Paläogenetik: Adam könnte Eva gekannt haben
Bei der immer genaueren Analyse des menschlichen Erbguts kommen Forscher häufig zu Ergebnissen, die, knapp auf einen Punkt gebracht, bizarr erscheinen – auch wenn sie, ausführlich erklärt, durchaus nachvollziehbar sind. Die vielleicht bekannteste dieser vermeintlichen Absonderlichkeiten ist der Altersunterschied von "Adam und Eva" – also der ersten Frau und des ersten Manns in der genetischen Ahnenreihe aller heute lebenden Homo sapiens. Man bestimmt das Alter dieser unserer Ahnen anhand einer angenommenen Mutationshäufigkeit menschlicher DNA-Sequenzen als Eichmaßstab: Bei "Eva" zieht man dafür eine Analyse der nur mütterlich vererbten Sequenz der Mitochondrien heran; für die Bestimmung von "Adams" Alter dient ein Blick auf die nur väterliche vererbte Y-Chromosomensequenz.
Auf diese Weise ermittelten Forscher, dass die letzte gemeinsame Vorfahrin aller heutigen Menschen lange vor dem viel jüngeren letzten gemeinsamen männlichen Ahnen "Adam" lebte – und beide hypothetischen Wesen sich daher nie begegnet sein können. Dieses Ergebnis ist zwar weniger erstaunlich, als auf den ersten Blick scheint – immerhin muss der älteste gemeinsame Vorfahre der heutigen Bevölkerung eben nicht auch der erste aller Menschen überhaupt gewesen sein, etwa weil die Ahnenreihe viele Menschen zwischendurch ausgestorben ist. Vor allem aber war diese lange gültige Berechnung auch nicht ganz korrekt, wie zwei neue Studien auf einer solideren Datenbasis jetzt ermitteln.
Der erste Mensch "Adam" war doch älter als gedacht
Zu dem Schluss kommen zum einen Carlos Bustamante von der Stanford University und sein Team. Die Forscher arbeiteten dabei vor allem mit der schieren Kraft größerer Zahlen: Sie nahmen eine genauere Analyse von deutlich mehr typischen Veränderungen in deutlich längeren Abschnitten auf dem Y-Chromosom von 69 genanalysierten Freiwilligen vor, die zudem aus Ländern stammten, deren Einwohner bisher kaum zu Genvergleichen herangezogen worden waren [1]. Bei der Auswertung achteten die Forscher dann vor allem auf Sequenzunterschiede von amerikanischen Ureinwohnern und Bewohnern anderer Erdteile (exklusive europäischer Gene), um so eine neue Kalibrierung der Mutationsgeschwindigkeit im Y-Chromosom des Menschen zu ermöglichen. Denn sämtliche Sequenzunterschiede, die nur bei Uramerikanern zu finden sind, können sich vor frühestens 15 000 Jahren ereignet haben, nachdem die Vorfahren der Indianer aus Asien kommend nach Amerika eingewandert sind. Dort lebten sie dann lange Zeit isoliert: An den Rest der Welt gaben sie ihre amerikanischen Mutationen nicht weiter; zudem übernahmen sie auch keine Mutation aus Afrika, Europa und Asien.
Die durch den präziseren globalen Vergleich neu kalibrierte Mutationsuhr tickt deutlich langsamer als gedacht: In 109 Basenpaaren der DNA ereigneten sich demnach pro Jahr gerade einmal 0,82 Mutationen. Vergleicht man nun alle Y-Chromosomen und ihre mutationsbedingten Sequenzunterschiede und legt die neue Messlatte daran an, so muss das heutige Y-Chromosom rein mathematisch vor 120 000 bis 156 000 Jahren aus einem gemeinsamen Sequenzvorläufer entstanden sein – als Ur-Y-Chromosom, das Adam zu Lebzeiten trug. Er ist damit viel älter als bisher vermutet (man schätzte ihn auf 50 000 bis allerhöchstens 115 000 Jahre). Dieser neue Adam passt zeitlich nun auch recht gut zur alten Eva: Sie lebte, wie Mitochondrien-DNA-Analysen zeigen, vor 99 000 bis 148 000 Jahren.
Insgesamt muss die Menschheitsgeschichte nach der Studie von Bustamente und Kollegen allerdings kaum neu geschrieben werden – die Daten ermöglichen vor allem einen etwas präziseren Blick auf einige Wanderungsbewegungen und Verwandtschaftsverhältnisse in der Menschenfamilie. Einen zum Ergebnis passenden europäischen Beitrag liefern dabei Paolo Francalacci von der Univerität von Sassari in Italien und ein vielköpfiges Kollegenteam. Die Forscher stützen sich dabei auf die Y-Chromosomsequenzen von 1204 Männern aus Sardinien. [2]
Günstig – neben der großen Zahl der Proben – war dabei vor allem, dass auch die erste Besiedlung der Mittelmeerinsel relativ gut datierbar ist: erst vor 7700 Jahren überquerten Menschen vom Kontinent kommend das Meer und ließen sich hier nieder, zeigen archäologische Auswertungen. Damit ist auch die Mutationsrate im Erbgut der Sardinier kalibrierbar – hier ereigneten sich offenbar noch seltener Mutationen, was die molekulare Uhr erneut langsamer ticken lässt und das Alter des hypothetischen Adams damit weiter erhöht: auf rund 180 000 bis 200 000 Jahre.
Das genetische Alter unseres männlichen Urahnen erreicht mit diesen Berechnungen von Francalacci und Kollegen in etwa jenes der ältesten Fossilfunde des anatomisch modernen Menschen. Das letzte Wort ist damit allerdings sicher nicht gesprochen: Zu umstritten sind derzeit auch unter Fachleuten noch die Kalibrierungsmethoden der molekularen Uhr. Zudem liegt der Wissenschaft noch ein Fund im Magen, der vor einigen Monaten für Aufsehen gesorgt hat: Bei der Analyse der Chromosomensequenz eines Afroamerikaners hatten Forscher eine bislang noch nie beschriebene Y-Erblinie entdeckt, die sich vor etwa 300 000 Jahren vom Stammbaum aller anderen Y-Chromosomen abgespaltet haben muss.
Mittlerweile stellte sich heraus, dass der Mann kein Einzelfall ist: Einige Afrikaner vor allem im Westen Kameruns tragen dieselbe uralte Variante. Nach einer Erklärung für das Phänomen suchen die Forscher derzeit noch. Womöglich, so ein Erklärungsansatz, existierten in Afrika archaische Menschenvorfahren, die ihre Y-Chromosomsequenz in den Genpool der lokalen Bevölkerung eingekreuzt haben. Der moderne Homo sapiens, das wird immer deutlicher, entsprang offensichtlich nicht einer geraden Stammlinie, sondern ist ein bunt gescheckter Mischling aus verschiedenen Vorläufern vom Neandertaler und Denisovamenschen bis hin zu unterschiedlichen älteren lokalen Varianten.
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