Genetik: Der Geschmack der Seidenstraße
Herr Professor Gasparini, warum haben Sie sich ausgerechnet die Seidenstraße für Ihre Forschungen zum menschlichen Geschmackssinn ausgesucht?
Paolo Gasparini: Die Seidenstraße war über Jahrhunderte eine Route, über die Menschen Güter, Ideen, Kulturen und Gene austauschten. Heute wird die Region, durch die sie führte, von einer Vielzahl ethnischer Gruppen charakterisiert, die oft in isolierten Gemeinschaften leben, aber von relativ gleichen Umweltbedingungen abhängen oder Essensvorlieben teilen. Darüber hinaus fasziniert uns – und viele andere – natürlich die reichhaltige Geschichte der Seidenstraße.
Größere Abschnitte der Seidenstraße führen durch eher gefährliches Gebiet. Wie haben Sie die Regionen und Bevölkerungsgruppen ausgesucht?
Wir haben Länder wie Irak, Afghanistan oder den Iran außen vor gelassen, weil es dort wegen der gegenwärtigen politischen Situation schwierig ist zu reisen. Die jeweiligen Dorfgemeinschaften haben wir zusammen mit der Organisation Terramadre ausgewählt, wobei Faktoren wie Größe oder Ursprung der Bevölkerungsgruppen berücksichtigt wurden. Vor Ort haben wir dann den Geschmack der Leute getestet, sie nach ihren Essensvorlieben befragt, ihren Gesundheitszustand erfasst oder sie an Geruchsproben – etwa von Steaks – schnüffeln lassen. Insgesamt haben wir rund 1100 Proben entlang einer großen Strecke der Seidenstraße mitgebracht.
Mussten Sie dennoch bisweilen mit widrigen Umständen kämpfen?
Größere Schwierigkeiten gab es eigentlich immer nur an den Grenzen, die wir stets auf dem Landweg überquert haben. Die meisten Zöllner konnten es sich nicht vorstellen, dass hier Ausländer während der heißen Sommermonate reisen wollen und dazu noch unzählige medizinische Instrumente, Teströhrchen und anderen Kram mit sich führen. Das Projekt selbst wurde von der Ethikkommission der Universität abgesegnet, und in Ländern, in denen es eigene Ethikkommissionen gab, baten wir vorher ebenfalls um Erlaubnis und suchten das Einverständnis der nationalen oder regionalen Behörden. Und alle Teilnehmer waren Freiwillige, die wir vorher umfassend informierten.
Warum unterscheiden sich die Geschmäcker der Menschen eigentlich – während die einen Schimmelkäse als Leckerbissen empfinden, ekelt es andere, die Ziegenhirn bevorzugen?
Das ist eine der Fragen, die wir beantworten möchten. In manchen Fällen hängt es wohl mit Mutationen in bestimmten Geschmacksrezeptorgenen zusammen. Dann ist es tatsächlich abhängig von der ureigenen biologischen Geschmackswahrnehmung. In vielen anderen Fällen spielen der Geruchssinn und die Verarbeitung im Hirn eine Rolle. Wir haben inzwischen eine erste Serie aus vier Genen identifiziert, die mit Nahrungsvorlieben in Zusammenhang stehen. Das ist ein viel versprechendes Ergebnis.
Wie beeinflussen unsere Gene unseren Geschmack?
Wir besitzen schätzungsweise 24 Geschmacksrezeptorgene für bitter, einige für süß und umami und noch ein paar andere für salzig und sauer. Varianten des Gens TAS2R38 zum Beispiel beeinflussen, wie wir Bitterstoffe wahrnehmen, und teilen die Menschen in drei Gruppen: Je nachdem schmecken Menschen Bitteres kaum beziehungsweise gar nicht, normal oder extrem stark – so genannte Supertaster. Die prozentuale Verteilung dieser drei Gruppen in einer lokalen Bevölkerung ist spezifisch und unterscheidet sich von einem Land zum anderen. Entlang der Seidenstraße etwa treten deutliche Abweichungen auf, wie wir feststellen konnten: In Armenien und Tadschikistan gehören ein Drittel der Menschen zu den Supertastern, in Georgien und Aserbaidschan sind es dagegen nur halb so viele. Und das hat natürlich entsprechende Konsequenzen für die lokale Nahrungswahl oder auch die allgemeine Gesundheit.
Welcher Zusammenhang besteht zwischen unseren Genen, dem Geschmacks- und Geruchssinn, der ja erst die Vielzahl an unterschiedlichen Nuancen in unser Essen bringt?
Geschmack und Geruch arbeiten zusammen, sobald wir Nahrung in den Mund aufnehmen. Das Zusammenspiel beider muss aber noch näher untersucht werden. Doch auch hier können wir ein erstes Resultat vorweisen: Wir haben ein Gen nachgewiesen, das womöglich mit einer Vorliebe für Tee zusammenhängt. Gleichzeitig steht es in Verbindung zur Geruchswahrnehmung, was durchaus Sinn macht, denn das Bouquet beziehungsweise Aroma eines Tees gehört zu den entscheidenden Dingen, ob man das Getränk mag oder nicht.
Wie können Sie zwischen genetischen Ursachen einerseits und den wohl ebenfalls recht starken soziokulturellen Einflüssen andererseits unterscheiden?
Eines unserer Hauptziele ist es, herauszufinden, welche biologischen Komponenten unseren Geruchs- und Geschmackssinn – und damit auch unser Essen – steuern, damit wir sie leichter von den soziokulturellen Hintergründen abgrenzen können. Unser großer Datensatz, kombiniert mit anderen Genomprojekten, ist gut geeignet, um Verbindungen zwischen Genen und Geschmack zu entdecken.
Lässt sich der Geschmack auch trainieren, etwa indem man regelmäßig scharf isst, und hinterließe dies auf Dauer epigenetische Spuren im Erbgut?
Prinzipiell vertragen ältere Menschen bittere oder scharfe Speisen besser als jüngere, weil ihre entsprechenden Nervenzellen abgebaut haben und sie daher quasi "abgestumpfter" sind. Und bis zu einem bestimmten Grad kann man auch seinen Geschmackssinn trainieren, so dass man scharfe Speisen besser toleriert. Ein Supertaster für Bitterstoffe hingegen wird immer größte Schwierigkeiten haben, Kaffee ohne Zucker, dunkles Bier oder Tonic Water zu trinken sowie dunkle Schokolade, bestimmte Kohlsorten oder Chicorée zu essen.
Was planen Sie als Nächstes: Weiten Sie Ihre Studien auch auf andere Gebiete aus?
Ja, zurzeit untersuchen wir relativ isolierte Gemeinschaften in verschiedenen Regionen Italiens, und natürlich wäre es nett, Genproben aus allen Teilen der Welt zu haben. Unser Blick richtet sich daher momentan gen Südamerika, doch die Finanzierung ist noch nicht gesichert. Die Wirtschaftskrise erschwert auch unsere Arbeit.
Zurück noch einmal zur Seidenstraße: Hatten Sie selbst besondere Geschmackserlebnisse auf der Reise?
Schaffleisch ist nichts für meinen Gaumen. Am meisten Überwindung kostete mich daher ein Gericht namens Plov (hier zu Lande auch als Pilaw bekannt, Anm. d. Red.) – ein traditionelles Gericht aus Reis, Karotten und Stückchen von gekochtem Hammel oder Schaf. Am schmackhaftesten fand ich hingegen die verschiedenen Brote, die in den Tandur-Öfen auf Holzkohle gebacken werden.
Herr Gasparini, wir danken Ihnen für das Gespräch.
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