0,4 Pfennig pro Kilowattstunde zu rechnen, so wären es bei einem Ausstieg bis 2009 bereits mehr als ein Pfennig.

Nach dem endgültigen Abschalten der Kernkraftwerke im Jahr 2020 lägen die Emissionen des Treibhausgases CO2 ohne Ausgleichsmaßnahmen um rund 30 Prozent (25 Millionen Tonnen pro Jahr) höher als 1990. Das Klimaschutz-Ziel in der Koalitionsvereinbarung der Bundesregierung – Verringerung der CO2-Emissionen bis 2005 um ein Viertel gegenüber 1990 – wäre auch nicht annähernd zu erreichen. Die Autoren der Studie, Diethard Schade und Wolfgang Weimer-Jehle, plädieren deshalb für einen "geordneten Rückzug" aus der Kernenergie.

Die beiden Forscher nahmen die Energie-Versorgungsstruktur des Landes gründlich unter die Lupe. "Ein rascher Ausstieg wäre nach unseren Untersuchungsergebnissen kontraproduktiv", so Diethard Schade, langjähriger Vorstandsprecher der Akademie. Damit würden zusätzliche Kosten verursacht, die Klimaschutzziele seien schwieriger zu erreichen. Insgesamt verringere ein übereilter Rückzug auch die Chancen für eine nachhaltige Entwicklung des Landes. Angesichts der Liberalisierung des Energiemarktes wäre der Ausstieg gerade jetzt mit schwer kalkulierbaren Risiken verknüpft.

Der Südwesten hat bei der Energieversorgung eine besondere Situation. Der Anteil der Kernenergie an der Stromversorgung ist mit 58 Prozent überdurchschnittlich hoch. Sowohl der älteste als auch der neueste deutsche Kernreaktor (Obrigheim, Inbetriebnahme 1968; Neckarwestheim II, Inbetriebnahme 1989) stehen in Baden-Württemberg. Während die Bundesregierung noch über das Wann und Wie diskutiert, steht für die Autoren der Studie fest: Der Ausstieg wird – wann auch immer – in Baden-Württemberg beginnen und hier auch am längsten dauern. Überdies ist die Kohlendioxid-Emission pro Kopf der Bevölkerung im Land niedriger als im Durchschnitt der Republik. Baden-Württemberg hat also schon eine gewisse Vorleistung zu den Forderungen an den Klimaschutz erbracht, die aus dem Klimagipfel in Rio erwachsen sind. Vor diesem Hintergrund spielten die Wissenschaftler verschiedene Szenarien zur weiteren Entwicklung der Energieversorgung in Baden-Württemberg durch.

Die Ergebnisse in Kürze:

Fortschreibung der gegenwärtigen Praxis

Schreibt man die Entwicklung der Vergangenheit über die nächsten 20 Jahre ohne politische Eingriffe fort, würde die Kernenergie etwa im heutigen Umfang weitergenutzt werden. Die Forscher gehen dabei von sogenannten plausiblen Annahmen aus, um etwa die Entwicklung der Stromnachfrage und Energiepreise abzuschätzen. Insgesamt würden sich die Kohlendioxid-Emissionen in Baden-Württemberg etwa auf heutigem Niveau einpendeln. Das CO2-Reduktionsziel würde damit nicht erreicht.

Ausstieg ohne Klimaschutz-Maßnahmen

Bei einem Kernenergieausstieg ohne ergänzende Maßnahmen für den Klimaschutz würde die Kernenergie fast völlig durch fossile Kraftwerke ersetzt, da kohlendioxidfreie Energieformen so kurzfristig nicht ausreichend zur Verfügung stehen. Der Ausstoß an Kohlendioxid würde sich um etwa 30 Prozent gegenüber 1990 erhöhen. Das CO2-Reduktionsziel wäre noch weniger erreicht.

Ausstieg mit Klimaschutz-Maßnahmen

Begleiten massive Klimaschutzmaßnahmen (etwa Ausbau der Photovoltaik und der Kraft-Wärme-Kopplung, Energieeinsparung in der Industrie) den Ausstieg, lassen sich sowohl die Stromnachfrage bis zum Jahr 2020 deutlich verringern, als auch der Einsatz regenerativer Energien erheblich ausweiten. Die CO2-Emissionen liessen sich zwar so bis 2020 um rund 21 Prozent senken, das Klimaschutzziel würde aber auch dann nicht vollständig erreicht.

Die Autoren der Studie gehen davon aus, daß zusätzliche Klimaschutzmaßnahmen auch ohne einen Ausstieg aus der Kernkraft möglich wären. "Die Studie soll nicht die Frage beantworten, ob der Kernenergie-Ausstieg richtig oder falsch ist", so Wolfgang Weimer-Jehle. Er weist jedoch darauf hin, daß die Nebenwirkungen des politisch gewollten Ausstiegs um so stärker werden, je kürzer man die Ausstiegsfrist ansetzt. Das Forscherteam der Akademie bezweifelt, daß die Nachteile eines schnellen Ausstiegs durch entsprechende Vorteile gerechtfertigt sind.

Siehe auch

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.