Forschungsskandale in Deutschland: Macht und Machtmissbrauch in der Wissenschaft
In diesem Frühjahr und Sommer sorgten gleich zwei Max-Planck-Institute für ähnliche Schlagzeilen. Allerdings ging es nicht um spannende Forschung, sondern um Mobbingvorwürfe. Mehrere Institutsmitarbeiter hatten sich an Journalisten gewandt und sich über eine desolate Arbeitsatmosphäre in ihrer Forschungsgruppe beklagt. Wie Berichte in »Science« und »Buzzfeed« dokumentieren, sollen die Wissenschaftler von Vorgesetzten unter Druck gesetzt und über Jahre hinweg schikaniert worden sein.
Vorwürfe gegen Spitzenforscher gab es in den vergangenen Jahren immer wieder. Oft ging es dabei um sexuelle Belästigung, und meist waren angelsächsische Forscher die Beschuldigten, etwa der New Yorker Paläoanthropologe Brian Richmond oder der Bostoner Antarktisgeologe David Marchant. Die diesjährigen Machtmissbrauchsvorwürfe sind anders gelagert: Sie richten sich gegen zwei wissenschaftliche Direktorinnen deutscher Max-Planck-Institute.
Mobbing an Max-Planck-Instituten?
Die eine ist Guinevere Kauffmann vom Max-Planck-Institut für Astrophysik (MPA) in Garching. Ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter berichten unter anderem von diskriminierenden E-Mails und Demütigungen sowie von Drohungen, Arbeitsverträge nicht zu verlängern. Kauffmann selbst zeigt sich auf Anfrage von »Spektrum.de« wenig einsichtig und geht nicht im Detail auf die gegen sie erhobenen Vorwürfe ein. Stattdessen teilt sie mit, dass eine »journalistische Hexenjagd« auf wissenschaftlich begabte Frauen in Deutschland stattfinde. Eine Sichtweise, die man bizarr finden kann – schließlich standen bisher überwiegend Männer im Zentrum öffentlich gewordener Wissenschaftsskandale.
Die andere Max-Planck-Direktorin, der Mobbing und Machtmissbrauch vorgeworfen wird, ist Tania Singer vom MPI für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig. Mit ihren Forschungsarbeiten zu den neuronalen und hormonellen Grundlagen von Empathie und Mitgefühl gilt Singer international als Koryphäe ihres Fachs. Doch im Umgang mit ihren Mitarbeitern soll es ihr an Einfühlungsvermögen gemangelt haben, berichteten mehrere Teammitglieder dem Wissenschaftsmagazin »Science«. Von einer Atmosphäre der Angst ist die Rede und davon, dass Mitarbeiter nach Gesprächen mit Singer wiederholt in Tränen ausbrachen.
Auf Anfrage von »Spektrum.de« bezeichnet Tania Singer die Mobbingvorwürfe als »falsch und haltlos«. Sie räumt allerdings ein, dass es »in einzelnen Situationen inadäquate emotionale Kommunikation« gegeben habe und verweist auf »subjektive Wahrnehmungen ehemaliger Mitarbeiter«.
Die irritierenden Einblicke in die Welt der Spitzenforschung werfen Fragen auf: Wie konnte fragwürdiges Verhalten von führenden Wissenschaftlern über Jahre hinweg folgenlos bleiben? Wer hat davon wann gewusst, wer hat es wie lange geduldet? Und vor allem: Wie groß und weit reichend ist das Mobbingproblem innerhalb der Wissenschaft jenseits der nun publik gewordenen Einzelfälle?
Wenn man Betroffene anhört und mit Experten diskutiert, die das akademische Arbeitsklima erforschen, dann wird zunehmend klar, dass diese Fragen nur an der Oberfläche kratzen. Darunter liegen zwei andere, viel grundsätzlichere Fragen. Die eine lautet: Wie geht Wissenschaft mit Macht und Autorität um, wo und wie setzt sie Grenzen? Die andere: Wie löst Wissenschaft das Dilemma, dass wissenschaftliche Exzellenz nicht notwendigerweise mit menschlichen Qualitäten korreliert – und dass der enorme Konkurrenzdruck, unter dem die Forscher stehen, dieses Problem noch verschärft?
Teufelskreis aus Angst, Wegschauen und Schweigen
Aber der Reihe nach. Wer mit Mitarbeitern der beiden Max-Planck-Institute spricht, der hört immer wieder drei Dinge: Erstens sei das Arbeitsklima in den meisten anderen Abteilungen der Institute in Ordnung. Zweitens sei das Verhalten von Kauffmann und Singer auch außerhalb der jeweiligen Arbeitsgruppe bekannt gewesen. Und drittens habe die Max-Planck-Gesellschaft zu spät und dann auch nur halbherzig reagiert.
Weitgehend unstrittig ist: Wenn die Max-Planck-Gesellschaft es hätte wissen wollen, so hätte sie es auch früher wissen können. Entsprechende Hinweise hat es immer wieder gegeben, allerdings fanden diese offenbar nicht den Weg bis nach München zur Max-Planck-Zentrale. Inzwischen räumt MPG-Chef Martin Stratmann ein, dass das Beschwerdesystem nicht optimal funktioniert hat; hier hat die Wissenschaftsorganisation bereits nachgebessert.
Damit sich solche Fälle nicht wiederholen, wurde außerdem eine Task-Force gegründet, an der auch Promovierende beteiligt sind. Jana Lasser ist Sprecherin des MPG-Doktoranden-Netzwerks PhDnet. Sie glaubt, dass ein langer Atem notwendig sei, um wirkliche Veränderungen zu erreichen. Dennoch gibt sie sich vorsichtig optimistisch. Vor allem seien die Promovierenden »froh, dass das Thema endlich angesprochen und breiter diskutiert wird«. Lösungsvorschläge hat das Doktorandennetzwerk vor wenigen Wochen in einem Positionspapier veröffentlicht.
»Die strukturelle Abhängigkeit ist in der Wissenschaft häufig sehr hoch, zuweilen herrschen fast ›feudalistische‹ Zustände«Christof Baitsch, Arbeitspsychologe
Zur Aufklärung der aktuellen Fälle hat die Max-Planck-Gesellschaft eine externe Anwaltskanzlei eingeschaltet. Wenn es nach der Max-Planck-Spitze geht, soll künftig sogar ein Whistleblower-System eingerichtet werden. Das dürften Betroffene zweifellos begrüßen, denn die vorhandenen Anlaufstellen wie etwa Ombudspersonen oder Gleichstellungsbeauftragte werden nur selten eingeschaltet: Binnen der vergangenen sechs Jahre seien lediglich zwei Fälle auf diesem Weg gemeldet worden, heißt es in einem internen Schreiben aus dem April 2018, das »Spektrum.de« vorliegt. Ob dahinter schlichte Unkenntnis dieser Möglichkeit steckt oder ob von Mobbing betroffene Forscher Zweifel an der Vertraulichkeit haben, ist schwer zu beurteilen. Fest steht, dass sich die Betroffenen in den meisten Fällen eben nicht beschweren.
Der Hannoveraner Organisationspsychologe Jan Schilling ist darüber nicht sonderlich verwundert: »Im akademischen Kontext sind Machthierarchien oft besonders ausgeprägt, da die vorgesetzte Person für die eigene wissenschaftliche Karriere maßgeblich ist«, sagt er. Das führe dazu, dass Mitarbeitende das aus ihrer Sicht destruktive Verhalten akzeptierten und nicht dagegen vorgingen, um ihre Karriere nicht zu riskieren.
»Die fehlende Konfrontation begünstigt dann wiederum eine Ausweitung des problematischen Verhaltens der Führungsperson«, sagt Schilling. Es ist ein Teufelskreis: Die direkt Betroffenen sind aus Angst um die eigene Karriere wie gelähmt, erdulden die Demütigungen oder kündigen frustriert ihre Stelle. Und der Rest hält es mit den sprichwörtlichen drei Affen – nichts sehen, nichts hören, nichts sagen.
Scharfe Sanktionen könnten Signalwirkung haben
Im Fall der Garchinger Astrophysikerin Guinevere Kauffmann reagierte die Max-Planck-Leitung bereits Ende 2016. Der renommierten Wissenschaftlerin wurde ein persönliches Coachingprogramm verordnet, gleichzeitig wurde die Größe ihrer Arbeitsgruppe stark reduziert. Die verfahrene Situation in Leipzig sollte hingegen 2017 ein Mediationsprozess bereinigen. Nachdem es nicht gelang, das angeknackste Verhältnis zwischen Tania Singer und ihren Mitarbeitern zu kitten, einigte man sich darauf, dass die Direktorin das Jahr 2018 als Sabbatical nutzt, um Abstand zu gewinnen. Im Januar 2019 soll die Wissenschaftlerin an ihr Institut zurückkehren. Allerdings sieht der Plan vor, dass sie zunächst von Berlin aus eine neue, ebenfalls deutlich verkleinerte Arbeitsgruppe aufbaut.
Ehemalige Mitarbeiter aus Leipzig nehmen das als Mogelpackung wahr. Singer werde »mit Samthandschuhen« angefasst, beschwert sich ein früheres Mitglied ihrer Arbeitsgruppe im Gespräch mit »Spektrum.de«. Die Max-Planck-Gesellschaft teilt auf Nachfrage mit, dass die »Maßnahmen absolut adäquat« seien. Pressesprecherin Christina Beck fügt jedoch hinzu: »Ob Machtmissbrauch aber in bestimmten Fällen gegebenenfalls stärker zu sanktionieren wäre, ist Gegenstand interner Diskussionen.«
Dass prinzipiell auch deutlich schärfere Sanktionen denkbar sind, zeigen Beispiele aus Übersee. Da ist zum Beispiel der Fall des berühmten US-Kosmologen Lawrence Krauss, dem im Frühjahr 2018 mehrere Frauen sexuelle Belästigung vorgeworfen haben. Nach einer Untersuchung empfahl der Dekan von Krauss' Universität, den Physiker zu entlassen. Vergangene Woche hat Krauss nun den Rückzug von seiner Professur angekündigt. Er bestreitet die Vorwürfe bis heute.
Auch der Fall der hochdekorierten britischen Genetikerin Nazneen Rahman ist ein Beispiel für konsequenteres Vorgehen. Gegen die Professorin am Krebsforschungszentrum der University of London waren Ende 2017 Mobbingvorwürfe laut geworden. Nachdem sich der Verdacht erhärtete, zog der britische Wellcome Trust vor wenigen Wochen eine Förderzusage in Höhe von 3,5 Millionen Britischen Pfund zurück. Der Wellcome Trust, der jährlich mehr als 1,1 Milliarden Euro vornehmlich für die biomedizinische Grundlagenforschung ausschüttet, hatte erst im Mai 2018 seine Förderrichtlinien um eine Null-Toleranz-Passage im Hinblick auf Mobbing und Machtmissbrauch ergänzt.
Solch eine klare Haltung wünscht sich mancher betroffene Wissenschaftler auch hier zu Lande, etwa das ehemalige Arbeitsgruppenmitglied des Leipziger Max-Planck-Instituts, das »Spektrum.de« von seinem Fall erzählt hat. Es sei ein wichtiges Signal, wenn jene Professoren, die Untergebene ausbeuten und schikanieren, die Streichung von Fördergeldern oder handfeste disziplinarische Maßnahmen befürchten müssten.
Die Rahmenbedingungen begünstigen Mobbing und Machtmissbrauch
Das Problem des Machtmissbrauchs wird man durch die Androhung von Strafen jedoch wohl nicht lösen. »Die strukturelle Abhängigkeit ist in der Wissenschaft häufig sehr hoch, zuweilen herrschen fast ›feudalistische‹ Zustände«, sagt der Arbeitspsychologe Christof Baitsch, der auf jahrzehntelange Erfahrung als Berater von Firmen und Forschungseinrichtungen zurückblickt. Er macht außerdem prekäre Arbeitsverhältnisse für die Probleme verantwortlich sowie die Tatsache, »dass Entscheidungszuständigkeit über die Fortsetzung von Verträgen häufig beim unmittelbaren Vorgesetzten liegt«.
So sieht es auch Jana Lasser, die derzeit am MPI in Göttingen promoviert. »Schuld ist die Art und Weise, wie wir in Deutschland und vielfach auch global Wissenschaft organisieren. Die Wurzel des Problems sind steile Hierarchien und Mehrfachabhängigkeiten von Nachwuchswissenschaftler_innen von einzelnen Professor_innen.« Tatsächlich sind in kaum einem anderen Bereich der Arbeitswelt die Machtverhältnisse so asymmetrisch wie in der Wissenschaft: Auf der einen Seite stehen befristet beschäftigte Doktoranden, deren Status oft durch und durch prekär ist. Auf der anderen Seite Professoren, denen das Wissenschaftssystem maximale Freiheiten und Macht garantiert und von deren Wohlwollen ihre Mitarbeiter fachlich und ökonomisch abhängig sind.
»Oft ist es so, dass Führungskräfte ›moralisch blind‹ sind und gar nicht bewusst oder gezielt despotisch führen«
Armin Pircher Verdorfer, TU München
Insofern ist es nicht weiter verwunderlich, dass zahlreiche Studien der Wissenschaft ein Mobbingproblem bescheinigen. In Großbritannien berichten – die Werte variieren von Studie zu Studie – zwischen 10 und 20 Prozent der Arbeitnehmer in der freien Wirtschaft über Mobbingerfahrungen. Im akademischen Bereich sind es doppelt so viele, die Werte schwanken zwischen 18 und 42 Prozent. Die Zahlen für Deutschland dürften – so die Meinung von Experten – ähnlich sein.
Armin Pircher Verdorfer vom Lehrstuhl für Forschungs- und Wissenschaftsmanagement an der TU München stellt fest: »Die Krux ist: Destruktives Führungsverhalten kann kurzfristig mitunter ›Erfolge‹ verbuchen, gerade auch in der Wissenschaft.« Wenn man motivierte Nachwuchswissenschaftler bei Projekten gegeneinander ausspiele, sie unter Druck setze oder mit falschen Versprechungen locke, könne das kurzfristig zu noch mehr Arbeitsleistung und Output führen. »Langfristig hat das für die Betroffenen aber oft verheerende Folgen. Umso problematischer ist es dann, wenn Verantwortliche mit so einem Mindset auf immer neue Leute zurückgreifen können, die sie sprichwörtlich ›verheizen‹.«
Alarmierende Studien zur psychischen Belastung
Besonders davon betroffen sind Doktorandinnen und Doktoranden. Wenn während der ohnehin schwierigen Promotionsphase auch noch Konflikte mit dem Betreuer dazukommen, kann aus dem Traum von der Arbeit in der Wissenschaft leicht ein Albtraum werden. Eine aktuelle Befragung an Instituten der Helmholtz-Gemeinschaft ergab, dass ein Drittel der Promovierenden überlegt, die Doktorarbeit abzubrechen. Für 43 Prozent sind Konflikte mit dem Betreuer der Hauptgrund für diese Überlegungen.
Wie gravierend die psychische Belastung während der Promotion ist, haben bereits mehrere Untersuchungen gezeigt. Von knapp 2300 Teilnehmern einer internationalen Befragung aus dem Jahr 2017 klagten fast die Hälfte über Angststörungen oder Depressionen. Daran sind freilich nicht immer Doktorväter und -mütter schuld. Das Betreuungsverhältnis ist nur ein Faktor neben anderen.
Tatsächlich weisen weitere Untersuchen darauf hin, dass es am Führungsstil der meisten Professoren wenig auszusetzen gibt. Entsprechende Studien sind zwar recht selten, aber es gibt sie. Und aus ihnen lässt sich eine Tendenz ablesen: Rund 70 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind den Erhebungen zufolge insgesamt zufrieden und attestieren ihren Chefs einen »kooperativen« Umgang.
Doch was ist mit dem unzufriedenen verbleibenden Drittel? Die Forscherinnen und Forscher lamentieren aus ganz unterschiedlichen Gründen, legen die Studien nahe. Die einen beschweren sich über zu wenig, die anderen über zu viel Führung. Im einen Fall sind es Vorgesetzte, die von ihren Mitarbeitern meistens passiv, manchmal fast desinteressiert erlebt werden. Experten bezeichnen das Phänomen als Laissez-faire-Führung. Im anderen Fall sind es hochgradig autoritäre Chefs, die ihren Mitarbeitern das Leben schwermachen. Unter diesen leiden insgesamt 15 Prozent des akademischen Personals.
Erfreulich ist, dass immerhin 70 Prozent der Professorinnen und Professoren auch in Sachen Mitarbeiterführung offenbar einen guten Job machen. Und selbst die 15 Prozent, die – ganz egal ob aus Überzeugung oder Hilflosigkeit – den Dingen ihren Lauf und ihren Lehrstuhl den Kräften der Selbstorganisation überlassen, können viele akademische Mitarbeiter sicherlich gut verkraften. Dass aber 15 Prozent aller wissenschaftlichen Führungskräfte hochgradig autoritär agieren, manche davon ihre Mitarbeiter manipulieren und schikanieren, dürfte nicht nur aus Sicht von Betroffenen ein Problem sein.
Wissenschaftler werden nicht auf ihre Führungsaufgaben vorbereitet
»Negative Führung ist sicher nicht die Regel, gleichwohl ist es eine Art ›low-incidence/high-severity‹-Phänomen. Da, wo es vorkommt, kann der Schaden für die Betroffenen, aber auch für die Organisation enorm sein«, bestätigt der Psychologe Armin Pircher Verdorfer, der selbst zu Fragen der Führungsethik forscht. »Oft ist es so, dass Führungskräfte ›moralisch blind‹ sind und gar nicht bewusst oder gezielt despotisch führen. Man ist selbst ›hart‹ sozialisiert worden, steht zudem selbst unter hohem Druck, Ergebnisse zu produzieren, und hat wenig Zeit, sich mit sich selbst und den Mitarbeitern vernünftig auseinanderzusetzen.«
Da ist es also wieder, das Dilemma der akademischen Rekrutierungspraxis. »Die Auswahlkriterien sind am wissenschaftlichen Erfolg ausgerichtet, und der wird nachgewiesen über Indikatoren, die mit Personalführung nichts zu tun haben«, bringt es der Arbeitspsychologe Christof Baitsch auf den Punkt. So trivial diese Erkenntnis ist, so ernüchternd ist es, dass daraus bis heute nur sehr zögerlich Konsequenzen folgen.
Denn an den Defiziten in Sachen Führungskompetenz ließe sich, daran haben Experten keinen Zweifel, durchaus etwas ändern. Nämlich mit Schulungen und Coachings. »Mittlerweile gibt es zahlreiche Studien, die die Wirksamkeit solcher Maßnahmen für den Erfolg von Arbeitsgruppen belegen«, sagt Armin Pircher Verdorfer, der seit Jahren auch als Weiterbildungsdozent an der TU München tätig ist.
Was Coachings mit Blick auf genuin destruktives Führen angehe: Die könnten sehr sinnvoll sein, meint Pircher Verdorfer. »Weil es dort genau darum geht, innezuhalten, sich seine eigenen Werte und sein eigenes Verhalten und dessen Konsequenzen bewusst zu machen.« Das sieht auch die in der Kritik stehende Tania Singer so und teilt mit: »Ich denke, Führungskräfte können von Coaching nur profitieren.«
Bis solche Angebote in der deutschen Wissenschaft flächendeckend etabliert sind, wird es allem Anschein nach aber noch einige Zeit dauern. An manchen Unis sind entsprechende Schulungsangebote schon seit einigen Jahren obligatorisch, an anderen hat man noch nicht einmal den Bedarf erkannt. Die Max-Planck-Gesellschaft teilt mit, man sei momentan dabei, das Thema »Führungs-Knowhow weiter auszubauen und systematisch in den Onboarding-Prozess für neue Direktoren zu integrieren«.
Das klingt gut und wirkt so, als habe ein Lerneffekt eingesetzt. Anders zum Beispiel bei der Leibniz-Gemeinschaft: Hier gibt es derzeit keine Angebote zur Schulung von Führungskompetenz im engeren Sinne. Zwar bietet die Forschungsorganisation so genannte »Führungskollegs« an. Auf den optionalen Veranstaltungen geht es aber laut einer Sprecherin vor allem um den »kollegialen Erfahrungsaustausch« – was einen guten Gruppenleiter ausmacht, bekommen die Wissenschaftler dort wohl nicht automatisch vermittelt.
So liefert der Versuch einer Auseinandersetzung mit Macht, Machtmissbrauch und Mobbing in der (deutschen) Wissenschaft ein einigermaßen disparates Bild. Ja, der Großteil der akademischen Mitarbeiter hat wenig Grund zur Klage, denn die meisten Professoren sind in der Regel auch gute Chefs.
Dennoch gibt es Ausnahmen von dieser Regel: hervorragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, denen soziale Kompetenz nicht in die Wiege gelegt wurde. Unter den strukturellen Rahmenbedingungen der akademischen Arbeitswelt, geprägt von Publikationsdruck, steilen Hierarchien und enormer Machtfülle von Professoren, wird das zwangsläufig zum Problem. Die Wissenschaft täte gut daran, ihm zu begegnen.
Anmerkung: Der drittletzte Absatz des Textes wurde am 5. November an mehreren Stellen präzisiert.
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