Genetik: Der Broiler-Bauplan
Wer die Basenpaare-Sprache aus dem Buch des Lebens verstehen will, der sollte möglichst viele unterschiedliche Erbgut-Werke lesen. Nun ist ein neuer Band entziffert.
Das bald wohl berühmteste Huhn des Jahres hat einen eher spröden Namen: UCD001 #256 heißt das weibliche Exemplar von Gallus gallus, dem Bankivahuhn, dessen DNA in den letzten Monaten und Jahren 170 Forscher aus 49 verschiedenen Forschungseinrichtungen beschäftigt hat. Nun ist das Geflügel-Individuum durchleuchtet – als Repräsentant der wilden Stammform aller weltweit domestizierten Grillhähnchen, Hühnerhof- und Legebatterie-Hennen wurde das Erbgut des Tieres vollständig sequenziert. Damit liegt erstmals das Genom eines Vogels vor [1].
Soviel erstmal zu den Zahlen und Fakten. Nun die Kardinalfrage: Musste es jetzt unbedingt Geflügel sein? Brauchen wir tatsächlich derart intime Details des Wildhuhn-Erbguts? 170 Forscher, davon einige etwa am Max-Delbrück-Zentrum für Molekulare Medizin in Berlin und am Heidelberger European Molecular Biology Laboratory, kosten schließlich auch das Geld des Steuerzahlers.
Das war sinnvoll angelegt, denn durchaus gibt es eine ganze Reihe von guten Gründen für die Sequenzierung des Hühnergenoms, erklären die Forscher des verantwortlichen International Chicken Genome Sequencing Consortium: genetische, evolutionsbiologische, medizinische und agrarökonomische.
Genauso spannend wie die Gemeinsamkeiten sind auch die Unterschiede zwischen Vogel- und Säuger-Erbgut. Dem Huhn fehlen Gene, die beim Menschen die Milchproduktion, bestimmte Speichelproteine und den Zahnaufbau ausmachen – Milchbrustdrüsen und Zähne fehlen den Vögeln eben. Die dazu benötigten Genanleitungen, die bei dem gemeinsamen Fischvorfahren von Huhn und Mensch noch vorhanden waren, wurde demnach offenbar effizient wegrationalisiert. Einer der Gründe wohl auch für die geringe Größe des Hühnergenoms im Vergleich zu den sequezierten Säugern.
Und noch ein letzter interessanter Einzel-Fakt, zum Abschluss: Sortiert man die Protein kodierenden Gene von Huhn und Mensch nach Gewebegruppen und vergleicht deren Sequenzübereinstimmung, dann sind, seit sich Vögel und Säugetiere auseinander entwickelt haben, die Gene der Hoden am weitesteten auseinandergedriftet. Am wenigstens hat sich zwischen Mensch und Huhn eiweißtechnisch demzufolge im Gehirn getan. Na, das wird schon nichts zu bedeuten haben.
Der üblichen Tagesordnung einer jeden neuen Genom-Präsentation folgend zunächst die wichtigsten Kenndaten: Die DNA eines durchschnittlichen Wildhühnchen weist rund eine Milliarde Basenpaare auf (nur gut ein Drittel des Umfangs der Homo-sapiens-DNA), bildet immerhin aber auch etwa 20 000 bis 23 000 als Bauanleitung für Eiweiße fungierende Gene (der Mensch hat, grob über den Daumen, auch nicht mehr zu bieten). Insbesondere fehlen dem Huhn viele der so genannten repetitiven Sequenzen, die für das Erbgut von Mensch und Maus charakteristisch sind. Ein Huhn verteilt, das wusste man allerdings schon, die Gene auf eine Chromosomen-Austattung aus zehn größeren Makrochromosomen und 28 kleineren Mikrochromosomen (die ersteren beinhalten mehr, aber weniger dicht gepackte DNA, die zudem offenbar etwas seltener mutiert). Ein Weibchen besitzt nicht, wie ein weiblicher Mensch, zwei zusätzliche X-Chromosomen, sondern ein dem menschlich-männlichen XY-Geschlechtschromosomen-Mix analoges "ZW"-Chromosomen-Doppelpack. Ein Hahn ("ZZ") verzichtet auf das "W" – Huhn statt Hahn zu sequenzieren war daher clever, um wirklich alle Gene inklusive jene des W-Chromosoms kennen zu lernen.
Soviel erstmal zu den Zahlen und Fakten. Nun die Kardinalfrage: Musste es jetzt unbedingt Geflügel sein? Brauchen wir tatsächlich derart intime Details des Wildhuhn-Erbguts? 170 Forscher, davon einige etwa am Max-Delbrück-Zentrum für Molekulare Medizin in Berlin und am Heidelberger European Molecular Biology Laboratory, kosten schließlich auch das Geld des Steuerzahlers.
Das war sinnvoll angelegt, denn durchaus gibt es eine ganze Reihe von guten Gründen für die Sequenzierung des Hühnergenoms, erklären die Forscher des verantwortlichen International Chicken Genome Sequencing Consortium: genetische, evolutionsbiologische, medizinische und agrarökonomische.
Zunächst vielleicht zu letzterem. Hühner sind Eierproduzenten Nummer eins und Rückrat der Hendl-Braterei, weil sie leicht zu halten sind und schnell vielköpfigen Nachwuchs produzieren. Seit mindestens 7400, vielleicht sogar seit 10 000 Jahren begleiten Hühner den Menschen als Haustiere. Wohl fast ebenso lange versucht der Mensch, die besten Eigenschaften des Geflügels züchterisch herauszuarbeiten. Zumindest auf genetischer Ebene allerdings mit überraschend mäßigem Erfolg, wie die Ergebnisse der Genomanalysen nun zeigen: Vergleicht man die Stammform Gallus gallus mit typischen domestizierten Legehennen oder Broilern, so zeigt sich, das die Jahrtausende der Züchtungsselektion nur geringe Einflüsse auf ausgesuchte Sequenzen gehabt haben [2]. Wie immer macht eben ein Gen alleine noch kein Superhuhn, konstatieren die Wissenschaftler: Eine Erbinformation legt nur zusammen mit anderen die Grundlagen für einige der vom Menschen an Hühnern meistgeschätzten Eigenschaften – Größe und Gewicht (also Fleischmenge) oder die Eiproduktionsrate. Dieses genetische Zusammenspiel ist nun, mit Hilfe der Genomkarte, vielleicht aufzudecken – was dann eine gezielte Auswahl von Tieren mit wünschenswerten Eigenschaften möglich machen könnte. Vielleicht besonders krankheitsresistem Geflügel, welches den derzeit immer noch oft hemmungslosen Einsatz von Antibiotika minimieren würde?
Auch rein genetisch und medizinisch ist das Vogelgenom von Interesse. In vielerlei Hinsicht verraten Vögel mehr über das Erbgut des Menschen als unsere näheren Verwandten, etwa die längst sequenzierte Maus: Deren Erbgut ist dem Menschen schlicht zu ähnlich. Ein gemeinsamer Vorfahr von Huhn und Mensch lebte aber zuletzt vor etwa 310 Millionen Jahren – Sequenzen, die sich nach dieser langen Zeit eigenständiger Entwicklung nicht geändert haben, müssen eine besondere Bedeutung für das Leben beider Organismen haben. Etwa 70 Millionen derartig bedeutsamer Basenpaare teilen sich Mensch und Huhn – unter diesen Genen solche zu suchen, die bei der Auslösung von Krankheiten eine Rolle spielen, könnte sich als zeitsparend erweisen.
Genauso spannend wie die Gemeinsamkeiten sind auch die Unterschiede zwischen Vogel- und Säuger-Erbgut. Dem Huhn fehlen Gene, die beim Menschen die Milchproduktion, bestimmte Speichelproteine und den Zahnaufbau ausmachen – Milchbrustdrüsen und Zähne fehlen den Vögeln eben. Die dazu benötigten Genanleitungen, die bei dem gemeinsamen Fischvorfahren von Huhn und Mensch noch vorhanden waren, wurde demnach offenbar effizient wegrationalisiert. Einer der Gründe wohl auch für die geringe Größe des Hühnergenoms im Vergleich zu den sequezierten Säugern.
Die Keratin-Gene, die bei Säugern Haut und Haare, bei Vögeln dagegen Feder-Baumaterial produzieren, entwickelten sich innerhalb der Wirbeltiere sehr unterschiedlich aus verschiedenen Keratin-Urformen. Insgesamt gestattet der Vergleich jedenfalls, die Evolutionsgeschichte der Wirbeltier-Gruppen genauer kennen zu lernen: Einige alte Theorien können dadurch bereits jetzt bestätigt, andere widerlegt werden. Das Vomeronasalorgan etwa, ein eigenständiges Riechorgan, ist offensichtlich tatsächlich eine typische Säuger-Innovation, ebenso wie die Vielfalt der Interferon-Eiweiße des Immunsystems – andere für typisch menschlich gehaltene Immunsystem-Proteine dagegen finden sich zur Überraschung der Wissenschaftler auch beim Vogel.
Und noch ein letzter interessanter Einzel-Fakt, zum Abschluss: Sortiert man die Protein kodierenden Gene von Huhn und Mensch nach Gewebegruppen und vergleicht deren Sequenzübereinstimmung, dann sind, seit sich Vögel und Säugetiere auseinander entwickelt haben, die Gene der Hoden am weitesteten auseinandergedriftet. Am wenigstens hat sich zwischen Mensch und Huhn eiweißtechnisch demzufolge im Gehirn getan. Na, das wird schon nichts zu bedeuten haben.
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