Erdzeitalter: Der einsamste Baum der Erde und das Anthropozän
Im frühen 20. Jahrhundert pflanzte Uchter John Mark Knox, auch bekannt als der fünfte Earl of Ranfurly, in seiner Funktion als neuseeländischer Gouverneur eine Sitkafichte (Picea sitchensis) auf der Insel Campbell im Südpazifik. Verglichen mit ihrer Verwandtschaft in der alten Heimat, an der nordwestamerikanischen Küste, wo die Bäume stattliche 60 Meter hoch werden können, kümmert die Fichte an ihrem Standort eher dahin – gerade einmal 7,5 Meter misst sie bis zur Spitze. Dafür kann der Nadelbaum mit anderen Besonderheiten aufweisen: Er ist vielleicht der einsamste Baum der Erde, der nächste Verwandte steht mindestens 200 Kilometer entfernt. Und in seinem Holz befindet sich womöglich das Indiz dafür, dass wir Menschen bereits ein eigenes geologisches Zeitalter begründet haben: das Anthropozän. Zu diesem Schluss kommen Pavla Fenwick von der University of New South Wales und ihr Team in "Scientific Reports".
Darüber wird gestritten, seit der Nobelpreisträger für Chemie Paul Crutzen den Begriff im Jahr 2000 eingeführt hat: das Erdzeitalter, das wir Menschen als wichtigster Einflussfaktor für die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde bestimmen. Unsere Atomwaffentests hätten entsprechende Signaturen in den Sedimenten hinterlassen, auch völlig neue Gesteine seien durch Menschenhand entstanden, führen die Befürworter an. Kritiker dagegen meinen, es sei noch zu früh, um endgültige Aussagen über eine eigene geologische Epoche zu treffen. Ungeklärt ist dabei unter anderem die Frage, wann das Anthropozän begonnen haben soll, selbst wenn in geologischen Maßstäben ein paar hundert Jahre nicht wirklich eine Rolle spielen. Das Jahr 1800 gilt als potenzieller Beginn, weil mit der beginnenden Industrialisierung der Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre rasch zunahm, was auch heute noch der Fall ist. Andere sehen das Jahr 1945 als Wendemarke: Damals explodierten die ersten Kernwaffen, und ihre Spaltprodukte gingen weltweit nieder.
Fenwick und Co plädieren jetzt hingegen für 1965 als erstes wirkliches Jahr des Anthropozäns und begründen dies mit den Resultaten ihrer Holzbohrkernanalysen: In den Jahresringen des Baums tauchen radioaktive Isotope aus den Atomtests erst ab diesem Zeitpunkt auf – obwohl die oberirdischen Versuche damals eigentlich schon seit zwei Jahren verboten waren. Es habe offensichtlich so lange gedauert, bis die Isotope ihren Weg über die Atmosphäre und den Boden bis in den Stamm der Sitkafichte gefunden hätten. Erst dann seien auch tatsächlich entlegene Orte auf der Südhalbkugel von diesem menschlichen Einfluss erreicht worden, schreiben die Wissenschaftler. 1965 markiere eine so eindeutige Zunahme, dass jenes Jahr den Beginn einer neuen geochronologischen Epoche abgeben könnte. Genau genommen könnte der Beginn des Anthropozäns auf die Zeit zwischen Oktober und Dezember 1965 festgelegt werden, so die Forscher, denn ab diesem Zeitpunkt nimmt das Signal deutlich zu – ebenso wie auf der Nordhalbkugel, wie der Datenvergleich ergab.
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